Dr. Wolfgang Näser: Wörter und Wendungen in der aktuellen deutschen Zeitungssprache * WS 20001/2002

Text 4: Agentur-Texte aus der Oberhessischen Presse vom 22.11.2001

[1] Bundeswehr bereitet sich auf Antiterror-Einsatz vor
Operationsgebiet „östlich von Suez“ - Bei der Rekrutierung von Freiwilligen keine Probleme

Wilhelmshaven. Die Deutsche Marine soll im Rahmen der internationalen Terrorbekämpfung bei der Operation „Enduring Freedom“ östlich von Suez eingesetzt werden. Das sagte der Kommandeur der Zerstörerflottille, Flottillenadmiral Gottfried Hoch, am Montag auf dem Marinestützpunkt Wilhelmshaven, als er die Einsatzpläne der Flotte vorstellte.
Suez ist eine Küstenstadt in Ägypten am Südende des Suez-Kanals. Die deutschen Seestreitkräfte können nach etwa drei Wochen Vorbereitungs- und drei Wochen Transferzeit kampfbereit sein, erläuterte Hoch. Näheres über das Einsatzgebiet sei noch nicht bekannt, erklärte er. Hauptaufgabe der Zerstörer werde es sein, den Seeraum zu überwachen, Handelsschiffe zu begleiten, Schiffe zu schützen und Ladungen zu untersuchen. Ein Verband könne 30 Tage auf See bleiben. Da von einem längeren Einsatz auszugehen sei, werde auch über einen Landstützpunkt zu reden sein.

Zu der Einsatzgruppe können nach Angaben der Marine Fregatten, Minensuchboote, Schnellboote und Versorger gehören. Hinzu kommen Kampfhubschrauber, Rettungshubschrauber und Aufklärungs- und Jagdflugzeuge. Die genaue Zusammensetzung hänge von den Absprachen ab, sagte Hoch. Die Truppe habe noch keinen Auftrag erhalten.

Die Konsultationen mit den USA beginnen Hoch zufolge am Montag in Tampa/Florida. Fest stehe, dass der deutsche Verband unter deutschem Kommando fahren werde. Dem Parlamentsbeschluss vom vergangenen Freitag nach stellt Deutschland 1 800 Marinesoldaten bereit. Gemessen an dieser Zahl sei der Einsatz der größte in der Geschichte der Seestreitkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg, sagte Hoch. Daran werden nur Zeitsoldaten sowie Freiwillige teilnehmen, erläuterte er. Sie werden aus allen Stützpunkten der Marine zusammengezogen.

Offiziere sind offenbar noch gelassen

Die Offiziere sehen der Operation nach eigenem Bekunden mit Ruhe entgegen. Viele von ihnen haben bereits im Rahmen der Jugoslawien-Einsätze Erfahrung gesammelt. Er sei „sehr gelassen“, sagte Michael Mackenstein, Kommandeur der fliegenden Gruppe des Marinegeschwaders 5. Ihn „würde nicht überraschen, wenn ich mit meinen Leuten Weihnachten schon im Einsatz wäre“. Da inzwischen „ständig Einsätze kommen“, sei dieser Auftrag „nichts Besonderes mehr“, kommentierte der in einem Aufklärungflugzeug tätige Techniker Helgo Hermann. Einziger Unterschied sei, dass das Einsatzgebiet außerhalb Europas liege, sagte Pilot Marco Pannasch. Die Seestreitkräfte würden aber nicht am unmittelbaren Geschehen in Afghanistan beteiligt sein. Das sei beruhigend, erklärte Hubschrauberpilot auf Nachfrage. (AP)

[2] Zöpel (SPD): Auch Bundeswehr-Einsatz in Somalia denkbar

Köln. Die SPD-Bundestagsfraktion würde nach Ansicht des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Christoph Zöpel (SPD), gegebenenfalls einer deutschen Beteiligung an einem Militäreinsatz in Somalia zustimmen.
Falls sich herausstellen sollte, dass es dort ebenfalls „sichere Häfen“ für Terroristen gebe, würden sich Bundesregierung und Bundestag damit befassen, ob man in Somalia tätig werden müsse, sagte Zöpel dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Ich bin überzeugt, dass die Fraktion - auch wegen der Sorgfalt in der Vorbereitung seitens der Bundesregierung - hier nach intensiven Diskussionen wiederum zustimmen wird“, sagte Zöpel der Zeitung am Rande des Parteitags in Nürnberg. Deutsche Militäreinsätze gegen Terroristen seien von der Zustimmung der Regierung des betroffenen Landes abhängig. In Somalia exististiere eine solche Regierung aber nicht. Eine deutsche Beteiligung an Anti-Terror-Aktionen in Irak schloss Zöpel dagegen aus, da die Führung in Bagdad eine Zustimmung nicht erteilen werde.

In der n-tv-Sendung „Maischberger“ sprach sich Zöpel dafür aus, dass ausländische Truppen für einen längeren Zeitraum in Afghanistan stationiert werden. „Es macht viel Sinn, wenn die Soldaten dort die Versorgung sicherstellen, den Aufbau eines Staatssystems überwachen und mögliche Konflikte im Keim ersticken“. Deutsche Bodentruppen würden dorthin jedoch nicht entsendet. (dpa)

[3] Bundeswehr zum Einsatz im Anti-Terror-Krieg bereit
Berlin. Die Bundeswehr steht mit den ersten Einheiten zum Anti-Terror-Krieg bereit. Zwar gebe es noch keine Anforderungen, aber die Lufttransportkapazitäten könnten sofort genutzt werden, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Jochen Cholin, am Montag in Berlin.

Bei der Marine ist die Art des Einsatzes und die Zusammensetzung der Einheiten allerdings noch offen, erklärte ein Sprecher des Flottenkommandos in Wilhelmshaven. Details müssten noch mit den Verbündeten erörtert werden. Nach den Worten von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wird sich Deutschland auch künftig auf schwierige Entscheidungen wie die der Bereitstellung von Soldaten im Anti-Terror-Krieg einstellen müssen. „Die Deutschen werden sich daran gewöhnen müssen, dass unsere Partner uns nicht erlauben werden, nicht volle Verantwortung für die Gegegebenheiten in der Welt zu übernehmen“, sagte Schröder am Sonntagabend in der ARD.

SPD-Generalsekretär Franz Müntefering forderte die Grünen am Morgen im DeutschlandRadio auf, zu ihrer Bundestagsabstimmung für den Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr zu stehen und sich der Regierungsverantwortung zu stellen. „Ich finde es ein bisschen seltsam, dass sich da die Tendenz herausgebildet hat in den letzten Tagen, als ob der Kanzler derjenige gewesen sei, der ihnen auf die Zehen getreten wäre.“ Zugleich plädierte er erneut für die Fortsetzung der rot-grünen Koalition.

Grünen-Chefin Claudia Roth verwahrte sich gegen Ratschläge aus der SPD, wie die Grünen bei ihrem Parteitag in Rostock eine Mehrheit hinter den Regierungskurs bringen könnten. „Ich würde den SPD- Genossen empfehlen, die Debatte in der eigenen Partei zu organisieren und aufzuhören mit hemdsärmeligen Empfehlungen und zu glauben, so würde man in der Grünen-Partei irgendetwas erreichen“, sagte Roth zu Beginn einer Grünen-Vorstandssitzung in Berlin.

Müntefering äußerte Verständnis für Kritik am Bundeswehr- Einsatz bei der SPD-Parteibasis. Normalerweise brauche man für einen solchen Prozess einige Jahre - aber nach den Terroranschlägen des 11. September habe die Regierung schnell reagieren müssen. Eine Debatte auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg sei wichtig, habe aber keinen Einfluss auf die Entscheidung, die im Bundestag gefallen sei. „Parteitage können Entscheidungen des Bundestages nicht relativieren, nicht korrigieren.“

Die Berliner Grünen werden nach Einschätzung der Landesvorsitzenden Regina Michalik versuchen, die rot-grüne Koalition im Bund zu halten. Die Frage der Militäreinsätze und die Darstellung der Bundes-Grünen werde die Basis auf dem Parteitag am kommenden Wochenende jedoch sehr kritisch diskutieren, sagte Michalik der dpa. Ob die Mehrheit der Delegierten dem Bundeswehreinsatz zustimmen werde, könne sie derzeit nicht sagen. In Berlin sind nach ihren Angaben seit Mitte September rund 70 Mitglieder im Zusammenhang mit den Militärschlägen aus der Partei ausgetreten.

Die rot-grüne Koalition darf sich nach Ansicht der PDS nach der knapp gewonnenen Vertrauensabstimmung im Bundestag keine ernsthafte Krise mehr leisten. Schröder habe „sein letztes Mittel für den Erhalt der parlamentarischen Unterstützung im Rahmen von Rot-Grün am letzten Freitag verschossen“, sagte PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch nach einer Vorstandssitzung seiner Partei in Berlin.

Den Grünen sei durch die erzwungene Zustimmung zur Bereitstellung von 3 900 Bundeswehr-Soldaten im Afghanistan-Konflikt „letztlich das Rückgrat gebrochen worden“, sagte Bartsch. Er gehe nicht davon aus, dass der Parteitag der Grünen am kommenden Wochenende in Rostock den Bundestagsbeschluss „ernsthaft“ korrigieren werde. (dpa)

Quelle: Oberhessische Presse Marburg, 22.11.2001