Dr. Wolfgang Näser: UE "Landes- und Kulturkunde des Deutschen" (für Ausländer)
WS 2002/2003 * Do 16-18, HG 207

Informationstext zum 28.11.2002

Was haben wir denn in Afghanistan verloren?
Cerno Jobatey interviewt Peter Scholl-Latour (ZDF-Morgenmagazin 26.11.2k2)

CJ: ...seine Bücher sind fast alle Bestseller. Ich freue mich sehr, heute hier am Morgen Peter Scholl-Latour zu Gast zu haben. Schön, daß Sie da sind. Guten Morgen! ...Sie haben ein neues Buch geschrieben. Das heißt "Kampf dem Islam - Kampf dem Terror.."

SL: mit Fragezeichen.

CJ  mit Fragezeichen, ja. Haben Sie denn Zweifel am Anti-Terror-Kampf des Abendlandes? Warum das Fragezeichen?

SL  Ja... die Gefahr ist eben, daß der Kampf...gegen den Terror sich in einen Kampf gegen den, sagen wir mal, revolutionären Islamismus umwandelt. Und es gibt ja ein deutliches Beispiel dafür. Nord-Korea ist im Grunde viel gefährlicher als der Irak. Aber gegen Nordkorea wird mit Samthandschuhen im Moment vorge*gangen, vielleicht auch weil Kim Jung Il schon Atombomben besitzt und Saddam Hussein nicht.

CJ  Sie haben ja schon früher als jeder andere vor dem Schwert des Islam*) gewarnt und nun auch vor einem Weltkonflikt ungeahnten Ausmaßes. Wo liegen eigentlich die Wurzeln für diese Entwicklung? Erklären Sie uns das.

SL:  Ja, ich glaube, es ist auch sehr viel kollektive Hysterie dabei, Nicht wahr, das hat es ja noch nicht gegeben. "Kampf gegen den Terror" ist ein Phantom-Krieg. Und wenn wir sagen, wir befinden uns in einem Kampf gegen den Terror - so viel ist ja nicht passiert; ...es ist die Tragödie vom World Trade Center gewesen, und dann sagt man bei jedem Attentat, was jetzt stattfindet, Al Qaida ist dahinter. ich bin vor ein paar Monaten...

CJ:  Glauben Sie das nicht? Glauben Sie nicht, daß das Al Qaida war?

SL:  Nein, es gibt diese zentrale Organisation für Al Qaida in der Form nicht; ich war vor kurzem ja noch in Afghanistan, ich habe mich wirklich umgehört; alle Leute, die haben mir geschworen, den Namen Al Qaida haben sie vor dem 11. September nicht gehört - es gibt natürlich Verschwörergruppen, selbstverständlich. Aber in Indonesien spielt zum Beispiel, in Bali, spielt wahrscheinlich Ost-Timor eine viel größere Rolle als Al Qaida - also die Annexion, ... das Loslösen von Ost-Timor von Indonesien ... durch Truppen der Vereinten Nationen und durch die Australier, denn - die Australier sind ja getroffen worden in Kuta auf Bali.

CJ:  Diese Verengung auf Al Qaida hin - führt das zu keiner Lösung? Verstehe ich Sie da richtig?

SL:  Es gibt überhaupt keine Lösung für den Krieg. Nicht wahr, als Präsident Bush den CIA-Chef Tenet gefragt hat "Wie viele Staaten kommen denn in Frage bei unserem bevorstehenden Kampf gegen den Terror?", hat er gesagt "So ungefähr sechzig könnten es sein". Und angeschlossen haben sich ja alle Nationen, ist ja auch sehr praktisch - die meisten Staaten, leider, in der Welt sind ja Diktaturen oder beherrscht von Militär-Cliquen, und die reihen sich nun munter in den Kampf gegen den Terror ein; das erlaubt ihnen nämlich, ihre - jede Opposition, auch die demokratische Opposition - im Inneren zu unterdrücken.

CJ:  Jeder blickt ja zur Zeit mit Bangen nach dem Irak, wo die UN-Waffeninspekteure nach Mittwoch die Arbeit aufnehmen sollen - Wird das die Stimmung weiter aufputschen oder kann das auch entspannen?

SL:  Ich glaube, der Krieg ist eine beschlossene Sache.

CJ:  Glauben Sie?

SL:  Ja. Ich glaube, Saddam Hussein, der ja nicht klug ist, aber schlau, wird mit den Inspekteuren sehr eng zusammenarbeiten, wird ihnen ziemlich alles zeigen, aber der Krieg ist beschlossen, und dann wird eben irgendein Zwischenfall stattfinden, der dann die Möglichkeit bietet, den Krieg auch wirklich auszulösen - wenn die Zeit reif ist. Die Truppenkonzentrationen sind ja noch nicht ganz vollständig, und der richtige Zeitpunkt wird wohl Anfang des nächsten Jahres sein.

CJ:  Warum, glauben Sie, ist das so festgelegt? Warum stehen die Zeichen so auf Krieg in Sachen Irak?

SL:  Weil - es gibt zwei Gründe: zunächst einmal gibt es ganz materielle Gründe. Die Erdöl-Vorkommen des Irak spielen eine Rolle, die will Amerika unter Kontrolle bekommen; da hat der amerikanische Präsident sich gegen Saddam Hussein, gegen den Sturz von Saddam Hussein so stark gemacht; wenn er jetzt nicht handelt, gegen ein relativ schwaches Land, nicht: der Irak ist ein schwaches Land, dann wird er nicht mehr ernst genommen, dann verliert er's Gesicht, dann ist sein ganzer Krieg gegen den Terror nicht mehr glaubwürdig, und die ganze arabisch-islamische Welt sagt sich dann "Es ist ein Papiertiger", was Amerika natürlich nicht ist - Amerika ist kein Papiertiger!

CJ:  Nicht weit vom Irak entfernt ist ja Afghanistan. Dort sind seit ungefähr einem guten Jahr deutsche Truppen stationiert - wie gefährdet ist denn die Bundeswehr dort Ihrer Meinung nach?

SL:  Die ist extrem gefährdet. Es ist ein Skandal, daß in Deutschland nicht mehr darüber gesprochen wird. Die Offiziere, die dort sind, sind sich dessen auch voll bewußt. Das ist eine Truppe, die ISAF, die jetzt noch unter türkischem und demnächst unter deutschem Befehl steht, davon sind tausend Mann für den Kampfeinsatz tauglich - und das in einer Stadt von 3 Millionen. Sie machen ihre Patrouillen und verlieren sich in den Gassen und so weiter, und wenn es dann zum Aufruhr kommt, sind sie völlig isoliert, haben schlecht befestigte Stellungen, und man weiß gar nicht, wie man sie rausbekommt; nämlich: Kabul liegt in einer Mulde drin, und die feindlichen Truppen, das sind gar nicht mehr die Taliban, ist auch nicht mehr Al Qaida, [es] sind Stammesgruppen, das sind islamistische Gruppen inzwischen, die können, wenn sie mit Boden-Luftraketen ausgerüstet sind, ... diesen Abtransport stoppen. Also ... dieses Verbleiben dieser Truppe in Kabul ist ein Risiko, was völlig unnötig ist...

CJ:  Was sollte man sonst tun? Sollte man die Truppen abziehen? 

SL:  Ja, selbstverständlich. Was haben wir denn in Afghanistan verloren? Ich meine, die afghanische Regierung ist installiert worden, die Amerikaner haben einen Blitzkrieg geführt, der sehr gut geführt worden ist, aber jetzt gehen sie aus dem Land, jetzt sind die Europäer bzw. [ist] die UNO dran - die Drecksarbeit: die Drecksarbeit wird kommen, das wird ein Partisanenkrieg sein in Zukunft. Bis jetzt war's ein frisch-fröhlicher Krieg; das ging also ganz schnell. ...Und so ähnlich wird's ja im Irak sein: im Irak werden die Amerikaner auch wahrscheinlich einen Blitzsieg erringen, und dann wird gesagt "Jetzt kommen die Europäer und die ..."

CJ:  Sie merken: Peter Scholl-Latour - ein Mann, der sich wirklich auskennt in jeden [!] Ecken der Welt, sein neues Buch "Kampf dem Terror, Kampf dem Islam?", seit gestern auf dem Markt, ein sehr spannendes Buch, lohnt sich wirklich - ich danke Ihnen vielmals, daß Sie heute bei uns waren, wünsche Ihnen noch was.

SL:  Danke.
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*) Peter Scholl-Latour: Das Schwert des Islam. Revolution im Namen Allahs. Wilhelm Heyne Verlag München, 5. Auflage 1990; 176 Seiten. Mit farbigen Bildern und Karten. ISBN 3-453-03990-4

Änderungen und Ergänzungen vorbehalten.
Transkription, Layout, Links: (c) Dr. W. Näser, MR, 29.11.2k2 * Wortlaut ohne Gewähr, nur zu internen didaktischen Zwecken. Quelle der Grafik: http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/pgulf.html
Stand: 3.12.2k2