Dr. Wolfgang Näser: UE "Varianten des Deutschen - eine Einführung
für Ausländer"
WS 2002/2003 * Di 16-18, HG 207
Gesprochene Alltagssprache II:
"Always prepared - die Welt braucht diesen Krieg".
ARD-"Monitor"
v. 5.12.2002 zum geplanten Ausbau des von den USA belegten
Truppenübungsplatzes in Grafenwöhr
(unter besonderer Berücksichtigung variationstypischer Merkmale
der verschiedenen berichtenden und befragten Sprecher/innen)
M= Moderatorin
(Sonia
Mikich); I= Interviewer; B= kommentierter Bericht;
Sm= männlicher Sprecher Sw= Sprecherin
JD=
Lt.Col. James
P. Drago, US-Kommandeur; HO= Bürgermeister Helmut Ott, Auerbach;
HW= Bürgermeister Helmuth Waechter,
Grafenwöhr
WK= Staatssekretär Walter Kolbow
M ...das heißt: noch mehr Schießlärm, noch mehr vergiftetes Trinkwasser - und demnächst die Rodung von Waldstücken mitten im Naturschutzgebiet. Das sehen die Bürger ringsum nicht ein; sie begehren auf und berufen sich auf deutsche Gesetze. Das wiederum stört unsere Regierung - sie hat schon genug Ärger mit Washington. Eine oberpfälzische Kleinstadt gegen die US Army: Georg Restle und Alexander Schmidt waren in Grafenwöhr.
B [Gesang]...Weihnachtslieder - auf Oberpfälzisch. Es regnet in Strömen beim diesjährigen Adventssingen in der nordbayrischen Kleinstadt Auerbach - aber vorweihnachtliche Stimmung will in diesem Jahr ohnehin nicht so recht aufkommen, von stillen Nächten ganz zu schweigen.
Sw1 und wenn mer abends in sei'm Wohnzimmer sitzt und des is alles hell erleuchtet und es - die Fenster klirren, also es is schon - ich wer' mich nie dran gwöhnen...
Sw2 Es is für die Kinder schlecht, es is für die älteren Leute schlecht, es is für olle schlecht - vom Schießlärm her.
Sw3 Wenn mir im Wohnzimmer sitzen, wiss'n mer met: kommt ein Gewitter oder schieß'n die Ami? [mächtige Detonationen wie in einem Krieg]
B Die Amis: das ist der Truppenübungsplatz Grafenwöhr, nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt. Fast täglich schießen die Panzer der US-Armee hier aus allen Rohren, auch vor unseren Kameras. Vorbereitung für einen möglichen Einsatz im Irak; auch uns gegenüber demonstrieren die US-Soldaten ihre Entschlossenheit zum Krieg.
Sm1 I'll be prepared, yes, ...that's... "Ich bin bereit", sagt uns dieser amerikanische GI. Die Welt braucht diesen Krieg.
Sw: I believe that we have to do... "Wir müssen uns selbst verteidigen", ergänzt sie; "wenn's sein muß, auch im Irak."
B Allzeit bereit " Sm2: Always prepared"
B [Lautsprecherdurchsagen] Kommandos für den Nahkampf-Einsatz in Bagdad und anderswo. Jetzt wollen die Amerikaner aus dem Truppenübungsplatz eine internationale Drehscheibe für den Krieg gegen den Terrorismus machen. Eine schnelle Eingreiftruppe soll hier aufgebaut werden, die innerhalb von 96 Stunden überall eingesetzt werden kann, weltweit. [ferner Schußlärm] 80 Hektar Wald müssen hierfür gerodet werden: eine riesige Fläche mitten im geschützten Natur-Reservat des Moor- und Heidegebiets. Platz für 3.500 neue Soldaten plus 5.000 Familienangehörige. Bis Ende 2004 soll die neue Brigade hier einsatzfähig sein. Die Kommandeure der US-Armee wollen keine Zeit verlieren und haben die deutschen Behörden gedrängt, die Genehmigungsverfahren so schnell wie möglich durchzuführen. Schließlich gehe es ja um eine gute Sache.
JD "We're just going to expand here and to make room for another brigade... " Die neue Brigade bedeutet eine umfassende Modernisierung des Truppenübungsplatzes, erklärt uns der Kommandeur, und davon profitiere doch auch die Wirtschaft außerhalb des Übungsgeländes. "... because of the expansion of the local businesses and so on."
B Der Stadtrand von Auerbach: von den Wohnhäusern sind es hier gerade mal drei Minuten Fußweg bis zur nächstgelegenen Schießbahn. Hier treffen wir uns mit Bürgermeister Helmut Ott. Er ist wütend, denn von den Plänen der Amerikaner hat er nur aus der Presse erfahren. Durch den Ausbau befürchtet er eine erhebliche Zunahme der Umweltbelastungen.
HO: Sie sehen da unmittelbar hinter uns die Schießbahn 213 und daneben die Wohnbebauung; wir erwarten also durch die Truppenzunahme auch einen verstärkten Lärm und wir befürchten mehr Verkehrsaufkommen, militärisches Verkehrsaufkommen mit all den Risiken, die wir ver... haben, und vor allen Dingen auch eine Zunahme der Trinkwasserbelastung, die wir unmittelbar in diesem Jahr ganz massiv gespürt haben.
B Vergiftetes Trinkwasser. Bürgermeister Ott zeigt uns die Kesselquellen, die er vor drei Monaten schließen mußte. 137 Mikrogramm Hexogen *) pro Liter wurden hier festgestellt, ein krebserregender Stoff aus Munitionsrückständen. 70mal so hoch ist das wie der für unbedenklich erklärte Richtwert. Halb Auerbach hat das vergiftete Wasser über Jahre hinweg getrunken.
HO: Es kann nicht sein, daß die Ursache auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr liegt und daß der Schießbetrieb unser Trinkwasser durch Hexogen, durch Munitionsrückstände verunreinigt. Hexogen ist ja ein Rückstand oder Bestandteil von Munition und Sprengstoffen, und die werden ja zweifelsohne in größeren Mengen im Bereich des Truppenübungsplatzes und auch im Raum Auerbach von der US-Armee verwendet.
B Auch die Angler vom Auerbacher Anglerverein wollen mit uns über den Trinkwasserskandal sprechen. Erst vor kurzem haben sie erfahren, daß die Behörden bereits vor zwei Jahren auffällige Hexogenwerte im Wasser festgestellt hatten, ohne die Öffentlichkeit darüber zu informieren.
Sm1: Für mich war's schlimm, weil einfach - ich wußte ja vom Herrn Bürgermeister, daß des Trinkwasser da...mit belastet is, wie ihm [sic] etliche Bürger trinken, und natürlich des..des tut ein'n irgendwie scho in Aufruhr bring'n, weil mr nie weiß, was ...was kommt hi'nach...welche gesundheitlichen Schäden sind denn...da möglich...
Sm2 ...und ich find es von den Amerikanern einfach grob fahrlässig, daß mer da die nötigen Ämter - sprich Landratsamt und Bürgermeister und Stadt - daß mer die nicht rechtzeitig informiert, um ...uns halt Klarheit drüber zu schaffen, wie gefährlich die ganze Sache is.
B In Auerbach will man sich jetzt mit Hilfe des Gesetzbuches wehren. Beim Ausbau des Truppenübungsplatzes setzen die Bürger auf die vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung, die ihnen eine umfassende Beteiligung an den Planungen garantieren soll. Immer wieder trifft sich Bürgermeister Ott mit seinen Amtskollegen aus den Nachbargemeinden, um die nächsten Schritte abzusprechen. Vor 3 Wochen sind sie sogar gemeinsam nach Berlin ins Verteidigungsministerium gefahren; doch Minister Struck ließ die Kommunalpolitiker aus Bayern abblitzen. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung werde es nicht geben, nur ein einfaches Umweltgutachten, bei dem die Menschen in Auerbach nicht gehört werden sollen. Im großen Anti-Terror-Krieg - dies müßten die Bürgermeister doch wohl einsehen - sei für so etwas wie Bürgerbeteiligung einfach kein Platz.
HW: Der Mensch, der wird ignoriert. So deutlich muß i des sagn, und des hat mich also bisher immer geärgert, auch zu den Aussagen unserer Ministerien, wenn mer's dann direkt anspricht, und die sag'n nach wie vor, so kann und darf's also nicht passiern, und die Bevölkerung soll doch auch von vornherein wissn, was eigentlich geschieht an diesem Standort in Grafenwöhr.
HO: Minister Struck hat erklärt: ich verstehe Ihre Probleme, aber es gibt bei all[en] Projekten, die im Zusammenhang mit Bundeswehr oder Amerikanern zu tun haben, immer Gewinner und Verlierer, und ich gebe zu, die Stadt Auerbach gehört zu den Verlierern.
B Auerbach ist weit entfernt von den Schaltzentralen der Macht, und im Verteidigungsministerium verspürt man offenbar wenig Lust, sich mit den Amerikanern anzulegen - nur wegen ein paar entrüsteter Bürger aus der Oberpfalz.
I Was sagen Sie den Menschen, die sich von der Politik - hier auch von Ihnen - alleingelassen fühlen?
WK: Wir klären sie auf über die Ergebnisse des Umweltverträglichkeitsgutachten [sic] ...
I Aber warum beteiligen Sie sie nicht an dem Verfahren?
WK: Weil es aus Zeitgründen schwierig ist, eine umfassende Beteiligung durchzuführen...
B Keine Zeit für die Menschen rund um den Truppenübungsplatz. In Auerbach haben die Bürger sich jetzt zusammengeschlossen - über alle Parteigrenzen hinweg. Daß sie nicht gefragt werden sollen, wenn es um ihre Gesundheit geht, wollen sie nicht akzeptieren. Sie wollen sich zur Wehr setzen: mit Protesten, wenn's sein muß, auch mit Klagen. Dafür lassen sie sich dann auch gern als "Ruhestörer" bezeichnen im fernen Berlin.
Sw1: Wir sind die, die am nächsten dranwohnen und die des alles abkrig'n.
Sw2: Also: wie kann der da in Berlin irgendwas entscheiden oder irgendwas bestimmen, wo er überhaupt keine Ahnung davon hat?
Sm1: Das Bundesverteidigungsministerium gibt hier grünes Licht, ohne die Bürger irgendwie mit einzubeziehen in des Ganze. Wir müssen die Belastungen trag'n.
Sm2: Ich fühl mich verarscht, auf Deutsch gesagt. Denn: jeder, der, egal, was er baut, selbst die kleinste Hütte, die er baut, braucht eine Genehmigung dafür, und hier kann mer machen, was man will,
Sw3: ...und dann wird man einfach - ja - ausgeschlossen,
Sw4: ...und ich find', das hat für mich mit Demokratie nix zu tun.
M Vom "vergifteten Klima" hat der amerikanische
Verteidigungsminister
Donald
Rumsfeld seinerzeit gesprochen, als es um das deutsch-amerikanische
Verhältnis ging. Vom vergifteten Trinkwasser ist nie die Rede
gewesen.
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*) "wichtiger hochbrisanter Sprengstoff; während des 2. Weltkrieges
an fünf Standorten produziert" vermeldet der Forschungsbericht 1998
in:
http://www.umwelt.sachsen.de/lfug/salfaweb/salfaweb-nt/berichte/FuE_stv/Stv-Hexogen.html
Links:
Links und Transkription: Dr. W. Näser, MR, 6.12.2k2 (ohne Gewähr). Ergänzungen vorbehalten.