Dr. Wolfgang Näser: UE "Wörter und Wendungen in der aktuellen
deutschen Mediensprache" (m. Besuch einer Tageszeitung)
WS 2002/2003 * Mi 16-18, HG 110
Text 1: Artikel aus einer Tageszeitung
Grundschüler lernen zu
wenig
Neue OECD-Studie zum Bildungswesen: Nachholbedarf vor allem im
Primärbereich
Berlin - Viele der Balkengrafiken, Törtchen und Verlaufskurven, die Andreas Schleicher, Leiter des deutschen OECD-Direktorats für Bildung und im vergangenen Winter als Hiob in Sachen Pisa-Studie bekannt geworden, in seiner neuesten Studie "Bildung auf einen Blick" zusammengetragen hatte, sehen Deutschland im internationalen Vergleich erneut im Hintertreffen: etwa im Bereich der Versorgung im Grundschulbereich, bei der Zahl der Studienanfänger und bei der Beurteilung des Unterrichtsklimas durch die Schüler. Doch eine Hoffnung für die bei der Präsentation am Montagabend anwesende Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) und ihre hessische Amtskollegin Karin Wolff (CDU), die zurzeit Vizepräsidentin der Kultusministerkonferenz ist, hatte Schleicher auch aus seiner 400 Seiten starken Studie gezogen: "Die meisten der Probleme sind in einigen anderen Staaten schon gelöst." Man müsse jetzt halt diese Puzzleteile für Deutschland in einen "systematischen Zusammenhang bringen".
70 Prozent der Gründe, warum Deutschland bei der Pisa-Studie so schlecht abgeschnitten hatte, könnten mittlerweile benannt werden, so Schleicher. Dazu gehört aus seiner Sicht die schlechte Versorgung im Grundschulbereich. "Das sind die wichtigsten Jahre für die schulische Entwicklung. Und hier gibt es in Deutschland im internationalen Vergleich einfach große Lücken in der effizienten Lernzeit", so Schleicher. In Zahlen ausgedrückt: Im OECD-Mittel verbringt ein neunjähriger Schüler 829 Stunden im Jahr im Klassenzimmer, in Deutschland aber lediglich 752 Stunden. Zwar haben auch die bei der Pisa-Studie besonders erfolgreichen Länder wie Finnland und Norwegen formell unterdurchschnittlich wenig Unterricht im Primärbereich, ergänzen diesen aber durch vielfältige individuelle Förderangebote - ein Bereich, der in Deutschland nur wenig ausgebildet ist und langfristig schlechte Lernergebnisse provoziert. Nur 14 Prozent der Kinder und Jugendlichen besuchten eine Schule mit besonderem Förderunterricht. Damit ist die Bundesrepublik im internationalen Vergleich das Schlusslicht.
Wenig zuträglich zum Lernerfolg ist zudem offenbar das Unterrichtsklima: Als "erschütterndes Ergebnis" bewertete Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, dass Schüler an deutschen Schulen dieses außerordentlich kritisch einschätzten. Nur 41 Prozent der 15-Jährigen gaben an, dass sich die Lehrer für den Lernfortschritt des Einzelnen interessierten.
Auf Fragen, ob sich in der deutschen Bildungspolitik seit Pisa denn nun schon etwas getan hatte, verwies Schleicher auf die anstehenden Untersuchungen der kommenden Jahre. Bulmahn, die mit den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ausbau der Ganztagsschulen argumentierte, und Wolf sehen dafür hingegen schon jetzt gut Ansätze. "Die Zahlen dieser neuen Studie stammen aus den Jahren 1999 und 2000", so Wolf, "jetzt haben wir in vielen Bereichen schon bessere". Zudem habe die KMK jüngst die Einführung national gültiger Bildungsstandards und Vergleichstests beschlossen. Auch einen nationalen Bildungsbericht, wie ihn Bulmahn einforderte, werde es geben - ob aber dabei Bund und Länder an einem Strang ziehen werden, blieb am Mittwochabend offen. Gemeinsame Kraftanstrengungen für eine bessere Zukunft haben in Deutschland eben hohe politische Hürden zu überspringen.
Autor: Jörn Lauterbach. Quelle: DIE WELT, 30.10.2002
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