Dr. Wolfgang Näser: UE "Wörter und Wendungen in der aktuellen deutschen Mediensprache" (m. Besuch einer Tageszeitung)
WS 2002/2003 * Mi 16-18, HG 110

Text 2: Glosse aus einer Tageszeitung.

Das Streiflicht

(SZ) Die angenehmste Eigenschaft des Hundes ist ja das Vorauslaufen. Am deutlichsten tritt sie beim Windhund auf; sie lässt sich aber auch anders nutzen, wie das Beispiel des Minenhundes beweist. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass hier die Eigenschaft für den Menschen klar angenehmer ist als für den Hund, der freilich meist keine Zeit mehr hat, lange darüber nachzudenken. Dennoch ist er mit dieser Art unreflektierten Vorauslaufens nicht nur vor den Wind und auf die Mine, sondern bis ins All gekommen. Was logisch ist, da so ein Weltraumhund schneller als der Wind reist und explosionsartig wieder verschwinden kann. Er ist somit, anders als Wind- und Minenhund, sogar in einer Doppelfunktion unterwegs. Man kennt ihn aber trotzdem nicht. Das liegt, wie wir jetzt erfahren mussten, nicht etwa daran, dass es nur einen gab, sondern am schlechten Gewissen der Menschen, in diesem Fall an dem der Russen, die Halter des einzigen Weltraumhundes gewesen sind.

Das Tier hörte auf Laika, was im Deutschen recht schön klingt, im Russischen jedoch nur „Kläffer“ bedeutet. Es war eine Zeit lang durch die Straßen Moskaus gestreunt, bis man es einfing, in eine Kapsel steckte und in den Himmel schoss. Das ist jetzt 45 Jahre her. Die Russen waren damals sehr stolz. Sie hatten bewiesen, dass es ihre Hunde nicht nur bis ins All schafften (amerikanische dagegen lediglich ins Fernsehen), sondern dass sie das auch überlebten. Laika sei sieben Tage um die Erde gekreist, Messfühler an ihrem Körper hätten Erkenntnisse nach unten geschickt, die es erlaubten, den Menschen sehr bald nachkommen zu lassen. So die Russen. Aber es war nicht die Wahrheit. Die hat einer ihrer Forscher erst jetzt auf einem Weltraumkongress in Houston zugegeben. Laika, sagte er, sei schon kurz nach dem Start an Hitze gestorben, die Kapsel sei leider nur fehlerhaft isoliert gewesen.

Damit war das erste Lebewesen im All doch nicht so lange dort, dass es davon etwas gehabt hätte. Die Forscher hatten nebenbei gesagt auch nichts davon, was sie aber nicht gehindert hat, wenig später den Menschen Gagarin hochzuschicken. Trotzdem kann man den Russen nicht vorwerfen, sie wären mit Hunden leichtfertig umgegangen. Genau wie später bei Gagarin auch, bildeten sie für Laika ein Double aus, einen Ersatzhund, der zwar mit Laika trainierte, aber unten bleiben musste. Er hieß Muschka. Das Double von Gagarin hieß Fliegerleutnant Njeljubow. Er kam äußerst schlecht damit zurecht, dass nicht er der erste Mensch im All wurde, sondern ein anderer. Man versetzte ihn nach Sibirien, wo sich seine Laune nicht besserte und er später in angetrunkenem Zustand von einem Zug überrollt wurde. Von Muschka ist so etwas nicht bekannt, was nicht heißt, dass sie später nicht auch einen Zug übersehen haben kann. Beim Vorauslaufen.

Quelle: Süddeutsche Zeitung, 5.11.2002 * nur zu internen didaktischen Zwecken