Dr. Wolfgang Näser: UE "Wörter und Wendungen in der aktuellen
deutschen Mediensprache" (m. Besuch einer Tageszeitung)
WS 2002/2003 * Mi 16-18, HG 110
Text 7: ZDF-Frontal 21 v. 10.12.2k2, Bericht über "Globudent"
B = Bericht (Sprecher, Bildmaterial, O-Töne) I= Interviewerin IP= Interviewpartner/in
B Die Praxis von Dr. Zajitschek in Döhlau bei Hof. Der Zahnarzt aus dem Fränkischen arbeitet zwar nur mit Laboren aus der Umgebung zusammen, doch als Kreisobmann der Zahnärzte wenden sich verunsicherte Patienten an ihn. Seit Frontal 21 vor drei Wochen+) den Skandal um die Zahnfirma Globudent aufgedeckt hat, fragen sich viele, was sie denn eigentlich im Mund haben.
IP [Reiner Zajitschek] Im Extremfall hatten wir einen Patienten, der hat eine Brücke, die er zum Probetragen im Mund hatte, dann gewogen, um das Gewicht der Brücke abzugleichen mit der Labor-Rechnung, weil er wirklich von Mißtrauen erfüllt war gegenüber seinem Zahnarzt und seinem Zahntechniker.
B Noch immer wirbt die Zahnimportfirma Globudent im Internet. Die Geschäftsführer sitzen in Untersuchungshaft. Täglich melden sich bei den Fahndern Zahnärzte, die mit Globudent zusammengearbeitet haben. Viele haben bereits freiwillig begonnen, Patienten und Kassen das ergaunerte Geld zurückzuzahlen. Den Experten der AOK Niedersachsen ist es gelungen, die Rechnungen der Mühlheimer Zahnfirma zu entschlüsseln. Patienten können nun selbst kontrollieren, ob sie mit Billig-Zähnen aus China betrogen wurden. Ein Sternchen als Geheim-Code.
IP [Klaus Altmann, AOK Niedersachsen] Wir wissen seit kurzem, daß die Firma Globudent und die mit ihr zusammenarbeitenden Zahnärzte so eine Art Geheimcode entwickelt haben, und zwar: wenn auf der Rechnung für den Zahnersatz vor dem Namen des Patienten ein Sternchen (*) auftaucht, dann ist das schon ein recht guter Hinweis darauf, daß hier die beiden - also der Zahnarzt und die Firma - gemeinsame Sache gemacht haben, daß da Geld geflossen ist an den Zahnarzt, und dann kann der Patient also daran gehen, jetzt Schadensersatz zu fordern.
B Seit der Durchsuchung der Zahnfirma Globudent vor knapp drei Wochen ist die Branche in heller Aufregung, und auch die Bundesgesundheitsministerin fordert jetzt Konsequenzen von den Kassen.
IP [Ulla Schmidt] Es ist Sache der Krankenkassen, auch dafür zu sorgen, daß das, was abgerechnet wird, tatsächlich an Leistung erbracht wurde. Das Problem ist ja, daß man Billig-Zahnersatz eingeführt hat und trotzdem die deutschen Höchstpreise abgerechnet hat; und da muß das Vertragsrecht so transparent gestaltet werden, daß das nicht mehr möglich ist.
B Das noch größere Problem: wie gefährlich sind die asiatischen Billig-Zähne? Im thailändischen Labor K Lab in Bangkok haben wir mit versteckter Kamera gedreht. Welche Materialien hier verwendet werden, kann niemand kontrollieren. Auch in den Rechnungen für deutsche Patienten finden sich keine Hinweise auf die Zusammensetzung, obwohl dies in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben ist. Für uns hat Gutachter Wilfried Eimbeck die Rechnungen aus Thailand geprüft.
IP [Wilfried Eimbeck] Mir liegt hier gerade eine Rechnung vom K Dental Lab.*) (Labor) aus Bangkok vor - die können Sie hier sehen -, da sehen Sie eigentlich nur Buchstaben und 'n paar Zahlen, da geht gar nichts draus hervor. Da stehen Hieroglyphen drauf, die man gar nicht richtig erkennen kann und gar nicht weiß, was es is - so, und das war's.
B Und Gutachter Eimbeck ist alarmiert. Er hat schon Abenteuerliches erlebt: Zahnersatz aus Blech oder Messing zum Beispiel.
IP [Wilfried Eimbeck] Ich kann Ihnen 'n alten Schlüssel von der Tür oder ['ne] Türklinke einschmelzen, kann die vergießen, und wenn ich das poliere, denn könn' Sie nicht mehr erkennen: ist das eine vernünftige Legierung oder - oder war's die alte Türklinke. Das ist nicht erkennbar.
B Weil eine Kontrolle fehlt, geraten auch Ersatzkassen wie die DAK immer mehr unter Druck. Im Internet preisen sie immer noch Billigzähne aus dem Ausland an, ködern Patienten mit Preis-Nachlässen bis zu 40 Prozent. Weil sie nicht für Billigzähne werben dürfen, heißt die Werbung offiziell "Information".
I Sie können, haben Sie gesagt, derzeit nicht kontrollieren, keine Qualitätskontrolle durchführen, werben aber für ausländischen Zahnersatz.
IP [Martin Schneider, VDAK] Wir können derzeit keine Hundert-Prozent-Qualitätskontrollen durchführen, das ist aufgrund der Anzahl der Fälle einfach nicht möglich und - ich betone das nochmal - wir betreiben keine Werbung, sondern wir schaffen ja 'n alternatives Versorgungs-Angebot für unsere Krankenkassen, die sich daran freiwillig beteiligen können, und das ist keine Werbung im klassischen Sinne.
B Wortklauberei. Die bayrische Sozialministerin Christa Stewens ist verärgert. Unmittelbar nach der Aufdeckung des Skandals durch Frontal 21 forderte sie schriftlich von den Kassen, diese Praxis zu ändern:
"...bitte ich Sie, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der in der Sendung "Frontal 21" geschilderten Missstände zu entwickeln und mir bis spätestens 20. Dezember 2002 über das Veranlasste zu berichten."
IP [Christa Stewens] Wenn die Kassen für ausländische Zahntechnik Reklame machen, dann sind die Kassen auch verpflichtet, hier für die Qualitäten, die sie aus dem Ausland haben wollen, gerade zu stehen, und deswegen halte ich's für sehr wichtig, daß die Kassen hier auch Stichproben in den Zahnarztpraxen machen im Bereich der Zahnprothetik. Und wenn sie sagen, es sei dieses nicht möglich, dann muß ich sagen: Na, das kann's nicht sein, wir haben in jedem Lebensmittelgeschäft, in jeder Gaststätte werden Stichproben gemacht über die Lebensmittelqualitäten, dann muß letztendlich auch über das, was der Mensch als künstliches Gebiß im Mund eingesetzt wird oder Brücken, müssen hier auch Stichproben in den Zahnarztpraxen möglich sein.
B In der Praxis von Zahnarzt Reiner Zajitschek aus dem fränkischen Döhlau gibt es keine Billig-Zähne aus dem Ausland. Doch die Ersatzkassen wollen Kosten sparen und üben schon mal gerne Druck aus. Eine Kollegin wurde sogar am Telefon bedrängt, Billigzähne aus dem Ausland zu beziehen.
IP [Reiner Zajitschek] Der Fall ist dann an mich in meiner Eigenschaft als Obmann herangetragen worden; da setzte dann die Stufe 2 des Drucks ein: ich hatte eine Veröffentlichung in der lokalen Tagespresse, wo ich diese Vorgänge anprangerte, ich erhielt auf Grund dieses Artikels einen Anruf vom VDAK, also vom Verband der deutschen Angestellten-Krankenkassen, hier wurde ich aufgefordert, diesen Artikel zurückzuziehen beziehungsweise zu widerrufen und ansonsten würden mir eine Geldstrafe von 250.000 Euro oder alternativ sechs Monate Haft in Aussicht gestellt. Da müssen Sie schon ein breites Kreuz haben, um dem Ganzen widerstehen zu können.
B "Ersatzkassen-Patienten in Zukunft schon am Lachen erkennbar" - mit dieser polemischen Anzeige haben 202 Zahnärzte in der Oberpfalz vor der Billigmedizin der Ersatzkassen gewarnt. Die schlagen mit aller Macht zurück: sie versuchen, allen 202 Zahnärzten die Kassenzulassung zu entziehen.
I Das is aber schon 'n massives Mittel, gegen Leute vorzugehen,
die Kritik üben.
IP [Martin Schneider, VDAK] Also wir haben bis jetzt von derartigen
Anzeigen Abstand genommen gegen die Zahnärzte, das machen wir auch nicht,
und, wie gesagt, hier wird einfach versucht, einen Budget-Streit, der
überall vorkommen kann - auch in anderen Bundesländern vorkommt
zwischen den Zahnärzten und den Krankenkassen -, dazu zu verwenden,
um hier im Wettbewerb einseitige Empfehlungen auszusprechen; dagegen müssen
wir einfach vorgehen.
IP [R. Zajitschek] Also dies[e] Geschichte ist für die betroffenen Kollegen überhaupt nicht lächerlich, sondern das nimmt im Grunde existenzvernichtende Züge an. In meinen Augen gibt es aber für diese bösartige und völlig überzogene Attacke der Ersatzkassen überhaupt keine Rechtfertigung.
B Einschüchterungsversuche statt Qualitätskontrollen. Bei dieser Methode bleibt der Patient der Dumme.
+) Gemeint ist der Beitrag "Falsche Zähne - Frontal
21 enthüllt gigantischen Abrechnungsbetrug" in der Sendung vom
19.11.2002
*) Quelle der zitatweisen Abbildung:
http://www.thai-trade.com/main/medical_hygiene_th_1.shtml
Das Digitalfoto oben links zeigt die in meiner Anlage empfangene Sendung
mit "Anchorman"
Theo
Koll am 10.12.2k2 um 21:33 Uhr. W.N.
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Links und Transkription: (c) Dr. W. Näser, MR, 11.12.2k2 (ohne Gewähr)
* Stand 12.12.2k2
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