Dr. Wolfgang Näser * HS 207 Biegenstr., 16-18 h (Sprechstunde: Mo 15-17 h, Hermann-Jacobsohn-Weg 3, Dt. Sprachatlas, Zi. 11, Tel. 28-23508)
in synoptischer Darstellung **** |
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Unter Mitarbeit von Heinz Blanke herausgegeben von Hans Volz. München 1972, S. 2075 f. |
Das Neue Testament in heutigem Deutsch, herausgegeben von den Bibelgesellschaften und Bibelwerken im deutschsprachigen Raum, Stuttgart 1975; S. 97 |
Es begab sich aber zu der Zeit / Das ein Gebot von dem Keiser Augusto ausgieng / Das alle Welt geschetzt würde. | 1 Zu jener Zeit ordnete Kaiser Augustus an, daß alle Bewohner des römischen Reiches in Steuerlisten erfaßt werden sollten. |
Vnd diese Schatzung war die allererste / vnd geschach zur zeit / da Kyrenius Landpfleger in Syrien war. | 2 Es war das erste Mal, daß so etwas geschah. Damals war Quirinius Gouverneur der Provinz Syrien. |
Vnd jedermann gieng / das er sich schetzen liesse / ein jglicher in seine Stad. | 3 So zog jeder in die Heimat seiner Vorfahren, um sich dort eintragen zu lassen. |
Da machet sich auff auch Joseph / aus Galilea / aus der stad Nazareth / in das Jüdischeland / zur stad Dauid / die da heisst Bethlehem / Darumb das er von dem Hause vnd geschlechte Dauid war / | 4 Auch Josef machte sich auf den Weg. Von Nazaret in Galiläa ging er nach Bethlehem, das in Judäa liegt. Das ist der Ort, aus dem König David stammte. Er mußte dorthin, weil er ein direkter Nachkomme Davids war. |
Auff das er sich schetzen liesse mit Maria seinem vertraweten Weibe / die war schwanger. | 5 Maria, seine Verlobte, begleitete ihn. Sie erwartete ein Kind. |
Vnd als sie daselbst waren / kam die zeit / das sie geberen solte. | 6 Während des Aufenthalts in Bethlehem kam für sie die Zeit der Entbindung. |
Vnd sie gebar jren ersten Son / vnd wickelt jn in Windeln / vnd leget jn in eine Krippen / Denn sie hatten sonst keinen raum in der Herberge. | 7 Sie brachte einen Sohn zur Welt, ihren Erstgeborenen, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe im Stall. Eine andere Unterkunft hatten sie nicht gefunden. |
VND es waren Hirten in der selbigen gegend auff dem felde / bey den Hürten / die hüteten des nachts jrer Herde. | 8 In der Gegend dort hielten sich Hirten auf. Sie waren in der Nacht auf dem Feld und bewachten ihre Herden. |
Vnd sihe / des HERRN Engel trat zu jnen / vnd die Klarheit des HERRN leuchtet vmb sie / Vnd sie furchten sich seer. | 9 Ein Engel Gottes kam zu ihnen, und Gottes heller Glanz leuchtete rings um sie. Sie fürchteten sich sehr; |
Vnd der Engel sprach zu jnen. FÜRCHTET EUCH NICHT / SIHE / JCH VERKÜNDIGE EUCH GROSSE FREUDE / DIE ALLEM VOLCK WIDERFAREN WIRD / | 10 aber der Engel sagte: "Habt keine Angst! Ich bringe gute Nachricht für euch, über die sich alle Menschen freuen werden. |
DENN EUCH IST HEUTE DER HEILAND GEBÖRN / WELCHER IST CHRISTUS DER HERR / in der stad Dauid. | 11 heute wurde in der Stadt Davids euer Retter geboren - Christus, der Herr! |
Vnd das habt zum Zeichen / Jr werdet finden das Kind in windeln gewickelt / vnd in einer Krippen ligen. | 12 Überzeugt euch selbst: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt; es liegt in einer Futterkrippe [...]." |
Vnd als bald ward da bey dem Engel die menge der himelischen Herrscharen / die lobten Gott /vnd sprachen / | 13 Plötzlich stand neben dem Engel eine große Schar anderer Engel, die lobten Gott und riefen: |
EHRE SEY GOTT IN DER HÖHE / VND FRIEDE AUFF ERDEN / VND DEN MENSCHEN EIN WOLGEFALLEN. | 14 Alle Ehre gehört Gott im Himmel! Sein Friede gilt allen auf der Erde, die sich von ihm lieben lassen!" |
VND da die Engel von jnen gen Himel furen / sprachen die Hirten vnternander / Lasst vns nu gehen gen Bethlehem / vnd die Geschicht sehen / die da geschehen ist / die vns der HERR kund gethan hat. | 15 Als die Engel in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: "Kommt, wir gehen nach Bethlehem und sehen uns an, was Gott uns bekanntgemacht hat!" |
Vnd sie kamen eilend / vnd funden beide Mariam vnd Joseph / dazu das Kind in der krippen ligen. | 16 Sie brachen sofort auf, gingen hin und fanden Maria und Josef und das Kind in der Krippe. |
Da sie es aber gesehen hatten / breiteten sie das Wort aus / welchs zu jnen von diesem Kind gesagt war. | 17 Als sie es sahen, berichteten sie, was ihnen der Engel von dem Kind gesagt hatte. |
Vnd alle / fur die es kam / wunderten sich der Rede / die jnen die Hirten gesagt hatten. | 18 Alle, die dabei waren, staunten über das, was ihnen die Hirten erzählten. |
Maria aber behielt alle diese wort / vnd beweget sie in jrem hertzen. | 19 Maria aber merkte es sich genau und dachte immer wieder darüber nach. |
Vnd die Hirten kereten widerumb / preiseten vnd lobten Gott vmb alles / das sie gehöret vnd gesehen hatten / wie denn zu jnen gesagt war. | 20 Die Hirten gingen zu ihren Herden zurück, lobten Gott und dankten ihm für das, was sie gesehen und gehört hatten. Es war alles so gewesen, wie der Engel es ihnen gesagt hatte. |
Rund 430 Jahre liegen zwischen beiden Versuchen, die Weihnachtsgeschichte zu vermitteln; reizvoll ist es, die Ausdruckskraft, die Wirkungsmächtigkeit der Texte zu untersuchen. Wer sich die Mühe macht, beide abzuschreiben und damit intensiver in die jeweilige Sprache einzudringen, gelangt alsbald zu der überraschenden Feststellung, daß die Urgewalt der Lutherschen Sprache noch heute, mehr als 450 Jahre später, an der Wende zum nächsten Jahrtausend, nicht an Wirkung eingebüßt hat; die Stuttgarter Neufassung von 1975 klingt im Vergleich dazu oft hölzern, distanziert, unbeholfen, unengagiert, und die Frage sei erlaubt, weshalb sie entstand, welchen Zweck sie verfolgt - als rhetorischer Mißerfolg, aufgrunddessen jeder Politiker oder Werbemanager seinen Hut nehmen müßte. Nicht auszudenken, wollte man die Rezitative in Bachs Weihnachtsoratorium derart "verschönen". Nun, man hat es gelassen, zum Wohle des Werkes, seiner Ästhetik und Wirkung. Und auch zum Wohle all jener einfachen Menschen, die zum Glück auch heute noch - oder wieder, in dieser krisen- und kriegsgeschüttelten Zeit, sich ergreifen und in eine bessere Welt führen lassen von der Schlichtheit und Direktheit des Weihnachtsevangeliums in Martin LUTHERs kraftvoller, zupackender, wirklich schöner Sprache. Und so bleibt zu hoffen, daß auch weiter nicht aus irgendeinem Prinzip heraus all das aufgegeben wird, das in ihrer so langen Geschichte unsere deutsche Sprache mit zeitlosen Werten bereichert hat.
Marburg, den 7. Dezember 1999 Dr. Wolfgang Näser