Die elektroakustisch-apparative Feldforschung in der Sprachwissenschaft. Praktische Hinweise

(In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 36 (1983), 724-729; Ergänzungen [von 1996] mit E gekennzeichnet)

Summary

In the framework of linguistic field research human speech can nowadays be recorded and reproduced in a quality fully equalling the original. Sine 1950 lightweight, easy-to-handle portable recorders, extra-efficient tapes and lowcost electret microphones have been developed. Meanwhile the cassette technology replaces the open reel recording of the 60's. Noise reduction systems, limiters, automatic level control, high quality oxide and metal tapes and a lot of sophisticated accessories ensure excellent sound recording. Facilities like that provide optimum results only with technical skill and lexibility on the explorers' side. With regard to modern media and documentation techniques the training of linguists should incorporate a 'polytechnical' component.

Sprachwissenschaftliche Feldforschung ist aktueller denn je. Und sie ist zugleich noch lohnender geworden. Denn jener 'Explorator', der früher vielleicht noch mit dem Fahrrad seine Sprachgrenze abfuhr, um an vielen verschiedenen Ortspunkten mit gespitztem Ohr (und ebensolchem Bleistift) wichtige Sprachdaten aufzunehmen, jener Wissenschaftler hat heute, im Zeitalter der zweiten wissenschaftlich-technischen Revolution, hervorragende Geräte zur Verfügung, die es ihm gestatten, zum Beispiel dialektale Äußerungen in einer Qualität aufzuzeichnen, die dem Original in jeder Hinsicht gleichkommt.

Durch die Erfindung der Hochfrequenz-Vormagnetisierung (1940) wurde das Tonbandgerät attraktiv auch als Hilfsmittel zur Erforschung der lebendigen gesprochenen Sprache. Um 1950 taucht es u.a. als didaktisches Medium in deutschen Schulen auf, gleichzeitig wird es bereits zu Dialekt-Enquêten mit 'ins Feld' genommen. Da die interessierten Wissenschaftler von Anfang an optimale Tonqualität anstrebten, geschah die Exploration zunächst mit Hilfe professioneller Studiomaschinen, die in einem regelrechten 'Ü-Wagen' mitgenommen wurden, also einer rundfunktypischen Ausrüstung. Zu Beginn der 60er Jahre revolutionierte das UHER-Report als leichtes, kompaktes, handliches Portabel-Gerät die exploratorische Aufnahmetechnik. Aber noch immer reiste in der Regel ein Tontechniker oder gar -ingenieur mit: er wirkte als Aufnahmeleiter und war für die technische Seite der sprachwissenschaftlichen Feldforschung verantwortlich. Und im Zuge dessen wurden - und werden noch immer - an die Qualität wissenschaftlicher Sprachaufnahmen Anforderungen gestellt, die in ihren Spezifikationen ein wenig über das hinausgehen, was man im Sinne vernünftiger Ökonomie anstreben und erwarten sollte.

Inzwischen sind weitere zwanzig Jahre vergangen. Zwei Dekaden, die die Tonaufnahme und -wiedergabe weltweit so populär und alltäglich werden ließen, daß sie selbst von Vorschulkindern (per Cassetten-Recorder) gehandhabt wird.

Im Zuge der Popularisierung ist die Zahl der angebotenen Aufnahmegeräte und Bandsorten geradezu ins Bedrohliche angewachsen, so daß sich der Explorator unserer Tage hier einer nahezu unergründlichen Vielfalt gegenübersieht. Die Vielzahl der Gerätetypen übertrifft fast diejenige der Dialekte, Soziolekte, Ergolekte usw., die mit den Geräten dokumentiert bzw. einer Analyse zugänglich gemacht werden sollen.

Nachfolgende Überlegungen sollen dem Interessenten weiterhelfen, und zwar im Sinne von Hinweisen aus der Praxis für die Praxis. Sie sollen dem linguistisch-philologisch geschulten Explorator dort beistehen, wo er in der Regel die wenigsten Fertigkeiten besitzt: auf dem Felde der Technik.

Thesen und Hinweise zur Praxis

1. Das früher verwendete Spulen-Tonbandgerät (NAGRA, UHER REPORT u.a.) kann heute (1982) voll ersetzt werden durch einen guten tragbaren Cassetten-Recorder für Mono- oder Stereoaufzeichnungen. (E) Am besten geeignet sind als Analog-Cassettenrecorder die SONY-Typen TCD-5M und WM-D6C.

2. Der Recorder muß ein verwindungsfreies, stoßgeschütztes (schlagfestes) Gehäuse besitzen und innerhalb eines weiten Temperaturbereiches (ca. -15° bis +55° Celsius) absolut sicher funktionieren.

3. Der Recorder muß sowohl Akku-, Batterie- wie auch Netzbetrieb zulassen. Als Akku ist stets ein auslaufgeschützter Trocken-Akku (Dryfit-Batterie, NiCd-Akku) zu verwenden. Es gibt Klein-Akkus, die in der Größe den für das Gerät vorgeschriebenen (Mono-Zellen) entsprechen.

4. Der Recorder benötigt ein deutlich ablesbares VU (=volume units)-Meter bzw. Peak-Meter (Spitzenwert-Anzeige). Ein exakt anzeigendes Peak-Meter kann nur ersetzt werden durch VU-Meter und Peak-Anzeige mittels LED (light emitting diode, Leuchtdiode).

5. An Anschlüssen sind erforderlich: Mikrofonbuchse (Mike; DIN- oder Klinkenbuchse), Linien- oder DIN-Ausgang (Line); Kopfhörer-Ausgang (Headphone(s); je nach Norm verschiedene B uchsenformen möglich); Fernbedienung (Remote Control; falls es die Exploration erforderlich macht) und ggf. ein 220-Volt-Netzanschluß (A.C. Mains in; nur bei eingebautem Netzteil).

6. Mittels einer (schaltbaren) Rausch-Unterdrückung (noise reduction; z.B. DOLBY B) läßt sich der Ruhegeräuschabstand (=Dynamik) um ca. 10 dB verbessern. Gute Cassetten-Recorder besitzen ohne Rauschunterdrückung bei normalem Eisenoxidband (Fe2O3) bereits eine Dynamik von mindestens 48 dB (nach DIN).

7. Zusätzliche Tauglichkeit für Reineisen- oder Metallband (metal position) bürgt für einen langlebigeren Tonkopf, eine bessere Löschdämpfung (gründlichere Bandlöschung) und eine vielseitigere Elektronik.

8. Eine exakt funktionierende, 'jaulfreie' Pausen-Taste ermöglicht es, während der Sprach-Enquête (Interview-Situation) ggf. durch rechtzeitiges kurzzeitiges Anhalten des Bandes die Aufnahme von Störgeräuschen (Husten u.ä.) auszuschließen. Ideal sind Pausentasten, die mittels elektrischer Auslösung (Relais-Schaltung) ein besonders exaktes Abheben/Anziehen der Bandandruckvorrichtung gestatten. (E) Die Relais-Betätigung muß stoßfrei und geräuschlos erfolgen.

9. Ein Signal-Begrenzer (Limiter) gestattet es, extreme Lautstärkespitzen z.B. bei Sprachaufnahmen so zu nivellieren, daß Verzerrungen weitestgehend vermieden werden, die Dynamik des Signals jedoch (im Gegensatz zu einer Dynamikkompression, e. ALC = automatic level control) kaum eingeengt wird (bes. wichtig bei phonetisch relevanten Aufnahmen).

10. Hervorragend geeignet für Sprach-Aufnahmen sind die erst seit wenigen Jahren populären und sehr preiswerten Elektret-Kondensator-Mikrofone mit nierenförmiger Richt-Charakteristik und einem extrem linearen Frequenzgang von etwa 80 bisa 13000 Hertz. Gegenüber dynamischen Mikrofonen sind sie relativ unempfindlich gegen Berührung und besitzen meist einen Sprache-/Musik-Schalter, mit dem (in Pos. 'Sprache') die unterhalb 100 Hertz liegenden Frequenzen mehr oder weniger stark abgesenkt werden können.

11. Bei einer Entfernung von weniger als ca. 30 cm zum Sprecher hin sollte die Mikrofon-Einsprache mit einem Windschutz (Popp-Schutz) abgedeckt werden - zur Unterdrückung explosionsartiger Artikulationsgeräusche (die sonst zu Übersteuerungen bzw. (bei einer ALC) falschen Dynamikwerten führen könnten).

12. Besonders günstig ist ein Mikrofonabstand von ca. 15 cm (Windschutz verwenden!).

13. Viele Sprecher neigen dazu, während des Aufnahmevorgangs am Mikrofon herumzumanipulieren, wodurch Kratz- und Schlaggeräusche mit aufgezeichnet werden, die u.U. eine spätere Auswertung (z.B. per Sonagramm) der Sprachaufnahme in Frage stellen. Daher sollte das Mikrofon auf ein (Tisch- oder Boden-) Stativ gestellt werden. Das Stativ ist mittels einer elastisch-federnden Unterlage (bzw. das Mikrofon mittels einer federnden Aufhängung) gegen Trittschall (subsonic noise) zu sichern.

14. Wichtig ist die akustische Beschaffenheit des Aufnahmeraums. Jedes Zimmer, auch das kleinste, hat einen gewissen Nachhall. Dieser kann eingedämmt werden durch Teppiche, Vorhänge (Gardinen, Stores), Polstermöbel (überhaupt durch dichte Möblierung), Kissen oder Dämmplatten. Je größer der Mikrofonabstand, desto wahrscheinlicher eine 'nachhallende' Aufnahme. Der Nachhall in einem kleinen bis mittelgroßen, normal möblierten Zimmer hat jedoch praktisch keine Auswirkung auf die Dokumentation und wissenschaftliche Auswertung von Sprachaufnahmen.

15. Je größer der Mikrofonabstand, desto größer die Gefahr eines der Aufzeichnung unterliegenden Rauschens, hervorgerufen entweder durch Schaltelemente im Verstärker (Mikrofonverstärker [in Elektret-Mikros] oder Geräte-Elektronik) des Bandgerätes, durch schlechte Beschichtung des Bandes oder durch störende Akustik (fließendes Wasser, Wind usw.).

16. Je größer der Mikrofonabstand, desto größer die Gefahr, das kritische Laute wie /f/, /s/, /t/, /p/ usw. nicht in gewünschter Intensität aufgezeichnet werden, bes. bei schwach artikulierenden (meist alten!) Sprechern. Deshalb: a) Mikrofonabstand dem Artikulationsgrad anpassen, b) nur solche Mikrofone verwenden, die auch oberhalb von ca. 2 kHz frequenzlinear arbeiten.

17. Bei rein lexikologischen Enquêten (Dokumentation ohne phonologisch-phonetische Relevanz) kann bei Spulen-Tonbandgeräten die Aufzeichnungsgeschwindigkeit halbiert, bei Cassettenmaschinen eine etwas billigere Band-Qualität verwendet werden. Sprache kann bereits mit einem Frequenzgang von ca. 200 ... 5000 Hertz 100%ig verständlich aufgezeichnet werden (die Einseitenbandtelefonie in modernen Funkanlagen arbeitet mit nur ca. 300 ... 3000 Hz!); eine solche Schmalband-Aufzeichnung wird verbessert dadurch, daß die artikulatorisch (und deshalb auch perzeptorisch) wichtigen Formant-Frequenzen ab ca. 1 kHz angehoben werden (ggf. mit einem Equalizer (Linear-Verzerrer), ca. 2 dB pro Oktave), wobei dies - zur Erleichterung der Explorationsbedingungen - durchaus erst beim Wiedergabe-Vorgang zu geschehen braucht.

18. Die spezifischen Hersteller bieten heute bei allen drei herkömmlichen Bandsorten (Eisenoxid, Chromdioxid, Ferrochrom) archivfähige Qualitäten (Chargen) an. Allgemein gilt: Eisenoxid-Cassetten (die noch vor wenigen Jahren qualitativ verworfen wurden) ermöglichen heute durchaus hochwertige Aufnahmen (DIN 45500 und besser) und bieten den Vorteil der Abspielbarkeit auf allen Recordern, d.h. auch solchen ohne Bandsorten-Umschaltung. Die Aufnahme-Qualität einfacher Recorder (mit einem Frequenzumfang von ca. 50 ... 8000 Hz) wird wesentlich verbessert durch Ferrochrom (FeCr-)Cassetten, die mit der 'Eisenoxid'-Einstellung eine deutliche Anhebung der Präsenz- und Höchstfrequenzen im niederfrequenten Spektrum gestatten. Steht dem Explorer also nur ein bescheidener, behelfsmäßiger Recorder zur Verfügung, sollte er stets eine möglichst hochwertige FeCr-Cassette verwenden. Optimale Ergebnisse in bezug auf Klirrarmut (Verzerrungsfreiheit), Rauschabstand/Dynamik und Frequenzgang (Ausgeglichenheit des NF-Spektrums, Breitbandigkeit) werden mit Recordern erreicht, die getrennte Umschaltungen haben für a) die Aufnahme-Vormagnetisierung (Bias) und b) die Aufnahme-/Wiedergabe-Entzerrung (Equalization). Hierdurch kann u.a. jeweils für Aufnahme und Wiedergabe eine individuelle, der speziellen Bandsorte (Charge) gemäße Einstellung beider Parameter ermittelt werden.

Grundsätzlich sind nur solche Cassetten zu verwenden, die auch mechanisch unseren (Semi-)professionellen Anforderungen entsprechen: das Cassetten-Gehäuse muß weitestgehend temperaturunempfindlich und bruchsicher sein, die Cassette muß in allen Betriebsarten völlig ruck- und klemmfrei laufen (es dürfen also keinerlei Laufgeräusche, z.B.  Schaben, Quietschen, Knacken, auftreten).

19. Nach der Aufnahme sind die Cassetten gegen versehentliches Löschen zu sichern. Das geschieht durch Ausbrechen der auf der oberen Schmalseite der Cassette vorhandenen Kunststoff-Plättchen. Hierdurch entstehen quadratische bzw. rechteckige Löcher, in die geräteseitige Fühlhebel eingreifen. Ein solcher Hebel 'meldet' dem Recorder, daß die Cassette bereits bespielt ist, und der Recorder sperrt als Folge die Aufnahme-Taste. Eine so gesicherte Cassette kann dennoch neu bespielt werden, wenn die ausgebrochenen Löcher mit einem robusten Klebeband glatt überzogen werden.

20. Soll der Recorder mit dem (eingebauten oder externen) Netzteil betrieben werden, ist eine Probe-Aufnahme zu machen: ohne Besprechung ist das Mikrofon (eingeschaltet!) mit dem 'Mike'-Eingang zu verbinden und der Aussteuerungsregler etwa auf einen 'normalen Arbeitswert' zu stellen. Beim Mithören über Kopfhörer bzw. bei Wiedergabe darf keinerlei Netzbrumm (Wechselstrom-Einstrahlung) zu hören sein. Bei Netzbrumm ggf. Stecker-Polarität vertauschen oder das Aufnahmegerät erden (an metallischen Wasserleitungs- oder Heizungsrohren; Erdung nur bei abgeschaltetem u. vom Netz getrenntem Gerät vornehmen: bei gleichzeitiger Berührung des nicht geerdeten, mit dem Netz verbundenen Gerätes und der Erde kann infolge des Potentialunterschiedes ein tödlicher Körperschlag auftreten!). Aus dem Stromnetz kommende Stör-Impulse (z.B. Zeitzeichen-, Steuerimpulse u.ä.) können weitgehend eliminiert werden mittels eines Netz-Filters, das mit wenigen Komponenten im Selbstbau erstellt bzw. in Fachgeschäften erworben werden kann.

21. Sehr nützlich, ja im Grunde unerläßlich, ist eine sog. Entmagnetisier-Drossel (head demagnetizer): nach jeder mit metallischen Werkzeugen vorgenommenen Einstellarbeit an Tonköpfen und Bandführungen (Kopfträger) sowie in der Regel nach 20-50 Betriebsstunden ist der gesamte Kopfträger mit allen Teilen ca. 1 Minute lang zu entmagnetisieren, wobei der Kopf (die Spitze) des Geräts in einem Abstand von ca. 1 cm langsam am Kopfträger vorbeigeführt wird. Danach wird dir Entmagnetisierdrossel langsam vom Recorder entfernt und erst in ca. 1 m Abstand ausgeschaltet.

22. Sind Gerät(e) und/oder Bandmaterial(ien) dem Explorator nicht bekannt, sollte er vor Beginn der gesamten Exploration alles Gerät (die Hardware) einem technischen Qualitäts- und Belastungstest unterziehen (hierbei die letzte Gelegenheit zur Aussonderung ungeeigneten Materials).

Von den in der Fachpresse bzw. anhand eigener Versuche besonders gut ausgewiesenen Cassettenband-Chargen (vgl. Nr. 18) ist je ein Muster einer Vergleichsprüfung auf dem Explorations-Recorder zu unterziehen: a) Leer-Aufnahme ohne Ansteuerung; b) Pegelton 1 kHz: Aufnahme mit -20dB/0 dB (Vollaussteuerung); bei Wiedergabe Pegelvergleich: an Line- bzw. DIN-Ausgang des Recorders NF-Millivoltmeter bzw. empfindliches (Universal-)Meßinstrument (Stellung 'AC') anschließen; nur Cassettensorten mit höchstem Wiedergabepegel bei geringstem Rauschen und geringstem Klirrgrad verwenden!

23. Noch während der Befragung oder unmittelbar danach ist die Aufzeichnung mit einem gut sitzenden, möglichst akustisch 'geschlossenen' dynamischen Kopfhörer zu überwachen. In jedem Falle sollte nach Beendigung der Aufnahme und vor Verabschiedung von der 'Gewährsperson' (diese wird vielleicht noch gebraucht) sofort ein Teil des Bandes stichprobenweise abgehört werden (Qualitätsprüfung in bezug auf Rauschabstand, Verzerrungsfreiheit, Frequenzgang, Gleichlauf, Gesamtklangbild) - immer jedoch über Kopfhörer. Erstens bieten schon recht preiswerte Kopfhörer eine bessere Tonqualität als zehnfach teure Lautsprecherboxen, zweitens erhöhen sie zwangsläufig die Konzentration des Abhörers, drittens verhindern sie - in Anwesenheit des/der Befragten - psychologisch unerwünschte Effekte ("Ach - das ist meine Stimme? Klingt die aber komisch!" Eine solche 'Erkenntnis' kann den Befragten ggf. von einer ergänzenden Aufnahme abhalten bzw. eine zuvor nicht existierende psychische Barriere aufbauen).

24. Bei jeder sprachwissenschaftlichen Tonaufnahme (Spule, Cassette) sollte im Zweifelsfall der dokumentarische Wert Vorrang haben vor übertriebenem Qualitätsfanatismus! Besser eine unwiederbringliche Aufzeichnung mit bescheidenem Gerät (das gerade zur Hand oder rasch zu beschaffen ist) als ein - vom 'professionellen Gewissen' diktierter Verzicht! [...]

25. Wendigkeit und Flexibilität zählen - auf apparativer wie auf menschlicher Seite. Die zur Exploration mitgeführte Ausrüstung muß allen Anforderungen genügen und in kürzester Zeit betriebsbereit sein (denn langwieriges, umständliches Aufbauen, Einpegeln, Messen, Probieren verunsichert die meisten befragten Personen!) und ebenso schnell an verschiedene Aufnahme-Situationen angepaßt werden können (z.B. Aufnahmen in geschlossenen Räumen mit verschiedener Akustik, im Freien, bei verschiedenen Witterungsverhältnissen), Der Explorator muß - sprachlich wie apparativ - improvisieren können.

26. Technik und Material sollen bei der Exploration nicht trennen, isolieren, im Vordergrund stehen: sie sollen als unersetzlich-wertvolle Hilfe entscheidend zu wissenschaftlichen Wert der Aufnahme, der Dokumentation beitragen. Doch jenseits der Technik muß es dem Forscher, dem Explorator gelingen, kraft seines rein menschlichen und wissenschaftlichen Einfühlungsvermögens eine Brücke aufzubauen zum Informanten hin - im Sinne einer fruchtbaren Rückkopplung, wenn es z.B. auch darum geht, exploratorische Mißverständnisse zu erkennen und sofort zu korrigieren.

27. Tonbandaufnahmen im Rahmen sprach- oder sozialwissenschaftlicher Exploration erfordern keinen Toningenieur. Heute (1982), im Zeitalter der perfektionierten Kompakt-Cassette, der automatisierten Aussteuerung (ALC, Limiter), der robusten, sehr einfach zu handhabenden Recorder ist der Explorator zugleich Interviewer, Aufnahmeleiter und Techniker. Im Rahmen sprach- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge und Forschungsaktivitäten ist einer solchen Qualifikation Rechnung zu tragen. Ein eigens zur Einmessung, zum Geräteaufbau und zur Aufnahme mitreisender Tontechniker oder gar -ingenieur ist - infolge der jüngsten technisch-technologischen Entwicklung - überflüssig geworden. In einem Zeitalter überquellender Elektronisierung und vielseitigster Informationsverarbeitung laden technische Instrumente, von denen jeder Forscher vor 50 Jahren kaum zu träumen gewagt hätte, dazu ein, zum Nutzen der Wissenschaft angewandt zu werden.

(Ergänzungen zum neuesten technischen Stand oder aufgrund neuer Erkenntnisse vorbehalten. (c) Wolfgang Näser 220796)