Impressionen aus dem Verstärkerbau eines Oberstufen-Schülers
(geschrieben am 15.11.1962)

Es wäre verhältnismäßig leicht, sich mit einem käuflichen Bausatz (in dem alle Teile schon vorgefertigt sind) einen Verstärker oder ein Radiogerät mit bestem Erfolg zu bauen. Es bedeutet für mich aber eine schöpferische Tätigkeit, aus alten und neuen Bauteilen einen Verstärker zu bauen, der eine tadellose Wiedergabe aufweist. Für manche Menschen mag dieses Tun unbedeutend sein, da es ja nicht lebensnotwendig ist. Diejenigen jedoch, die selbst schon einmal mit Feuereifer an diese Aufgabe herangegangen sind und nicht von ihr haben weichen können, sie wissen, welch lange Arbeit, welche Mühe, welche Fehlschläge jemand auf sich nehmen muß, der zum erstenmal einen Verstärker baut und zudem sein Hobby aus eigener Tasche finanzieren muß.

Man kann sich ja nicht einfach die wertvollsten und schönsten Bauteile kaufen. Ein alter Transformator wird aus dem Keller heraufgeholt, alte Teile aus demontierten Vorkriegsgeräten gelangen zur Verwendung; das Chassis, auf dem alle Teile ruhen, muß sorgfältig und mühsam (mit einer alten Laubsäge) zurechtgeschnitten und es müssen Löcher ausgesägt und gebohrt werden, was durch die behelfsmäßigen Werkzeuge oft Tage in Anspruch nimmt; hier und da werden die alten Bauteile durch einige neue ergänzt, die man glücklicherweise in der sorgfältig eingeteilten "Materialkiste" entdeckt oder vom gesparten Geld erstanden hat.

Nach den mechanischen Arbeiten, die mit Elektrotechnik nicht das Geringste gemein haben, kann man endlich an den elektrischen Aufbau, die Verdrahtung, gehen, die dem Anfänger noch viele Schwierigkeiten bereitet. Dutzende von feinen Kabeln müssen sorgsam verlegt und sehr sauber und präzise angelötet werden; oft sind durch mangelnde Konzentration, durch Unachtsamkeit bei dieser Arbeit höchst kostbare und teure Bauelemente (zum Beispiel seltene oder teure Röhren) zerstört worden.

Sind nun alle Leitungen verlegt und an alle Kontakte (die oft nur Millimeterabstand voneinander besitzen) angelötet, haben die Augen zum letzten Male alle Leitungswege und Lötverbindungen überflogen, ist also der Verstärker verdrahtet und "verschaltet", so geht man jenem Augenblick entgegen, der wohl der schönste und aufregendste ist im Leben aller Bastler (die doch im Grunde kleine Forscher sind), der aber auch zum enttäuschendsten werden kann: es ist die erste Inbetriebnahme des Gerätes, jener spannende Augenblick, da man mit ein wenig Herzklopfen (das nicht abzuleugnen ist) den Stecker des Gerätes in die Stromsteckdose führt, ein sekundenschneller Vorgang. Doch was geht nicht alles in dieser entscheidenden Sekunde durch den Kopf des "Bastlers": Vorstellungen aller möglichen Fehler, erlebte Kurzschlüsse mit gleißenden Lichtblitzen, Augenblicke, da mit lautem Knall und Funken mühsame und wertvolle Arbeit zerstört wurde.

Wenn man die Tücken alten Materials und das Fehlen so manches wichtigen Meßinstrumentes in Erwägung zieht, geschieht es nur in den seltensten Fällen, daß bei der ersten Inbetriebnahme alles reibungslos "klappt". Oft hingegen stellt man betrübt fest, daß der Verstärker "brummt" oder schon bei knapper Zimmerlautstärke höchst unangenehm verzerrt (es ist ja ein selbstgebautes Gerät), nicht selten werden die "Bässe" oder die "Höhen" vernachlässigt, der Verstärker klingt dumpf, wie wenn jemand mit vollem Munde spricht, oder schrill und blechern wie ein Lautsprecherwagen oder ein Grammophon der Jahrhundertwende. Wenn man durch "Ebbe" in der "Bastlerkasse" kein Meßinstrument besitzt, ahnt man ja nicht, daß dieser oder jener Fehler, diese Verzerrung oder jener Mißklang zu hohen oder zu niedrigen Spannungen zuzuschreiben ist. Oft kostet es Wochen angespannten Suchens nichtvorhandener Fehlerquellen, bis man mit einem von einem guten Freund entliehenen Meßgerät dies erstaunt feststellt. Abermals vergehen Wochen, bis alle Fehler beseitigt sind und der Verstärker den letzten Schliff erhalten hat.

Unbestritten war es für mich (vor kurzem) der schönste Augenblick, als ich die kristallklare Wiedergabe meines Verstärkers zum erstanmal bewundern konnte. Man könnte mir als Argument entgegenhalten, ich hätte mir ja die ganze Zeit und Mühe ersparen können, ich hätte die kostbare Zeit nicht zu vergeuden brauchen, indem ich mir statt dessen gleich einen fertigen handelsüblichen Verstärker gekauft hätte, um zu guter Wiedergabe zu gelangen. Diejenigen, die diese Meinung vertreten, wissen nicht, wie sehr der wahre "Bastler" an seinem kleinen, aus vielen alten und neuen Bauteilen selbstgeschaffenen Werke hängt, daß selbst der schönste und vollkommenste handelsübliche Verstärker dieses kleine Werk nicht ersetzen kann.

Text und HTML (c) Wolfgang Näser, Marburg, 1.2.2007