Prof. Siegfried Heinrich anläßlich seines 75. Geburtstages am 10. Januar 2010
Verehrte Damen und Herren,
liebe Mitarbeiter und Förderer,
sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihre aufopferungsvolle Mitarbeit und Förderung, mit der Sie dem Arbeitskreis für Musik und der Musischen Bildungsstätte sowie dem Bach-Haus Bad Hersfeld die Weiterführung unserer künstlerischen Arbeit ermöglichen. Dazu gehören auch die Saison- und Festspielkonzerte sowie die Opernfestspiele in der Hersfelder Stiftsruine.
Es ist die Musik selbst, der Sie damit zum Überleben verhelfen, zum Überleben in einer Zeit des Werteverfalls, der Sinnkrise und der wachsenden Orientierungslosigkeit. Wenn der alte Kulturboden, aus dem die Dichtung, die bildnerischen und musikalischen Meisterwerke erwuchsen, nicht gänzlich ausdorren, sondern fruchtbar bleiben soll, so ist dazu das Erlebnis der großen Musik so nötig wie ein erfrischender Regen. Dass das Kunst-Erlebnis nicht nur Reiz für die Sinne ist, sondern dass im sich Versenken in die Musik die Seele auflebt, das hat gewiss jeder schon erfahren, der in einer Situation scheinbarer Ausweglosigkeit ihres Trostes teilhaftig wurde. "...ein Farbenbogen, der hell auf dunklen Wolken ruht." Sie kennen diese Worte. Leonore, in der Oper "Fidelio", schöpft aus ihnen die Kraft, den Kampf mit der Tyrannei aufzunehmen. Dem Hörer bleiben sie nicht nur im Ohr, sondern - wichtiger noch- im Herzen.
In der Aura des Klangs, mit dem Beethoven sie tränkt, fühlt das Herz, dass es noch lebt und schlägt und möchte schlagen!
"Herz" ist ein Synonym auch für das Wort "Mut". Und "beherzt" bedeutet, mit neuem Mut erfüllt, geht der Hörer aus der heilenden Begegnung mit Musik hervor. Wenn es eine Hilfe gibt, uns von der Tyrannei zu befreien, ist es die Erinnerung an das Erlebnis der hohen Kunst. Selbst in den Schrecken der Konzentrationslager war sie die wichtigste Überlebenshilfe. Und es gibt viele Arten der Tyrannei: die Tyrannei der Gleichgültigkeit, die Tyrannei eines bloß kommerziellen Denkens, die Tyrannei der Spaßkultur und der Talkshows.
Im Gleichnis des Regenbogens, der "hell auf dunkler Wolke ruht", ist ein noch höheres Gleichnis bewahrt: das des Bundes, den Gott nach der Sintflut mit uns geschlossen hat. Ein solches Pfand ist uns auch mit der Musik zugefallen; sie ist, nach einem Wort Beethovens, "höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie." Einer rein verstandesmäßigen Definition entzieht sie sich. Sie ist Menschenwerk, und wir hören ihr auch deutlich an, ob es Brahms oder Bach war, Beethoven, Mozart oder Josquin des Prés, der sie komponiert hat, - und gleichzeitig ist sie ein Wunder, das uns so oder so mit dem Himmel verknüpft.
"Gänzlich kanns nicht verstanden oder begriffen werden." sagt Martin Luther. "Denn die Musik ist eine Gabe und Geschenk Gottes, nicht ein Menschengeschenk."
Lassen Sie mich zu diesem Gottesgeschenk noch eine wichtige Stimme zitieren, die Stimme des alten Goethe, denn bei ihm kommt noch ein weiterer Aspekt der Musik zur Sprache:
"Da schwebt hervor Musik mit Engelsschwingen, Verflicht zu Millionen Tön um Töne, Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen, Zu überfüllen ihn mit ewger Schöne: Das Auge netzt sich, fühlt im höhern Sehnen Den Götterwert der Töne wie der Tränen."
Aus diesen Worten Goethes will ich abschließend eine Zeile heraus- greifen: die von den Millionen Tönen, die die Musik zur Einheit in der Vielfalt "verflicht". Wie ist es möglich, dass vier, dass zwanzig oder gar hundert Stimmen, instrumentale oder vokale, die jede ihre eigene Spur verfolgen, nicht wie ein babylonisches Sprachengewirr durcheinander schallen, sondern sich zur Harmonie finden? Auch dies ist ein Wunder: das Wunder sozusagen des idealen Staats.
Aber dieses aus den toten Noten zum Sein zu erwecken, diese Aufgabe, meine Damen und Herren, wird uns in Zeiten leerer Kassen immer mehr zum Problem. Denn damit aus den Partituren Musik hervorschwebe "wie auf Engelsflügeln", bedarf es vielköpfiger Orchester und hochkarätiger Solisten. Diese zu bezahlen, wird uns immer schwerer. Darum lassen Sie sich noch einmal für Ihre ehrenamtliche Mitarbeit und Ihre großherzigen Spenden herzlich danken, danken auch dafür, dass wir mit Ihrer Hilfe das Gottespfand der hohen Musik hegen, erhalten, weitergeben und den Menschen vermitteln dürfen.
Nicht zuletzt möchte ich meiner lieben Frau Christa Heinrich sehr herzlich danken für ihre Geduld und Umsicht, mit der sie seit 52 Jahren unsere Arbeit mitgetragen hat.
Siegfried Heinrich
html: W. Näser 11.1.2010