Integration, Industrie und Amateurfunk - ein provokatorischer Überblick

von Wolfgang Näser, DK 1 KI  [in: QRV 9/1978, 516-524; 10/1978, 581-587]    => Abbildungen zu den HW-100-Modifikationen

Obzwar er - aus technischer Sicht - eine sehr lange Zeit zurückliegt, stelle ich diesen Aufsatz weiterhin ins Web, weil

Der Amateurfunk, in Zielsetzung sowie pädagogischen und sozialen Aspekten und herausragenden technischen Möglichkeiten über das im gewöhnlichen Sinne "Hobbyhafte" weit hinausgehend, gerät nämlich gerade erneut und diesmal ernsthaft in Gefahr, aufgrund überhandnehmender kommerzieller Interessen der kreativen Möglichkeiten und Freiheiten beraubt zu werden, die gerade in diesem Aufsatz dargestellt werden. Zudem zeigt gerade die aktuelle politische Entwicklung, daß wir von den damals postulierten Zielen (politische und religiöse Toleranz u.a.) erschreckend abgerückt sind. Damals (1978) gab es z.B. noch ein geeintes, starkes Jugoslawien, als einziges Ostblockland Mitglied der Eurovision und mit Funkamateuren, die höchst aktiv am europäischen Funkverkehr teilnahmen und durch ihre Aufgeschlossenheit und ihr fortschrittliches Equipment im besten Sinne Werbung für ihr Land betrieben. Die noch existierende Spaltung zwischen DDR und BRD existierte für die Funkamateure nicht; sie bildeten eine im sportlichen und freundschaftlichen Geiste fungierende Brücke zwischen West und Ost.

Seitens der älteren Funkamateure, die die Amateurfunkgeschichte maßgeblich mitprägten, stieß ich auf ausgesprochen positive Resonanz; der von Wolfram "Felix" Körner (DL 1 CU) herausgegebenen "QRV" danke ich für die Publikationsmöglichkeit; das vom Deutschen Amateur-Radio-Club (DARC) e.V. herausgegebenen "cq-DL" zeigte an einem derart kritischen Artikel kein Interesse, vielleicht um nicht einige der zahlreichen kommerziellen Anzeigenkunden zu verlieren. Im Herbst 1978 wurde der Text auch vom deutschen Kurzwellenhörer-Dienst von Radio Südafrika (Johannesburg) ausgestrahlt. Inzwischen sind fast 24 Jahre vergangen, ist der konventionelle Amateurfunk zurückgetreten zugunsten digitalisierter Kommunikationstechniken, ist das Internet die "Brücke zur Welt" geworden.

Bei der HTML-"Wiederaufbereitung" wird überdeutlich bewußt, daß hinsichtlich des Computers oder besser des PCs heute ähnliche Anmerkungen gemacht und /oder Bedenken angemeldet werden könn(t)en: nur mit dem Unterschied, daß der PC uns heute unzweifelhaft beherrscht, so fest im Griff hat, wie keine andere Innovation der Neuzeit. Das "Hast du was, bist du wer" gilt auch hier; Arroganz und elitärer Dünkel gehen hier oft Hand in Hand mit einem erschreckendem Scheuklappen-Denken, welches Hacken, Computerspiel und Internet zum alleinigen Lebenszweck werden oder, besser gesagt, verkommen läßt und die virtuelle Welt in psychopathologischer Weise zum Fluchtpunkt der Lebensuntüchtigkeit macht.

In technisch-technologischer, kreativer und menschlicher Hinsicht war das Hobby Amateurfunk eine großartige Domäne der Freiheit; aus diesem Blickwinkel heraus bietet eine Analyse unseres sozialen, technischen, kulturellen Jahrtausendwandels Gelegenheit zu kritischer Erkenntnis.

Schlußendlich heute, zu Beginn des 3. Jahrtausends, ein ganz ernst gemeinter Rat an alle, die verantwortlich mit Amateurfunk oder sonstiger HF-Kommunikation zu tun haben: werfen Sie, sofern noch vorhanden, Ihre alten, konventionell "verdrahteten" Röhren-Geräte nicht weg. In einem potentiellen Notfall - denken wir nur an den schon vor drei Jahrzehnten als möglichen Kommunikations-GAU in Betracht gezogenen Nuklearen Elektromagnetischen Puls (NEMP) - könnten, wenn alle hoch- und höchstintegrierte Elektronik versagt, diese zu Unrecht als "steinzeitlich" empfundenen alten "Boliden" auf der unverändert nützlichen und aktuellen Kurzwelle zum Lebensretter werden.

MARBURG                                                              Dr. Wolfgang NÄSER, DK 1 KI / DK 0 DS
PS. Untenstehendes Foto zeigt die wesentlichsten Geräte meiner Station am 9. Juli 2k6. Alles ist noch QRV.

0. Vorbemerkung

Im Laufe einer rund sechzigjährigen Geschichte hat sich der Amateurfunk zu einem bedeutenden Funkdienst entwickelt, der durch internationale Verträge und nationale Gesetze definiert und verankert ist. Der Amateurfunkdienst wird inzwischen von über 1.000.000 aktiven Sendeamateuren und noch weit mehr reinen Hörstationen in allen Erdteilen betrieben. Er erschließt seinen Teilnehmern eine "Brücke zur Welt". Der Amateurfunk bietet faszinierende technische Möglichkeiten, denken wir nur an das Amateurfunkfernschreiben oder -fernsehen, an Erde-Mond-Erde-Verbindungen oder an den Funkbetrieb über von Amateuren entwickelte Nachrichtensatelliten. Der Amateurfunk fördert durch ideologiefreien Funkverkehr die internationale Verständigung, er bringt Menschen verschiedener Hautfarben, Rassen und Religionen zusammen. Mit dieser hohen Zielsetzung richtet sich der Amateurfunk auf unveräußerliche sittliche Werte, die für das menschliche Zusammenleben unbedingt erforderlich sind, nämlich Freundschaft, Vorurteilsfreiheit, Hilfsbereitschaft, und zwar über alle hindernden Schranken hinweg. Der Amateurfunk ist andererseits in hohem Maße ein technisches, ein technisiertes Hobby. Als Form der drahtlosen Kommunikation ist auch er eine Begleiterscheinung der zweiten technischen Revolution. Der Mensch des 20. Jahrhunderts ist zwangsläufig ein technikbestimmtes Wesen. Wir denken immer mehr in technischen Kategorien, und die einst überwiegenden Gefühlswerte drohen vom mathematisch-logischen Kalkül abgelöst zu werden. Verantwortungsbewußte Mitmenschen haben erkannt, wo die Gefahren eines unkontrollierbaren industriellen Wachstums liegen: sie warnen u.a. vor Umweltverschmutzung  und Zerstörung der Natur; sie befürchten auch eine Zerstörung der eigenständigen menschlichen Persönlichkeit, und zwar durch ein Übermaß an Verwaltung und Computerisierung. Heute, 1978, warnen sie vor einem Orwell'schen 1984. Mehr denn je ist der Mensch in Gefahr, von Technokraten beherrscht, gelenkt und seiner Individualität beraubt zu werden. Menschlichkeit und Technokratie sind feindliche Gegenpole.

In diesem Licht möchte ich einmal den modernen Amateurfunk betrachten. Dabei befasse ich mich zum einen mit dem Stand der heutigen Amateurfunk-Technik. Der Funkamateur betrieb jahrzehntelang eigene Experimente, er entwickelte und baute seine Geräte selbst, mit deren Hilfe er seine drahtlosen Kontakte herstellte. Diese Praxis ermöglichte es ihm, in hohem Maße eigenschöpferisch tätig zu sein, eigene Ideen unmittelbar in die Tat umzusetzen und besonders in Gestalt weitreichender Funkkontakte zu Erfolgserlebnissen zu gelangen. In den letzten 30 Jahren ist jedoch, erst in den USA, dann auch in Europa und vor allem auch in Japan, eine Amateurfunkgeräte-Industrie entstanden. Hunderttausende von kommerziellen Sendern, Empfängern, Antennen und elektronischen Zusatzgeräten arbeiten inzwischen in Amateurfunkstationen aller fünf Kontinente. Die Industrie befreit die Amateure von der Mühe des Selbstbaus, sie entzieht ihnen wertvolle Möglichkeiten der Eigenimprovisation. Aus dem einst technisch eigenschöpferischen Amateur wird ein Technik-Konsument, ein Produkt-Anwender. Neue Bauelemente und Technologien werden dem Amateur überlassen, und die Industrie weckt auch beim Funkamateur neue Kauf- und Betätigungswünsche. Im Zuge dieser Entwicklung haben Mikroelektronik, elektronisches Fernschreiben und der Mikroprozessor den Amateurfunk erobert. Technologie und Technik auch des Amateurfunkdienstes sind so komplex geworden, daß viele ernsthaft Interessierte das Selbstbau-Risiko scheuen; die einst autarken, unabhängigen Amateure greifen zum Händlerkatalog.

Bedenklich ist auch folgendes: auf der Konsumenten-Seite herrscht die Devise "Hast du was, bist du wer", und in der Eigenbau-Szene regiert der Grundsatz "Je elektronischer, integrierter und darum progressiver, desto besser". Apparativer Geltungsdrang und elitärer Dünkel gefährden das Hobby Amateurfunk, ein Hobby, bei dem es gerade nicht auf die Brieftasche und das professionelle Ingenieurtum ankommen sollte, sondern bei dem jeder Begabte eine Chance haben sollte.

Ich möchte daher im folgenden einige kritische, gewiß für manchen provokante, Überlegungen anstellen: einerseits über die Rolle der Industrie, andererseits über Möglichkeiten, mit denen der echte, der eigentliche Funk-Amateur auch heute noch sich als Individuum verwirklichen kann. Meine Ausführungen richten sich vor allem an jene, die den Amateurfunk als echtes Hobby betreiben, als Ausgleich von der Hetze des Berufs und Alltags. Ich wende mich an die, die sich, wie ich, ihr technisches Wissen mühsam nebenher erarbeitet haben und die es nach ihren Möglichkeiten anwenden wollen. Ich möchte die ermuntern, die auch mit einfachen Mitteln noch gern selbst bauen wollen und die trotz aller Technik auch und vor allem noch die menschlichen Werte des Amateurfunks vor Augen haben.

1. Entwicklung und Bestandsaufnahme: Mikroelektronik, Industrie, moderner Amateurfunk

Der Mikroprozessor ist geboren. Innerhalb der professionellen Elektronik werden schon heute Möglichkeiten erwogen, hunderttausend, ja bis über eine Million Bauelemente auf einem einzigen Kristall unterzubringen. Seit den frühen sechziger Jahren überflutet eine unaufhaltsam vorwärtsdrängende Integrations-Welle die gesamte Elektronik. Die Industrie entwickelt und produziert Integrierte Schaltungen für immer neue Anwendungen. Der Integrierte Schaltkreis (IC) bringt die totale Elektronisierung des Lebens. Es wird die Taschenlampe, den Rasierer, Staubsauger, Elektroherd usw. mit ICs geben, die ICs werden die Erde in größeren Stückzahlen bevölkern als die ihnen nur äußerlich ähnelnden Insekten. Die hochintegrative moderne Elektronik und ihr füngstes Kind, der Mikroprozessor, sorgen für eine Revolutionierung auch der Freizeit, sie wecken und schaffen neue Bedürfnisse. Wer früher in freier Natur Handball, Tischtennis, Federball oder andere erholsame Sportarten betrieb, der pflegt diese Spiele nun immer häufiger sitzenderweise vor dem Bildschirm. Der sympathische Schach-Partner von einst wird durch den bereits als Bausatz erhältlichen Schach-Computer ersetzt. Die interessant und abwechselnd gestaltete Tageszeitung wird sehr bald durch eine elektronische Bildschirm-Zeitung abgelöst werden.

Die Mikro-Elektronik hat auch im Bereich des Amateurfunks zu tiefgreifenden, ja revolutionierenden Veränderungen geführt.  Derjenige Funkamateur, der früher zumeist selbst baute oder mindestens selbst reparierte, wird mit Industriebausätzen oder kommerziellen Fertiggeräten konfrontiert, in denen die wichtigsten Funktionseinheiten wie z.B. VFO, ZF, NF oder Spannungsstabilisierung monolithisch realisiert werden, d.h. in Gestalt multifunktionaler ICs. Der präzise Skalenantrieb oder der stabile VFO von einst, oft eine Meisterleistung bastlerischer Geschicklichkeit, werden ersetzt durch elektronische Frequenz-Displays und PLL-Schaltungen. Die ICs bevölkern massenweise die modernen Amateurfunkgeräte. Sie sind auf den beidseitig bedruckten, durchkontaktierten Platinen wie Friedhofsgräber aneinandergereiht und bieten dem erstaunten OM einen Anblick ultraprogressiver, doch im Detail unergründlicher Technologie.

Die bienenfleißige Industrie und die wichtigsten Amateurfunkzeitschriften haben in zahllosen Bauanleitungen und Geräte-Testberichten dem IC zum Durchbruch verholfen, sie haben bei denjenigen Minderwertigkeitskomplexe erzeugt, die sich noch einzelner Halbleiter bedienen. Auf diesem fruchtbaren Boden hat nun jüngst der Mikroprozessor Einzug gehalten, und schon bemühen sich die mehr oder weniger professionellen Elektroniker, dem verwirrten OM beizubringen, daß er doch diese oder jene Geräteschaltung mittels des Mikroprozessorsystems "XYZ" nachvollziehen oder, wie sie sagen, "emulieren" könne. So wird der Funkamateur Zug um Zug in Bereiche hineingezogen, die bis vor kurzem zur alleinigen Domäne der elektronischen Datenverarbeitung gehörten. Der Amateur hat nun nicht mehr nur die oft hochkomplizierten Geräteschaltpläne zu studieren, sondern muß sich jetzt auch mit den "Flußdiagrammen" herumschlagen, die zu diesem oder jenem Mikroprozessor-System publiziert werden, ohne Rücksicht darauf, wie viele Funkamateure dies lesen wollen oder nicht. In einer Ausgabe der von der DAFG e.V. publizierten Zeitschrift "RTTY" wies DJ 8 BT nicht ohne Genugtuung darauf hin, daß künftig z.B. Uhrzeit, Datum und ähnliche Angaben nach elektronischer Aufbereitung in Funkfernschreib-QSOs eingeblendet werden können. In manchen Stationen werden schon jetzt die Morsezeichen nicht mehr "von Hand" gegeben, sondern mittels einer mit ICs vollgepackten Elektronik "generiert". Die empfangenen Zeichen werden mit einer weiteren Elektronik in Buchstabenschrift umgesetzt (man braucht dazu einen "character generator"), und die Buchstaben erscheinen, wieder mit Hilfe zahlreicher ICs, auf einem Bildschirm (dem sog. video display): ein auf den ersten Blick faszinierender Fortschritt. Nun endlich hat das Daten-Terminal in Gestalt des flimmernden Bildschirms auch die Amateurfunkstation erobert.

Draußen, im Berufsleben, streikten noch im Frühjahr 1978 wochenlang Setzer und Drucker, weil EDV und Bildschirmterminal sie brotlos zu machen drohen, und immer mehr Fachärzte warnen vor längerem Umgang mit Mikrofilm-Lesegeräten und EDV-Sichtgeräten. Dies scheint jedoch unsere "progressiven" OMs nicht zu stören, denn bei ihnen zählt die Technik; was soll's, wenn dabei ein wenig Gesundheit geopfert wird. Die ganz fortschrittlichen Amateure werden ohnehin bald ihre Stations- und QSO-Daten im eigenen Kleincomputer verarbeiten; das Stations-Log, der Diplomantrag und vielleicht auch die QSL entstehen per Schnelldrucker. Die Amateurfunkstation wird zur Datenstation, der OM "rationalisiert" seine "Verwaltungsarbeit" und damit sich selbst mittels eigener EDV, und nun denkt auch er in seinen eigenen vier Wänden und in seiner Freizeit in Kategorien, die mit normalsprachlicher menschlicher Kommunikation nicht mehr viel gemein haben. Wie schön, daß es jetzt den ASCII-Code gibt, das Interface, Memory, Display, Keyboard usw, wie schön, daß nun heruntergeteilt, invertiert, transcodiert und beliebig gespeichert werden kann.

Ja, nun ist man auch privat ein Pionier des industriell lancierten Fortschritts, nun ist man wer. Man hat sich ja schließlich abgesetzt vom alten "OM Waldheini", der an seiner antiken Dampf-Station herumkurbelt und QSOs fährt, der sogar noch QSL-Karten schreibt und, wer soll es glauben, gern erhält. Um Gottes Willen, was soll denn das, so einfach rumfunken, QSOs machen, sich entspannen. Dazu hat man doch gar keine Zeit mehr, man will doch Schritt halten, die neusten Technologien konsumieren, man will kaufen, anwenden, entwickeln, rechnen, testen und dann auf 70 cm mit ausgewählten Fachkollegen streng elektronisch diskutieren.

In, wie es scheint, grauer Vorzeit haben sich die Gesetzgeber entschlossen, den Amateurfunkdienst, seinem Begriffsinhalt gemäß, einen nicht-kommerziellen Charakter zu verleihen. Inzwischen ist das Amateurfunkgesetz z.B. der BRD 29 Jahre alt. Blickt man nun in ein hierzulande erscheinendes Amateurfunk-Magazin, dann wundert man sich, was inzwischen aus "Geist und Buchstaben" des Gesetzes geworden ist. Die Vielzahl dort abgedruckter Industrie-Anzeigen verdeutlicht, wie sehr in den letzten 20 Jahren die Gerätehersteller und Amateurfunk-Fachgeschäfte "ins Kraut geschossen" sind, ja, man hat von Monat zu Monat mehr den Eindruck, daß - trotz wirtschaftlicher Stagnation - die "Funk-Shops" geradezu wie Pilze aus dem Boden schießen. Von größeren und kleineren Firmen werden regelmäßig HF-Leistungsendstufen mit illegalen Senderöhren angeboten (z.B. 160 TL, 572 B, 3-500 Z, 3-1000 Z, 8873 usw.), und eine Reihe solcher angeblicher Fachgeschäfte mischt nebenbei kräftig auf dem 11-m-Sektor mit und offeriert ohne Scheu illegale CB-Transceiver und CB-Leistungsstufen; so mancher SWL, der sich aus Bequemlichkeitsgründen zunächst dem 11-m-Funk zuwendet, wird durch solche Geschäftspraktiken geradezu in die Illegalität getrieben. Der Funkamateur wird heutzutage einer immer aggressiveren Produktwerbung ausgesetzt. Es wird ihm suggeriert, daß er ohne die Segnungen der einschlägigen Industrie nicht mehr auskomme. Offenbar geht schon bald doch noch die Rechnung auf, daß der einst weitgehend autarke Amateur in jeder Hinsicht abhängig wird von kommerziellen Produkten und professionellem Service.

Hier spätestens kann, ja sollte man sich fragen, ob noch von echtem Amateur-Funk im ursprünglichen Sinne gesprochen werden kann oder ob wir nolens volens Abschied nehmen müssen von einer alten, liebenswürdigen, nicht nur im technischen Sinne verstandenen Tradition.

Es gehört zu einer kritischen Bestandsaufnahme, daß neben berechtigter Kritik im konstruktiven Sinne Alternativen aufgezeigt werden. In diesem Sinne möchte ich anschließend fünf entsprechend formulierte  T h e s e n  zur Diskussion stellen. Diese Thesen, "ohne Zorn und Übereifer" niedergeschrieben, sind das Ergebnis einer kritisch beleuchteten 12jährigen Tätigkeit als lizenzierter Funkamateur. Diese Thesen haben nichts mit "gesetztem Alter" zu tun, denn ich habe meine Lizenz mit 23 Jahren erworben.

2.  Thesen
2.1. Der Amateur ist kein Profi

"Amateur" und "Profi" (die Abkürzung von "Professional") sind gegensätzliche Begriffe; daran, so sollte man annehmen, kann selbst die Industrie nichts ändern, doch: weit gefehlt. Wirft man nur wenige Blicke in den Anzeigenteil der gängigen Amateurfunk-Fachzeitschriften oder verfolgt man beliebige QSOs, so gewinnt man zunehmend den Eindruck, daß man es hier, wenn überhaupt, nur noch entfernt mit einem Hobby zu tun hat, das Geist und Körper entspannt, das echten Ausgleich schafft und fernab liegt vom hektischen Alltag. Es drängt sich eher die Vermutung auf, daß die einst vom Kommerz so unabhängigen Funkamateure langsam, aber sicher zu industrieorientierten "Profis" umfunktioniert und regelrecht "vermarktet" werden. Wie wir z.B. im cqDL März und April 1978 auf den "Gelben Seiten" erfahren, will eine bekannte amerikanische Firma die Funkamateure sogar zu "Profi-Amateuren" machen; dafür genügt einzig, daß Bausätze oder Fertiggeräte der Firma gekauft und betrieben werden. Auch werden immer häufiger Stations-Zusatzgeräte angeboten, die zwar in kommerziellen Funkstellen aus betriebstechnischen Gründen häufig anzutreffen sind, jedoch für die Mehrzahl der Funkamateure wohl "eine Nummer zu groß" sein dürften. Es handelt sich hier z.B. um vollautomatische Morsetasten mit Speichereinrichtung, EDV-Sichtgeräte oder elektronische Tastaturen als Datenterminals sowie nach professionellen Maßstäben aufgebaute und entsprechend teure Leistungs- und SWR-Meßgeräte und Antennenkoppler. Dasselbe gilt für komplette Weitverkehrs-Antennenanlagen mit Gittermast und Hochleistungs-Rotor, von denen der Durchschnitts-Amateur nur träumen kann. Ganz gezielt wird unterstellt, der Amateur werde dann zum Profi, wenn er sich einen elektronischen Frequenzzähler zulege, wenn er seine in der Regel von kommerziellem Gerät erzeugte Modulation mittels eines Spezial-Oszilloskops kontrolliere; er werde dann zum Profi, wenn er das Band mit einem Panorama-Empfänger absuche, seine Leistung mit einer Super-PA vervielfache und dann mit einem professionellen Spezial-Wattmeter ablese. Der Amateur erliegt gefährlichen Illusionen, er wird versucht, er bekommt Gelüste, er überprüft seine Brieftasche, ihm wird ein Floh ins Ohr gesetzt. Er möchte "wer sein", er möchte mithalten. Es kommt anscheinend schon längst nicht mehr darauf an, ob und wie jemand seine Station etwa  s e l b s t  aufgebaut hat, sondern welche "Line" man "fährt", welches möglichst professionelle "Mike" man benutzt. Man hat zwar nur 2 kHz Bandbreite, doch will man SSB-HiFi-Modulation erzeugen, man will das "outstanding signal" - im wahrsten Sinne des Wortes um jeden Preis. Und dann bekommt man im QSO den Rapport "Sie haben ein ufb Signal", und der Gerätehersteller kann sich freuen über solch gute kostenlose Reklame. Vielleicht wäre dies auch ein Anlaß dazu, einmal über den Text von QSOs nachzudenken.

2.2. Der Funkamateur hat es nicht nötig, Konsument zu sein

Hand auf's Herz: welcher nicht aus dem Beruf kommende, also sinngemäß  e c h t e  Funk-Amateur repariert noch seine Station selbst oder ist dazu noch in der Lage, wenn er ein sogenanntes Spitzengerät erworben hat, das in seiner super-kompakten Bauweise nur so vollgepackt ist mit MOSFETs, Schottky-Dioden und ICs und das, quasi zur Krönung, mit einem Digital-Frequenzdisplay ausgerüstet ist? Betrachten wir einen ganz alltäglichen Fall. OM XY betreibt seit 15 Jahren Amateurfunk. Früher hat er viel selbst gebaut, er hat sich dabei zum Teil mit Mißerfolgen abfinden müssen, war aber froh, wenn ihm etwas gelang. Er hat selbst gebaut, weil es damals so üblich war und weil er nicht viel Geld hatte. Er muß auch heute noch sparsam haushalten, hat aber im Laufe von Jahren einiges auf die hohe Kante gelegt und will sich damit einen lang gehegten Wunschtraum erfüllen. Dazu hat er allmonatlich fleißig die Gelben Seiten studiert, hat Kataloge angefordert, sich auf dem Geräte-Markt umgesehen und sich schließlich einen ultra-modernen Kurzwellen-Transceiver für mehr als 4.000 Mark gekauft. Diese Wunder-Gerät im vornehm-schwarzen Profi-Look mit seinem eleganten Finish und den blitzenden Knöpfen und Tasten ist nicht größer als ein mittleres Radio und eine wahre Zierde des Stationstisches. Nach mehrmaligem längerem Funkbetrieb steigen plötzlich Dampfwölkchen aus dem Gehäuse: irgendwo muß ein "Kurzer" sein. Der Amateur öffnet zum ersten Male sein Gerät und bekommt einen Schock. Da sitzt der viel zu kleine Netztrafo direkt neben dem VFO, den modernsten PA-Stripline-Transistoren ist nicht anzusehen, ob sie noch intakt sind, und ansonsten reihenweise Steck-Platinen mit dichtgedrängter Elektronik. Da ist guter Rat teuer. Einzelne Transistoren könnte er ja noch auswechseln, aber was tun mit den geheimnisvoll beschrifteten ICs und den mindestens teilweise unbekannten winzigen Bauteilen? Was tun mit der monolithisch aufgebauten Spannungsregelung und der höchst komplizierten Frequenzaufbereitung? Hier zeigt sich eine immer mehr Platz greifende Ohnmacht, die den Durchschnitts-Amateur auf eine Stufe stellt mit Otto Normalverbraucher, der seinen defekten Staubsauger, Plattenspieler, Fernseher usw. dem kommerziellen Service überlassen muß. Der Funkamateur, der einst selbst baute, selbst reparierte, über seine Geräte Bescheid wußte, die Industrie höchstens als Anreger betrachtete, wird nun vollends zum Konsumenten und konsumiert selbst die Geräte-Reparatur. Kritisch gesehen, ist dieser Tatbestand höchst peinlich für einen postalisch geprüften und demnach als fachlich qualifiziert ausgewiesenen Funkamateur.

Die Entwicklung vom Eigenbau zum Industrie-Konsum wurde im wesentlichen durch dreierlei Umstände gefördert: zum einen wird schon seit Jahren in den Lizenzkursen der Amateurfunkverbände westlicher Länder immer weniger Wert gelegt auf praktischen Funkbetrieb und Geräte-Eigenbau, ja, es sind sogar vom DARC e.V. sogenannte Jugendseminare geschaffen worden, die im Hauruck-Verfahren das gesamte Prüfungs-Wissen in nur drei Wochen vermitteln. Nach diesen drei Wochen wird von der eigens hierzu angereisten Kommission die Lizenzprüfung abgenommen. Wer nach dem mörderischen Pauk-Tempo durchgekommen ist, wird als frischgebackener Amateur vom Fließband auf die kurzen und ultrakurzen Wellen losgelassen. Zweitens hat die schon immer gewitzte Industrie keine Mühe damit gehabt, sich in jahrzehntelangen Werbekampagnen ein ständig anwachsendes Kundenpotential heranzuziehen. Zu diesem Zwecke wurde die These in Umlauf gesetzt und immer wieder von Amateuren kolportiert, es lohne sich heute längst nicht mehr, ein Funkgerät selbst zu bauen. Diese These wurde mit folgenden Argumenten untermauert:

  1. koste das viel Geld, Zeit und Mühe,
  2. berge das Risiken in sich und schaffe Ärger und Resignation,
  3. hetze das einem womöglich den Funkmeßdienst auf den Hals,
  4. benötige man hierzu einen Meßgeräte-Park, der selbst den Aufwand so mancher Rundfunk- und Fernsehwerkstatt übersteige.

Es fanden sich immer mehr willige, kritiklose Konsumenten, die diese abgedroschenen Phrasen getreulich nachbeteten; sie waren im Laufe der Zeit zu träge und bequem geworden. Außerdem war es chic, das Neueste zu besitzen und drittens war diese These eine ausgezeichnete Rechtfertigung des eigenen Handelns. Hier ist der Industrie und ihren Distrubutoren folgendes zu entgegnen:

  1. Der Amateur kann durch Ausschlachten von Geräten kostenlos zu wertvollen Bauteilen kommen und dabei vieles über deren Form und Funktion lernen.
  2. Die für den Selbstbau aufgewendete Zeit lohnt sich in jeder Hinsicht, denn der Amateur gewinnt dabei wertvolle Einsichten und gelangt zu praktischen Kenntnissen und Fertigkeiten.
  3. Auch die beim Selbstbau aufgewendete Mühe lohnt sich: der Amateur kann es sich leisten, sorgfältiger zu bauen als die nach der Devise "time is money" kalkulierende Industrie.
  4. Risiken sind unvermeidbar und steigen mit der Kompliziertheit des zu bauenden Gerätes. Das Meistern von Risiken bedeutet jedoch einen besonders wertvollen Lernschritt auf dem Weg zu handwerklicher Meisterschaft.
  5. Der Funkmeßdienst erscheint auch dann, wenn z.B. eine kommerziell aufgebaute Endstufe Ober- und Nebenwellen verursacht: auch dies ist bisweilen zu beobachten.
  6. Bei entsprechendem Wissen läßt sich sogar ein kompliziertes Funkgerät mit nur bescheidenen Mitteln auf Maximalwerte abgleichen.


Wenn es der Industrie opportun erscheint, dann werden Selbstbau und amateurmäßiger Abgleich plötzlich einfach und problemlos. Da behauptet die uns bereits bekannte amerikanische Firma, ihr Kurzwellen-Transceiver-Bausatz "XYZ" lasse sich auch ohne besondere Fachkenntnisse in relativ wenigen Stunden zusammensetzen. Zum Abgleich des fertigen Gerätes genüge notfalls das darin eingebaute S-Meter!

Nun zum dritten Punkt: die Industriegeräte werden heute, bis auf wenige Ausnahmen, so konstruiert, daß sie von ihren Käufern nicht mehr oder kaum noch repariert werden können. Zu diesem Zweck werden nur schwer zu beschaffende Spezialbauteile verarbeitet, die Schaltungen werden unnötig verkompliziert und in ungewöhnlich kleinen Gehäusen zusammengepfercht. Wo immer es geht, werden Integrierte Schaltungen eingesetzt, mechanische durch elektronische Funktionseinheiten ersetzt. Die einzelnen Schaltungsstufen wie Modulator, ZF, Träger- und Bandoszillator, Störaustastung, NF oder Kleinspannungserzeugung werden als steckbare Module ausgeführt, die nur in herausgezogenem Zustand überprüft und repariert werden können, und dies natürlich nur im Herstellerwerk oder einer autorisierten Werkstatt, wo entsprechende Adapter vorhanden sind. Um sich hier selbst helfen zu können, müßte der Amateur außer den Spezialadaptern einen kompletten Satz von Steckmodulen zum Preise fast des Gesamtgerätes griffbereit haben - aber wer kann sich das leisten? Nun, Kauf und kommerzieller Service sind eben einfacher, besonders für den frischgebackenen Amateur, der möglichst schnell "in die Luft gehen", die ersten QSOs fahren, DOKs und Diplompunkte sammeln will. Während früher in zahlreichen Publikationen einfache Schaltungen zum Selbstbau vorgelegt wurden, übernimmt nun die Industrie die "Starthilfe" für den Jungamateur. Er, der leider allzuoft von Bau- und Betriebspraxis nicht die blasseste Ahnung hat, wird sogleich von massiver Produktwerbung bearbeitet. Es ist ja so einfach, zu kaufen, die wenigen Kabel zu stecken, die Mikrofontaste zu drücken und CQ zu rufen. Und, weil's so einfach ist, bleibt man dabei. Man orientiert sich am Markt, man segelt hart am Trend. Beim "persönlichen Preisvergleich" berauscht man sich an aufpolierten Leistungsdaten und am gelungenen, nicht immer funktionalen Styling. Und dann entwickelt man den Wunsch, ja das brennende Verlangen, auch so einen zuverlässigen, hervorragenden Transceiver "XYZ de Luxe S" zu besitzen, um mit ihm "die Welt zu erobern". Man will ja schließlich Schritt halten, man will auch zu denen gehören, die das "outstanding signal" produzieren.

In den letzten Jahren sind zahlreiche neue Gerätemodelle mit teilweise revolutionärem Konzept entwickelt und auf den Markt gebracht worden. Betrachten wir einmal die KW-Amateurfunkgeräte, so konnten in der Regel die kritischen Leistungsdaten nicht oder nur unwesentlich verbessert werden. Es handelt sich hierbei um die VFO-Drift (noch immer 100 Hz/h), die Träger- und Seitenbandunterdrückung (z.T. von 60/50 dB auf 40 dB verschlechtert), die Ober- und Nebenwellenunterdrückung (meist bei 40 dB verblieben), das Großsignalverhalten (auch durch Schottky-Ringmischer nur unwesentlich verbessert gegenüber dem alten 7360-Frontend-Konzept), die PA-Linearität und die Senderausgangsleistung (nach wie vor 100 W PEP). Bestimmte Werte haben sich sogar bisweilen verschlechtert (s.o.): wohl deshalb, weil man die neuen Technologien noch nicht völlig beherrschte. So kehrten einige Hersteller im Mischer und in der PA zur altbewährten Röhre zurück, und durch schaltbare Eingangsabschwächer wurde die neu gewonnene Rx-Empfindlichkeit wieder zunichte gemacht. Die Breitband-Kreise in den "all solid state" - Transceivern bereiteten arges Kopfzerbrechen, und die als so lästig deklarierte PA-Abstimmung mußte nun durch externe Antennenkoppler bewerkstelligt werden.

Sowohl in UKW- als auch in KW-Geräten hatten die Pioniere der PLL-Frequenzerzeugung viel Mühe damit, zusätzliche Pfeifstellen und Störimpulse vom Empfänger fernzuhalten. Diese allgemein bekannten Tatsachen änderten jedoch nichts daran, daß sich viele OMs "alle Jahre wieder" eine neue Station anschaffen. In das vergötterte Ding mit dem chicen Profi-Look darf ja bloß keine Schramme eingeritzt, geschweige denn ein Loch gebohrt werden, weil ja dann der Wiederverkaufswert zum Teufel wäre. So offenbaren viele Funkamateure, von denen man schon wegen ihrer Spezialausbildung und ihrer weltoffenen Kommunikation ein gewisses Maß an Einsicht erwarten dürfte, im Grunde dasselbe Komsum- und Prestigedenken wie der satte Durchschnittsbürger, der es nicht lassen kann, alle zwei oder drei Jahre ein neues, besseres Automobil gut sichtbar vor seine Garage zu stellen. Es soll hier nicht geleugnet werden, daß bestimmte Funkamateure auf Industriegeräte angweisen sind, obzwar durchaus denkbar wäre, daß sich z.B. hilfsbereite Amateure bereit fänden, etwa für einen blinden oder gelähmten OM ein Gerät im Eigenbau zu erstellen. Es soll auch nicht verschwiegen werden, daß sich einzelne Hersteller bemühen, amateurgerechte Geräte zu produzieren. Dies sind jedoch meist kleinere Betriebe, die noch überwiegend in Handarbeit fertigen und die sich keine aufwendigen Werbefeldzüge leisten können. Die expansiven und inzwischen arrivierten Hersteller geben jedoch pro Monat beträchtliche Summen für die Werbung aus, sie besitzen in der Regel Public-Relations-Abteilungen und beschäftigen Designer. Der Konkurrenz- und Existenzkampf ist ausgesprochen hart. Um preislich mithalten zu können, werden die oft extrem hohen Werbungskosten durch billige Massenfertigung und minderwertige Bauteile aufgefangen. Die Firmen, die inzwischen auf einen relativ festen Kundenstamm zählen können, scheuen sich nicht, bei spektakulären Neuentwicklungen die Gesamt-Unkosten in Gestalt eines saftigen Gerätepreises auf den Käufer abzuwälzen. Die wirklich HF-sachverständigen Entwicklungs-Ingenieure raufen sich nicht selten die Haare und sehen sich gezwungen, eine Menge teils völlig überflüssiger Elektronik wider besseres Wissen in ein Mini-Gehäuse zu packen, das von einem technisch unbedarften Formgestalter in einem pseudo-künstlerischen Höhenrausch "erschaffen" wurde. Hier ist es Aufgabe der versierten Funkamateure, aus ihrer Konstruktions- und Betriebspraxis heraus fundierte Kritik und präzise Forderungen an die Industrie zu richten und die Produktion wirklich amateurgerechter, langfristig zuverlässiger und robuster Geräte zu verlangen, die auch von Amateuren gewartet und instandgesetzt werden können und die ggf. sogar modifizierbar sind.

Die Begriffe "kommerziell" und "professionell" werden übrigens immer wieder von zahlreichen Funkamateuren, Hobby-Elektronikern und HiFi-Fans verwechselt. Sie glauben nämlich, ein kommerzielles Gerät sei zugleich professionell, erfülle also die entsprechenden technischen Anforderungen. Gestützt wird dieser Irrglaube immer wieder durch das "Layout" bzw. die Typenbezeichnung bestimmter Industriegeräte. "Kommerziell" bedeutet in der Regel lediglich "industriell gefertigt und im Handel erhältlich"; eine Qualitäts-Aussage oder gar eine Güte-Garantie sind hiermit nicht verbunden. So kann ein kommerzielles Gerät in all seinen konstruktionellen Merkmalen ausschließlich für den typisch intermittierenden Betrieb des Amateurs zugeschnitten sein. Der "Volksempfänger" von 1935 war auch ein "kommerzielles" Gerät. Auch ein kommerzielles Amateurfunkgerät hält in der Regel keinen harten Dauerbetrieb aus und genügt etwa erhöhten Anforderungen. Funkamateure, die sich auch einmal für das "Innenleben" ihres von der Stange gekauften Gerätes interessieren, können sich hiervon nur allzuoft überzeugen. Sie brauchen z.B. nur die Röhren-PA eines modernen KW-Transceivers in Augenschein zu nehmen mit ihren viel zu kleinen und schwachen Spulen, mit ihren mickrigen Drehkos und den anfälligen Keramik-Cs, ganz zu schweigen von den Pi-Filter-Umschaltern mit billigster Hartpapier-Isolation. Sogar namhafte Firmen lassen es sich nicht nehmen, in solchen teils sehr teuren Geräten die 100 Watt Ausgangsleistung über eine NF-Vorstufen-Cynch-Buchse ins Freie zu leiten. Regelrecht schockierend ist bisweilen auch der Blick hinter die elegante Fassade sogenannter Transceiver-Netzgeräte mit ihren viel zu kleinen, schnell heiß werdenden Trafos und billigen Papp-Elkos, mit den winzigen Si-Dioden und den schon zum Teil angeschmorten Widerständen und Lötleisten. Da fragt man sich zu Recht, warum man für diesen minderwertigen Schrott so viel Geld hingeblättert hat. Wenn der selige OM Steinhauser, ein wirklich erfahrener und gründlicher Senderkonstrukteur, heute sähe, wie von angesehenen Firmen seine wertvollen Ratschläge wider besseres Wissen in den Wind geschlagen werden, dann würde er sich im Grabe umdrehen.

Viele Amateure, die die eleganten, eigens für sie erdachten kleinen Wunderkästen kaufen, sind davon überzeugt, professionelles Equipment zu besitzen. Da irren sie. Was professionell ist, erfahren wir, wenn wir uns z.B. einmal auf einer Industriemesse bei den Firmen umsehen, die die Funkbude eines Ozeanriesen ausrüsten oder einen Sender wie die Deutsche Welle mit den HF-Einrichtungen versorgen. Da wird nur bestes Material verwendet, angefangen bei den stabilen, verwindungsfreien Einschubgehäusen mit ihren versilberten oder vergoldeten Steckverbindungen. Alle HF-Spulen sind gut dimensioniert und versilbert, die Schalter- und Relaiskontakte versilbert oder sogar vergoldet, dasselbe gilt für die Trennwände der Chassisober- und -unterseite, denn man verwendet auch heute noch in der Regel die altbewährte Kammerbauweise. Alle HF-Umschalter haben beste Keramik-Isolation, ebenso die Lötleisten und verlustarmen Durchführungen. Alle kritischen Bauteile sind überdimensioniert, im Netzteil arbeiten erstklassige, schwere Trafos und Drosseln, wir finden dort meist ausschließlich MP-Kondensatoren und hochbelastbare, sehr gut gekühlte Si-Gleichrichter. An Abschirmungen, Verblockungen, Verdrosselungen und Sicherungen wird nicht gespart. Der Sender-VFO, in der Regel eine dekadische Steuerstufe, nimmt allein ein 19-Zoll-Gehäuse ein. Er ist mit größter Sorgfalt hergestellt, besitzt eigens für das Einzelgerät selektierte Bauteile und ist in mehrfacher Hinsicht temperaturkompensiert. So sitzt der hochwertige Mutterquarz in einem beheizten Thermostaten. In der Sender-PA eines modernen Schiffsfunkgerätes sitzen erstklasige, lineare Röhren. Alles ist bestens verarbeitet und für härtesten Dauerbetrieb ausgelegt. So sehen professionelle Geräte aus, also Geräte, die der wirkliche Profi für den täglichen Einsatz benötigt, die immer funktionieren müssen, von deren Zuverlässigkeit ggf. Menschenleben abhängen. Für professionell bzw. postalisch betriebene HF-Geräte gelten hohe Qualitätsanforderungen, die sogar in manchen Punkten noch übertroffen werden von den sogenannten MIL-Spezifikationen, also den Bau- und Qualitätsvorschriften für militärische Nachrichtengeräte, die selbst bei extremer Hitze, Kälte und Feuchtigkeit noch einwandfrei funktionieren müssen. Selbstverständlich kann der Amateur solche immens teuren Geräte nicht erwerben, doch sollte er sich zumindest einmal mit ihrer Technologie befassen. Ein Funkamateur, der gern selbst baut und ein hohes Qualitätsniveau anstrebt, kann mit hochwertigen Bauteilen aus ehemaligen Militärgeräten, durch Überdimensionierung der Schaltelemente und durch sorgfältigen Aufbau unter Umständen den heavy-duty-Anforderungen der wirklich professionellen Geräte sehr nahekommen bzw. sie erfüllen. Er baut ja in der Regel nur ein typengleiches Gerät, kann sich Zeit lassen und braucht nicht in dem Maße zu knausern und am falschen Platze zu sparen wie leider allzuoft der profit- und ökonomieorientierte Hersteller sogenannter Profi-Amateurfunkgeräte.

Die ständig abnehmende Bereitschaft zum Selbstbau und der steigende Konsum industrieller Amateurfunkgeräte könnte eines Tages zu der einschneidenden Konsequenz führen, daß die nationalen Postverwaltungen und damit die Gesetzgeber - nicht zuletzt unter dem Druck der Industrielobby - beschließen, nur noch Industriegeräte mit postalischer Prüfnummer zum Amateurfunkverkehr zuzulassen. Diejenigen technisch interessierten Amateure, denen das nicht gleichgültig wäre, könnten dann nur noch von einer Sonder-Lizenz für Selbstbauende träumen.

2.3. Der Funkamateur ist kein Elite-Mensch

Jedermann redet heute von Chancengleichheit. Auch in diesem Sinne sollte der völkerverbindende Amateurfunk alle sozialen Schranken überwinden, er sollte allen Begabten offenstehen, auch den finanziell weniger Gesegneten. Die Ortsverbände des DARC e.V. haben sich bemüht, kostenlose Fachlehrgänge durchzuführen. Ist jedoch der short wave listener erst einmal "flügge" und tritt in sein Dasein als "OM", sieht er sich einem ständigen Erfolgs-Zwang ausgesetzt. Jemand, der sich selbstverständlich auch einmal um Familie, Beruf und Weiterbildung kümmern will, sieht sich außerstande, auf das hochtourige Karussell von Interfaces, Memories, Displays, Terminals usw. aufzuspringen. Ehrlich gesagt, mancher wagt erst gar nicht in ein "QSO" einzusteigen, in dem nur noch von Gunnplexern, Mikroprozessoren oder Normwandlern gesprochen wird, in dem invertiert und transkodiert wird. Hier trifft sich die Crème de la Crème, die hochfrequente High Snobiety. Hier trifft sich eine, wie es manchmal scheint, verschworene Gemeinschaft von HF-Ingenieuren, professionellen Elektronikern, Rundfunk- und Fernsehtechnikern und Ingenieurstudenten, die auch im Amateurfunk das in die Tat umsetzen, was sie in Studium und Beruf an allerneuesten Technologien kennengelernt haben. Hier finden wir eine professionelle und semiprofessionelle Elite, die sich alle Mühe gibt, weit herauszuragen aus der Plebs der zahllosen "OM Waldheinis", die sich mit harmlosem Bastel- und Funkvergnügen bescheiden. Wer in einem solch gelehrten QSO sein vorsintflutliches Wissen mit einem Stück aus der digitalen Sachertorte bereichern will, dem kann es passieren, daß ihm die Tür des Cafés vor der Nase geschlossen wird, denn man ist eine geschlossene Gesellschaft, man will unter sich bleiben. Ein Profi-Amateur erklärte mir einmal vor Jahren, es gebe ohnehin bereits genug Funkamateure.

Die Elite-OMs, die mindestens zum Teil kommerzielle Interessen besitzen, sichern sich nicht nur in den Amateurfunkzeitschriften, sondern leider auch in vielen Ortsverbänden die Schlüsselpositionen. Sie digitalisieren ihre Umwelt und verhindern erfolgreich, daß die blutigen Anfänger mit einfachen, klar verständlichen Selbstbauanleitungen versorgt werden, die leicht realisierbar sind und den Geldbeutel nicht zu sehr belasten. So mancher, teils nicht mehr junge, Newcomer fühlt sich mit Recht alleingelassen. Wenn sich Newcomer bereits nach wenigen OV-Sitzungen nicht mehr sehen lassen, dann sollten sich besonders die Elite-Techniker einmal fragen, ob sie etwas falsch gemacht haben.

Der Newcomer kann sich auch dann "frustriert" fühlen, wenn es ihm nicht oder nur selten gelingt, mit seiner oft bescheidenen Anlage und seiner "Kompromißantenne" im DX-Galopp mitzuhalten. Gerade in den letzten Jahren verstärkte sich die Tendenz, daß im interkontinentalen Amateurfunkverkehr nur noch der etwas gilt, der entweder ein "exotisches" Rufzeichen besitzt und bzw. oder der eine starke Endstufe und eine KW-Richtantenne sein eigen nennt. Wenn jemand eine mit illegalen Röhren bestückte 2- oder 3-Kilowatt-Endstufe betreibt, die er mit seiner dicken Brieftasche bezahlt hat, und wenn er eine Mehrelement-Quad auf einem 30-m-Gittermast verwendet, dann zählt er deshalb noch lange nicht zum geistigen Adel der Nation. Ein Funkamateur, der nicht nur technisch, sondern auch charakterlich qualifiziert ist, weiß, daß Bescheidenheit, Güte und Freundlichkeit auch in unserem Hobby die Kardinaltugenden sind und daß bei einem QSO nicht allein das technische Gerät wichtig ist, sondern auch in erster Linie der Mensch an der Gegenstation, mit dem man, so hoffe ich, durch Meisterung aller technischen Probleme in ein echtes Gespräch kommen will.

2.4. Der Funkamateur ist ein Individuum und ein Individualist

Als Individuum und als freies, selbständiges Wesen spielt der Mensch immer noch die Hauptrolle in unserem Hobby. Sollte dieses jedoch nur noch unter technisch-technologischen und sonstigen Erfolgszwängen stehen - ich erinnere nur an Contests und Diplome -, so würde ich vorschlagen, künftig die QSOs, besonders in Contests, von automatischen, unbemannten Stationen abwickeln zu lassen. Hier bieten sich endlich reizvolle Möglichkeiten für die Industrie, die Berufs-Amateure und all die integrationswürdigen semi-professionellen Hobby-Elektroniker, hier kann der Mikro-Prozessor wahre Triumphe feiern. Standardisierte Sätze, Rapporte und Contestnummern lassen sich ohnehin bereits mit elektronischen Sprachgeneratoren, den Vocodern, erzeugen. Der Mensch, der sich im Alltagsleben so gern lauthals über ein Zuviel an Verwaltung und nummernhafter Anonymität beschwert, brauchte sich nicht tage- und nächtelang mit der Ausgabe und Fixierung laufender Nummern herumzuschlagen und entnervt vor seiner Station zu sitzen, der Mensch könnte sich erholen und wäre frei für wesentlichere Aufgaben.

Ganz natürlich erfordert ein geordnetes menschliches Zusammenleben gewisse gesetzliche und moralische Normen. Als Individuum und, wie ich hoffe, als Individualist sollte es sich jedoch der Funkamateur überlegen, ob er sich über diese Normen hinaus unnötige Zwänge auferlegen läßt oder ob er nicht besser sein Hobby kreativ ausübt, es zu seiner persönlichen Entfaltung betreibt und zum Wohle seiner Mitmenschen.

2.5. Der Funkamateur baut selbst und hilft sich selbst

Der eigentliche Funk-Amateur produziert nicht in Serie, es sei denn, er gründet eine Amateurfunk-Firma und wird Gerätehersteller. Für den Funk-Amateur gelten nicht REFA, Systemanalyse und Produktionsökonomie. Der Funkamateur kann und sollte es sich leisten, großzügig und aufwendig zu planen und zu bauen und im besten Sinne "Handarbeit" zu leisten. Nicht weniger als die seriöse Industrie richtet auch der anspruchsvolle Amateur sein Hauptaugenmerk auf beste Qualität seiner Geräte. Sie sollten eine lange Lebensdauer besitzen, robust aufgebaut sein, problemlos und zuverlässig arbeiten. Damit diese hohen Anforderungen erfüllt werden, kann der Amateur bewußt die von ihm verwendeten Bauteile in Wert und Qualität überdimensionieren, er kann beliebig lang mittels eigener Versuchsreihen seine Schaltung optimieren und seine Geräte so aufbauen, daß er jederzeit an jedes Schaltelement herankommen und es, wenn nötig, zum Idealwert modifizieren kann. In diesem Sinne sollte es sich der Amateur gut überlegen, ob er platzsparend irreparable, nicht teilmodifizierbare Integrierte Schaltungen einsetzt oder ob er statt dessen diskrete, also einzelfunktionale Bauelemente verwendet und diese dann übersichtlich anordnet. Denn: auch eine mit diskreten Bauelementen bestückte Platine kann relativ klein sein und dennoch klar strukturiert. Sie läßt sich so gestalten, daß sie problemlos veränder- und damit möglicherweise optimierbar ist. Diese Tatbestände ermöglichen es dem Amateur, Reparaturen selbst auszuführen und sich durch Improvisation zu helfen. Auf diese Weise spart er viel Geld. Zudem kann er ohne Hetze und mit größter Sorgfalt arbeiten. Wer dabei nicht aufgibt, der lernt, ruhig, besonnen und geduldig an eine schwierige Aufgabe heranzugehen, er lernt es, systematisch ein Problem zu lösen, einen Fehler einzukreisen und zu beheben. Er erwirbt eine besonders in Notzeiten unerläßliche Fertigkeit, nämlich die Kunst der Improvisation. Ein lizenzierter Funkamateur, der sich technisch nicht zu helfen weiß, der ist in der Tat armselig, und man sollte überlegen, ob man ihm den Umgang mit Sendeleistungen bis zu einem Kilowatt gestatten sollte.

Der echte Amateur ist sich bewußt, wo seine Grenzen liegen. Andererseits schöpft er seine individuellen Möglichkeiten voll aus. Wenn auch nicht als großer Konstrukteur und Entwickler, so kann der Amateur dennoch konstruktiv und kreativ tätig sein und dabei zu befriedigenden Erfolgserlebnissen gelangen. Er hat die Chance, die schöpferische Seite seiner Persönlichkeit auch in seinem Funkamateur-Dasein wirksam werden zu lassen. Es sollte eine wichtige Aufgabe sein und bleiben, möglichst jedem künftigen Lizenzinhaber neben aller Theorie auch die handwerkliche Seite seines Hobbys nahezubringen und ihm diese möglichst "schmackhaft" zu machen. Lizenzkurse sollten auf den Amateur, nicht auf die Industrie zugeschnitten sein.

Wie ich schon betonte, sind seit etwa fünfzehn (!) Jahren die kritischen Leistungsdaten der industriell gefertigten Amateurfunkgeräte (besonders auf dem KW-Sektor) bis auf wenige Ausnahmen nicht verbessert worden. Ist es da nicht wenigstens zum Teil falscher Fortschrittsglaube, wenn man auch inder "Eigenbau-Szene" meint, in getreuer Nachahmung industrieller Konzeptionen alles, aber auch alles durch ICs ersetzen und eine geradezu lächerliche Kleinheit der Geräte anstreben zu müssen?

Für den Amateur sollte statt dessen allein entscheidend sein, seine Station in allen Teilen funktional auf ein möglichst hohes Qualitätsniveau zu bringen - mit welcher Technologie (Röhre, Transistor, IC; "Drahtverhau", Lochraster- oder Printplatte usw.), das sollte allein ihm überlassen bleiben. Der eigentliche Amateur ist nun eben kein Profi: er muß sich davon frei machen, kommerziell lancierten Suggestionen zu erliegen. Wir Funkamateure sollten uns unseres ureigenen Status als ungezwungene, unabhängige Liebhaber einer der interessantesten Beschäftigungen bewußt werden und sollten dankbar zur Kenntnis nehmen, daß es uns der Gesetzgeber noch, ich sage bewußt noch, gestattet, unsere Sende- und Empfangsgeräte selbst zu bauen, selbst zu optimieren, zu warten und zu reparieren: welch eine Freiheit! Wir sollten sie unbedingt nutzen, wir sollten sie kultivieren und mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Nachwort 1: Mikroprozessor, Fortschritt und Amateurfunk

Art. 3 des US-amerikanischen "Amateur's Code" besagt u.a., daß der Funkamateur seine Station auf dem letzten Stand der Wissenschaft zu halten habe (ARRL-Handbook, 54th ed. 1977, p. 6). Dieser Grundsatz scheint für jene Elite-Techniker, die z.Zt. "das Sagen" haben, den alleinigen Wert unseres Hobbys auszumachen. Der von ihnen sehnlichst erwartete und nun endlich konsumierbare Mikroprozessor bietet ihnen willkommenen Anlaß, den Durchschnitts-Amateuren wieder einmal unausweichlichen Fortschritt beizubringen. Der angeblich unaufhaltsame Vormarsch (RTTY 2/78, 39) bzw. Siegeszug (cqDL 5/78, 200) des Mikroprozessors wird in einer Flut von innovativen Aufsätzen kritiklos gefeiert. Ganz natürlich wird dabei verdrängt, daß in naher Zukunft dem Mikroprozessor Hunderttausende von Arbeitsplätzen zum Opfer fallen werden. Es helfe "überhaupt nicht", so schreiben die Herren Boellinger und Walter (DJ 8 VM) in cqDL 5/78, den Kopf in den Sand zu stecken (S. 200) oder den Mikrocomputer nicht zur Kenntnis zu nehmen (ebd.). Ja gewiß, gegen den Strom zu schwimmen war schon immer unbequem. Statt vor möglichen Negativ-Folgen zu warnen, gründet man wie die DAFG e.V. lieber gleich eine "Arbeitsgemeinschaft Mikrocomputer" und schwelgt in zukunftsfrohen Applikationsplänen. Natürlich hat die Industrie ein vitales Interesse daran, ihre Mikroprozessoren samt Peripherieeinheiten auch im Hobby-Bereich abzusetzen. Soweit sie nicht ohnehin als Berufselektroniker oder "Fachhändler" deren Interessen verkörpern, lassen sich die Computer-OMs bedenkenlos vor den Werbe-Karren der Industrie spannen, ja, sie überschlagen sich dabei bisweilen vor Eifer wie die Herren Boellinger und Walter, wenn sie schreiben: "Wehe dem Funkamateur, der nicht in ein bis zwei Jahren über µP's, seine (!) Technologie, Hardware und Software Bescheid weiß. Es wird ihm vielleicht so ergehen wie beim Umschwung von der Röhre zum Transistor." (cqDL 5/78, 200).

Der wirkliche Funk-Amateur sollte sich einmal Zeit lassen zum Nachdenken darüber, ob er den Weg zum alleinig fortschritts-gläubigen "Fachidioten" einschlagen sollte oder ob er nicht besser aus seiner technischen Sachkenntnis heraus neue Technologien daraufhin überprüfen sollte, ob sie wirklich zu einem humanen Fortschritt beitragen.

Nachwort 2: Industrie und Amateurfunk

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß der Amateurfunk in den letzten 30 Jahren und besonders in der westlichen Welt eine rasch voranschreitende Industrialisierung und Kommerzialisierung erfahren hat und daß diese Entwicklung noch längst nicht abgeschlossen ist. Der gesetzlich definierte, besondere Status des lizenzierten Funkamateurs ermöglicht diesem jedoch zumindest theoretisch eine völlige Unabhängigkeit von jeder Fertiggeräte-Industrie. Im Sinne z.B. des bundesdeutschen Amateurfunkgesetzes ist jeder kommerziell betriebene Amateurfunk illegal. Illegal ist somit jegliche zum Zwecke des Profits vorgenommene Herstellung und Veräußerung von Amateurfunkgeräten durch Funkamateure für Funkamateure. Illegal ist ferner die Verwendung von Amateurfunk-Zeitschriften als Werbeträger für kommerziellen Amateurfunk. Bedenklich ist die Zunahme sogenannter Testberichte von Industriegeräten zuungunsten von guten Selbstbau-Anleitungen in solchen Zeitschriften.

Höchst bedenklich ist das z.B. im cqDL feststellbare Anschwellen der überwiegend kommerziell genutzten "Gelben Seiten". Es ist Zeit, die Frage aufzuwerfen, ob sich die Interessen der Gerätehersteller überhaupt mit denen der meisten Funkamateure decken. Generell kann auch heute die These nicht widerlegt werden, daß der technisch qualifizierte Amateur eine Geräte-Industrie nicht benötigt. Andererseits muß sich auch der nur selbstbauende Amateur an der Bauteile-Industrie orientieren, wenn auch nicht ausschließlich, denn er kann ja hochwertige Ausschlacht-Teile verwenden. Er muß sich jedoch zweifellos informieren über Typenreihen, Bauformen und Applikationsmöglichkeiten moderner Elektronik-Komponenten und sobstiger "Hardware", er sollte wissen, wie z.B. hochwertige Industriebauteile in professionellen HF-Geräten eingesetzt werden. Andererseits bedeutet es jedoch keinesfalls, "den Kopf in den Sand zu stecken", wenn man nicht sogleich kritiklos jede sogenannte Innovation akzeptiert, wenn man es wagt, technologische Trends auf ihre Auswirkungen hin zu analysieren, und wenn man die Stirn hat, innerhalb des Amateurfunks auch einmal auf den Amateur-Charakter des Hobbys hinzuweisen. Natürlich stellen viele Firmen ihren Gerätepark alle paar Jahre entsprechend der allerneuesten Technologie um. Dies bedeutet in der Regel erstens eine steuerreduzierende Investition. Zweitens will man mit dem neuen Gerät im harten Konkurrenzkampf bestehen, man will durch ein Mehr an Elektronik rationalisieren, menschliche Arbeitskraft einsparen und dadurch in kürzester Zeit kostengünstig mehr herstellen. Mikroprozessor-gesteuerte Fertigungsroboter bekommen kein Gehalt, haben keinen Anspruch auf Jahresurlaub, Krankenkassen- und Versicherungszuschüsse, sie zeigen keine Montagslaunen und arbeiten in der Regel gleichbleibend zuverlässig. Elektronisierung und Automation bedeuten in der Industrie immer Erhöhung der Effektivität und zugleich des Profits. Im privaten Bereich können sie gleichbedeutend sein mit einer Erleichterung des Lebens, sie machen jedoch den Einzelnen im selben Maße immer abhängiger vom Händler und vom Reparatur-Spezialisten. In dem Maße, wie elektronisiert, miniaturisiert und integriert wird, in dem Maße verliert selbst der Ingenieur und Techniker heute immer mehr seinen Durchblick und damit sein individuelles Eingreif-Vermögen. Der Techniker und erst recht der Technik-Amateur werden immer abhängiger und hilfloser, vor allem in potentiellen Katastrophen-Fällen. Gerade der Funkamateur, der in Not-Situationen anderen helfen will und der dann im Hinblick auf Gerätewartung und -reparatur weitgehend auf sich selbst angewiesen ist, sollte ernsthaft überdenken, ob er sich kritiklos dem Trend einer totalen Integration und Digitalisierung der gesamten NF-, HF- und Regeltechnik anschließen sollte. Frei vom Zwang zu schneller Produktion und frei von Profitinteressen, sollte der Amateur auch frei sein in seiner technischen Entfaltung.

Diejenige Toleranz, die jeder gern für sich selbst in Anspruch nimmt, sollte seitens der Verantwortlichen auch den ungezählten Funkamateuren entgegengebracht werden, die infolge knappster Freizeit und stark eingeschränkter Geldmittel keine komplexen Vorhaben verwirklichen können und sich aus der "Bastelkiste" behelfen müssen: deshalb und aus anderen Gründen werden sie gewiß nie zur Techniker-Avantgarde zählen. Sie, die Mehrzahl der Funkamateure, finanzieren jedoch mit ihren Mitglieds- oder Abonnentenbeiträgen die Amateurfunk-Fachzeitschriften, in denen ihre Amateur-Interessen meist nur so geringfügig vertreten sind. Auch einem sich offiziös gebenden "Fachorgan" würde es recht gut anstehen, klar verständliche Darstellungen und problemlos realisierbare Bauanleitungen zu publizieren. Die - meist aus der Industrie kommenden - verantwortlichen Redakteure sollten bedenken, daß sich viele OMs außer einer Clubmitgliedschaft, dem Bezug einer Fachzeitschrift und dem Druck ihrer QSLs keine größeren Ausgaben leisten können. Selbstverständlich wollen auch sie über die technischen Fortschritte informiert werden, aber nicht ausschließlich.

Die Rolle von Industrie und Handel innerhalb des bisher als nicht-kommerziell definierten Amateurfunks muß schnellstens einer gesetzlichen Klärung zugeführt werden. Alle an einem derartigen Klärungsprozeß Beteiligten sollten sich bewußt werden, daß auch heute noch im sozialen Sinne nur derjenige Amateurfunk eine Zukunftschance haben kann, der allen Begabten, auch den armen, offensteht, der persönliche Kreativität ausdrücklich propagiert und fördert und der einer erbarmungslosen Kommerzialisierung auf Dauer Einhalt gebietet.

Nachwort 3: Amateurfunk - ein humanes Hobby

Ich habe versucht, in entschiedener Gegen-Position zu industriellen und kommerziellen Profitinteressen und Manipulationstechniken Eigenschaften und Möglichkeiten des Amateurfunks herauszuarbeiten, die man als menschliche Werte bezeichnen könnte. Dem kritischen Beobachter unserer Tage wird nicht entgehen, daß - trotz aller Modernität und "Progressivität" der Anschauungen - noch immer und gerade wieder das 'Objekt Mensch' in vieler Hinsicht manipuliert, nivelliert, uniformiert wird. Gerade jetzt bieten sich in unserem Hobby großartige Chancen, sich als freies, selbständiges, unabhängiges Individuum zu verwirklichen. Der Funkamateur, der sich als kritikfähiger Mensch befreit von den menschenfeindlichen Zwängen eines bedenkenlosen Industriegüterkonsums und Prestige-Denkens, kann seine Persönlichkeit durch wertvolle Einsichten und praktische Fertigkeiten bereichern; in sinnvoller Kombination bewährter Technologien und eigener Ideen kann er schöpferisch wirken; aus wachsender Sachkenntnis heraus kann er sich kritisch mit modernster Technik auseinandersetzen, und - last not least - kann er sein wertvolles Hobby zum Wohle seiner Mitmenschen ausüben.

Wir alle sollten dazu beitragen, den Amateurfunk besonders für alle "Außenstehenden" und dann für unsere "Newcomer" so attraktiv wie möglich zu gestalten. Es darf nicht geschehen, daß ernsthaft Interessierte durch die Arroganz und den Elite-Dünkel von Super-Funkamateuren oder durch eine rücksichtslose Kommerzialisierung unseres Hobbys abgestoßen werden.

Eines sollten wir immer bedenken: von Technik-Bereichen wie z.B. Elektroakustik, Hobby-Elektronik, Modellbau und Modell-Fernsteuerung usw. unterscheidet sich der ebenfalls hochtechnisierte Amateurfunk im wesentlichen durch die bereits eingangs erwähnten humanitären Zielsetzungen. Im zwischenmenschlichen Bereich und nicht zuletzt auf internationaler Ebene sind diese Ziele die einzige Garantie für eine ungefährdete Zukunft des traditionellen Amateurfunks.

Nicht durch finanzielle und technische Protzerei, durch Leistungs- und Datenfetischismus und durch elitäre Arroganz, sondern durch die Besinnung auf das menschlich Verbindende können wir noch verhindern, daß uns eines Tages das ohnehin bereits angekratzte Verständnis der Öffentlichkeit entzogen wird und daß wir unsere Frequenzbänder und Lizenzen verlieren.

(c) Wolfgang Näser, DK 1 KI * Stand: 10.7.2k6 (zuvor 08/78, 08/96, 12/98, 2/02 usw.)