"Wenn die Mitarbeiter sich nicht wohlfühlen, können sie ihre volle Leistung nicht entfalten." (D. LORENZ) Zu einem Expertengespräch hatte die in Köln-Porz ansässige Filiale der Firma KNÜRR für den 24.10.1996 eingeladen: im Mittelpunkt stan- den "die EU-Richtlinie zum Bildschirmarbeitsplatz und ihre Umsetzung in das deutsche Arbeitsschutzrecht". Nach einer Begrüßung durch Geschäftsführer BRASSEL ("Unser wertvoll- stes Gut sind unsere Mitarbeiter") stellte der Arbeitswissenschaft- ler Prof.Dr.-Ing. Dieter LORENZ von der FH Gießen-Friedberg die EU- Richtlinie vor und erläuterte den am 8.11. zur Beratung anstehenden Entwurf einer bundesdeutschen Verordnung zur Arbeit an Bildschirm- Geräten. Hauptziel der Verordnungen ist eine Verbesserung der Arbeitsumwelt zum allseitigen Nutzen: die an Bildschirmen Arbeitenden würden, so Lorenz, "glücklich" und nicht gestreßt nach Hause gehen, arbeiteten sie in ergonomisch stimmiger Umgebung und wären sie optimal moti- viert. Das betrifft zum einen das entsprechende Mobiliar und damit auch die Anordnung der für BS-Arbeit nötigen Komponenten (CPU, Ta- statur, Maus, Drucker, Bildschirm), zum anderen die Sitz- oder Ar- beitshaltung (verlagert sich der Körper leicht nach vorn und ver- liert die Wirbelsäule ihren rückwärtigen Halt, so lastet auf den Bandscheiben ein Druck von über 200 kp); wichtig ist auch die Tat- sache, daß der Scharfsehbereich nur etwa +/- 15° betrifft, das hat Konsequenzen für die Texterkennung und -bearbeitung auf dem Bild- schirm: dieser muß 1. eine hohe Bildwiederholfrequenz aufweisen (min. 73 Hz), 2. reflexionsfrei sein, 3. eine mühelose Zeichenerkennung gewährleisten (s. auch unten) s. hierzu auch meinen Text "Tips für Bildschirm-Arbeiter"! Entsprechend muß die Anwendersoftware individuell angepaßt bzw. konfiguriert werden, das gilt z.B. für den farblichen Hintergrund und die Bildschirmfonts einer Textverarbeitung. Die europäische Rahmenrichtlinie ist in das deutsche "Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz)" umgesetzt worden; dieses ist seit dem 21. August 1996 in Kraft. Von dem Arbeitgeber gefordert wird per 21. August 1997 eine Doku- mentation der Arbeitsplatzbeurteilung. Es geht um folgende Forderun- gen: "Der Arbeitgeber hat Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich der menschenge- rechten Gestaltung der Arbeit durchzuführen. Hierbei hat er Gefah- ren an der Quelle zu bekämpfen, den Stand der Technik, Arbeitsmedi- zin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Die Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluß der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen." Die entsprechende 5. Einzelrichtlinie soll noch Ende 1996 im 1:1-Verfahren national umgesetzt werden in Gestalt einer "Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Bildschirmarbeit-Verordnung)". Zum Punkt "Arbeit an Bildschirmgeräten" formuliert Artikel 3 der EG-Richtlinie: (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, eine Analyse der Arbeits- plätze durchzuführen, um die Sicherheits- und Gesundheitsbedingun- gen zu beurteilen, die dort für die beschäftigten Arbeitnehmer vor- liegen; dies gilt insbesondere für die mögliche Gefährdung des Seh- vermögens sowie für körperliche Probleme und psychische Belastungen. (2) Der Arbeitgeber muß auf der Grundlage der Analyse gemäß Absatz 1 zweckdienliche Maßnahmen zur Ausschaltung der festgestellten Ge- fahren treffen, wobei er die Addition und/oder die Kombination der Wirkung der festgestellten Gefahren zu berücksichtigen hat. Zu § 4 "Arbeitsplatzanalysen" heißt es u.a.: Die Arbeitsplatzanalyse ist vorzunehmen: 1. bei der Inbetriebnahme, 2. bei jeder wesentlichen Änderung des Arbeitssystems, 3. im Einzelfall an einem Arbeitsplatz, wenn an diesem Arbeitsplatz Beschwerden auftreten, die auf die Arbeit an Bildschirmgeräten zurückgeführt werden können. Artikel 4 der EWG-Richtlinie 89/391 betrifft erstmals in Betrieb genommene Arbeitsplätze: Der Arbeitgeber muß die zweckdienlichen Maßnahmen treffen, damit Arbeitsplätze, die nach dem 31. Dezember 1992 erstmals in Betrieb genommen werden, die im Anhang genannten Mindestvorschriften er- füllen. Artikel 5 betrifft bereits in Betrieb befindliche Arbeitsplätze und lautet: Der Arbeitgeber muß die zweckdienlichen Maßnahmen treffen, damit die Arbeitsplätze, die bereits vor dem 31. Dezember 1992 in Be- trieb genommen wurden, so gestaltet werden, daß sie spätestens vier Jahre nach diesem Zeitpunkt die im Anhang genannten Mindest- vorschriften erfüllen. Artikel 6 betrifft die Unterrichtung und Unterweisung der Arbeit- nehmer und verfügt hierzu: (1) Unbeschadet des Artikels 10 der Richtlinie 89/391 EWG sind die Arbeitnehmer umfassend über alle gesundheits- und sicher- heitsrelevanten Fragen im Zusammenhang mit ihrem Arbeitsplatz und insbesondere über die für die Arbeitsplätze geltenden Maß- nahmen, die gemäß Artikel 3 sowie gemäß den Artikeln 7 und 9 durchgeführt werden, zu unterrichten. In jedem Fall sind die Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerver- treter über alle gesundheits- und sicherheitsrelevanten Maß- nahmen, die gemäß der vorliegenden Richtlinie getroffen wer- den, zu unterrichten. (2) Unbeschadet des Artikels 12 (...) ist jeder Arbeitnehmer außer- dem vor Aufnahme seiner Tätigkeit am Bildschirm und bei jeder wesentlichen Veränderung der Organisation des Arbeitsplatzes im Umgang mit dem Gerät zu unterweisen. Artikel 7 sagt zum täglichen Arbeitsablauf: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Tätigkeit des Arbeitnehmers so zu organisieren, daß die tägliche Arbeit an Bildschirmgeräten durch Pausen oder andere Tätigkeiten unterbrochen wird, die die Belastung durch die Arbeit an Bildschirmgeräten verringern. Artikel 8: Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer Die Arbeitnehmer und/oder die Arbeitnehmervertreter werden gemäß Artikel 11 der Richtlinie 89/391 EWG zu den unter die vorliegende Richtlinie sowie deren Anhang fallenden Fragen gehört und an ihrer Behandlung beteiligt. Artikel 9: Schutz der Augen und des Sehvermögens der Arbeitnehmer (1) Die Arbeitnehmer haben das Recht auf eine angemessene Untersu- chung der Augen und des Sehvermögens durch eine Person mit ent- sprechender Qualifikation, und zwar o vor Aufnahme der Bildschirmarbeit, o anschließend regelmäßig und o bei Auftreten von Sehbeschwerden, die auf die Bildschirm- arbeit zurückgeführt werden können. (2) Die Arbeitnehmer haben das Recht auf eine augenärztliche Unter- suchung, wenn sich dies aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung gemäß Absatz 1 als erforderlich erweist. (3) Den Arbeitnehmern sind spezielle Sehhilfen für die betreffende Arbeit zur Verfügung zu stellen, wenn die Ergebnisse der Unter- suchung gemäß Absatz 2 ergeben, daß sie notwendig sind und nor- male Sehhilfen nicht verwendet werden können. (4) Die gemäß diesem Artikel getroffenen Maßnahmen dürfen in keinem Fall zu einer finanziellen Mehrbelastung der Arbeitnehmer führen. (5) Der Schutz der Augen und des Sehvermögens der Arbeitnehmer kann Bestandteil eines nationalen Gesundheitsfürsorgesystems sein. Für einen jeden Arbeitsplatz gelten "multifunktionelle Beziehungen zwischen Ursache (Belastung), und Wirkungen (Beanspruchungen)"; Beanspruchungen resultieren in "vorübergehenden oder manifesten Be- findlichkeitsstörungen", z.B. Beansprunchungen der Augen, des Stütz- und Bewegungsapparates (Muskeln, Wirbelsäule u.a.) und der Psyche. Arbeitswissenschaftliche Feldforschung (Analysen vor Ort, Gespräche mit Arbeitnehmern, Führungskräften und Arbeitsschützern sowie Bau- und Beschaffungsplanern) führten zu einem Katalog von Mindestanfor- derungen, z.B. hinsichtlich der Dimensionen des Arbeitstisches (Ar- beitsfläche min. 1,28 m², Mindesttiefe 0,80 m) und der Raumgestal- tung (Platzbedarf pro Mitarbeiter min. 1,50 m², Breite des Verkehrs- weges min. 80 cm, freier Zugang zu Fenster und Heizung, ausreichen- de Beleuchtung, blendfreier Bildschirm, höhenverstellbarer Tisch usw.). Die hierzu erlassenen Mindestvorschriften der EG-Richtlinie formulieren in Artikel 4 und 5 allgemein: 1. Geräte a) Allgemeine Bemerkung Die Benutzung des Gerätes als solches darf keine Gefährdung des Arbeitnehmers mit sich bringen. b) Bildschirm Die auf dem Bildschirm angezeigten Zeichen müssen scharf und deutlich, ausreichend groß und mit angemessenem Zeichen- und Zeilenabstand dargestellt werden. Das Bild muß stabil und frei von Flimmern sein und darf keine Instabilität anderer Art aufweisen. Die Helligkeit und/oder der Kontrast zwischen Zeichen und Bild- schirmhintergrund müssen leicht vom Benutzer eingestellt und den Umgebungsbedingungen angepaßt werden können. Der Bildschirm muß zur Anpassung an die individuellen Bedürf- nisse des Benutzers frei und leicht drehbar und neigbar sein. Ein separater Ständer für den Bildschirm oder ein verstellbarer Tisch kann ebenfalls verwendet werden. Der Bildschirm muß frei von Reflexen und Spiegelungen sein, die den Benutzer stören können. c) Tastatur Die Tastatur muß neigbar und eine vom Bildschirm getrennte Ein- heit sein, damit der Benutzer eine bequeme Haltung einnehmen kann, die Arme und Hände nicht ermüdet. Die Fläche vor der Ta- statur muß ausreichend sein, um dem Benutzer ein Auflegen von Händen und Armen zu ermöglichen. zur Vermeidung von Reflexen muß die Tastatur eine matte Ober- fläche haben. Die Anordnung der Tastatur und die Beschaffenheit der Tasten müssen die Bedienung der Tastatur erleichtern. Die Tastenbeschriftung muß sich vom Untergrund deutlich genug ab- heben und bei normaler Arbeitshaltung lesbar sein. d) Arbeitstisch oder Arbeitsfläche Der Arbeitstisch bzw. die Arbeitsfläche muß eine ausreichend große und reflexionsarme Oberfläche besitzen und eine flexible Anordnung von Bildschirm, Tastatur, Schriftgut und sonstigen Arbeitsmitteln ermöglichen. Der Manuskripthalter muß stabil und verstellbar sein und ist so einzurichten, daß unbequeme Kopf- und Augenbewegungen so weit wie möglich eingeschränkt werden. Ausreichender Raum für eine bequeme Arbeitshaltung muß vorhanden sein. e) Der Arbeitsstuhl Der Arbeitsstuhl muß kippsicher sein, darf die Bewegungsfrei- heit des Benutzers nicht einschränken und muß ihm eine bequeme Haltung ermöglichen. Die Sitzhöhe muß verstellbar sein. Die Rückenlehne muß in Höhe und Neigung verstellbar sein. Auf Wunsch ist eine Fußstütze zur Verfügung zu stellen. 2. Umgebung a) Platzbedarf Der Arbeitsplatz ist so zu bemessen und einzurichten, daß aus- reichend Platz vorhanden ist, um wechselnde Arbeitshaltungen und -bewegungen zu ermöglichen. b) Beleuchtung Die allgemeine Beleuchtung und/oder die spezielle Beleuchtung (Arbeitslampen) sind so zu dimensionieren und anzuordnen, daß zufriedenstellende Lichtverhältnisse und ein ausreichender Kon- trast zwischen Bildschirm und Umgebung im Hinblick auf die Art der Tätigkeit und die sehkraftbedingten Bedürfnisse des Benut- zers gewährleistet sind. Störende Blendung und Reflexe oder Spiegelungen auf dem Bild- schirm und anderen Ausrüstungsgegenständen sind durch Abstim- mung der Einrichtung von Arbeitsraum und Arbeitsplatz auf die Anordnung und die technischen Eigenschaften künstlicher Licht- quellen zu vermeiden. c) Reflexe und Blendung Bildschirmarbeitsplätze sind so einzurichten, daß Lichtquellen wie Fenster und sonstige Öffnungen, durchsichtige oder durch- scheinende Trennwände sowie helle Einrichtungsgegenstände und Wände keine Direktblendung und möglichst keine Reflexionen auf dem Bildschirm verursachen. Die Fenster müssen mit einer geeig- neten verstellbaren Lichtschutzvorrichtung ausgestattet sein, durch die sich die Stärke des Tageslichteinfalls auf den Ar- beitsplatz vermindern läßt. d) Lärm Dem Lärm, der durch die zum Arbeitsplatz (zu den Arbeitsplätzen) gehörenden Geräte verursacht wird, ist bei der Einrichtung des Arbeitsplatzes Rechnung zu tragen, insbesondere um eine Beein- trächtigung der Konzentration und Sprachverständlichkeit zu ver- meiden. f) Strahlungen Alle Strahlungen, mit Ausnahme des sichtbaren Teils des elek- tromagnetischen Spektrums, müssen auf Werte verringert werden, die vom Standpunkt der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer unerheblich sind. g) Feuchtigkeit Es ist für ausreichende Luftfeuchtigkeit zu sorgen. "Ausreichend" darf nicht willkürlich definiert werden, sondern ist stets im Sinne gesundheitlicher Mindestanforderungen zu verstehen. Das Argument, man sitze sich zu hause vor dem Fernseher den Rücken krumm oder verbringe die Nacht auf einer 15 Jahre alten Matratze, ruiniere sich also im wesentlichen außerhalb der Arbeit seine Ge- sundheit, darf nicht gelten; der Arbeitgeber ist gefordert, mit seiner Arbeitsumgebung Maßstäbe zu setzen und damit vorbildlich und ggf. korrigierend die Gesamtpersönlichkeit der ihm anvertrau- ten Menschen mitzuprägen. Neben der apparativen und räumlichen Aus- stattung (auf die besonders der Zweitreferent Markus SCHMIDT von der KNÜRR-Entwicklungsabteilung einging) gehört dazu eine motivie- rende und kreative Freiräume schaffende Personalführung. Was die - nicht unwesentliche - psychische Komponente des Arbeitslebens und -umfelds betrifft, so muß Ziel sein und bleiben, persönliches Engagement und persönliche Initiative zu schätzen und zu honorie- ren, das arbeitsschädliche Zelebrieren vorgegebener Machtstruktu- ren abzubauen und in kollegialer und "titelübergreifender" Weise effektiv und zum Wohle aller zusammenzuarbeiten. Marburg, den 25. Oktober 1996 Dr. Wolfgang Näser