KOSOVO-KRIEG:

2. DAS TAGEBUCH DER ERSTEN WOCHE

von Wolfgang NÄSER, Marburg

Schreiben, meinte Franz KAFKA, sei eine Form des Gebets. Jahrhunderte zuvor glaubte man an die Magie des Wortes. Schreiben ist ein verzweifelter Versuch, Geschehenes einzuordnen, Künftiges zu erahnen - und hier der Ohnmacht Ausdruck zu verleihen, die heute ebenso da ist wie früher, als unsere Eltern, denen wir Vorwürfe machten, das wohl Unvermeidliche auch nicht abwenden konnten.

23.3.99
Es ist 19:03, "Heute" im ZDF. Innerhalb von 24 h wird es Luftangriffe auf Serbien geben.
Milosevic
hat sich bis zuletzt geweigert, die ihm gestellten Bedingungen anzunehmen, ist wie ein Teufel, will angegriffen werden. Es kommt noch ein Korrespondentenbericht (Brodbeck) aus Belgrad. Offensichtlich will er, in seinem Lande, eine Art Saddam Hussein werden. Frühestens morgen früh können die ersten Tomahawk-Cruise Missiles starten. Auch die 16 deutschen Tornados werden vom ersten Moment an mitmachen, sie starten von Aviano aus in Italien. Serbien hat im Kosovo 18.000 Soldaten und sehr moderne Luftabwehrstellungen. Die Lufthansa hat ihre Flüge nach Belgrad eingestellt. Fischer: Die USA diskutieren alle Schritte mit Rußland. CSU-Glos: wir stehen hinter der Bundesregierung. 3000 deutsche Soldaten stehen in Mazedonien. Auch für sie kann es ernst werden.

24.3.99
Die NATO hat im Kosovo noch immer nicht zugeschlagen, das nervt, auch die Berichterstattung, in der sich ein erneutes "falls überhaupt" breitmacht. - Primakow habe mit Milosevic telefoniert, heißt es im hr (15:07). In Belgrad wurden die Sendeanlagen des hr-Korrespondenten beschlagnahmt, B 92, der oppositionelle Sender, wurde dort auch "gekappt". Der Korrespondent Thomas Morawski spricht nur noch über Telefon. Berliner EU-Gipfel im Schatten der Gedächtniskirche; am Straßenrand jede Menge Ü-Wagen mit Satelliten-Antennen. - Gerd H. Pelletier berichtet. Daß die NATO noch nicht losgeschlagen hat, ist, denke ich, in der Angst vor dem starken Gegner Jugoslawien begründet (starke Abwehrstellungen, MiG 21 und MiG 29).

19:03 Noch keine NATO-Angriffe. - Beide B-2-Bomber kosten 2,2 Milliarden Dollar, höre ich eben. ZDF: Petra Gerster berichtet aus Piacenza. Gerade heben Tornados ab (19:09), vollbewaffnet. Fast eine Stunde haben Clinton und Jelzin telefoniert. Jelzin, im Fernsehen, bittet alle, an Clinton zu appellieren, von den Angriffen abzusehen. Außenminister Iwanow: es bestünden weiter Kontakte nach Belgrad. - Der Berliner EU-Gipfel hat heute morgen an Milosevic appelliert. Gerhard Schröder gibt sich sehr souverän.

19:30 Ist nun Krieg im Balkan? Zahlreiche Flugzeuge seien von Aviano aus gestartet, berichtet das ZDF. Die Tarnkappenbomber F-117 werden nun durch GPS gesteuert, das sei viel genauer als im Golfkrieg. Ihre Bomben, bunker buster, können, lasergesteuert, sogar meterdicken Beton durchschlagen. Vor einer Stunde ist Milosevic im Fernsehen aufgetreten und hat kein Einsehen gezeigt. Hauptziel der Aktion sei es, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Wehrexperte Peter Lock hält die Gefährlichkeit der jugoslawischen Armee übertrieben, andererseits bezweifelt er, daß das humanitäre Ziel mit einer derartigen Aktion zu erreichen sei.

19:44 Zoran Jeremic, der jugoslawische Botschafter, behauptet, in Rambouillet sei eigentlich nicht verhandelt worden. Den vorgeschlagenen Vertrag bezeichnet er als Diktat. Die "blanke Aggression" der NATO geschehe ohne jede Berechtigung. Die gezeigten Bilder seien ebenso ausgewählt, als wenn man jeden Tag Nazi-Demonstranten zeige und sagte, das sei das Deutschland von heute. Bei den in Deutschland lebenden 800.000 Serben, die bisher hier friedlich gelebt hätten, könnten jetzt sehr unangenehme Erinnerungen an die Geschichte aufkommen. "Serbien, Rußland ist mit Euch", heißt es auf Demonstrationsplakaten in Moskau. Premier Primakow, der heute morgen in die USA fliegen wollte, hat auf halber Strecke das Flugzeug wenden und nach Rußland zurückfliegen lassen. Beginn einer neuen Eiszeit?

Morgen sieht Europa ganz anders aus als heute, sagt Igor Maximytschew vom Europa-Institut der Wissenschaften in Moskau. Seit 1945 gebe es den ersten Krieg in Europa. (Seltsam, daß niemand an den Einmarsch in Ungarn (1956) und Prag (1968) erinnert, wo russische Panzer harmlose Demonstranten niedermachten.) Der Westen wolle ein Blutvergießen durch ein noch größeres stoppen. Klaus-Peter Siegloch in Washington ist skeptisch, ob es wirklich zu einer neuen "Eiszeit" komme: Moskau wäre pleite ohne westliche Hilfe, Primakow habe sich in Washington ja neues Geld holen wollen. 19:59 Karin Storch aus Brüssel: es gehe nur noch um Minuten. Die Luftoperationen über Jugoslawien hätten begonnen.

20:02 Tagesschau: Ein Nato-Sprecher habe bestätigt, daß die erste Angriffswelle laufe. 20:13 40 Flugzeuge seien gestartet, darunter auch deutsche Tornados; Einschläge bei Pristina werden gemeldet.

21:04 Ernst-Otto Czempiel in hr3. Der Nato-Einsatz verstärke die Eskalation im Kosovo. Er sei völkerrechtlich illegal. Eine neue Meldung eingetroffen: Jelzin behalte sich militärische Schritte vor. Die Nato verletze auch eine Weltordnung, die uns 50 Jahre geschützt habe und noch weitere 50 J. hätte schützen können. Die Nato sei nicht gegründet worden, um als Expeditionskorps Bürgerkriege zu schützen.

25.3.99, 16:10 Lage spitzt sich zu, 2. Angriffswelle am frühen Morgen.

18:10 In Mazedonien wird gegen die NATO demonstriert. Man hat Angst vor Weiterungen. Korrespondent Arndt Wittenbergs Fernsehkontakt wurde abgebrochen, er muß über Telefon weitersprechen.

Jelzin hat sich heute moderater geäußert, will Gewalt nicht mit Gewalt beantworten; moralisch gesehen seien die Russen der Nato überlegen. Waffenhilfe für YU solle es nicht geben. Damit ist Milosevic nicht zufrieden, will Unterstützung.

20:11 Der Flughafen von Tirana soll ausschließlich der NATO zur Verfügung stehen. In Skopje kam es zu Demonstrationen vor der US-Botschaft. Die mazedonische Polizei griff nicht ein. Die Botschaft war schon geräumt.

20:32 AP meldet, von US-Kriegsschiffen seien weitere 18 Marschflugkörper gestartet worden; die Angriffe seien intensiver gewesen als gestern. Oberst Gertz, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, wird interviewt; ist Gegner des Bodentruppeneinsatz, für den es weder Mandat gebe noch völkerrechtliche Grundlage. Ivan Ivanji, serbischer Schriftsteller und ehemaliger Tito-Übersetzer: Milosevic wird nicht nachgeben, auch er sei furchtbar erregt über den "Computer-Krieg" gegen die Menschen. Der Teil, der gegen Milos. war, müsse jetzt schweigen. Es gehe um die angemessenen Mittel; ab gestern habe ein Bündnis sich das Recht genommen, sich über Völkerrecht hinwegzusetzen. Es gebe 2 Möglichkeiten: die Nato zieht sich zurück und überläßt die Menschen ihrem Schicksal, dann hätte Milosevic gewonnen; zweitens könne es doch zum Einsatz von Bodentruppen kommen, er sehe keinen rechtlichen Unterschied zu den Luftschlägen. Franz-Lothar Altmann, Leiter des Südostinstituts München: rund 90% der Bevölkerung hinter Milosevic. Belgrad meldet 2 Explosionen am Stadtrand, auch in Pristina sind mehrere Raketen eingeschlagen. Altmann meint, auch Albanien könne mit hineingezogen werden. Paramilitärische Einheiten könnten wechselweise über Zivilisten herfallen. Die militärische Option habe keinen klaren Ausgang. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Organklage der PdS auf Untersagung des Einsatzes zurückgewiesen.

26.3.99, 10:20 12:02 Die Luftangriffe gehen unvermindert weiter, die nächste Welle läuft, wieder sind von GB aus B-52 gestartet. Auch in Montenegro, das sich raushalten wollte, erfolgten Einschläge.

20:02 Der Konflikt weitet sich aus: Über Bosnien-Herzegowina wurden 2 YU-MiGs abgeschossen, die versucht hatten, dort die SFOR-Einheiten anzugreifen. In Belgrad dürfen ausländ. Reporter wieder filmen, wenn es die Zensur erlaubt. Unter dem Kriegsrecht in YU sei die Kriminalität gesunken. Vermehrt Greueltaten im Kosovo. Luftangriffe könnten derartige Gewalttaten nicht verhindern. NATO-Vertreter aus Moskau ausgewiesen. Jelzin hat hohe Militärs in den Kreml zu einer Sitzung gerufen. Iwanow: NATO-Aktion = Völkermord, der gerichtlich zu ahnden sei. Für die russ. Regierung werde, so Thomas Roth, es immer schwerer, die Balance zu halten. Rußland scheiterte im UN-Sicherheitsrat mit seinem Antrag, die Angriffe einzustellen. Madeleine Albright richtete sich via Satellit in serbischer Sprache an YU. Die Griechen forderten ein Ende der Militäraktion und Italien hält sich faktisch neutral. D'Alema: italien. Kontingente sollten nicht involviert werden. Wir die ital. Regierung gestürzt und durch eine kommunistisch-linke ersetzt, können die Jets nicht mehr von Italien aus starten. Die deutschen Jets haben über YU Waffen eingesetzt. Der YU-Botschafter kündigte die diplomatischen Beziehungen mit DL. Die Lage wird schlimmer, als ich am Nachmittag gedacht hatte; wären wir doch bloß neutral geblieben. Man müßte die Zeit um eine Woche zurückdrehen können. Ich möchte jetzt nicht in Schröders Haut stecken, vor allem nicht in der Joschka Fischers. Er hat mit seinem Handeln die grünen Ideale verraten. Nur die PDS hat unverrückbar, unverbrüchlich an ihrer Meinung festgehalten. Wenn ich so Schröder reden höre und sehe, bleibt nur übrig zu urteilen, daß man hier einen perfekten Demagogen vor sich hat. Aber was wäre mit Kohl? Wie hätte sich jener verhalten? Kohl hat heute im Bundestag am Rande ein offenbar sehr freundliches Kurzgespräch mit Fischer.

27.3.99, 10:13 Letzte Nacht die bisher schwersten Bombenangriffe auf YU gegeben; in Belgrad wurde u.a. eine Arzneimittelfabrik getroffen und es traten giftige Gase aus. Muß permanent an die Weltlage denken und daß man ohnmächtig zusehen muß, wie sich eine Prophezeihung erfüllt. Der ganze Balkan ist auf Jahrzehnte zur Instabilität verbannt. Warum, statt der Luftangriffe, zuvor keine geheimdienstlichen Aktivitäten? Vermutlich ging es nur um Waffen-Tests. Wir können nur hoffen, so die N3-Talkshow-Moderatorin, daß unseren Soldaten nichts geschieht und der Konflikt möglichst schnell beigelegt wird.

In ntv: Der NATO geht die Luft viel eher aus; 40 Luftziele seien lächerlich gegen 2000 Panzer, die am Boden zu besiegen wären. Athen: 10.000 teils gewalttätige Demonstranten. Kein Ende der Luftangriffe in Sicht. Im Kosovo rächen sich Serben an Kosovaren. Diese paramilitärische und zivile Gewalt wird sich noch steigern, befürchten die Experten. Serbische Truppen setzen ihre Offensive im Kosovo fort. Die UCK soll ausgelöscht werden. Die russischen Einheiten der bosnischen SFOR-Friedenstruppe wurden aus Protest dem NATO-Kommando entzogen. Jetzt kann nur noch ein Wunder helfen. Die Frauen der betroffenen Gebiete und Nationen sind aufgerufen. Um 15:00 wird die NATO eine Stellungnahme abgeben.

Sorgen macht mir auch die Nähe des Fliegerhorsts Nordholz. Von dort aus ist regelmäßig die Bréguet Atlantic in der Luft und auch amerikanische Überschall-Jets können hier landen und starten. Das gilt auch für den 3km langen, schnur- geraden Autobahnstreifen in der Nähe.

Die Produktwerbung tut so, als gebe es keinen Krieg. Nach der CeBit überschlagen sich preiswerte PC-Angebote. Tauchen Sie ein in die Erlebniswelt von Premiere, heißt es, als hätten wir nicht schon Action genug.

Das zerbombte Pristina wurde zur Geisterstadt. Plünderer ziehen durch die Straßen. Die NATO wolle in Phase zwei die serbischen Bodentruppen angreifen. Jelzin hat Milosevic und dem YU-Volk die Hilfe Rußlands zugesagt. Mazedonien sieht sich überfordert, Albanien will weitere 15.000 Kosovaren aufnehmen.

Auch die serbische Opposition kritisierte inzwischen die Angriffe. Zoran Djindjic: in Zukunft noch mehr Gewalt, noch mehr Destabilisierung.

13:12 Aus Piacenza wird Optimismus vermittelt. Der Kommodore, ein Oberst, bezeichnet die Motivation seiner Piloten als überraschend hoch. Nicht nur Nadelstiche werde es geben, so die NATO, sondern man werde so lange angreifen, bis Milosevic einlenke. Betroffen ist Montenegro, die Luftangriffe auch auf dieses Land könnte der dortigen Regierung zum Verhängnis werden. Auch hier kann die Wut der Bevölkerung in unkontrollierte Gewalt umschlagen. Im Kosovo, so eine Zeugin per Telefon, seien verschiedene Menschen massakriert und verbrannt worden; auch die Häuser habe man zerstört.

17:22 Gernot Erler (SPD) via N3, in Rambouillet hätten die Kosovaren unterschrieben und zugesichert, die UCK zu entwaffnen - das sei Fakt. So wie Djindjic argumentiere, gebe es offenbar in Belgrad keine Opposition mehr. Hier wird mehr oder weniger offen Geld für die UCK gesammelt. Z.Zt. neuer Angriff, neues Bombardement. Dr. Hans-Joachim Gießmann, Friedensforscher, meint auch, daß die Lage bedrohlicher werde, weil sich die Krise ausweiten könne. "Offensichtlich sich ausbreitende Hilflosigkeit": jetzt müsse die Politik handeln. Die USA habe jetzt in der NATO das Sagen, ihre globale Rolle spiele sie aus, so auch hier.

28.3.99, 10:21 Inzwischen ist ein Tarnkappenbomber (stealth fighter) F-117A (Wert: 100 Mio Dollar) über YU abgestürzt; der Pilot wurde von einer Spezialeinheit geborgen und in einem NATO-Stützpunkt in Sicherheit gebracht. Größerer Bruder der F117A ist der Stealth Bomber (B 2, Wert per Stück 2 Mia. Mark). Die NATO setzt ihre Angriffe fort. Ggf. sollen Fallschirmjäger eingesetzt werden. In der bereits genehmigten und begonnenen Phase II sollen Panzer und Artillerieeinheiten angegriffen werden. A10-Maschinen (Fairchild Republic, "Panzerknacker") und Prowlers stoßen hinzu. Bislang wurden rund 90 Militäreinrichtungen getroffen. In Sidney wurde bei einer Demo Clinton mit Hitler verglichen. Radio B 92 informiert jetzt nur noch per Internet. Zoran Djindjic sieht schwarz für die Zukunft, vor allem deshalb, weil auch wirtschaftliche Ziele einbezogen werden sollten und zweifelhaft sei, worum es in diesem Krieg eigentlich noch gehe. Pristina ist von serbischen Sicherheitskräften eingekreist. Immer öfter schlugen serbische Geschosse auf albanischem Boden ein. Struck (SPD) sagt, die Bundeswehr müsse auch dann weiter mitkämpfen, wenn es in ihren Reihen Tote gebe.

Deutsche ECR-Tornados zerstören aufgrund ihrer einzigartigen Ausrüstung feindliche Luftabwehrstellungen + machen den Weg frei für nachfolgende Kampfbomber. Scharping berichtet in SAT 1. In Pristina gehen abgeblich serbische Polizisten in die Häuser, nehmen alle nichtserbischen Männer heraus und empfehlen ihren Landsleuten, ein großes S an die Haustür zu malen. Joschka Fischer: Der Bodenkrieg ist bereits im Gange. Dieter Kronzucker: Jetzt müssen die Piloten tiefer runter und niemand weiß, was sie da erwartet. Milosevic habe seine wirksamste Waffe, die SAM-60-Boden-Luft-Rakete, noch nicht eingesetzt. Angeblich hat Milosevic Schwerstverbrecher aus der Haft entlassen, um sie für Massaker an Kosovo-Albaner einzusetzen.

21:13 In Moskau hat jemand aus einem Auto heraus auf die US-Botschaft geschossen. Der Berliner Privatsender 93,6 ist schockiert über die Schließung von Radio 92 in Belgrad. Gezielte Desinformation als psychologische Kriegsführung: eine Soldatenmutter in Beckum wurde von einem sog. Offizier angerufen, der ihr den Tod des Sohnes mitteilte. Radio 92 "sendet" noch über das WWW, weil die staatlichen Organe den Info-Server noch nicht entdeckt haben.

22:07: ntv-Brennpunkt. Außenminister Fischer: die Lage habe sich bedenklich zugespitzt. Die Reaktion der NATO sei uns aufgezwungen worden. Am frühen Abend erneut Fliegeralarm. Man müsse eine Grenze setzen, damit das Morden im Kosovo nicht weitergehe. Heinz Schulte, Militärexperte aus Bonn: es werde auch eine dritte Phase geben. Beim "Nighthawk" (F 117 A) handele es sich eindeutig um einen Abschuß. Stv. Premierminister Vuk Draskovic: Wir sind stolz, beugen uns nicht. Piacenza: 7 Tornados sind gestartet, vermutlich 4 deutsche und 3 italienische. Die Soldaten sind "auf alles gefaßt"; jeder sei sich der Gefährlichkeit des Einsatzes bewußt. Bundesregierung hat 27 Mio. DM zugesagt zur Unterstützung von Flüchtlingen in der Region. Russische Reformpolitiker (Gaidar u.a.) sind unterwegs zu privaten (besser: inoffiziellen) Verhandlungen (von Budapest aus) nach Belgrad. Auch Chirac habe um erneute Verhandlungen gebeten.

In hr3: Ostermärsche stehen ganz im Zeichen des Kosovo-Konflikts und des Bemühens um friedliche Lösungen. In der ARD Christiansen-Talkshow mit Gysi, Scharping, Ex-General Schmückle ["Innere Führung"], Ex-Mostar-Verwalter Koschnigg, ARD-Korrespondent Elias Bierdel, Bayern-Innenminister Beckstein; Schmückle: wir manövrieren völkerrechtlich in eine Grauzone. Wolfgang Petritsch, verhandelte mit Milosevich; dieser habe sich zuletzt völlig kompromißlos gezeigt. Einsatz von Bodentruppen wäre ggf. in Erwägung zu ziehen. Scharping zeigt sich gut informiert und sehr engagiert. Ilona Rothe, deren Sohn in Tetovo stationiert ist, will sich mit einem besonderen Aufruf an die Öffentlichkeit wenden. Jeder, der für einen Einsatz von Bodentruppen die Hand hebe, müsse seinen Sohn dazustellen. "Die Politiker haben Fersengeld gegeben und man hat unsere Söhne in das Pulverfaß gesteckt." Schmückle ist strikt gegen Bodentruppeneinsatz.

29.3.99, 22:22 Sehe aktuelle ZDF-Diskussion zum Balkaneinsatz, eröffnet durch Fern-Interview mit Javier Solana. Dieser: wir befänden uns im Moment mit keinem Lande im Kriegszustand (!). Wieder sind Flieger gestartet, darunter deutsche Tornados. Ist der Krieg wieder ein Mittel der Politik? Friedensforscherin Sibylle Tönnies: das NATO-Eingreifen sei ein Rückfall in die Anarchie. Die "Killer" hätten sich zusammengetan. Die NATO habe immer die UNO verdrängt. Milo Dor, österreich.-serbischer Schriftsteller: man müsse sich davor hüten, die Serben zu demütigen: das sei Nährboden für radikalen Nationalismus. Er habe die Deutschen nie pauschal für Nazis gehalten. Sie seien nachdem 1. Weltkrieg durch bestimmte Verträge gedemütigt worden, bis ein Hitler gekommen sei und ihnen neues Selbstbewußtsein eingeredet habe. Auch in N3 wird diskutiert. Ein Hoffnungsschimmer: morgen will der russische Premier Primakow nach Belgrad reisen und dann nach Bonn.

30.3.99 Heute fährt Primakow nach Belgrad, dann weiter zur Berichterstattung nach Bonn. Das Bombardement geht weiter. Montenegro appelliert an die NATO, das Bombardement einzustellen. Der Dow Jones schloß erstmals mit über 10.000 Punkten ab: grinsende Börsianer.

Jetzt steht die Frage ins Haus, wie viele Flüchtlinge wir aufnehmen können; bald werde der letzte Kosovo-Albaner sein Land verlassen habe; pro Stunde sind es 4000. Damit hat Milosevic sein Ziel erreicht: ein "kosovarenfreies" Land. EU-Mittel für den Kosovo werden nach Albanien umgeleitet. Mazedonien bangt um seine Sicherheit. Montenegros (600.000 Ew.) Präsident fordert die Einstellung der Angriffe.

19:20 (...) ZDF: Die hübsche Marietta Slomka, vor dem Kanzleramt stehend, meint, die Beratungen mit Primakow könnten sich ggf. bis 23 Uhr hinziehen; das, ergänzt der Studiomoderator, könnte als Hoffnungsschimmer interpretiert werden. Primakow sehe ich in RTL auf dem Flughafen: 6 Stunden habe er mit Milosevic verhandelt; dieser sei bereit, im Falle der Einstellung des Bombardements alle Fragen politisch zu regeln: d.h. in konstruktiven Verhandlungen, die die Interessen aller Bevölkerungsteile zu wahren haben. Außerdem müsse die militärische Lage genau so sein wie vor Beginn des Bombardements.

19:50 ntv: in wenigen Minuten wolle Milosevic eine Erklärung abgeben. Er sei bereit, unter bestimmten Bedingungen serbische Truppen im Kosovo abzuziehen. Die Nato reágierte skeptisch; verstärkte ihre Angriffe, die zum ersten Male auch vormittags erfolgten, neuerdings auch mit panzerbrechenden Waffen. Vor 2 Std. trat der NATO-Rat zusammen. Sprecher Bungarten: man brauche von Milos. zuerst Garantien. Außenminister Fischer hat für Donnerstag zu einer Balkan-Konferenz eingeladen.

20:15 Gespräch Primakow-Schröder zuende. Pr. auf dem Rückweg nach Moskau, hat demnach auf den Besuch in Brüssel verzichtet; das sieht nicht gut aus. Ludger Vollmer (B90/Gr.), Staatsminister im AA, teilt die Skepsis; Milos. betreibe eine Politik wie Hitler: "Lebensraum für seine Serben". 20:23 Pressekonferenz mit Schröder: Völkermord müsse augenblicklich beendet werden. Ursache und Wirkung dürften nicht verwechselt werden. Rückkehr der hunderttausenden Flüchtlinge müsse abgesichert werden. Konstruktive Rolle der russ. Regierung werde anerkannt. Hohes Interesse an Fortsetzung der außerordentlich guten und entwickelten Beziehungen zu Rußland. Aufgabe sei es weiterhin, mit den Partnern zusammen Milosevic klar zu machen, daß nicht alle Angebote akzeptabel seien. Es brauche sichtbare Zeichen; erstes müsse völliger mnilitärischer Rückzug aus dem Kosovo sein. - Primakow, so der ARD-Moderator, werde es hiernach in Moskau schwer haben. Hier gehe, so die dortige Korrespondentin, gehe die Ablehnung der NATO-Angriffe quer durch alle Schichten. Es sei, so ein Passant, ähnlich wie damals, als der Völkerbund auseinandergebrochen sei; ein erneuter Weltkrieg sei die Folge gewesen. Nun wird es immer wahrscheinlicher (meine ich), daß sich die Russen in irgendeiner Form zugunsten der Serben am Kriege beteiligen. Viele Freiwillige haben sich bereits gemeldet, an vorderster Front die Organisation "Schwarze Hundert"; ihr Führer Mischa Gurimow kämpfte wie andere bereits in YU. Die Serben seien das slaw. Brudervolk, deshalb müsse man für sie kämpfen. Ina Ruck aus Moskau: der Druck auf Primakow wachse täglich. Auch Alexander Lebed fordere militärische Hilfe für YU. Auch in den USA wachse der Zweifel an der NATO-Aktion. Die Clinton-Regierung habe die Kontrolle verloren. Eine Eskalation zugunsten von Bodentruppen rufe das Vietnam-Trauma in die Erinnerung zurück. Clinton denke noch nicht an Bodentr.-Einsatz; gleichzeitig werden aber 5 B1-Bomber nach Europa verlegt. Robert Hetkämper aus Washington: Clinton-Statement stehe bevor. Primakow habe gestern eine Stornierung von 5 Mia. Schulden erreicht. Der griech. Min.-Präsident Simitis verurteilt die Luftschläge. In Frankreich warnt man vor eine blinden Gefolgschaft zur Nato. Korrespondentin Sonia Mikich in Paris: Wer führt diesen Krieg eigentlich, frage man sich. Walter Stützle, Staatssekretär im BMVtdg, kritisiert die Wortwahl des ARD-Moderators. Der NATO-Einsatz sei ja nur Konsequenz fortgesetzter Verstöße durch Milosevic. Auch im Interesse der Soldaten solle man nicht von NATO-Bombardement reden. Milosevic müsse sich ans Völkerrecht halten, müsse aufhören mit dem Plündern und Morden. Marco Josilo in Belgrad: den Leuten gehe es um das Kosovo; die Wut gegen die Angriffe wachse täglich. Die Kosovo-Albaner seien geflohen vor den NATO-Bomben. 20:49 Clinton spricht. Bestärkt den Verdacht auf Vertreibung und Mord an unschuldigen Zivilisten im K.; M. werde sehen, daß entscheidende Teile seiner Militärmaschinerie zerstört würden. Man müsse fest bleiben.

"Zehn Stunden Angst - Die Friedensmission": In Pro7 kommt ein Film, in dem es um den IFOR-Einsatz in Bosnien geht: Programmzufall oder Aktualitätszwang? Ein furchtbarer Film, von bedrückendem Realismus. Es geht um einen "amoklaufenden Elitesoldaten", der sich in eine Sanitätseinheit eingeschlichen hat. Warum nur bringt man jetzt diesen Film, wo die Lage doch schon so ernst ist? Was da geschildert - und unerhört brutal dargestellt - wird, kann jederzeit bittere Realität werden.

Mittwoch, den 24.3.99, abends um halb Acht begann der Krieg. Jetzt, glaube ich, sind alle Chancen einer letzten Gefahrenabwendung vorbei. Die Katastrophe ist unabwendbar.

Mark Steffen Behrens: der erste tote deutsche Soldat, umgekommen in der Adria. Gerade um 22:16 kommt die Sat-1-Meldung. Der deutsche Marinesoldat starb bei einer Alarmübung. Das war , wie wir erst jetzt erfahren, aber noch unter Rühe. Jetzt sind 14 deutsche Tornados im Einsatz.

31.03.99 Fahre nach Marburg zurück.

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