von Wolfgang Näser, Marburg
Von 1992 bis 2000 war ich Mitglied des Personalrates (im folgenden PR) "meiner" Universität. Noch lange nach meiner (Ende Dezember 1972 erfolgten) Promotion hätte ich es mir nicht träumen lassen, diesem Gremium anzugehören, aber als ich wie viele andere meiner Kolleg/innen mal wieder Wahl-Hilfe leistete, sprach mich eine sympathische, sozial engagierte junge Frau darauf an und schlug mir vor, mich um dieses gänzlich "unwissenschaftliche" Amt zu bewerben; kurz darauf war ich stellvertretendes Mitglied, dann ordentliches und schließlich sogar "Führer" einer Personalrats-Liste, bis ich nach Neuordnung "meines" Institutes und nachdem man mir zu verstehen gegeben hatte, es sei Zeit, einem Jüngeren (und "Fraktionszwang"-mäßig Fügsameren) Platz zu machen, dieses Amt im Sommer 2000 niederlegte.
Wer sich als Wissenschaftler darauf einläßt, im Personlrat einer Universität die (mehr als berechtigten) Interessen seiner Kolleginnen und Kollegen wahrzunehmen und damit auch aktiv zu verteidigen, sollte sich im klaren sein, daß möglicherweise damit bestimmte Karriere-Hoffnungen auf Eis gelegt oder gänzlich begraben werden. Ein Personalrat, der seine Aufgaben wahrnimmt, wird in bestimmten Fällen nolens volens zum natürlichen Feind seines Arbeitgebers und im Gegensatz zu abnickenden Personalvertretungen dann zum Alptraum derer, die den "Fall X" auf die Schnelle erledigen und sich der unbequemen "Person Y" ohne viel Federlesen entledigen wollen.
Das Folgende entstand etwa in der Mitte meiner PR-Tätigkeit (also vor
mehr als zwanzig Jahren), bezieht sich auf Gegebenheiten und Verhältnisse
in der akademischen Arbeitswelt, die sich in einiger Hinsicht
sicherlich von anderen Bereichen und Gewerken unterscheidet, und beleuchtet
die Situation der im sogenannten Mittelbau angesiedelten (und von
mir zu vertretenden) Wissenschaftlichen Mitarbeiter. Der neuerdings
im Internet und via Smartphone ausgeübte, besonders im
schulischen Bereich grassierende Mobbing-Terror spielt hier (noch)
keine Rolle, sollte aber nicht außer Acht gelassen werden. Da nicht
anzunehmen ist, daß "akademisches" Mobbing (man verzeihe mir diesen
provokanten Terminus) irgendwann obsolet wird, belasse ich meine folgenden
Ausführungen in dieser Website. Was hier(in) noch gültig (oder
vielleicht schon obsolet) ist, überlasse ich dem kritischen Urteil der
geneigten Leser/innen.
Mittlerweile sind seit Entstehung meines Textes rund zwanzig (oder mehr)
Jahre vergangen, ist die Arbeitswelt großenteils digitalisiert und
wird, seit dem Frühjahr 2020, Corona-bedingt immer häufiger
auch im "Home Office", also zu Hause, gearbeitet. Die daraus entstehende
Isolation bedeutet allerdings nicht zwingend einen Schutz vor
(mit)menschenfeindlichem Mobbing - dieses kann auch digital verabreicht
werden, sei es in Form dienstlicher E-Mails oder den Arbeitsfrieden
torpedierender "Postings" in Twitter, WhatsApp, Facebook oder
anderen angeblich Sozialen Netzwerken. Mobbing wird zum
"Bashing", was an der Sache nichts ändert, ganz abgesehen davon,
daß in den Medien zunehmend mit zweierlei Maß gemessen
und gnadenlos auf denen herumgedroschen wird, die sich nicht dem Mainstream
anpassen. Die sogenannte Political Correctness zeigt sich zunehmend
als häßliche Form einer überwunden geglaubten Meinungs- und
Gesinnungs-Diktatur. Wer gegen den Strom schwimmt, wird gemobbt.
Sogenannte Influencer werden zu medialen Nachfahren der
Demagogen, und wer nicht im Trend liegt, wird zum
Ewig-Gestrigen gestempelt und gelegentlich sogar als Faschist
gebrandmarkt.
Nun zurück zur Arbeitswelt. Während die vergangenen Jahrzehnte
geprägt waren von Bemühungen, die Arbeitswelt humaner, also
menschlicher zu gestalten, wird die Betriebsatmosphäre nicht
selten getrübt durch eine erschreckende Gleichgültigkeit
gegenüber Untergebenen wie auch im Kolleg(inn)enkreis. Konkurrenzkampf
und Einzelkämpfer-Verhalten wachsen in dem Maße, wie
in unserem Lande immer mehr Sozialleistungen abgebaut,
Arbeitsleistungen wegrationalisiert und ältere Menschen zum
"alten Eisen geworfen" werden. Hauptursache ist ein seit etwa 1980 immer
stärker und tiefgreifenderer Strukturwandel in der Arbeitswelt.
Während - nach konservativ japanischem Vorbild - früher auch und
gerade hierzulande die Firma so etwas wie eine "große Familie" bedeutete
und deren Oberhaupt sich auch in sozialer Hinsicht für seine "Untergebenen"
verantwortlich fühlte, ist - leider auch im Bereich wissenschaftlicher
Forschung - das moderne Arbeits-Biotop geprägt von rein
projektbezogenem Denken und Handeln, wodurch der Mensch letztlich
zur temporär agierenden und dann vernachlässigbaren Denkmaschine
oder zum funktionalen "Modul" entwürdigt wird. Dieses utilitaristische
Kalkül greift besonders erschreckend im sog. Drittmittel-Bereich,
wo halbe oder gar Drittelstellen als kurzfristige Almosen gehandelt werden
und die somit Beschenkten nach dem Projektende sich wieder selbst
überlassen bleiben - bis sich nach einer Reihe kürzerer "Engagements"
eine längerfristige Perspektive ohnehin erübrigt hat. Die heute
immer selteneren Dauerstellen sind zwar existenziell "besser
dran"; andererseits zeigt sich gerade hier bisweilen die systembedingte
Rechtlosigkeit des sog. akademischen Mittelbaus.
"Seelische Gewalt liegt immer dann vor, wenn jemand psychisch unterworfen wird, sei es, um ihn zur Kündigung zu bewegen und aus einer Firma auszuschließen, sei es, um ihn zu vernichten. Dahinter steht eine bösartige Freude, die Lust, einem anderen zu schaden, ihn als Nichts zu behandeln, seiner Würde zu berauben, ihn dort zu treffen, wo es am meisten weh tut. Ziel ist keineswegs, den oder die Betreffende/n zu besserer oder effizienterer Arbeit anzustacheln, im Gegenteil, oft entzieht man ihm oder ihr die Arbeitsmittel, die Unterlagen, zuweilen auch unverzichtbare Informationen und die nötige Ausstattung. Dieses Gefühl der völligen und grundlosen Entwertung, die Erfahrung von äußerster Respektlosigkeit kann manche um den Verstand bringen, viele fallen in Depressionen, und gesundheitliche Schäden sind fast immer die Folge."
Quelle: Katalog C.H. BECK Herbst 2002, S. 13 zu Marie-France Hirigoyen, Wenn der Job zur Hölle wird. Seelische Gewalt am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehrt. München 2002
Mobbing hat vielerlei Spielarten. Im wissenschaftlichen Umfeld wird es ebenso praktiziert wie im handwerklichen: ein besonders deshalb deprimierender Umstand, weil man leicht geneigt sein kann, Akademiker generell für besonders einfühlsam, takt- und rücksichtsvoll zu halten. Wenn jedoch Wissenschaftlichkeit und Herzensbildung nicht Hand in Hand gehen, sondern sich gegenseitig ausschließen, kann der Grund darin liegen, daß bestimmte Menschen aufgrund einer oft fachbedingten Isolation ein erschreckendes Maß an Lebensferne an den Tag legen, was sich nicht nur in mangelnder Verantwortung für fragwürdige Innovationen (z.B. Atombombe), sondern auch in unzureichender Mitmenschlichkeit niederschlägt.
Konsequent betriebenes Mobbing ist nichts anderes als gezielte Demontage der Persönlichkeit und als willentliche gravierende Schädigung der Psyche ein Verbrechen, das in seiner Grausamkeit und Konsequenz das Delikt der schweren Körperverletzung bei weitem übertrifft. Insofern ist Mobbing kein "Kavaliersdelikt" und sollte kompromißlos verfolgt und bestraft werden. Unnachsichtigen Mobbern sollte klar gemacht werden, daß hier jedes Verständnis aufhört und in einer Gesellschaft, die sich human, zivilisiert und kultiviert nennt, solche Strategien unerwünscht sind und geächtet werden.
Die "Kunst" des Demotivierens
Grausamkeiten gibt es genug. Das Patent-Rezept scheint darin zu bestehen,
daß man den unbequemen Mitarbeiter (ich verwende der Einfachheit halber
im folgenden nur die männliche Form) einfach in jeder Hinsicht
ignoriert:
Derartige "Leitungs"-Strategien vergehen sich in eklatanter Weise gegen jede Art von Vernunft.
Der Mitarbeiter wird durch solches Verhalten schleichend demotiviert. In der ersten Phase wehrt er sich dagegen, begehrt auf, spricht mit Kollegen, beschwert sich; mit den Jahren erlischt das innere Feuer und damit die Energie; schon längst als Außenseiter, als Loser betrachtet und von den Kollegen gemieden, wird er gleichgültig, läßt sich gehen, resigniert und vegetiert lust- und initiativlos dahin. Ein Arbeitsleben wurde zerstört, eine möglicherweise zu besten Hoffnungen berechtigende Persönlichkeit ruiniert; was davon übrig geblieben ist, erfüllt nun alle Voraussetzungen lange zuvor planvoll ausgestreuter Gerüchte. Ja, dieser Mitarbeiter bringt nichts, er ist unfähig, wir haben es ja schon immer gesagt. Und die Konsequenzen?
Das, worüber sich einfachere Naturen möglicherweise freuen, gehört auf höherer Ebene zur rigidesten Stufe dieser Nichtbeachtung: ein leerer Arbeitstisch: eine schon vor Jahrzehnten in den USA praktizierte und wie vieles andere von dort "abgekupferte" Methode ebenso grausamer wie subtiler Zerrüttung. Diese "todsichere" Folter führt zur mehr oder weniger schnellen und ausweglosen Erkenntnis, daß man nicht gebraucht wird. Man zweifelt an seinen Fähigkeiten, vereinsamt, die Persönlichkeit wird zerstört; die meisten Betroffenen geben früher oder später auf.
Mobbing kann sich über einen großen Zeitraum erstrecken: in mehr oder weniger großen Abständen werden
Im Laufe eines solchen 'intermittierenden' Mobbings wird sich der Betroffene möglicherweise gezwungen sehen, öfter Beschwerde zu führen, was ihn, je nach Heftigkeit seines Engagements (und wenn er nicht aufgibt, s.o.), in negativer Weise auffällig machen und zum Querulanten abstempeln kann. Begünstigt wird dieser Eindruck dann, wenn sich die Kollegen aus Feigheit, Desinteresse (Gleichgültigkeit) oder Opportunismus grundsätzlich von dem zurückziehen, der in Ungnade gefallen ist. Heute, wo in den Zwängen der Arbeitswelt jeder sich selbst der nächste ist, setzt sich dieser Trend immer stärker durch und beginnt die einst so plakative Solidarität Mangelware zu werden.
Spätfolgen eines jahrzehntelangen Mobbings sind die Zerstörung der Persönlichkeit und der Verlust jeglichen Selbstvertrauens - das bedeutet irreparable psychophysische Defekte und einen gravierenden Verlust von Lebensqualität nicht nur in der Arbeit, sondern auch im Privatleben. In diesem Lichte gesehen, verliert ein solches Mobbing den Charakter des "Kavaliersdeliktes" und zeigt sich als das, was es in Wahrheit ist: ein krimineller Akt.
Die Weisungsbefugten
Der deutsche Professor, den ich damals (aus meiner Sicht) zu
charakterisieren versuchte, ist - nicht nur was seine Machtmittel
anbelangt - eine besondere Spezies. Gehen wir vom traditionellen
Bild aus, also dem strengen, aber auch gütigen Ordinarius
à la Ferdinand Sauerbruch, so handelt es sich um eine in jeder
Beziehung herausragende Persönlichkeit, einen Menschen, zu dem
man aufschaut, weil er Autorität hat: zunächst in
wissenschaftlicher (also fachlicher) Hinsicht. Diese seine Kenntnis stellt
er in den Dienst richtungsweisender Forschung; seine Arbeitsmethoden sind
motivierend (er bildet eine "Schule") und seine Ergebnisse weiß
er eingängig und daher überzeugend zu vermitteln. Seine Studenten
leitet er so an, daß sie nicht nur Wissen erwerben, sondern dauerndes
Interesse und damit Freude an ihrem Studienfach gewinnen, und in diesem Sinne
ist er da (und hat Zeit) für
sie, wenn sie zur Sprechstunde erscheinen. Der deutsche Professor ist
Beamter auf Lebenszeit (oder höherer Angestellter im
Dauerarbeitsverhältnis), er leitet einen Lehrstuhl und ist damit
Vorgesetzter mehrerer oder - als Direktor eines Institutes oder einer klinischen
Einheit - sogar recht vieler Personen. Kraft der ihm aufgrund seiner Habilitation
verliehenen Venia Legendi ist der Hochschullehrer berechtigt, (ohne
auch nur eine Stunde Pädagogik-Ausbildung) als Krone wissenschaftlicher
Didaktik Vorlesungen, Oberseminare und Forschungskolloquien zu halten
und in diesen nicht nur grundlegende Fakten, sondern auch innovative
Forschungsansätze und -resultate auf möglichst fachgerechtem,
hohem und motivierendem Niveau zu vermitteln. Auch als Vorgesetzter
motiviert er, setzt er Maßstäbe, handelt
richtungweisend und ist nicht nur fachlich, sondern auch
menschlich ein Ansprechpartner, zu dem man Vertrauen gewinnt
und auf Dauer behält. Er weiß, daß Verantwortung nicht nur
Aufsichts-, sondern Fürsorgepflicht bedeutet, und
ist in jeder Hinsicht künftigen Führungspersonen ein ideales
Vorbild. Er weiß, daß es angeraten ist, in Fällen
mit weitreichenden Konsequenzen seine Mitarbeiter an den Vorplanungen zu
beteiligen, damit sie in diese Arbeit hineinwachsen.
Bitte legen Sie bei allem, was Sie in Ihrem universitären
Arbeits-"Biotop" erleben, dieses Raster an. Deckt es sich mit dem zuvor
Gesagten, dann haben Sie die Ehre, unter einem wahren "Bekenner" (das ist
die Übersetzung des lateinischen Titels) zu arbeiten, einem
Gentleman, einem Grandseigneur der Wissenschaft, der in allem
zu dem steht, was seine Pflicht ist. Ich bin der erste Diener meines
Staates, sagte übrigens schon Friedrich der Zweite. Wenn es um die Sache
geht, dann macht es nichts aus, primus inter pares zu sein. Dort aber,
wo es noch - oder wieder - Herren und Knechte gibt, dort gilt das
zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zitierte "Wo Könige bauen,
da haben die Kärrner zu tun". Kärrnerarbeit wird als nobles Opfer
verkauft und Autorität zu Willkür und
Unterdrückung pervertiert. In einer durch solches "Wirken"
geprägten Atmosphäre avanciert Mobbing zum ausbaufähigen
Instituts-Sport.
Die Weisungsgebundenen
Zum universitären Mittelbau hingegen gehören wissenschaftliche
Angestellte und Beamte des Höheren Dienstes, im
Verwaltungssektor der Regierungsrat, Oberregierungsrat und Regierungsdirektor.
Eine wenig gefährdete Sonderrolle nehmen die Leitungskräfte
ein (Abteilungsleiter, Leiter einer Einrichtung oder eines Dezernats). Im
Prinzip sind alle mobbar. Der Dezernent (A 15/16) kann innerhalb einer Stunde
sein Dezernat verlieren und der Direktor eines Wissenschaftlichen
Zentrums zum Abteilungsleiter degradiert werden. Noch schlimmer trifft
es das Heer der vielen Wissenschaftlichen Mitarbeiter, die in der
Regel einem leitenden Hochschullehrer zugeordnet sind und für diesen
im Rahmen eines Projektes wissenschaftliche Dienstleistungen erbringen. Wenige
der in wissenschaftlichen Einrichtungen Tätigen haben das
Glück, eine Dauerstelle zu bekommen. Wer in solchem Zeitrahmen
sich in vielen Jahren so etwas wie einen persönlichen Schwerpunkt
und eine entsprechende Perspektive erarbeitet, kann eine böse
Überraschung erleben: so zum Beispiel nach vielen Jahren und ohne jede
Vorwarnung nicht nur so gut wie alle Tätigkeiten, sondern auch sein
Arbeitszimmer verlieren und dann mit überwiegend technischen
Arbeiten "betraut" werden. Nach kompetenter (?) Auskunft könne sich
der wissenschaftliche Mitarbeiter auf keinerlei Gewohnheitsrecht
stützen, habe er also keinerlei Anspruch auf Erhaltung seines
Tätigkeits-Besitzstandes, ja nicht einmal darauf, daß
künftige Aufgaben mit ihm rechtzeitig besprochen würden - alles
liege im Ermessen des ihm gegenüber weisungsbefugten Professors, Abteilungs-
oder Institutsleiters. So lange Wohlwollen und Einverständnis vorliegen,
ist alles gut, doch können Erwartungen, Arbeitszufriedenheit
und Idealismus von einem Tage auf den anderen ebenso jäh
wie schockierend ihr Ende finden. Weniger tragisch, doch auch sehr verletzend
können sich viele andere Spielarten des Mobbings auswirken, zum Beispiel
wenn man einen älteren, sehr erfahrenen und angesehenen Wissenschaftler
mit niederen Archivarbeiten beschäftigt, die auch von
nichtexaminierten Hilfskräften erledigt werden könnten, oder wenn
man ihn systematisch von allen wichtigen Planungs-, Beratungs- und
Entscheidungsprozessen ausschließt. Der gemobbte "Mittelbauer" muß
sich entscheiden, ob er seelische und körperliche Kräfte besitzt,
solches zu ertragen, oder ob er die Hilfe des Personalrates (wenig
aussichtsreich, s. unten) oder eines Fachanwaltes für Arbeitsrecht
(Schriftsätze gegen den Arbeitgeber) in Anspruch nimmt oder gar einen
Prozeß führt. In nur wenigen Fällen wird er sein Recht
bekommen. Steht sein Arbeitgeber in hohem wissenschaftlichem Ansehen, so
wird höchstwahrscheinlich über jede Art des Mobbings hinweggesehen,
um diesen Hochschullehrer bzw. Institutsleiter in seinen wichtigen Projekten
nicht zu beeinträchtigen. In diesem Fall wird der betreffende Mitarbeiter
im wahrsten Sinn des Wortes zum (Mittel-)Bauern-Opfer. Er muß
sich dann entscheiden, ob er aufgibt oder aus seiner neuen Aufgabenstellung
das beste macht. So seltsam es klingt: im letzteren kann eine
Chance liegen.
Kontraproduktiver Fraktions-Zwang
Solidarität: da denken wir vor allem an die, die sich für
andere einsetzen (oder es sollten): die zahlreichen Gremien bzw.
Interessenvertretungen in der Arbeitswelt: den Betriebsrat in Firmen,
den Personalrat in Behörden, dann die zahlreichen -räte und
-ausschüsse in öffentlichen Einrichtungen von Forschung und Lehre,
also auch der Universität. Hier käme bzw. kommt es vor allem darauf
an, Geschlossenheit zu wahren, fair zu diskutieren, an einem Strang zu ziehen,
um sich gegen die "andere Seite" behaupten (und ihr notfalls Paroli bieten)
zu können. Doch auch hier - man glaubt es kaum - wird bisweilen gemobbt,
wenn auch oft nicht so krass und auffällig wie dort, wo es um "Herren
und Knechte" geht. Gremien konstituieren sich nach Listen, diese wiederum
sind Heimstatt bestimmter sozio-politischer Auffassungen und entsprechen
insofern den politischen Parteien. Wie im Bundes-, Land- und Kreistag
und entsprechenden anderen Parlamenten herrscht in Gremien leider im Regelfall
auch Fraktions- oder besser Listen-Zwang: d.h. die Liste benimmt sich
bei Abstimmungen quasi als Einheitsfront und es wird nicht gern gesehen,
wenn ein Mitglied der einen Liste sich die - objektiv berechtigte - Meinung
der "gegnerischen" zu eigen macht und entsprechend abstimmt, also - um es
auf den Punkt zu bringen - seinem Gewissen folgt. Es kann auch sein,
daß das entsprechende Gremien-Mitglied ganz offen zum Ausdruck bringt,
daß es besser wäre, in kritischen und entscheidenden Fragen
listenübergreifend zu handeln und damit einzig zum Wohle der
vom Gremium Vertretenen, anstatt stur der eigenen politischen Leitlinie zu
folgen. Ein solches querdenkerisches und allein dem Individualgewissen
verpflichtetes Handeln wird nicht toleriert. Das betreffende Mitglied wird
isoliert, man wirft ihm vor, es mit der anderen Seite zu halten, und wenn
es um die nächsten Wahlen geht, wird durch die Blume zu verstehen gegeben,
es sei doch an der Zeit, anderen bzw. Jüngeren eine Chance zu geben;
de facto ist dies die Note Fünf oder Sechs nach dem Motto "hat sich
stets bemüht, ..." - wir kennen dies schon. Hat sich stets bemüht,
aber das war nicht in unserem Sinne, also raus. Und dann kommen die anderen,
die keinen Grund zur Befürchtung geben - oder noch nicht, bis vielleicht
auch sie entdecken, daß Konformität um ihrer selbst willen nicht
nur Kreativität, sondern auch Demokratie im Keime erstickt.
Der Test
Betrachten wir als spezielles die Universität, so ist diese
im herkömmlichen Sinne (universitas litterarum = Gesamtheit der
Wissenschaften) ebenso vielseitig wie komplex strukturiert;
hier läßt sich nur dann vernünftig und effektiv
arbeiten, wenn es gelingt, in einer auf gegenseitige Achtung,
Toleranz und Taktgefühl, also Mitmenschlichkeit
angelegten Atmosphäre die verschiedensten Mitarbeiter/innen so
anzuleiten und zu motivieren, daß sie gern arbeiten,
sich mit ihrer Arbeitsstelle identifizieren (=corporate identity)
und - so man sie läßt (siehe oben) - ihre ganze Arbeitskraft in
den Dienst der Wissenschaft und ihres Fortschritts stellen.
Alle in diesem Bereich Tätigen können dazu beitragen. Der
folgende (einer früheren
HÖR-ZU-Ausgabe entnommene)
Test soll zur konstruktiven Besinnung anregen
und Ihnen Gelegenheit geben, Ihre Situation kritisch zu prüfen und ggf.
zu Ihrem besten zu korrigieren.
1. Wird über Sie öfter gelacht wird als über andere Kollegen? | 0 JA 0 NEIN |
2. Sprechen Sie mit Vorgesetzten über Kollegen? | 0 JA 0 NEIN |
3. Gehen Sie häufiger mit Kopf- oder Bauchschmerzen zur Arbeit? | 0 JA 0 NEIN |
4. Verhalten sich Vorgesetzte und Kollegen Ihnen gegenüber gleichgültig oder abweisend? | 0 JA 0 NEIN |
5. Erfahren Sie als letzter von Neuigkeiten im Betrieb? | 0 JA 0 NEIN |
6. Haben Sie sich schon einmal bei Vorgesetzten über Kollegen beschwert? | 0 JA 0 NEIN |
7. Haben Sie nur vor oder während der Arbeit Beschwerden und verschwinden diese am Wochenende oder im Urlaub? | 0 JA 0 NEIN |
8. Werden Ihnen öfter unbequeme oder entwürdigende Aufgaben übertragen? | 0 JA 0 NEIN |
9. Gehen Sie Gesprächen mit Kollegen lieber aus dem Weg? | 0 JA 0 NEIN |
10. Werden Sie in Gegenwart anderer Kollegen gerügt? | 0 JA 0 NEIN |
11. Macht man sich über Sie lustig, weil Sie häufiger krank sind oder langsam arbeiten? | 0 JA 0 NEIN |
12. Werden Sie bei Gehaltserhöhungen, Beförderungen oder der Vergabe interessanter Arbeiten übergangen? | 0 JA 0 NEIN |
13. Verschwinden von Ihrem Tisch Arbeitsmaterialien (z.B. Akten)? | 0 JA 0 NEIN |
14. Verstummen Kollegen-Gespräche, wenn Sie in die Nähe kommen? | 0 JA 0 NEIN |
3-5 JA-Antworten: Sie sind in einem Konflikt, der Ihnen über den Kopf wachsen könnte.
6-8 JA-Antworten: jetzt kann von Mobbing gesprochen werden (hinsichtlich der "Täter" und "Opfer" ist dieses nicht geschlechtsgebunden!). Können Sie den Konflikt nicht mit Kollegen bzw. Vorgesetzten klären, bleibt nur noch der Weg zum Personalrat und ggf. zur Personalabteilung. Notfalls ist eine Umsetzung anzustreben.
9+ JA-Antworten: Mobbing in einer kritischen Phase. Das Arbeitsverhältnis / der Arbeitsfriede ist zerrüttet. Angezeigt ist nun eine Rechtsberatung bzw. ein Job-Wechsel. Dieser wird unmöglich, wenn Sie ein bestimmtes Alter überschritten haben. Dann sollten Sie überlegen, ob es möglich ist,
Dem HÖR-ZU-Test und dessen (leicht überarbeiteten) Kommentar möchte ich hinzufügen, daß es zunächst ratsam ist, Ruhe zu bewahren. Versuchen Sie sich zu beherrschen. Denken Sie daran, daß jede von Ihnen formulierte Grobheit oder Beleidigung, jede Art von übler Nachrede im Sinne des Gesetzes sich in einer Aktennotiz niederschlagen kann und Ihrem Mobber genau die Handhabe gibt, die er bezweckt hat. Verfallen Sie andererseits nicht in Resignation, lassen Sie sich nicht isolieren und nutzen Sie alle Möglichkeiten, die sich Ihnen anbieten.
Gehen Sie davon aus, daß in unserer immer schwieriger und hektischer werdenden Zeit alle Beteiligten ihre Bemühungen darauf richten müssen, Konflikte beizulegen im Sinne eines Arbeitsfriedens, der im universitären Bereich ein Wirken für das Gemeinwohl auch in Zukunft befördert und garantiert. Wenn alle aufeinander zugehen, so gewinnen alle und verliert niemand sein Gesicht (Rechnen Sie allerdings nicht damit, daß sich diese Einsicht auch bei der Gegenseite durchsetzt).
Führung ist auch Fürsorge. Beide können nur begrenzt erlernt werden und gedeihen einzig auf der Basis von Herzensbildung. Fehlt diese, so werden alle Titel und Privilegien zu häßlichen Masken erschreckender Unfähigkeit.
(c) W. Näser 2/97 ff. * Stand: 30.11.2020