Deutsch im 20. Jahrhundert * Dr. Wolfgang Näser * 2002 ff.

Ploppa, Hermann (*1953): Plobbas ha'm einen Fäänsehä!
(aus dem Familienroman "Bakterienstraße 51")

Geboren 1953 in Flensburg, besucht der Autor (Foto. W. Näser 12/2k4) zunächst das dortige Alte Gymnasium und studiert 1974-1978  (Abbruch) Deutsch und Sozialkunde in Marburg, arbeitet danach in Gartenbau, Gebäudereinigung, Hausbau und -Renovierung, in der Versandabteilung eines Frankfurter Chemiekonzerns u.a., daneben künstlerische Tätigkeiten in den Bereichen Bildende Kunst und Musik. 1985 beteiligt er sich am Performanceprojekt Different Klons, hier Konzerte im Amsterdamer Paradiso (zusammen mit Arto Lindsay and The Ambitious Lovers), Stollwerk Köln (mit Can-Sänger Damo Suzuki) oder KIR Hamburg (mit Thomas Meineckes Freiwilliger Selbstkontrolle). 1987 Beginn der bis heute andauernden künstlerischen Zusammenarbeit mit dem Lyriker Gerd Nonnenmacher und Wiederaufnahme des Studiums; 1989 Staatsexamen mit einer Arbeit zur ,,Vergleichenden Analyse der Demokratisierungsprozesse in Brasilien und Südkorea unter dem Aspekt der allgemeinen Verschuldungskrise". Erstellung der Zeitschrift ,,Oeko-Tips", begleitend zur Umweltmesse Marburg. 1990 Übersetzung des Computerhandbuches ,,Paradox Trinity" (850 S.). Mitarbeit an der Kultur-Tournee ,,Lieder für Oskar" im saarländ. Landtagswahlkampf für Oskar Lafontaine mit Peter Maffay, Klaus Lage und Ute Lemper u.a. 1992 Gemeinschaftsausstellung mit Günter Knierim, Horst Barthel und Robert Janitz im Marburger Cafe Lokal. 1993 Mitarbeit an einer Promotion-Tour des Deutschen Bundestages durch 12 Städte der ehemaligen DDR .1994 Beginn der bis heute andauernden kontinuierlichen Mitarbeit an dem Marburger/ Gießener Magazin Express (über 100 Artikel u. Interviews u.a. mit Lotti Huber, Debbie Harry, Erich von Däniken, Justus Frantz). Kontinuierliche Foto-Arbeiten. Sporadische Auftritte mit der Gruppe General Misfits zusammen mit Godehard (Go) Cziba in Kassel, Gießen, Marburg, Wetzlar. Performances mit improvisierter Musik in Zusammenarbeit mit Go Cziba, Gerd Nonnenmacher, Ralph Rossbach und Andy Groll in dem Projekt Ugly Germans. Mitarbeit (Organisation, Öffentlichkeitsarbeit, Redaktion) am 1994 gegründeten ersten Lokalen Radiosender Radio Unerhört Marburg (RUM), der 1997 die Dauerlizenz erhält. Pressebesprechungen der ,,Musik für Erwachsene". !999 Begleitung des vom Hamburger Tourneebüro Karsten Jahnke veranstalteten ,,Scottish Folk Festival 1999" (12 Städte). PR (Broschüre, Sampler-CD, Tourneeleitung) beim Scottish Folk Festival 2000 (18 Städte). Mitarbeit bei der 2. Marburger Buchwoche; Veranstaltung mit Feridun Zaimoglu; erste Marburger Slam-Poetry-Veranstaltung. Außenpolit. Beiträge in überregionalen Zeitungen wie Junge Welt, Freitag, Hamburger Abendblatt, Jungle World, Wochenzeitung (Schweiz). In der folgenden Episode seines (unveröffentlichten) Familienromans "Bakterienstraße 51" entführt uns der Autos zurück in den Beginn der 60er Jahre, als im hier eingehend beschriebenen jungen Medium Fernsehen noch so etwas wie "deutsche Kultur" vorherrscht. Der Autor liest den Text, die Spuren seiner (von mir bearb.) CD sind in [] markiert. W.N.

Zum Text noch der Autor in einem Exposé:
"Bakterienstraße 51" stellt eine Verballhornung des real existierenden Ortes dar, an dem die Familie des Werkleiters Martin Ploppa ihre prägenden Jahre verbracht hat - nämlich in der Batteriestraße 51 in Deutschlands nördlichster Stadt, Flensburg. Daraus läßt sich erkennen, daß der Geschichtenzyklus "Bakterienstraße 51" in wesentlichen Anteilen aus real erlebten Anekdoten des Autors besteht. "Bakterienstraße 51": das ist eine lockere Sammlung von Einzelepisoden, von denen jede für sich alleine gelesen werden kann, ohne den Gesamtkontext kennen zu müssen. Immer wieder treten nach dem Muster von typischen TV-Familienserien der Sechziger Jahre Konflikte auf, die sich zum Schluß in einem mehr oder minder glaubwürdigen Happy-End auflösen. Die Geschichten spielen in den Jahren 1960 bis 1965. Dieses sind bekanntlich die harten Jahre des Kalten Krieges. Doch Familie Ploppa kümmert sich indes wenig um den globalen Horror der Kuba-Krise, des Mauerbaus oder des Kennedy-Attentats. Denn die Ploppas müssen ihren ganz eigenen Obsessionen nachgehen: Vater Martin kümmert sich um die Modernisierung seines von der Schließung bedrohten Gaswerks. In der Freizeit müssen Wanderfahrten mit dem Alpenverein organisiert werden. Desweiteren müssen Dias eingerahmt und vorgeführt sowie der Garten in Schuß gehalten werden. Mutter Fita hat alle Hände voll zu tun, die Brut beisammenzuhalten. Krischan als der älteste Sprößling weiß erstens alles und zweitens alles besser. Callimann ist maulfaul. Als passionierter Sammler und Jäger gehört sein Interesse alten Briefmarken und jungen weiblichen Wesen. Er möchte am liebsten seine Ruhe haben. Seine Lieblingsorte sind das Bett und das Klo. Hermi als der Kleinste nervt seine Mitmenschen, so gut das eben geht: mit blöden Fragen und altklugen Bemerkungen. Die Ploppas wohnen mitten in einem Industriegebiet. Hier wohnen auch die kerndänische Familie Kraschnewski und das Ehepaar Geistwald. Ihre Ferien verbringen die Ploppas in ihrem Haus auf der Norseeinsel Föhr. Die Ploppas kämpfen, ganz ähnlich wie Bruno, das ewig pechvogelige HB-Männchen, mit den Herausforderungen neuer technischer Gerätschaften. Ploppas sind tolerant und aufgeklärt. Außer wenn es um Dänen, LVA-Onkels, Kölner Jecken oder diese Halbstarken geht. Ploppas haben aus Erfahrung gestählte Grundsätze. Schließlich stammt Mutter Fita "ous einer ehrbaren Bremer Koufmannsfamilie" und Vater Martin aus dem soliden Milieu der Marine des Dritten Reichs. Die Ploppas wissen, was gut ist und praktizieren Markentreue ("Wir koufen schließlich bei Quelle und nich bei'm mickrigen Neckomann!"). Fünf Ploppas können eben nicht irren."

Nun war der Krieg schon seit fünfzehn Jahren vorbei. Der Schutt war weggeräumt. In erstaunlich schneller Zeit brummte wieder die Wirtschaft. Statt Rüben gab es jetzt immer öfter Fleisch auf dem Tisch und zu Weihnachten Südfrüchte wie zum Beispiel Apfelsinen und Mandarinen. Während Herr Gneis schon ein Auto hatte, gingen die Ploppas noch zu fuß oder rumpelten mit der Straßenbahn durch Flensburg.

Allerdings hatten die Ploppas 1960 plötzlich eine hochmoderne Errungenschaft des zivilisatorischen Fortschritts vorzuweisen, wovon die meisten Nachbarn – zumindest, was Bakterienstraße 51 anging - zunächst weiterhin träumen mußten.

Allerdings ergab sich Ploppas Privileg eher zufällig.

Niels, Arne und Swantje Kraschnewski sowie Hermi standen auf der Treppe des Messerhauses zwischen den Häusern Bakterienstraße 51 und 45. So recht wußte man nicht, wie man sich die Zeit vertreiben sollte an diesem sonnigen Junivormittag.

"Onkel Lyne hat jetzt ein Fahrrad mit Hilfsmotor.", verkündete Niels. "Ja, und Holgerssons haben jetzt schon ein Motorrad mit Beiwagen.", steigerte Arne. "Herr und Frau Kjelström haben sich grade einen VW Export mit großer Heckscheibe und mit amerikanischen Stoßstangen gekauft. Niegelnagelneu. Für 4.000 Mark ab Werk.", wußte Swantje zu berichten.

Hermi stand oben am Treppengeländer, hob sich hüpfend hoch und tänzelte von einem Bein auf das andere. Es war ihm klar, daß er bei dieser Auktion eine unschlagbare Trumpfkarte in der Hand hielt, die er jetzt auf den Tisch knallen würde, ohne mit der Wimper zu zucken. "Wir kriegen in zwei Wochen einen Fernsehapparat", trompetete Hermi in die Runde. "Unsere Oma Kiel ist ja gestorben, und da erben wir die Möbel und den Fernseher." Respektvolle Stille machte sich breit. Dann Niels: "Toll. Wir dürfen aber auch mal kuggen kommen?"

"Ja klar, wenn meine Mutter das erlaubt", stellte Hermi großzügig in Aussicht. Hermi hatte, ebenso wie Krischan und Callimann, schon Erfahrung im Fernsehgucken. Allerdings war diese Erfahrung nicht ganz ungetrübt. Alle drei Brüder durften bei Schmielsens in der Bakterienstraße 45 gelegentlich fernsehen. Schmielsens hatten als erste im ganzen Block einen Fernseher. Dafür kein Auto. Aber wiederum eine Schäferhündin namens Thyra. Hermi hatte eine verdammt große Angst vor Hunden. Übrigens verdarben einem diese bellenden, geifernden, kläffenden oder sabbernden Ungeheuer ganz schön die Freude am Leben. Bei Simonsens drohte und knurrte Schäferhundrüde Roland.

Roland galt als gesittet. Thyra jedoch galt als bissig. Wenn nun das graue Ehepaar Schmielsen zusammen mit Krischan, Callimann und Hermi in dem engen, vollgestopften Wohnzimmer vor dem Fernseher saßen, so lagerte vor dem Fernsehapparat Thyra, döste, seufzte, erwachte, sah Hermi grimmig in die Augen und bellte böse. "Thyra, aus!", verordnete Herr Schmielsen. "Oooouuurgh! Wuff! Wuff!"

"Aus! Oder ich hol’ den Teppichklopfer!", stellte Frau Schmielsen in Aussicht. "Iiiiiiuuuuuaaarrrgh! Winsel!", und Thyra zog demütig den Kopf ein, knurrte aber weiterhin gedämpft, fixierte dabei böse Hermi und signalisierte: "Wir sprechen uns noch!"

Angstzitternd verfolgte Hermi das Geschehen im Fernsehen. Das war unstreitig sehr aufregend, was man da zu sehen bekam. Da gab es zum Beispiel ,Turnen mit Adalbert Dickhut’. Adalbert Dickhut stand vor der einzigen Studiokamera im Trainingsanzug, immer noch eine Modellathletenfigur, und hatte vor sich lauter niedliche kleine Mädchen zwischen acht und zehn Jahren in kurzen Turnerröckchen. Dickhut erklärte uns kurz den Bewegungsablauf der nun folgenden Turnübungen – den niedlichen Stephanies mußte er das nicht mehr erklären, die waren schon eingeübt – und dann hob er Stephanie hoch auf das Reck oder den Barren oder die Ringe. Und Stephanie, Gretchen, Maike und Friederike spreizten die Schenkel und vollführten die vertracktesten Übungen, als wären sie aus Gummi gebaut.

Eine andere Sendung zur moralisch-ethischen Erhebung der deutschen Jugend war: ,Sport, Spiel, Spannung’. Eine klare Gliederung des Ablaufes. Zuerst kam der beliebte Sportreporter Sammy Drechsel, der ansonsten immer die rauheren, zutiefst männlichen Sportereignisse wie Eishockey, Boxen oder Motorsport moderierte. Drechsel saß an einem Tisch und begrüßte irgendwelche erfolgreichen Sportler. Oder es durften Schüler, die ein Preisausschreiben gewonnen hatten, dem berühmten Sportler eine Frage stellen.

Dann räumte Drechsel das Feld für das Spiel. Das Spiel wurde moderiert von einem übellaunigen Moderator namens Ernst Fischer. Sein Umgangston rief bei Hermi üble Erinnerungen an besonders autoritäre Lehrer wach. Herr Fischer lächelte nie und hatte einen unverkennbar süddeutschen, vielleicht badischen Akzent. Den Namen der Sendung sprach er immer aus als: "Schbwworrrt, Schbwwwuiiel, Schbwwannung". Wieviel Spucke er dabei aussonderte, konnte Hermi nicht erkennen.

Der große Hit seiner Abteilung war das beliebte Quiz "Zwei aus einer Klasse", ausgesprochen als: "Zwäi aus äino Glosse", was Krischan natürlich zu der Verballhornung: "Zwei aus einer Gosse" verführte. Zwei Schüler aus einer und derselben Schulklasse irgendwo im freien Teil Deutschlands hatten sich per Postkarte beworben. Es wurde auch immer wieder eine mannshohe Standardpostkarte mit der korrekten Adresse der Fernsehredaktion von irgendwelchen besonders streberhaften Jugendlichen für neue Bewerbungen in die starre Kamera gehalten.

"Und nun uns’re erste Frroge an Glaus aus Rrrregensburrg: wie häißt der Erfinder des ersten funktionsdüchtigen Verrbrrrennungsmotorrs?"

"Rudolf Diesel?"

"Nääin, dös is nicht rrrichtig. Jetzt trrritt Giselherrrr, auch aus Rrrregensburrrg, auch aus derrr Sonkt Florrrianschule aus derrr Glosse Ocht A gegen Glaus an. Deine gonz grroße Schonkse, Glaus auszuschtechen."

"Otto."

"Jawoll, doss is rrrrichtig."

Zum Schluß gab es dann aber doch für beide je einen Preis. Fairplay ist alles.

Und schließlich noch das, was die jungen Gäste auf den kargen Studiobänken und die jungen Zuschauer an den heimischen Bildschirmen bislang doch wirklich recht schmerzlich vermißt hatten: die Spannung nämlich. Zur Belohnung für so viel lehrhafte Langeweile gab es jetzt einen Filmausschnitt. Vielleicht konnte man kurz einen Gast interviewen, der in dem gleich ablaufenden Filmausschnitt eine Rolle spielte. Da kam dann möglicherweise Stummfilmstar Harold Lloyd im Zwanziger-Jahre-Outfit ins Studio, schlank und gelenkig wie in alten Zeiten, nahm seine Kreissäge vom Kopf und erzählte dem Dolmetscher, wie das damals so war.

Und dann sah man zum Abschluß Harold Lloyd, wie er auf irgendwelchen Gerüsten weit oben über New York herumtanzte, kurz davor war abzustürzen, um sich dann doch noch rechtzeitig wieder zu fangen. Gelöst und locker ging die Sendung zuende.

Krischan, Callimann und Hermi standen auf und bedankten sich artig.

Was würde Thyra machen? Nun, Thyra war in einer verdächtig gleichgültigen Stimmung und ließ die drei Brüder ungebissen ziehen. Auf dem Boden lag übrigens ein Fell und Hermi überlegte sich schon, ob Thyra auch irgendwann als Vorleger vor dem Fernsehapparat weitermachen würde.

Krischan, Callimann und Hermi waren also schon ein bißchen in die Grundlagen des Fernseh-Schauens eingeweiht, als sie sich der atemberaubenden Perspektive gegenübersahen, bald womöglich jeden Tag fernsehen zu dürfen. Und zwar ohne Thyra.

Der Anlaß für den Anschluß der Ploppas an die moderne Kommunikationstechnologie war jedoch zunächst einmal trauriger Natur. Als Opa Kiel gestorben war, empfahl Doktor Kröger für Oma Kiel als Therapie gegen die Leere und die trüben Gedanken einen Fernsehapparat.

Da saß also Oma Kiel, die an Parkinson-Krankheit litt, die letzten fünf Jahre ihres Lebens mit Frau Biggert, der treuen Haushaltshilfe, vor dem Fernseher. Vater Martin kam oft am Wochenende zu Besuch, um Reparaturen im Haus auszuführen und den Garten in Schuß zu halten. Abends schaute auch er fasziniert in den Fernsehapparat, dessen Programmangebot damals allerdings noch auf wenige Stunden zwischen dem Nachmittag und dem Abend beschränkt war.

Vater Martin war also auch schon im Gebrauch des Fernsehgerätes eingeweiht, als der große Möbelwagen mit Anhänger aus Kiel in der Bakterienstraße Station machte und die acht kantigen Packer jede Menge stilvolles Mobiliar aus Omas Hinterlassenschaft in die Wohnung schleppten. Viel handgeschnitzte Möbel, nach balinesischen oder chinesischen Vorbildern gefertigte Einzelstücke mit grantigen Drachengesichtern oder mit Schlingpflanzen. Dazu Teppiche und Antiquitäten. Sogar ein echter thailändischer Buddha, den Opa als kaiserlicher Marinesoldat mal eben aus einer Pagode hatte mitgehen lassen.

Und da asteten die Männer in einem dicken Umzugstuch ein schweres quadratisches Ungetüm in die Wohnung. "Bitte da ouf das Beßteckschränkchen!", ordnete Mutter Fita an. Und dann wurde das mit großer Spannung erwartete Wundergerät enthüllt. Die ganze Familie stand drum herum. Ein schweres Holzgehäuse in dunkelbrauner Lackierung. Vorne eine große Glasscheibe, dahinter in einer Einfassung die beinahe ovale grau-grüne Röhre. Darunter, im Zentrum zwischen zwei goldfarbenen Zierleisten, die Aufschrift "AEG".

Allgemeines Raunen. Respekt. Pietätvolles Murmeln. Selbstverständlich wurde das Wunderwerk jetzt noch nicht angeschaltet. Dieser große hohe Raum mit seiner Stuckdecke und seinem Ausblick auf die Kohlenhalden sowie auf die dahintergelegene Dampfturbine des Kraftwerks hieß ab jetzt nur noch das ,Fernsehzimmer’. Hier hatte Vater Martin auch Opas massiven ehrwürdigen Schreibtisch reingestellt. Allerdings hatte er selten an selbigem Möbel gearbeitet. Hier wurde nur in die Glotze gestarrt. Oder Vater Martin zeigte seine neuesten Dias.

"So, wie sollen wir denn nun mit dem Glotzophon verfahren?", fragte Vater Martin. "Ja, darübo müssen wir nachdenken. Neulich hat ja wiedo in do Zeitung geßtanden, Fernsehen würde süchtig machen und das Hirn oufweichen."- "Außerdem hat ein Moraltheologe beim Kulturverein einen Vortrag gehalten und gesagt, Fernsehen befördert den nackten Nihilismus.", ergänzte Vater Martin. "Was ist Nihilismus?", fragte Hermi, der sich darunter nur so etwas wie eine Erkältung vorstellen konnte. "Nihilisten sind Leute, die glauben an gar nichts. An keinen Gott, kein Vaterland, rein gar nichts.", klärte Vater Martin auf. Das mußte ja was ganz langweiliges sein, so etwa als wenn man auf ein Löschblatt beißt, dachte sich Hermi. "Für die Ougen soll das ja ganz schädlich sein von wegen der Sstrahlen. Das flimmot immo, das ist nicht gut für die Nerven. Glougemanns haben deshalb ouch eine gelbe Schutzfolie vor dem Fernsehschirm..."

[2] "Ach watt", warf Vater Martin ein, "Das ist alles Himpamp. Dett hilft jar nüscht. Der Glaube is des Menschen Himmelreich. Den Nirvens is dett schnuppe. Ingenieur Bröhlemann hat in den VDI-Nachrichten experimentell nachweisen können, daß diese gelbe Klarsichtfolie praktisch alle schädlichen Strahlen durchläßt."

,Sollte also Familie Paulsdorff in Klues blöd sein?’, fragte sich Hermi im Stillen. Hermi hatte seinen Schulfreund Peter Paulsdorff mal bei denen zuhause besucht. Paulsdorffs hatten eine solche gelbe Folie vor ihrem Fernseher. Im selben Zimmer wo der Fernseher mit seinem Gelbfilter stand, lag auch die uralte Oma den ganzen Tag und die ganze Nacht in einem Bett. Nur ab und zu sagte sie mal irgendwas Unverständliches. Peter lachte, wenn Hermi vom Rechenheft erschrocken aufschaute: "Mach Dir nix draus. Die gibt immer mal wieder solche Geräusche von sich. Gar nicht drauf achtgeben."

Hermi ging jetzt ein Licht auf: Hatte die Oma womöglich auf die Wirksamkeit der schützenden gelben Folie vor den Mörderstrahlen aus dem Fernseher vertraut, und währenddessen war ihr Gehirn aufgeweicht worden? Hermi war zu betroffen, um der Sache auf den Grund zu gehen.

"Allerdings sollte man maßhalten beim Fernsehgenuß", hörte Hermi Vater Martin sagen, "Doktor Kreimeyer hat vorgeschlagen, man sollte am besten pro Tag nicht mehr als zwei bis drei Stunden fernsehen. Sonst könnte es zu Nervosität und Schlaflosigkeit kommen."

Mutter Fita: "Naja, ich gloube ouch koum, daß ich das Verlangen verßpüre, täglich mehr als eine Sstunde in die Glotze zu schoun."

Auch in der Schule war immer wieder seitens der Lehrkräfte vor dem Mißbrauch des neuen Mediums gewarnt worden. Gesunde sportliche Ertüchtigung und ein gutes Buch wurden den Schülern wärmstens empfohlen.

Bisweilen verteilte man auch kostenlos Broschüren. Komitees gegen Schmutz und Schund ereiferten sich in den Faltblättchen gegen diese neuartigen minderwertigen Unterhaltungsmittel. Schlimm seien schon billige Schundhefte mit ihren Bildern plus aufgeklebten Sprechblasen. Besonders diese Donald-Duck-Hefte aus Amerika.

Hermi verstand nicht, warum hier nicht auch gleich im selben Aufwasch diese blöden Fix und Foxi-Hefte verboten werden sollten. Der Lupo kriegte immer Haue, ob er nun was ausgefressen hatte oder im Recht war. Das war so ungerecht, das machte Hermi richtig wütend.

Landserhefte wurden übrigens genauso wenig angeprangert wie Readers Digest-Hefte. Aber dafür das Fernsehen. Vom Verlust der sittlichen und religiösen Werte war da die Rede. Verrohung der Jugend. Haltlosigkeit. Gewalt. Verlotterung der Familie. Verhöhnung der Autoritäten.

Also begann Familie Ploppa ganz vorsichtig, die neue Droge auszuprobieren. Hier mal ein Lassie-Film. Aber dann auch gleich wieder das Gerät ausmachen! Von Oma Kiel hatte man eine Fernsehbrille geerbt. Es handelte sich um eine leicht getönte Sonnenbrille, die nun jeder mal reihum aufsetzte, wenn der Flimmerkasten lief. Immer öfter vergaß man die Brille, und irgendwann verstaubte sie im Schubfach.

Mit der Zeit sollte sich das sogenannte Vorabendprogramm als besonders beliebt erweisen. Beliebt speziell bei Hermi, denn er durfte sich die spannenden Halbstundenserien noch anschauen, bevor es dann – ab Trimo – unwiederruflich in die Heia ging.

Da jagte die Hamburger Hafenpolizei mit einer schnellen Barkasse Bösewichter zu Wasser. Zwei gemütliche Polizisten in einem BMW V8 kurvten in ihrem Einsatzwagen Isar 12 durch die Halbwelt von München. [Lloyd Bridges alias] Taucher Mike Nelson fand sich eingeschlossen in einer Stahlkammer. Während der Wasserpegel dank der Flutungsmaßnahmen einiger Verbrecher immer weiter stieg und der Sauerstoff in der beigeführten Flasche immer weiter zur Neige ging, suchte Taucher Nelson verzweifelt einen Ausgang aus der Flutungskammer. Oder Inspektor Gerrett suchte in den Häuserschluchten von Chicago nach den Mördern.

Inspektor Gerrett beeindruckte Hermi dermaßen, daß er einen Stoffhasen von Steiff "Inspektor Gerrett" nannte (Bild rechts: H.Ploppa). Der Stoffhase hatte bewegliche Glieder. Hermi fand, daß ein ordentlicher Inspektor auch eine ordentliche grüne Lederjacke haben müßte. Ihm war der Unterschied zwischen einem Zivilfahnder und einem Streifenbeamten zu jener Zeit noch gar nicht aufgefallen.

Hermi schnappte sich aus dem Garderobenschrank neben der Küche einen Damenhandschuh, schnitt die Fingerlinge weg, paßte das Leder seinem Inspektor Gerrett an, schnitt zwei Löcher für die Arme des Stoffhasen aus, strich die Lederjacke mit Tusche grün an, ließ alles trocknen, und zog Inspektor Gerrett seine neue Dienstuniform an.

Mutter Fita nahm die Sache erstaunlich gelassen. Offenkundig war der Handschuh nicht mehr allzu sehr in Gebrauch gewesen. Inspektor Garrett durfte seine Jacke behalten.

Dann gab es noch Privatdetektiv Cox, gespielt von Günter Pfitzmann. Cox sagte immer, wenn sich ein neuer Fall anbahnte: "Hier stimmt etwas nicht."

Ein bißchen störte die Ploppas, daß zwischen den spannenden Vorabendserien und dem "Nordschau-Magazin" mit Hermann Rockmann, sowie zwischen dem Nordschau-Magazin und der Tagesschau sich dieses aufdringliche Werbegeschrei befand.

"Widerlich, diese Werbung!" befand Ilse Geistwald, die mal eben vorbeigeschaut hatte, und nun im Sofa saß. "Ja, und so oufdringlich. So impertinent!", bestätigte Mutter Fita. "Warum guckt Ihr Euch das denn dann an?", fragte Callimann, ohne den Blick von der Bildröhre zu wenden. "Ihr könntet doch einfach abschalten.", meinte Krischan, der sich die Augen massierte, um das Fernsehbild besser fokussieren zu können. Mutter Fita: "Naja, nun, man muß ja wissen, wie das Volk verblödet wird." Vater Martin ergänzte, den Blick fest auf den Bildschirm gerichtet: "Ja, dett is schon interessant, mit welchen Methoden diese Brüder ihren Werbeschwachsinn unter die Leute bringen."

Und es war ja auch nicht zu fassen. Da sah man eine alte Tante auf einem mondänen Ball nur mit feinstem Chinchilla umwickelt, unter lauter solchen Wirtschaftwunderpandas herumstolzieren. Ein Reporter kam angedackelt und bedrohte sie mit dem Mikrophon: "Lilian Harvey. Immer noch jugendlich frische Spannkraft. Wie machen Sie das bloß?" Lilian Harvey wendet sich kühl und stolz zum Reporter: "Ja. Das ist mein Geheimnis. Ich nehme Hormocenta."

Hohnlachen in der Bakterienstraße 51: "Ja, wie kann das denn ein Geheimnis sein, wenn die Altsche das so ousposount?"

[3] Nun kam ein fein im Smoking gewandeter älterer Herr ins Bild, der einen Kognacschwenker schwenkte. Der Grandseigneur sprach in einfachen Reimen – Reimschema aa bb – zu uns, während irgendwelche Freunde sich in einer Stummsequenz zu seiner Stimme aus dem Off begrüßten und umarmten. Resümè, wieder der feine Herr mit Schwenker im Bild: "Wenn einem also etwas Gutes widerfährt, das ist schon einen Asbach-Uralt wert. Denn in Asbach-Uralt ist der Geist des Weines."

Jetzt sah man Zeichentrick. Die berühmten Knollennasenmännchen von Loriot. Ein Schiffsstapellauf. In der Bakterienstraße ein durchaus vertrautes Erlebnis. Ein Knollenfrauchen wirft die Sektflasche gegen den Schiffsrumpf, das Schiff saust unter viel Sirenengetute von der Reede. Und verschwindet grußlos im Wasser. Während noch einige Luftblasen blubbern, sagt uns eine Stimme: "Nimm’s leicht. Nimm Scharlachberg".

Der Erfolg bei Ploppas war durchschlagend. Aber Ploppas hatten sich schon für Asbach Uralt entschieden. Letztlich zählt doch Seriosität und nicht rheinländische Albernheit.

Zwischen den Werbespots erschien immer wieder das Seh-Pferdchen, das virtuelle Maskottchen des Norddeutschen Fernsehens.

Nunmehr junge Leute, die verbissen Gewichte stemmten. "Kraft!", rief eine Stimme aus dem Off. Die jungen Leute stemmten schwerere Gewichte: "Energie!" Die jungen Leute liefen Marathon: "Ausdauer!" Ein verschwitzter Kerl wischte sich den Schweiß aus der Stirne und stieß ein stummes ,Puh!’ aus. Stimme aus dem Off: "Wie schafft man das bloß?" Und schon gab die selbe Stimme die unverlangte Antwort: "Ganz einfach: Zucker!" Und schon rieselte aus einer Tüte Zucker auf einen weißen Tischbelag, wurde zu einem leckeren Haufen aus weißem Mikrogranulat.

"Na, Ali, nun weißt Du, wie mans macht! Einfach nur Zucker fressen!", sagte Edelgard Kraschnewski lachend zu ihrem Gemahl. "Ach was, Edelgard. Da brauch’ ich nur in den Kraftraum gehen und ein paar Übungen machen! Es ist nicht zu fassen, was die Leute sich da von der Werbung alles für einen Blödsinn aufschwatzen lassen.", sagte Ali Kraschnewski.

Edelgard und Ali Kraschnewski saßen am äußeren Rand der Fernsehgruppe auf zwei Stühlen, die aus dem Balkonzimmer herbeigeholt worden waren. Das Ehepaar Kraschnewski war nur mal eben vorbeigekommen, um Ploppas guten Tag zu sagen. Das Fernsehen hatte sich so nebenbei ergeben, sagten sie.

Dring! Dring! Es klingelte an der Küchentür. "Bemühen Sie sich nicht, Frau Plobba. Bis Sie sich da durchgearbeitet haben durch die ganzen Leute ... Niels! Geh’ mal eben und mach bei Plobbas die Küchentür auf!" "Ja, Pabba!"

Die Küchentür wurde geöffnet, und sofort wurde ein munteres Lachen hörbar. Und schon stand Udo Geistwald an der Tür zum Fernsehzimmer: "Na, Hä Plobbä, seitdem bei Ihnen ein Fäänsehä ßteht, sind ja die Gärten unten wie ausgeßtorben. Immer jeden Abend auf grouße Reise. Gestern nach Rio, heute nach Rom und morgen nach Tokio. Und ganz ohne Koffä und Seekrankheit. Is das schöin, hahaha!"

Und Udo Geistwald bleckte seine Zähne vor Vergnügen: "Abä, ich wollte eigentlich mal fragen: Ilsebil, mein gutes ßtück, wollten wir nicht heude abend ins Theater?" Ilse Geistwald: "Oh Gott! Vor lauter blödsinniger Fernsehguckerei hab’ ich das mit’m Theater völlich vergessen. Is abä noch nich zu ßpät, wa?"

"Ach watt, Dein Udolein fragt nur schon mal rechtzeitig genug nach, damit wir nich nachher das Nachsehen haben, wenn wir uns nicht vorsehen, hahaha!"

"Na, dennischagut! Also, ich wünsche noch allseits viel Vergnügen beim Fäänsehn." Und das Ehepaar Geistwald war davon. "Ich weiß ja auch nicht. Wir wollten eigentlich auch noch in den Garten, Wurzeln und Radieschen ernten.", fiel es Edelgard Kraschnewski ein.

Doch schon kam etwas, was die ganze Gesellschaft für all den entnervenden Werbeschwachsinn, den ja partout keiner auch nicht ums Verrecken sehen wollte aber trotzdem mußte, entschädigen. Ein Zeichentrick-Männchen mit markanter Nase kam fröhlich die ersten Takte von "freut Euch des Lebens" pfeifend auf sein Zeichentrickauto zu. Koffer und Regenschirm in den Händen des Männchens deuten darauf hin, daß das Männchen einen launigen Ausflug machen will. Packt den Koffer in den Kofferraum. Da haut ihm mit einem Sproing! eine Feder ins Gesicht. Das Männlein stutzt. Macht aber weiter. Bei dem Versuch, den Defekt zu beheben, haut ihm die Kofferraumklappe auf den Hinterkopf, von vorne schlägt ihm jetzt der Schirm ins Gesicht. Als er sich auf den Kotflügel seines altmodischen Autos aufstützen will, reißt der Kotflügel ab.

[4] Hahahahahaha! Die Gesellschaft im Fernsehzimmer ist außer sich vor Vergnügen, Mit jedem weiteren Mißgeschick des Männleins, das irgendwelche seltsamen Verwünschungen grummelt, steigert sich das Lachen in bauchdeckenzerreißendes Gewieher.

Schließlich hat Brunos Wut einen solchen Siedepunkt erreicht, daß er wie eine NASA-Rakete vom Boden abhebt mit entsprechendem Geheul. Jedoch der immer grinsende HB-König zieht das HB-Männchen wieder auf den rettenden Boden zurück mit den Worten: "Halt mein Freund! Wer wird denn gleich in die Luft gehen?! Greife lieber zur HB, und alles geht wie von selbst." Düü-düdüdüdüü - Schon erklingt beruhigende Musik, das HB-Männchen zieht aus der Zigarette, und schon fügen sich alle Bruchteile wieder zu einem heilen Auto, der Schirm wandert von alleine ins Auto, ihm folgt der Koffer, Bruno setzt sich rein und fährt davon.

[5] Alle halten sich die Bäuche. Besonders Krischan kann sich nicht mehr reinkriegen. Und Vater Martin meint: "Unser HB-Männchen ist Hermi. Der kriegt auch immer solche Wutanfälle." Das findet Hermi ja nun gar nicht, und vor so vielen Leuten schon erst recht nicht.

Nach dem Kurzauftritt des Seh-Pferdchens, das man nun mittelprächtig findet, fast könnte es einem leid tun nach dem virtuosen Auftritt des HB-Männchens, aber im Grunde kann einem jeder leid tun, der die Aufmerksamkeit der Ploppas nach dem HB-Männchen noch erregen soll; kommt ein Bataillon Tanzmädchen mit makellosen Beinen, die es mal rechts herum, mal links herum nach oben hebt, immer schön synchron.

Eine Stimme aus dem Off ruft: "Tun Sie was!" Dann noch mal dringlicher: "Tun Sie was!"

"Was soll das denn?", fragt Mutter Fita. Und nochmal, noch dringlicher: "Tun Sie was!" In diesem Moment zerteilt sich das Bild in etwa sechs zusammengepreßte Bilder mit dem gleichen Motiv, den gleichen makellosen Tanzbeinen. Und die Stimme aus dem Off ruft: "Tun Sie was – für Ihre Füße! Gönnen Sie sich ein Efasit-Fußbad." Das interessiert nicht mehr, denn nun schrumpft das Bild ganz zusammen zu einem silbernen Strich, der sich waagerecht durch die Bildmitte zieht. "Bei Fußpilz, Furunkel, zur Milderung von Fußschwellungen ..."

"Das darf doch nicht wahr sein!", schimpft Vater Martin. "... gegen Beschwerden hilft sofort Efasit. In Ihrer Apotheke oder Drogerie. Lassen Sie sich beraten.", spricht der Silberstrich. "Halt’ den Mund, du Quatschkopf!", meint Vater Martin ungnädig, und weiter: "Kombiniere, der Fernseher is kaputt. Irgendein Transistor oder ein Widerstand. Das muß morgen ein Mechaniker von Fernseh-Markussen aus der Harrisleer Straße reparieren. Kannst Du den morgen gleich anrufen, Fida?"

"Das kann ich machen. Hoffentlich kommt dann wieder Herr Würggassen. Der hat das voriges mal auch so gut gemacht. Und hatte so eine ruhige Hand." Die Gesellschaft löste sich jetzt geordnet und diszipliniert auf. Familie Kraschnewski ergoß sich in den Garten und die vielköpfige Familie hatte viel Zeit, Wurzeln und Radieschen zu ernten. Das Fernsehzimmer war ganz verwaist.

Vater Martin nahm sich das Buch: Pritzkoleit: ,Eine Woge von Gold’ zur Hand, ein Werk, das sich kritisch mit der Kapitalkonzentration im Wirtschaftswunder-Deutschland befaßt und beklagt, daß die Deutschen jede Menge Geld auf dem Sparkonto haben, das dort unproduktiv vergammelt, weil es nicht genug Gelegenheit angeboten wird, das Geld auszugeben.

Mutter Fita las das Buch ,Der Kardinal’, ein Buch, das ihr sehr nahe ging. Ein junger Mann in den USA steht vor der Wahl, ob er die Frau, die er liebt, heiraten soll oder ob er entsagt und eine Karriere in der Kirchenhierarchie ansteuert. Er entscheidet sich für das letztere. Später soll er im Krankenhaus entscheiden: bei einer komplizierten Geburt kann nur entweder der Säugling oder die Mutter überleben. Als dogmatischer Katholik entscheidet sich der Kardinal für das Überleben des Kindes. Eine Entscheidung, die Mutter Fita besonders aufbrachte. Beide Entscheidungen des hohen Gottesmannes gingen ihr reichlich gegen den Strich.

Krischan und Callimann waren wohl noch mal zum Ostseebad aufgebrochen. Hermi war ins Bett verbannt worden, wo er wie immer stundenlang nicht einschlafen konnte. Am nächsten Vormittag rückte auch schon Fernsehdienst Markussen an. Allerdings nicht Herr Würggassen. Stattdessen kamen ein Geselle und ein Lehrling. Die beiden besahen sich den Silberstreif und nickten sehr siegesgewiß mit den Köpfen. "Klarer Fall. Das haben wir gleich."

Der Fernseher wurde auf der Kommode behutsam umgedreht und dann die Hinterwand aufgemacht. Der Blick fiel nun ungehindert auf eine Plantage von Röhren, Transistoren, Kabeln und Widerständen. Der Geselle steckte ein Meßgerät in den Kabelsalat, murmelte ein paar Fachbegriffe zum Lehrling. Dann legte er das Meßgerät beiseite, holte aus seiner Tasche ein Päckchen, zog einen Transistor heraus, entfernte einen völlig zusammengeschmolzenen Transistor, steckte den neuen Transistor in das Gewusel, schraubte die Hinterwand wieder an, versetzte das Fernsehgerät in seine alte Position zurück, steckte den Stecker in die Dose, schaltete das Gerät an und siehe: ein saftiges blaugrau-weißes Testbild erstrahlte über den gesamten Bildschirm. Ploppas konnten wieder in die Glotze gucken.

[6] Gottseidank. Noch grade rechtzeitig. Denn heute abend gab es wieder Professor Grzimek mit seiner beliebten Sendung ,Ein Platz für Tiere’. Da durfte Hermi nämlich länger aufbleiben. Zwar schon im Schlafanzug, aber immerhin.

Das war schön. Nach der Tagesschau und der Wetterkarte, die wie immer mit dem Pfeil auf einer Himmelsrichtungskoordinate endete – der Pfeil stand heute wieder auf Südwest – sagte Irene Koss (von Krischan Irene Kross genannt) die allseits heiß und innig geliebte Sendung ,Ein Platz für Tiere’ an.

Und schon sahen die Ploppas diesen netten älteren Herren mit den imposanten Gesichtsfurchen, die ihm die Würde und Gravität eines gereiften Gorillamannes gaben, auf dem Bildschirm. Der Blick wie immer um Verständnis werbend durch die Goldrandbrille auf die Zuschauer gerichtet. Seine Stimme in einer gleichmäßigen, um nicht zu sagen monotonen Satzmelodie, das Timbre gaumig-kehlig Tiefe umgreifend, mit einem leichten Überschlag ins Metallische, so wie es Mandelamputierte die ersten Tage nach der Operation zu haben pflegen.

Mutter Fita hatte sich ganz zurückgelehnt, voller wärmster Aufnahmebereitschaft für diese personifizierte Tierliebe. Vater Martin hatte sich nach vorne gebeugt, ein freundliches Lächeln, das in der Dauerhaftigkeit seiner Freundlichkeit ein bißchen grimassierte. Die rechte Hand hatte er als zweite Ohrmuschel über die rechte richtige Ohrmuschel gelegt, um mit seinem intakten Ohr auch jede Silbe des Frankfurter Zoodirektors aufzusaugen.

"Guten Abend,, meine lieben Freunde zuhause am Bildschirm. Wie sie schon sehen, habe ich heute wieder einen besonders possierlichen Kameraden aus dem Frankfurter Zoo mitgebracht..." Und schon die ganze Zeit fragte man sich bei den Ploppas, was dieser dunkle Balg da auf dem Schreibtisch wohl darstellen sollte. "... es handelt sich dabei um ein Oppossum. Seine Heimat sind eigentlich die dunklen tropischen Regenwälder des östlichen Sumatra. Dieser Freund hier ist allerdings schon im Zoo von Frankfurt geboren worden." Da konnte man ja gar nichts sagen. Das war also kein Entführter und Heimatvertriebener hinter deutschen Zookäfigen. Wie human. Das Oppossum watschelte auf dem Schreibtisch herum, schnuffelte am Mikrophon, schmiß einen Bleistift vom Tisch. Erst als das Kleintier Grzimeks Redemanuskript an sich reißen wollte, mußte der menschliche Tierfreund milde lächelnd intervenieren.

Wie lustig! Wie niedlich! Die Ploppas glucksten und schmunzelten über diese tierische Unschuld. Wie menschlich, wie menschlich! Und man entkrampfte einige Muskeln bei dieser Idylle. Grzimek zeigte uns nun einen Film ohne Ton. Er stellte uns neue Wasserbecken für die sensiblen Flußpferde Fredie und Nina vor. Der Tierpfleger spritzte die sich wohlig räkelnden Massivtiere mit Wasser ab. Besser konnte es doch auch Gästen im Hilton nicht gehen wie den Tieren im Zoo zu Frankfurt am Main unter der Hoteldirektion von Professor Grzimek.

Jetzt begleiten die Ploppas ihren Fernsehfreund in ein Wildreservat in Kenia. Mit einem im Zebramuster getarnten Landrover fährt Professor Grzimek gemeinsam mit dem Leiter des Zoos von Nairobi, Herrn Professor Joshua Ubbadongo, durch die Savanne mit ihren verdorrten Bäumen. Grzimek erzählt zunächst, wie prächtig das Reservat noch vor fünf Jahren ausgesehen hat, als er zum letzten Mal hier gewesen sei. Man sieht jetzt Professor Ubbadongo mit trauriger Miene auf ein vertrocknetes Flußbett zeigen: Leider mußte er nunmehr von Professor Ubbadongo erfahren, daß die Regierung vorhat, ihre Zuschüsse für den Unterhalt dieses Reservates ganz zu streichen.

Der Ton des Fernsehmoderators wird beklagend. Wenn das wahr wird, dann sind all diese prächtigen Giraffen, diese hurtigen Hyänen, jene stolzen Löwen, leider in ihrem Bestand gefährdet. Aber die Ploppas wissen: es kann etwas dagegen unternommen werden! "Also an sie, meine lieben Freunde da draußen am Fernsehgerät wende ich mich mit der herzlichen Bitte, eine Postkarte an die kenianische Botschaft in Bonn zu schreiben mit der Bitte an die kenianische Regierung, doch unter folgender Adresse..."

"Ja, da müßte man was machen.", sagte Vater Martin. Aber schon war der nächste Kurzfilm zu sehen. Diesmal gab es einfach nur die urtümlichen Echsen auf den Galapagos-Inseln zu bestaunen. Die Ploppas waren ganz hin und weg. Hier konnte man nicht nur seltene Tiere bewundern. Hier konnte man Teil sein einer weltweiten Harmonie von Mensch und Tier, konnte sich für den Menschen im Tier und das Tier im Menschen erwärmen, und gelegentlich noch die eine oder die andere Mark für die gute Sache spenden.

Dann passierte doch noch was unerwartetes, aufrüttelndes als Schlußwort der Sendung: "Und nun, meine lieben Freunde, muß ich Ihnen noch etwas Bedauerliches mitteilen. ,Ein Platz für Tiere’ wird im nächsten Monat noch einmal an diesem Sendeplatz um 20 Uhr 15 präsentiert. Dann rückt diese Sendung auf einen erheblich späteren Sendetermin, in zwei Monaten nämlich kommt ,Ein Platz für Tiere’ immer nach dem politischen Magazin, also erst um 22 Uhr. Diesen späten Sendeplatz bedaure ich persönlich sehr, denn ich weiß, daß viele sehr junge Zuschauer extra für diese Sendung noch aufbleiben dürfen."

Hermi fühlte sich angesprochen. "Aber ich kann auf die Programmplanung keinen Einfluß ausüben ..." Die Ploppas waren außer sich. Vater Martin: "Was bilden sich diese Bürohengste, die das Programm machen, eigentlich dabei ein? Ist denen der Wille der Zuschauer eigentlich völlig egal?"

[7] Mutter Fita: "Ungeheuolich! Diese Sstinko sollte man alle mal in so’n Käfig ßtecken, damit die zur Vernunft kommen, diese Brüdo!"

Am folgenden Abend, nachdem im Garten noch Unkraut gejätet worden war, setzten sich Vater Martin und Mutter Fita zusammen und entwarfen einen Brief an den Herrn Professor Doktor Bernhard Grzimek. Er wurde gebeten, doch auf die Programmgestalter bei der ARD dahingehend einzuwirken, daß sie seine Sendung doch bitte wieder direkt nach der Tagesschau bringen möchten. Ansonsten könne leider der jüngste Sohn, der gerade erst sieben Jahre alt sei, aber trotzdem ganz gebannt der Sendung zuschauen dürfe – als absolute Sonderregelung, denn normalerweise werde er um diese Zeit schon zu Bett geschickt; sonst könne der Sohn die Sendung also nicht mehr sehen, denn den Steppke bis elf Uhr aufbleiben zu lassen ginge nun ganz gar nicht. Auch für die älteren Söhne sei der Termin angesichts der frühen Schulstunden am nächsten Morgen schon bedenklich.

Übrigens habe Vater Martin auch, genau wie Herr Grzimek - wie er aus der Zeitung wußte - in Neisse die Schule besucht und müsse im Grunde ein Klassenkamerad von Vater Martins Bruder Hermann gewesen sein. Mit freundlichen Grüßen undsoweiter. Vater Martin ging noch spät abends um elf zum Briefkasten an der Ecke Bakterienstraße/Trollseeweg, um den von Mutter Fita und ihm unterzeichneten Brief auf den Weg zu bringen.

Es kam tatsächlich ein Antwortbrief von Herrn Professor Doktor Grzimek. Die Ploppas versammelten sich mittags in der Küche, und Vater Martin las den Brief des berühmten Zoologen laut vor. Darin bedankte Grzimek sich recht höflich und zeigte sich angenehm überrascht von der überwältigenden Reaktion, ausgedrückt in Briefen und Anrufen im Frankfurter Zoo auf seine Nachricht bezüglich der geänderten Sendezeiten. Die große Resonanz habe die Intendanz der ARD dazu veranlaßt, ,Ein Platz für Tiere’ an dem alten Sendeplatz zu belassen. Großer Jubel in der Bakterienstraße. Im übrigen freue er sich, einen schlesischen Landsmann aus Neisse in Herrn Ploppa begrüßen zu können. Der Bruder von Herrn Ploppa sei ihm allerdings persönlich nicht bekannt. Mit freundlichen Grüßen. "Da sieht man doch wiedo", meinte Mutter Fita, "wer nicht wagt, der nicht gewinnt; wer nicht liebt, der kriegt kein Kind."

[8] Die Beziehung zu Grzimek war also ein früher Vorläufer der interaktiven Medien. Das hatte Würde. Aber diese Musikshows, dieser amerikanische Klingklang-Klimbim, die ganzen ausgeleierten verlebten Schlaffsäcke waren doch so was von beschossen! Da kamen vier Männer oder vier Frauen oder auch zwei Männer und zwei Frauen irgendeine Showtreppe runtergehuppt, sangen dabei irgendein Dubie-Du. Oder es kam Bibi Johns mit einem engen Kleid die Treppe runtergeeiert, ein Mikrophon am Mund. Mit einem so engen Kleid, daß sie nur noch trippeln konnte, als müßte sie einem nachdrücklich ins Freie drängenden Enddarmprodukt durch Zusammenkneifen der Pobacken den Weg versperren.

"Die kann ja gar nich singen. Das is ja ein furchtbarer Singsang", urteilte Mutter Fita. Da quakte etwas, das schien nicht aus dem Fernseher zu kommen. Mutter Fita schaute sich um. Da stand Hermi, der sich seine weiße Bettdecke wie jenes Modellkleid von Bibi Johns eng-lasziv um den Leib gewunden hatte, dazu einen Eierbecher in der Hand als Mikrophon, stakste herum und quäkte wie Bibi Johns in den Eierbecher.

"Ochottchen, an Dir is ja wahrhaftig ein Cloun verloren gegangen. Paß’ ouf, daß Du nicht über Deine Bettdecke ßtolperst!", amüsierte sich Mutter Fita. Und Vater Martin: "Du Lümmel, du sollst doch schon lange schlafen." Hermi machte noch ein paar Faxen, um noch ein bißchen Zeit vor dem erneuten Bettgang herauszuschinden. "So, nun is aber gut. Jetzt zu Bette, Marsch, Marsch!" Und Bibi Johns verschwand rechts hinter der Kulisse. Hermi blieb. Saß jetzt neben Mutter Fita auf dem Sofa.

Nun sah man so eine Art Spindschrank in einer vollständig weißen Kulisse. Die Spindschranktür öffnete sich. Heraus trat ein Mann, der Hermi ein bißchen an Hans Sachs von Robert Lembkes Rateshow ,Was bin ich?’ erinnerte. Und der Mann fing an zu singen, ging nach vorne, eine weitere Spindschranktür ging auf, eine pummelige Frau im Sackkleid mit toupierten schwarzen Haaren kam heraus, sang jetzt auch mit. Die Kamera wich noch mehr zurück vor den beiden. Aus einer weiteren Schranktür trat wieder ein Mann heraus, eher lang und mager; auch er fing sofort an zu singen, und die Kamera wich jetzt vor der sich formierenden Übermacht zurück, eine vierte Spindtür ging auf, noch eine Frau, lang mit blonden toupierten Haaren trat heraus und fing auch an zu singen. Alle zusammen sangen: Bab bua bab bua, Musik liegt in der Luft, bab bua bab bua... Und dann sangen sie noch, daß jetzt diese beliebte Show leider zuende sei, die Zuschauer aber nicht traurig sein sollten, denn irgendwann gäbe es ein Wiedersehn bab bua bab bua.

Und schon kam der Abspann zunächst mit den Namen der großen Stars, dann die Namen des technischen Teams und zum Schluß der Namenszug des NDR. "Ist doch erßtounlich, wie oft der selbe Nachname mit immo anderen Vornamen in do Besetzungsliste vom Abßpann ouftoucht. Da bringt wohl ouch jeder seine ganze Familie in den Laden ein", mutmaßte Mutter Fita. "Jaja, so lange es die Menschheit gibt, so lange gibt dett auch schon diese verdammte Vetternwirtschaft", resümierte Vater Martin. Hermi mußte jetzt aber wirklich zu Bette.

[9] Vater Martin und Mutter Fita hatten gar nichts mit Karneval am Hut. Weder im ßpröden Bremen, noch in Berlin, noch in Kiel und erst recht nicht in Flensburg hatte man jemals einen Karnevalsumzug erblickt. So etwas affiges tat doch kein erwachsener Mensch. "Also, diese Kölno", wußte Mutter Fita zu berichten, "die sind ja völlig plemplem. Die sind völlig karnevalsverrückt. Die versetzen ihre ganze Wohnungseinrichtung beim Pfandleiho, um so einen Karnevalsumzug finanzieren zu können. Von Aschermittwoch an hocken die in ihrer völlig kahlen Wohnung, und erst im Loufe des Jahres können sie dann ihre Möbel ßtück für ßtück wiedo ouslösen beim Pfandleiho, um dann zu Weihnachten wiedo komplett möbliert zu sein. Und dann geht der ganze Trubel von vorne los. Das sind ja ouch alles Katholiken. Völlig falsch. Als ich ein Jahr lang in dieser Heimchenschule in Eisenach war, da hatten wir ouch jede Menge katholische Schülorinnen. Die mußten sonntags immo zur Beichte. Die hatten gar nichts zu beichten – ochottchen! Was hätten wir denn schon Sündiges anßtellen sollen da am Sstadtrand? – und weil die dem Priesto nichts zu beichten hatten, vokouften die katholischen Heimchen sich gegenseitig irgendwelche Sündengeschichten. Ach geh’ mi los mit so’m Volk!"

Wenn im Fernsehen die Prunksitzung des Kölner Karnevals live übertragen wurde, blieb der Fernseher bei Ploppas kalt. Köln war ein absolutes Haßkappenthema. Auch Millowitsch und sein Theater verschafften Ploppas AEG-Fernseher eine Erholungspause. Wurde dieser Millowitsch dennoch in irgendeine der vielen großen Shows mit allen TV-Größen jener Zeit hineinmengeliert, so vermerkte Vater Martin später ergrimmt in seinem Tagebuch: "Sehr gelungene Fernsehshow. Allerdings leider auch einige Minuten mit Millowitsch." Nein, also diese Kölner – nehmen wir mal den sehr verdienstvollen Bundeskanzler Doktor Adenauer aus – waren doch würdelose Kasper, die für einen schlechten Witz ihre Oma verheizten. "Oußodem sind die Witze bei denen immo unto do Gürtellinie." Hermi assoziierte bei Kölnern immer nur alberne Schimpansen.

Dagegen stand der Mainzer Karneval in allerhöchsten Ehren. Mutter Fita und Vater Martin stellten sich Salzerdnüsse, Salzstangen und sogar einen Wein (,Kröver Nacktarsch’) auf den Tisch und schalteten sich in die Direktübertragung der Prunksitzung des Mainzer Karnevalvereins hinein. Bis um drei, ja sogar bis vier Uhr nachts hörte Hermi aus dem Fernsehzimmer dann im dreißig-Sekunden-Abstand "Ta-taaa, ta-taaa, ta-taa!", mit dem auch dem besoffensten Karnevalisten unzweideutig angezeigt wurde, wo er zu lachen und wo er zu applaudieren habe.

Die Attraktion der Mainzer Karnevalssitzungen war der singende Dachdeckermeister Ernst Neger – gesprochen Ännst Neeschä, der seine selbstkomponierten Lieder vortrug. Allerdings wurde hier kräftig gegen diskriminierte Minderheiten vom Leder gezogen. Auch hier waren die sichersten Pointen diejenigen auf Kosten anderer. Aber Mutter Fita und Vater Martin waren voll zufrieden: "Das ist doch Spaß mit Niveau. Nich so’n primitiver Pöbelkram!"

[10] Wie gesagt, ganz unten in der Achtung standen alle Lebensäußerungen aus Köln. Ploppas waren unbestechlich in ihrer Bewertung von Regionen und ihrer Bewohner. Klare Position mußte bezogen werden, wenn es um die diversen dialektal gefärbten Fernsehübertragungen aus Volkstheatern ging.

Nun weiß jeder: in den sogenannten Volkstheatern findet sich alles mögliche – nur nicht das Volk. Hochgebildete Akademiker betrieben Volksbühnen, auf denen Leute mit Studienabschluß einfache Leute mit Bildungshandicap spielten. Das Publikum bestand vornehmlich aus Lehrern, Ärzten und Rechtsanwälten. Leute aus der Mittelebene der Gesellschaft lachten auf Kosten virtueller simplizistischer Dummköpfe aus einer virtuellen Unterschicht der Gesellschaft in einem virtuellen Dialekt, den außerhalb der Theater kein Mensch zu sprechen weder Stirne noch Lust hatte.

Gespalten war die Meinung der Ploppas über bayrische Lebensäußerungen, wie zum Beispiel den Komödienstadel. Vater Martin als Alpenvereinsaktivist und Ski-Urlauber in den Alpen trug gelegentlich eine halbkurze Krachlederhose und besuchte Alpenvereinsfeste im bayrischen Stil. Er fand diese Bayern ganz herzlich und nett. Mit solch einer Neigung stand Vater Martin jedoch völlig isoliert in der Familie. Die Vorabendserie Isar 12 fanden alle nett. Aber sonst? Diese depperten verinzuchteten Bayern? Geh’ mi los!

Die Schwaben mit Willy Reichert und der schwäbelnden Gemächlichkeit mochten alle. Vor diesen behäbigen Langsamträätern brauchte keiner Angst zu haben. Die Hessen, vertreten durch die Familie Hesselbach, waren Sympathieträger. Keine Folge der beliebten Hesselbach-Serie wurde ausgelassen. Das lag wohl daran, daß die Ploppas noch keinem leibhaftigen Hessen begegnet waren.

Pflicht war natürlich das Ohnsorg-Theater. Diese herzigen, kauzigen Typen. Wenn Heidi Kabel wieder Opa Henry Vahl als "ollen Gnaddelkopp" beschimpfte und Henry Vahl wieder all die jungen Leute, die sich vor ihm sicher fühlten, gründlich angeschmiert hatte, dann freute sich die ganze Ploppaidenschaft. Es war zwar immer dasselbe Schema: irgendein Konflikt trat auf, Leute konnten nicht miteinander, und dann zum Schluß eine Massenhochzeit quer durch alle Generationen – Heidi Kabels Tochter Heidi Mahler kriegte Edgar Bessen - und die Symmetrie und der Interessenausgleich durch angebahnte Sexualität wieder hergestellt war. Es machte nichts, daß Opa Henry Vahl als feixender Single am Schluß übrigblieb. Gott in dém Alter ...

[11] Einige Betrachtungen müssen wir anstellen über die dominante Rolle der Spitzen-Kabarettisten im deutschen Fernsehen. Es ist absolut erstaunlich, daß sich die CDU nie im Bundestag mit der Kumpanei befaßt hat, wie sie die Fünfte Kolonne der SPD in Form der beiden Kabarettgruppen - den ,Berliner ,Stachelschweinen’ und der ,Münchner Lach- und Schießgesellschaft’ - ausgeübt haben. Es hätte Adenauers Medienexperten auffallen müssen, daß es sich bei diesen Kabarettisten nicht um harmlose Polit-Spaßmacher handelte, sondern um ein zu allem entschlossenes Netzwerk der Sozis zur Unterwanderung der deutschen Fernsehlandschaft.

Fangen wir an mit dem schon erwähnten Sammy Drechsel. Eigentlich war Sammy Drechsel nur Regisseur der ,Münchner Lach- und Schießgesellschaft’. Schnell gelang es ihm jedoch, sich das Vertrauen der nichtsanhnenden gutmütigen Intendanten des Bayerischen Rundfunks zu erschleichen. So erlangte Drechsel Einfluß auf die männliche Arbeiterschaft, indem ihm die Sportreportagen anvertraut wurden. Durch diese Position gelang es ihm sodann auch noch, in die maßgebende Jugendsendung ,Sport, Spiel Spannung’ einzusickern. Seine Frau Irene Koss brachte er als Programmansagerin ein. Als dann auch noch der leitende Moderator von ,Sport, Spiel, Spannung’, Ernst Fischer, starb, brachte Drechsel seinen Sozi-Spezi Klaus Havenstein von seiner ,Lach- und Schießgesellschaft’ als neuen Chefmoderator bei ,Sport, Spiel, Spannung’ unter. Klaus Havenstein wiederum gefiel sich zunehmend in der Rolle des netten Kinderonkels und prägte damit zukünftige Generationen, und zwar nachhaltig. Ausgehend von seiner Position bei ,Sport, Spiel, Spannung’ schnappte er sich nun auch noch die äußerst einflußreiche Sendung ,Wir warten auf das Christkind’, mit der am 24. Dezember der Nachmittag erwartungsfroher Kinder televisionär ausgefüllt wurde.

Nicht nur, daß Klaus Havenstein im Gewand des harmlosen Clowns Klaus Einfluß nimmt auf die noch aufnahmebereite Psyche der Kinder. Er holt zur Verstärkung seinen ,Lach- und Schießgesellschaft’-Kollegen Hans-Jürgen Dietrich als Clown Dietsch hinzu. Havenstein versteht es, sein erworbenes Image als volkstümlicher Onkel auch noch für diverse Gelegenheitsjobs als Fernsehmoderator zu nutzen.

Auch die Berliner ,Stachelschweine’ sind derweil nicht müßig gewesen. Unter der Maske der stramm antikommunistischen Inselberliner betrieben sie ihr Werk zur Umkehrung der Machtverhältnisse in Bonn. Es gab praktisch keine Fernsehsendung im ARD-Programm mit Berliner Lokalkolorit, in der nicht Wolfgang Gruner und / oder Edith Hancke von den Stachelschweinen mitspielten.

Diese geschickte politische Einflußnahme sollte sich im Falle der Familie Ploppa besonders verhängnisvoll auswirken. Demoskopen können die Ploppas als Idealfall einer politischen Umdrehung durch das Medium Fernsehen heranziehen. Bei den Ploppas kommt nämlich der Tatbestand hinzu, daß sie in den entscheidenden Sechziger Jahren nicht in der Lage waren, zu der linkslastigen Programmkost des ARD-Programms die geeignete Gegengewichtung durch das neu hinzugekommene Programmangebot des Zweiten Deutschen Fernsehens ZDF in Anspruch nehmen zu können. Der AEG-Apparat aus dem Haushalt der Werkdirektorenwitwe Gertrud Ploppa bot zwar die Möglichkeit, durch Einbau eines Decoders auch das von Herrn Doktor Adenauer angeregte Korrekturprogramm des ZDF empfangen zu können. Jedoch vertraten die Ploppas den Standpunkt, ein Fernsehprogramm sei schon grade genug. So unterblieb der Decoder-Einbau.

Die Ploppas erwiesen sich zunächst in den Fünfziger und frühen Sechziger Jahren als gute CDU-Wähler. Frau Ploppa soll sogar gesagt haben: "Was will denn die SPD? Dieser komische Emigrant heißt ja gar nicht Willy Brandt, sondern Herbert Frahm. Nee, diesen Brilly Wandt will ich nicht! Und dann noch dieso Herbert Wehner. Hat der aber `ne schiefe Schnut’!"

Demoskopen können idealtypisch beobachten, wie die Ploppas unter dem permanenten Einfluß von Havenstein, Gruner, Drechsel und – nicht zu vergessen – des Star-Entertainers Hans-Joachim Kulenkampff, die sich nun in Wahlaufrufen völlig offen zur SPD bekannten, immer liberalere Positionen annahmen und sich schließlich Ende der Sechziger Jahre nicht mehr scheuten, FDP oder sogar SPD zu wählen. Solche Positionen sind schwer wieder aufzubrechen, besonders da die Abneigung von Frau Ploppa gegen die CDU mittlerweile geradezu physische Formen angenommen hatte, wie folgendes Statement belegt: "I gitt, ich kann diesen glitschigen Barzel nich ousstehen. Das is so’n Jesuit. Guck Dir mal an, wie tief die Ohren bei dem liegen. Der is falsch und verschlagen."

Die perfekte Perfidie liegt darin, daß die ausgeprägte Resistenz der Ploppas gegen linkes Gedankengut auf der Spaß-Ebene aufgebrochen werden konnte. Während die Ploppas bis in die frühen Siebziger Jahre hinein auf Politmagazine wie "Panorama" ("Pan-Aroma" sagte Herr Ploppa dazu) oder "Report" wegen des polarisierenden Moderationsstils von Gerd von Paczensky, Eugen Kogon oder des rüden, an Verhörmethoden der Gestapo erinnernden Interviewstils der Herren Rudolf Rohlinger, Günter Müggenburg oder Günter Gaus eher allergisch reagierten, ließen sie keine einzige Live-Übertragung mit den Kabarettgruppen ,Münchner Lach- und Schießgesellschaft’ und den Berliner ,Stachelschweinen’ ungesehen über den Äther strahlen. Und das, obwohl dort genau dasselbe fragwürdige Weltbild propagiert wurde wie in den schon genannten Polit-Magazinen.

[12] Ja, da saß die ganze Familie, lehnte sich genießerisch zurück, genoß die großen Ensemble-Eröffnungen, erduldete die schwachen Passagen mit Ursula Noack ("Die Hulda ßteht da wohl ouch nur, damit da `ne Frou bei is"). Ekstatische Begeisterung bei den großen verbalen Schlagabtauschen zwischen Hans-Jürgen Dietrich und Dieter Hildebrandt, und dann die großen Soli von Dieter Hildebrandt, dem unangefochtenen Gott des bundesdeutschen Wirtschaftswunderkabaretts.

Hermi verstand natürlich gar nichts. Zeitgenössische Politikernamen wie Majolika klangen in seinem Ohr gerade so wie ,Mayonnaise’. Wer ,Onkel Alois’ und Tante ,Hispano-Suiza’ waren, wußte er auch nicht. Seine ganze Wachsamkeit war darauf gelenkt, aufzupassen, wann die Erwachsenen lachten, um dann möglichst zeitgleich zu mitzulachen. Manchmal lachte Hermi auch an den verkehrten Stellen, was ihm dann hochgezogene Augenbrauen, essigsaures Befremden und die strenge Frage von Krischan einbrachte: "Was soll denn daran zum Lachen sein?!", woraufhin Hermi errötend zusammenschrumpfte. Das Lachen auf Zuruf war schon bisweilen ganz schön anstrengend. Aber er hatte Leidensgenossen im Saal, von wo das Kabarettprogramm übertragen wurde. Da saßen Frauen im Publikum, die einstmals wegen ihrer optischen Vorzüge von einem reichen Wirtschaftwunderhengst geheiratet worden waren, dennen es aber vernehmlich an inneren, nämlich intellektuellen, Werten zu mangeln schien. Wenn nun Dieter Hildebrandt seine berühmten angefangenen und nicht zuende gesagten, aber vom Publikum zuende gedachten Sätze stammelte und scheinbar auf der Bühne spontan und ungeordnet Gedanken laut entwickelte, dann wieherten immer - das schien ein mathematisches Verteilungsgesetz zu sein - irgendwelche blöden Weiber an den verkehrtesten Stellen: "Ahh! Ahhh! Ahh!"

Ein kompromitierend stoßhaftes, ja geradezu obszön anstößiges Gegacker, das beachtliche Phonzahlen erreichte. Bei Hildebrandt zuckte dann unauffälig die eine oder andere Augenbraue. Dieses Stutengewieher war eine lästige Begleiterscheinung im Arbeitsleben eines Kabarettisten und mußte ertragen werden.

Diese Veranstaltungen waren ein Muß für Politiker, die wiedergewählt werden wollten. Denn ein Highlight dieser Kabarettprogramme waren die Politikerparodien, vorgetragen meist von Klaus Havenstein. Wenn Havenstein Franz Josef Strauß nachmachte, schwenkte die Kamera sofort ins Publikum. Dort saß tatsächlich der echte Franz Josef Strauß und lachte herzhaft und seine beachtliche Bierplauze hebte und senkte sich unter seinem nicht hörbaren Baß-Lachen. Wie menschlich! Wie tolerant! Die Ploppas haben den Strauß trotzdem nicht gewählt. Wohl CDU, aber trotz dieses bayrischen Trampels.

Manchmal wurde den Ploppas auch ein Gipfeltreffen der beiden Spitzenensembles geboten. Bei solchen Allstar- Treffen zeigte sich allerdings, daß weniger manchmal mehr ist. Denn bei den Stachelschweinen ragten nur Wolfgang Gruner und Edith Hancke hervor, während die Lach- und Schießgesellschaft immerhin mit Dieter Hildebrandt, Hans-Jürgen Dietrich und Klaus Havenstein drei Asse im Blatt hatten.

Die beiden Spitzenkabarette produzierten sogar einmal einen abendfüllenden Film. Das war nach dem Berliner Mauerbau. Gezeigt wurde ein Phantasiereich des Schreckens mit einem Herrscher namens Walter Satrapowicht, der sein Volk total überwachte und ausbeutete. Wenn ihm Leute nicht paßten, zitierte er sie vor seinen Schreibtisch, drückte auf einen Knopf, und der Mißliebige sank auf seinem Hebeboden eine Etage tiefer in ein Gulag-Reich. Zum Schluß hält Satrapowicht eine Rede, in der er seine Untertanen zu immer neuer Plansollübererfüllung auffordert. Währenddessen ziehen Maurer eine Zelle um Satropicht hoch. Während er ruft: "Baut auf! Baut auf!" haben die Handwerker ihn schließlich ganz eingemauert. Zum Schluß zerhackt ein Maurer mit seiner Maurerkelle das Mikrophonkabel. Walter Satrapowicht verstummt.

"Haben Sie am letzten Sonnabend wiedo diese tolle EWG-Show, gesehen, Frou Biggot?", fragte Mutter Fita am Montag vormittag Frau Biggert in der Küche. Nachdem Frau Biggert schon mal die Blumen begossen hatte, setzten sich die beiden Frauen erst mal zu einer Art zweitem Frühstück an den Küchentisch. Frau Biggert saß wie immer auf dem hölzernen Küchendrehstuhl. Mutter Fita hatte es sich auf einem Drehschemel aus dem Kieler Haushalt bequem gemacht. Sie hatte sich ein "Tüt-Ei" in der Tasse gechlagen. Ein rohes Ei wurde mit einem spiralförmigen Eischläger in der Tasse zu Schaum geschlagen, wobei Mutter Fita sukzessive ein bißchen Rotwein dazugab. Und noch `n Schlat Zucker dazu.

"Ja, natürlich, Frau Ploppa. Erich und ich lassen da keine einzige Folge von ,Einer wird gewinnen’ aus. Das ist ja immer so spannend. Da wird auch nicht gemogelt, wie bei dem Lou van Burg ..."

"Na, Frou Biggert, geh’ mi los mit diesem ekelhaften Lou van Burg. Der is ja immo so glitschig, so schleimig. Und dann wird der ouch immo wiedo so anzüglich. Neulich hat der doch wiedo so eine schlüpfrige Bemerkung bei so eino Kandidatin germacht. Ganz Deutschland ist vor Scham im Boden versunken ..."

"Ja, das is so’n loser Fidibus. Aber vor allem, Frau Ploppa, man hatte ja immer den Eindruck, die Gewinnerin steht schon vorher fest ..."

"Dieso eklige Dialekt: ,und wieda äinen Schilling’ ... baääh!" Mutter Fita schüttelte sich vor Widerwillen. "Genau. Und jetzt ist ja neulich rausgekommen, da war doch immer diese eine Kandidatin, die is schon seit drei Sendungen dabei und weiß immer alle Antworten, diese Birgit ... Birgit ..."

"Brigitte Franke meinen Sie?"
"Ja, genau, Frau Ploppa, sie haben aber ein phänomenales Gedächtnis. Nun stand neulich in der Bunten Illustrierten: diese Birgit Franke ..."

"Brigitte Franke.", berichtigte Mutter Fita und nahm einen Schluck aus der Tasse mit Tüt-Ei. "...also diese Brigitte Franken ..."

"Brigitte Franke." Mutter Fita leckte sich den Tüt-Ei-Schaum von den Lippen. "... Brigitte Franke ist die heimliche Geliebte von dem Lou van Burg. Eigentlich ist der Kerl ja mit der Angèle Durand verheiratet, dieser Schlagersängerin ..."

"Ochottchen, die hätt’ doch nun weißgott was besseres finden können als diesen ollen Schwienjack. Wie kann man sich von so einem Hallotri anfassen lassen."

"Und dann ist noch rausgekommen, daß der Lou van Burg bei den Schäferstündchen der Brigitte Franke schon die richtigen Antworten verraten hat. Jetzt ist der Lou van Burg erst mal beurlaubt worden."

[13]  "Na, Gottseidank. Da is ja do Kulenkampff schon was anderes. Der hat so eine feine Art. Wie der mit der kleinen Tschechin geredet hat. Die war doch so schüchtern, da hat man ja koum was verßtanden, hat so gepiepst und konnte ouch nich so doll deutsch, ouch wenn der Kuli die immo so tapfo gelobt hat für ihr Deutsch. Hatto dann immo noch mal lout gesagt für das Publikum, was die kleine Tschechin gesagt hat. Das ist eben diese feine weltmännische Gewandtheit von dem Kulenkampff. Der kommt nämlich ouch ous Bremen. Ous einem guten House. Die Kulenkampffs sind eine alte Bremo Koufmannsfamilie, nich so neureiche Angebo, sondon alto Bremo Koufmannsadel. Waren ouch in dem selben Tennisklub wie ich."

"Und, haben Sie dann gegen Kuli mal ein Spiel gewagt?"

"Nee, das nich. Der Kuli is ja acht Jahre jüngo wie ich. Als der so weit war, mußte ich schon in unserem Textilgeschäft in do Bordenouoßtraße / Ecke Scharnhorstßtraße mit anpacken. Da bin ich nur morgens vor der Arbeit noch ein bißchen rousgefahren zum Wehr und habe ein bißchen geschwommen. Abo in do Schwachhouser Heerßtraße sind meine Mutter und ich öfters den Kulenkampffs begegnet."

"Was meinen Sie, Frau Ploppa: hat der Kuli was mit der Uschi Siebert?" - "Mit wem?" - "Mit Uschi Siebert, Kulis Assistentin, die ihm immer die neuesten Wertungen für die Kandidaten bringt. Die ist doch auch immer in der Reklame für den Schwab-Versand. Erst kommt da der Schwab-Zeppelin ins Bild, und dann zeigt uns Uschi Siebert den neuen Schwab-Katalog."

"Wir beßtellen nie was bei Schwab. Wir beßtellen immo bei Quelle. Da kann ouch Uschi Siebott nix dran ändon ... also das mit der Uschi Siebott und dem Kuli is Quatsch. Sowas macht der Kuli nich, dazu is der viel zu fein. Oußodem ßtand letzte Woche erst in do Quick ein Artikel mit der Frou von dem Kulenkampff. Ich wußte gar nicht, daß der eine Frou hat. Da waren abo Fotos von ihr bei Kulis zuhouse in Österreich, mit den Kindon und ouch ein paar Tieren. Da hat der Kuli abo wirklich Geschmack bewiesen. So ein entzückendes Menschenskind, seine Frou. Was soll der denn da mit so `ner Hulda wie dieso Uschi Siebott? Wenn der so eine natürliche, gebildete Frou hat?"

Nein, also da gab es keinen Zweifel: Kuli stand ganz oben am Fernsehunterhalter-Himmel. War Peter Frankenfeld der Opel Rekord, dann füllte Hans-Joachim Kulenkampff den Part des Mercedes 220 S unter den Spielmeistern aus. Allein schon äußerlich: dieser Frankenfeld mit seiner karierten Kellnerjacke, seiner niedrigen Stirne und den buschigen Augenbrauen. Der konnte rackern wie er wollte, er erreichte nie den Glanz von Kulenkampff. Frankenfeld war den Ploppas sowieso irgendwann aus dem Blick geraten. Nur in der Zeitung konnten sie nachlesen, was Frankenfeld wieder nebenan im Zweiten Deutschen Fernsehen angestellt hatte. Kulenkampffs Problem lag darin, daß er eigentlich Schauspieler gelernt hatte und diesen Beruf auch auszuüben beabsichtigte. Aber alle wollten nur den Entertainer Kulenkampff sehen. Kuli war nicht der einzige Schauspieler, den das Aufkeimen des neuen Mediums Fernsehen vor einer Ausweichkarriere als Nachtportier bewahrt hatte.

"Watt sind denn datt für seltsame Appelstücke im Sauerkraut?" Vater Martin stocherte mit der Gabel im Sauerkraut herum. Am Tellerrand lagen schon einige Loorbeerblätter und Wacholderbeeren. Die Familie hatte sich einmal wieder zum gemeinsamen Mittagessen versammelt. Mutter Fita, leicht gekränkt: "Das sind keine Apfelßtücke. Das sind vielmehr Ananasßtücke." - "Das is ja schnurrig. Ich dachte, Ananas vertilgt man nur zum Nachtisch."

"In was für eino Welt lebst Du eigentlich, Martin? Die moderne Housfrou ist bemüht, möglichst viel Abwechslung ouf den Tisch zu bringen. Was ja jetzt ouch viel besser möglich ist, wo es immo mehr Südfrüchte zu koufen gibt. Die Zeiten der ßteckrübenwinto sind endgültig vorbei."

"Komisch. Früher war da doch immer Appelmus drin und dett hat ooch geschmeckt. Wer hat denn sowatt hier ausgeheckt?"

"Das kommt von diesem Clemens Filmrot aus’m Fernsehn!", quakte Hermi.

Krischan mußte korrigierend eingreifen: "Der Mann heißt: Clemens WILMENROD. Im Nachmittagsfernsehprogramm stellt der jetzt immer so neuartige Rezepte vor und bereitet die auch vor der Kamera zu. Das ist schon recht interessant." Vater Martin: "Na schön. Und wie heißt denn dieses Kunstwerk hier?"

"Das heißt: ... töf mol, hier ist der Zettel ... ah ja: Souokrout süß nach Clemens Wilmenrod. Das is mir halt zu langweilig, immo nur Souokrout mit Würstchen zu machen und dabei das Krout nur mit gekochten Äpfeln odo Apfelmus anzumachen. Souokrout süß bekommt dadurch seine besondere Würze, daß es erst mal angedünstet wird mit Zwiebeln und ein bißchen ßpeck. Da soll dann noch Sekt rein und Honig, abo das is mir denn doch zuviel Getue. Und: wie schmeckts?"

Vater Martin: "Hmmm ... man muß sich erst mal an die neue Geschmacksnote gewöhnen. Süß isses nu nich unbedingt. Eher etwas herb-sauer. Und dadurch, daß der Appelmus fehlt, is dett ooch nich so kremig-sämig."

"Mir schmeckts ganz doll!", meinte Hermi. Krischan: "Ja, eine ganz interessante neue Note. Hätte vielleicht noch etwas Thymian reingepaßt." Callimann: "Mmmm ... jaja, läßt sich schon irgendwie essen."

Nachmittags hatte ein Herr mit pechschwarzen zurückpomadierten Haaren und Menjoubärtchen im Fernsehstudio seine Küche mit dem Elektroherd Marke ,Schnellbrater Heinzelkoch’ aufgebaut. Seine Sendung stand unter dem Motto: ,In zehn Minuten bitten wir zu Tisch’. Schnelle und pfiffige Gerichte wußte Fernsehkoch Clemens Wilmenrod vor den staunenden Augen seiner ergebenen Fernsehgemeinde zu bereiten. Er hatte sich dabei eine Schürze umgebunden, auf der sein eigenes lachendes Konterfei als Karikatur aufgedruckt war. Dazu erzählte er immer locker flockige Anekdoten aus seinem aufregenden Leben: vor allem von seinen Reisen in die geheimnisvollen Winkel unserer Erde. Während er Eier in Schüsseln schlug, Schnittlauch zerschnibbelte, Zwiebeln dünstete, saß Mutter Fita ganz aufmerksam vor dem Bildschirm und schrieb mit, welches Material in welcher Zeitspanne auf welche Weise zu bearbeiten sei: "Der kann abo erzählen. Das macht richtig ßpaß, dem Wilmenrod zuzuschouen."

Hermi: "Ist der eigentlich immer Koch, oder macht der noch was anderes?"

"Fünfzig Gramm Butto ... drei gehäufelte Eßlöffel Mehl ... nee, Hermi, das Kochen ist nur sein Hobby. Der Wilmenrod ist von Beruf Schoußpielo."

"In welchen Filmen hat der Filmrot denn schon mitgespielt, Mutti?"

"Dann acht Minuten ouf Sstufe zwei im Gasofen backen lassen ... noch etwas Curry droufßtreuen ... ja, also Hermi, wenn ich darübo nachdenke, weiß ich das ouch nich so genou." Niemand konnte Hermi sagen, in welchen Filmen Clemens Wilmenrod jemals mitgespielt hatte.

Einige Nörgler wagten es, Wilmenrod als ,gescheiterten Schauspieler’ zu bezeichnen. Die neideten dem charmanten Plauderkoch sicher nur seinen überwältigenden Erfolg. Nicht nur, daß Deutschlands Hausfrauen an seinen Lippen hingen, Deutschlands Lebensmittelhersteller ihn umwarben wie eine Diva, und die Bücher, die er in rascher Folge herauszubringen wußte, und die sich mit Kochen und Reisen befaßten, weggingen wie warme Semmeln: seine teilweise sehr frei mit Ketchup und Knorr-Tütensuppen komponierten Gerichte erhielten großartige, exotisch klingende Namen, die in das Denken und Fühlen des deutschen Volkes eingehen sollten, wie zum Beispiel die "Würstchen mit Austern" oder das "Päpstliche Huhn".

[14] Was machte es da schon, daß hohlwangige blechbrillige Intellektuelle eines Hamburger Nachrichtenmagazins, das von Bundeskanzler Adenauer letztens erst des Landesverrates überführt wurde, behaupteten, das von Wilmenrod kreierte Exotengericht "Arabisches Reiterfleisch" sei nichts weiter als die ganz gewöhnliche erzdeutsche Frikadelle. Andere Neider setzten in die Welt, die hauptberuflichen Köche würden Wilmenrod zutiefst verachten, weil er nicht einmal ein Stück Rindfleisch korrekt tranchieren könne.

Von solchem Schmutz und solch’ niedriger Häme bekamen die Ploppas gottlob nichts mit. Man kann mit Fug und Recht sagen, daß das Schaffen von Clemens Wilmenrod nicht unwesentlich zur Verfeinerung der Lebenskunst der Familie Ploppa beigetragen hatte. Die Ploppas kauften nicht nur all’ diese netten Bücher des Oberlippenbartträgers; nein: Mutter Fita las an lauschigen Abenden im Dezember ihren Lieben aus den geistreichen Anekdotenbüchlein vor. Man konnte es sich jetzt mal genehmigen, mit Wilmenrod zusammen ein bißchen in die große weite Welt hinauszuschauen. So erfuhren die Ploppas, daß man korrupten geldgierigen Zöllnern im Orient am besten mit Humor und Gelassenheit begegnet, und daß die Taxifahrer auf Mallorca uralte Autos aus den Zwanziger und Dreißiger Jahren fuhren.

Es gab eine Kreation des begnadeten Hobby-Kochkünstlers, die untilgbar in das Besitztum des deutschen Volkes eingegangen ist. Über dieses Gericht sind sogar wissenschaftliche Aufsätze verfaßt worden. Es handelt sich um einen Snack, den man am Abend zum geselligen Beisammensein serviert. Die Frau des Hauses belohnt mit dieser köstlichen Kleinigkeit ihre Lieben. Der Name der Köstlichkeit läßt den Geist weit hinausschweifen in die sorglose Welt der Südsee.

Mutter Fita holte das duftende Backblech aus dem Neff-Gasofen. Zehn leckere Toaststücke waren jeweils mit Ananascheiben belegt, die auf Kochschinken ruhten. Über die Ananasscheiben waren leckere Kraft’s-Scheibletten der Sorte Chester gelegt, die sich nun faltig geschmolzen ausbreiteten. Oben drauf noch eine Prise Curry, und je nach Gusto und Geldbeutel, noch eine kandierte Kirsche. Fertig war der – unsere Leserinnen und Leser werden es selbstverständlich längst erraten haben – Hawaii-Toast.

Und schon krachten und sprangen und krümelten die Toaststücke unter den sachgerechten Bearbeitungen vermittelst Messer und Gabel der lieben goldigen Ploppa-Menschen, und es war ein lustiges Knurpschen und Knirpschen und Schmatzen am Tisch. "Ein Gedicht!", lobte Krischan. "Mhh, gar nicht unlecker!", lobte Callimann. "Kann ich noch einen dritten Hawaii-Toast haben?", gierte Hermi. "Ja, wie kommt dieso Wilmenrod bloß immo ouf so geniale Ideen?", bestätigte Mutter Fita ihre goldrichtige Menüentscheidung. "Da ist Dir ja mal richtig watt gutes gelungen, Mutter Fida", lobte auch Vater Martin, "manchmal kommt ja doch mal was Gutes aus diesem komischen Glotzophon!"

Mit freundl. Genehmigung des Autors. Redaktion, Ergänzungen, Links: (c) W. Näser, Marburg 3.1.2k5 * Stand: 13.9.2k5
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