Dr. W. Näser: Formen schriftlicher Kommunikation, Sommersemester 2002

Text 6:  Einstein, Albert (1879-1955): Rede zur Eröffnung der 7. Großen Deutschen Funkausstellung am 22.8.1930

1. Der originale Text

Verehrte An- und Abwesende! Wenn Ihr den Rundfunk höret, so denkt auch daran, wie die Menschen in den Besitz dieses wunderbaren Werkzeuges der Mitteilung gekommen sind. Der Urquell aller technischen Errungenschaften ist die göttliche Neugier und der Spieltrieb des bastelnden und grübelnden Forschers und nicht minder die konstruktive Phantasie des technischen Erfinders. Denkt an Oersted, der zuerst die magnetische Wirkung elektrischer Ströme bemerkte, an Reis, der diese Wirkung zuerst benutzte, um auf elektromagnetischem Wege Schall zu erzeugen, an Bell, der unter Benutzung empfindlicher Kontakte mit seinem Mikrophon zuerst Schallschwingungen in variable elektrische Ströme verwandelte. Denkt auch an Maxwell, der die Existenz elektrischer Wellen auf mathematischem Wege aufzeigte, an Hertz, der sie zuerst mit Hilfe des Funkens erzeugte und nachwies. Gedenket besonders auch Liebens, der in der elektrischen Ventilröhre ein unvergleichliches Spürorgan für elektrische Schwingungen erdachte, das sich zugleich als ideal einfaches Instrument zur Erzeugung elektrischer Schwingungen herausstellte. Gedenket dankbar des Heeres namenloser Techniker, welche die Instrumente des Radio-Verkehres so vereinfachten und der Massenfabrikation anpaßten, daß sie jedermann zugänglich geworden sind.

Sollen sich auch alle schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfaßt haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frißt.

Denket auch daran, daß die Techniker es sind, die erst wahre Demokratie möglich machen. Denn sie erleichtern nicht nur des Menschen Tagewerk, sondern machen auch die Werke der feinsten Denker und Künstler, deren Genuß noch vor kurzem ein Privileg bevorzugter Klassen war, der Gesamtheit zugänglich und erwecken so die Völker aus schläfriger Stumpfheit.

Was speziell den Rundfunk anlangt, so hat er eine einzigartige Funktion zu erfüllen im Sinne der Völkerversöhnung. Bis auf unsere Tage lernten die Völker einander fast ausschließlich durch den verzerrenden Spiegel der eigenen Tagespresse kennen. Der Rundfunk zeigt sie einander in lebendigster Form und in der Hauptsache von der liebenswürdigen Seite. Er wird so dazu beitragen, das Gefühl gegenseitiger Fremdheit auszutilgen, das so leicht in Mißtrauen und Feindseligkeit umschlägt. Betrachtet in dieser Gesinnung die Ergebnisse des Schaffens, welche diese Ausstellung den staunenden Sinnen des Besuchers darbietet."

2. Die Rede aus zweiter Hand: fiktiver Bericht von W. Näser, 13.6.2002

Am 22.8.1930 eröffnete der weltberühmte Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein die 7. Große Deutsche Funkausstellung in Berlin. Einstein wandte sich an die "An- und Abwesenden", bezog also auch und vor allem die vielen Menschen ein, die per Kopfhörer oder Lautsprecher, mit dem Detektor oder Röhrengerät nah und fern der drahtlosen Übertragung lauschten. Wenn man den Rundfunk höre, so solle man auch daran denken, wie die Menschen an dieses "wunderbare Werkzeug der Mitteilung" gekommen seien. Am Beginn aller Technik stünden die Neugier und der Spieltrieb des Forschers und die konstruktive Phantasie des Erfinders. Einstein erinnerte an den Kopenhagener Forscher Hans Christian Ørsted (1777-1851), der die magnetische Wirkung elektrischer Ströme erforschte, an den Deutschen Philipp Reis (1834-1874), der das Telefon erfand, an Graham Alexander Bell (1847-1922), der mit seinem empfindlichen Mikrofon die Sprachübertragung verbesserte, an James Maxwell (1831-1879), der die elektrischen Wellen mathematisch nachwies, an den deutschen Physiker Heinrich Hertz (1857-1894), der 1886 die von Maxwell vorausgesagten elektromagnetischen Wellen experimentell erzeugte, und auch an den Österreicher Robert von Lieben (1878-1913) und seine elektrische Ventilröhre, den stattlichen Vorfahren der luftleeren Glaskörper unserer Radio-Apparate. Dankbar gedenken sollten wir des "Heeres namenloser Techniker", die den Radio-Verkehr vereinfacht und die Massenfabrikation der Apparate erst ermöglicht hätten.

Dann wurde der Nobelpreisträger volkstümlich: schämen, meinte er, sollten sich alle diejenigen, die sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienten und davon nicht mehr geistig erfaßt hätten als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen fresse; das wurde mit einem Raunen quittiert.

Die Techniker, fuhr Einstein fort, machten erst wahre Demokratie möglich. Sie erleichterten nicht nur die Verrichtungen des Alltages, sondern eröffneten der Gesamtheit die Werke vieler Denker und Künstler, die bis vor kurzem nur bevorzugten Klassen zugänglich gewesen seien. Auf diese Weise erweckten sie, die Techniker, die Völker aus "schläfriger Stumpfheit".

Was speziell den Rundfunk angehe, so nütze er in einzigartiger Weise der Völkerversöhnung. Bis in unsere Tage hinein hätten sich die Völker fast nur im Spiegel einer subjektiven, einseitigen Tagespresse kennengelernt. Der Rundfunk jedoch zeige sie einander in sehr lebendiger Form und von einer, wie Einstein sagte, hauptsächlich liebenswürdigen Seite. So werde der Rundfunk dazu beitragen, das Gefühl gegenseitiger Fremdheit zu tilgen, aus dem so leicht Mißtrauen und Feindschaft erwachsen könnten. Unter diesem Aspekt, schloß der Nobelpreisträger, solle man all das betrachten, was als Ergebnis unermüdlichen Schaffens in dieser Ausstellung den staunenden Sinnen des Betrachters dargeboten werde.

Layout und Ergänzungen (c) Dr. W. Näser, MR 1.6.2002 ff. * Stand: 14.6.2k2.