Mittelseminar 2, Gruppe IV: Syntax
Sommersemester 2001 * Dr. Wolfgang Näser, Mo 9-11, WR A 109

Klausur-Lösungen

VORBEMERKUNG: Untenstehende Lösungsvorschläge (Mindestanforderungen in blau) erheben keinen Anspruch auf Alleingültigkeit bzw. Vollständigkeit. Auch wurde nicht in allen Fällen eine wie in [9] und [22] aufgezeigte Systematik bzw. Ausführlichkeit erwartet.

  1. Was bedeutet “Syntax” und womit beschäftigt sich dieser Zweig der Sprachwissenschaft?
    Satzlehre, Lehre vom Bau der Sätze; Struktur und Typologie aller als Sätze bezeichenbaren Zeichenketten
    .
  2. Was ist ein Satz?
    Nach traditioneller Definition eine mindestens aus einem Subjekt und Prädikat bestehende Aussage

    --------- traditionelle Syntax, praktische Satzanalyse ------------
  3. Analysieren Sie folgenden Satz nach den hierin enthaltenen Wortarten:
    "Die fünf Brote, die ihm seine Mutter mitgegeben hatte, konnte er nicht aufessen, weil er keinen Hunger hatte"
    Die - bestimmter Artikel
    fünf - Zahlwort (Numerale)
    Brote - Substantiv
    die - Relativpronomen
    ihm - Personalpronomen
    seine - Possessivpronomen
    Mutter - Substantiv
    mitgegeben - Verb (Partizip Perfekt)
    hatte - Verb (Hilfsverb zur Bildung des Plusquamperfekts)
    konnte - Verb (finit: modales HV)
    er - Personalpronomen
    nicht - Negationspartikel
    aufessen - Verb (Infinitiv)
    weil - Konjunktion (kausal)
    er - Personalpronomen
    keinen - Indefinitpronomen
    Hunger - Substantiv
    hatte - Verb (finit: Imperfekt)
  4. Auf welche drei Wortarten kann sich eine adverbielle Bestimmung beziehen?
    Verb
    (er läuft schnell)
    Adjektiv
    (er ist sehr schnell)
    Adverb
    (er läuft sehr schnell)
  5. Welche Typen der Reihung kennen Sie? (Bezeichnungen, Beispiele: Sie können den Übungstext benutzen)
    asyndetisch:
    sie ist schön, fleißig, intelligent (a, b, c)
    syndetisch:  
    das ist ganz schön und gut und richtig (a + b + c)
    monosyndisch:
    das ist gut, richtig und praktikabel  (a, b + c)
  6. Was ist ein Prädikatsnomen?
    ein Substantiv oder Adjektiv, das mit einem Hilfsverb zusammen eine Qualitätsaussage liefert,
    z.B. Heinz ist (ein) Handwerker / Heinz ist fleißig
  7. "Heinz geht krank zur Arbeit": welche Möglichkeiten gibt es, die syntaktische Funktion des unterstrichenen Wortes zu erklären?
    a) Prädikativum: H. geht als Kranker zur A.
    b) adverbielle Bestimmung der Einräumung: ..., obwohl er krank ist
  8. Das Haus da hinten an der Zufahrt zur Autobahn nach Frankfurt: benennen Sie die unterstrichene Wortgruppe!
    komplexes Attribut
  9. Welche (a) grundsätzlichen Nebensatztypen kennen Sie, womit werden sie (b) eingeleitet und was ist (c) das generelle Charakteristikum aller eingeleiteten Nebensätze?
    [Die Frage ist nicht ganz präzise formuliert (was nicht bemerkt wurde); es hätte genügt, lediglich die eingeleiteten NS aufzuführen; hier gebe ich alle Typen wieder:]

    I. eingeleitete Nebensätze
    I.1. durch Konjunktion:
        a) Adverbialsätze (ersetzen eine adverbielle Bestimmung)
           
    Da ich krank war (=wegen meiner Erkrankung), konnte ich sie nicht besuchen.
           
    Sie redete pausenlos weiter, obwohl ich starke Kopfschmerzen hatte (=trotz meiner KS).
        b) Subjekt- / Objektsätze (auch konjunktionslos)
           
    Daß abgereichertes Uran Krebs hervorruft, gilt als gesichert:
            Er meinte, daß sie sich im Ton vergriffen habe; ..., sie habe sich im T. vergriffen.
    I.2. eingeleitet durch Relativpronomen:
            Attributsätze
    (der Hund, der herumstreunte, wurde eingefangen)
    I.3. eingeleitet durch Fragepronomen:
            indirekter Fragesatz als Objektsatz:
           
    Er wollte genau wissen, wer als erster den Nanga Parbat bestiegen habe.
    In allen eingeleiteten Nebensätzen steht die gebeugte Form des Verbs (verbum finitum) am Ende.
    [II. Konjunktionslose Nebensätze als Subjekt- oder Objektsätze:
            Wie man U 236 herstellt, ist Gegenstand dieser Untersuchung.
            Ich glaube, ich habe jetzt genug darüber geredet.
    III. Infinitivsätze
        a) adverbiell: ich besuche das Seminar, um mich weiterzubilden (final)
        b) für ein Subjekt / Objekt: verboten ist, hier zu baden. Ich rate, das Buch gründlich durchzuarbeiten.]   
  10. "Ich glaub', mich streift ein Bus": untersuchen Sie die syntaktische Struktur und bezeichnen Sie die Satztypen.
    HS, NS (konjunktionslos, Objektsatz)
  11. Untersuchen Sie folgenden Satz aus unserem Übungstext in Bezug auf seine syntaktische Grobgliederung:
    "Du hast ja recht, meint er, aber du weißt doch, was heute so alles verlangt, was vorausgesetzt wird, es wird ja immer schlimmer in der Arbeitswelt, und wenn ich mit meinen 45 Jahren nicht auf der Straße sitzen will, muß ich mithalten, mittun."

    Lösung:
    HS--er meint------|----------NS(Obj) 1 (-konj) du hast ja recht
                                 |_______NS(Obj) 2 (-konj)
    [aber] du weißt
                                 |                    |______NS(Obj.)
    was..., was vorausgesetzt wird
                                 |_______NS(Obj.) 3 (-konj)
    es wird ja...schlimmer
                                 |_______NS(Obj.) 5
    ich muß mithalten
                                                     |______NS(kond, neg)
    wenn...nicht...will

  12. "Siegfried Heinrich führte die 'Missa solemnis' auf":
                 S                    P                    O4              
    Was geschieht bei der Transformation eines Aktivsatzes in einen Passivsatz?
    "Die Missa solemnis wurde durch Siegfried Heinrich aufgeführt"
                 S                  P(HV)             Agens                    P(Part.)
    Das Objekt  
    [O4] wird zum Subjekt, die verbale Aussage [P] wird ins Passiv gesetzt (werden + Part. Perfekt), das Subjekt [S] wird zum sog. Agens-Komplement (Präp. + Substantiv)
    ----------- strukturell-moderne Ansätze ----------
  13. Welches sind die Hauptziele der Generativen transformationellen Grammatik?
    (einige mögliche Antworten)
    - Nachbildung des sprachlichen Erzeugungsprozesses in der Kompetenz eines idealen Sprechers/Hörers
    - Anwendbarkeit auf möglichst alle Sprachen
    - funktionelle Differenzierung zwischen Kompetenz / Performanz und Oberflächen- / Tiefenstruktur
    - theoretische Grundlegung für Verfahren der automatisierten Übersetzung

    oder:
    "Als GTG bezeichnet man Grammatikmodelle im Anschluß an Theorien des Sprachwissenschaftlers Noam Chomsky, die nicht - wie sonst üblich - versuchen, Kombinationsregeln sprachlicher Zeichen aus der Struktur eines Textes heraus zu analysieren. Ziel ist vielmehr die Rekonstruktion von Regeln und Bedingungen, die jeder Sprecher einer Sprache bei der Erzeugung von komplexen sprachlichen Strukturen (beispielsweise eines Satzes) benötigt (Transformation)." (aus: http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/poetik/transgram.htm)

    oder:
    Die generative Transformationsgrammatik ist eine Grammatiktheorie, die erklären will, auf welche Weise es dem Menschen möglich ist, mit einer endlichen Menge von Regeln und Zeichen eine unendliche Menge von Sätzen hervorzubringen und zu verstehen [6]. Im Mittelpunkt der generativen Grammatik steht die Analyse des von einem Sprecher Erzeugten. Der Begriff generative Grammatik ist auf Humboldt zurückzuführen. Humboldt sprach vom Verständnis der zugrundeliegenden Kompetenz als ein System generativer ("erzeugender") Prozesse. Gegenstand der Forschung ist die Sprachkompetenz eines idealen Sprecher-Hörers aus der gleichen Sprachgemeinschaft wie die Forschenden, ohne begrenztes Gedächtnis, ohne Zerstreutheit oder mangelnde Konzentrationsfähigkeit. Mit Sprachkompetenz sind die angeborenen Fähigkeiten gemeint, die es uns erlauben, die der Sprache zugrundeliegenden Regeln zu erfassen. Der Sprachkompetenz steht die Sprachverwendung (aktueller Gebrauch, bzw. "performance") gegenüber. Aus: http://www.inf.fu-berlin.de/~froetsch/linguistik/ausarbeitungen/html/helle-kaltenmaier/

  14. Veranschaulichen Sie die Phrasenstruktur im Satz "Der Papagei sitzt in dem Käfig"
    als Klammer-Struktur [[Der][Papagei]][sitzt [im [Käfig]]]
    oder mit Struktur-Baum:
                         ____________S_____________
                        |                                                    |
                       NP                                                VP
                  ___|____                                     ____|______
               Art            NP                           Vb.               ___PP___
                |                 |                                |                  |                |
              Det          Subst                            |               Präp      __NP__
                |                 |                                |                  |          |            |
                |                 |                                |                  |        Det    Subst     
            
    Der         Papagei                     sitzt               in      dem    Käfig

                    aus: Referat Maria Cruz Nieto / Patricia Rambla

  15. Was versteht man unter "Valenz"?
    Eigenschaft eines Substantivs oder Verbs, syntaktische Ergänzungen an sich zu binden

    oder:
    Unter Valenz versteht man (in erster Linie bei Verben) das Vermögen, eine bestimmte Anzahl Aktanten (“Mitspieler”) an sich zu binden. Diese Fähigkeit wird allgemein auch als Rektion bezeichnet. Wenn ein bestimmtes Wort den Kasus eines weiteren Wortes bestimmt, spricht man von einer Kasusrektion. Der Begriff der Rektion kann auch auf die Festlegung von semantischen Rollen erweitert werden.
    Aus: Kontrastivlinguistik, Homepage Christina Eberle
  16. Beschreiben Sie die Wortgruppe "der Weg zur Fähre" im Sinne der Dependenzgrammatik!                 
                       N
                     Weg
            ______|______
          Ad                     T
          Der                   zu
                                    |
                                   N
                                  Fähre
                                    |
                                  Ad
                                  der
    Symbole:

    Ad - Determinativ
    N   - Nomen
    T   - Präposition

    aus:
    Referat Laura Ferrero
    und Silvia Ortega

  17. Was sind notwendige und fakultative Ergänzungen?
    notwendige E. müssen stehen, z.B.
    ich beschenke ihn
    fakultative E. können stehen, z.B.
    ich beschenke ihn mit einem schönen Buch
  18. Worin unterscheiden sich die Sätze
    (a) Wir sahen ihn mit dem Hund (nosotros lo vimos con el perro) und
    (b) Wir sahen ihn mit dem Fernglas (nosotros lo vimos con los anteojos)?
    -----
    (a) Tiefenstruktur: ihn, der einen Hund dabei hatte (indirekt attribuierende Aussage)
    (b) Tiefenstruktur: mittels eines Fernglases / indem wir ein F. benutzten (modale adverbielle Bestimmung)


    ----------- historische Syntax ----------------
  19. Nennen Sie ein wesentliches Charakteristikum, worin sich das Althochdeutsche syntaktisch vom Neuhochdeutschen unterscheidet! zum Beispiel:
    1. Das Ahd. kennt noch keine Personalpronomina und leistet (wie das Lateinische) entsprechende Informationen durch die jeweilige Verb-Endung.
    2. Das Ahd. hat noch keine zusammengesetzten Zeiten, muß also Futur durch Präsens ausdrücken.
  20. Welcher deutschen Satzteilfunktion entspricht der lateinische ablativus absolutus?
    der adverbiellen Bestimmung
    (Caeser imperante = während C.s Regentschaft oder Adverbialsatz: als C. herrschte)
  21. Was ist ein A.c.I. und in welcher Form (Beispiele) ist er im gegenwärtigen Deutsch lebendig und produktiv geblieben?
    der Akkusativ mit Infinitiv; in Verbindung mit Verben der Wahrnehmung häufig anzutreffen:
    wir sahen ihn kommen, hörten ihn schreien; er fühlte sein Ende nahen
  22. Welche Genitiv-Konstruktionen (Beispiele) gibt es im heutigen Deutsch?
    [NB. Untenstehende Systematik wurde als Antwort nicht erwartet]

    1. adverbiell:
    1.1.
    als Wortergänzung
    -
    Ich bin des Redens müde (instrumental oder kausal, Ergänzung eines Prädikatsadjektivs).
    -
    partitiv: voll des süßen Weines (Luther); er macht mir darum zuviel Gedöns, wenig Aufsehens
    1.2.
    absoluter Gentitiv (entsprechend dem lat. abl. abs.) als Satzadverb
    - Meines Wissens raucht er nicht mehr (soweit ich weiß,...).
    - Stehenden Fußes (lat. stante pede) machte er sich an die Arbeit (temporal)
    - Unverrichteter Dinge mußten sie abziehen (konzessiv: obwohl nichts getan werden konnte)
    2.
    attributiv: der Hund meiner Schwester hat mich in die Wade gebissen
    3.
    präpositional: wegen deiner schönen Augen hast du das bestimmt nicht bekommen.
    3. G. als
    Objekt: sie gedachten der Toten des Zweiten Weltkrieges
    4.
    G. der Trennung: er machte große Augen, als sie sich ihrer Kleider entledigte
        (hat hier tiefenstrukturell die Funktion eines Objekts)

(c) W. Näser; Stand: 6.7.2001 * Änderungen und Ergänzungen vorbehalten * Externe Kommentare willkommen.