Dr. Wolfgang Näser: UE "Deutsche Sprache und Literatur im 20.
Jahrhundert" (für Ausländer)
WS 20067/ 08 * Mi 16-18, HG 207
Erfahrungsbericht und Anmerkungen zur Behandlung der Ruhrdeutsch-Proben
am 5.11.2k7
Zwar ist es seit jeher wünschenswert, auch Regional-
und Umgangssprache(n) in den DaF-Unterricht einzubeziehen, doch zeigte gerade
die Behandlung des
Ruhrdeutschen
am Beispiel Jürgen von Mangers,
wo die Grenzen liegen.
Zum einen handelt es sich um einen durch fremde Einflüsse im
19. Jahrhundert "verschlimmbesserten" Soziolekt. Polnische Einwanderer, die
auch als Bergleute arbeiteten, "injizierten" in der täglichen Kommunikation
eigene Elemente in die Sprache der bodenständigen Bevölkerung.
Es entstand eine neue, typische Regionalsprache, die lexikalisch,
grammatisch-syntaktisch und auch phraseologisch von der Standardsprache abweicht
und durch diese Verfremdung bei Außenstehenden komische Effekte
erzielt. Während deutsche Muttersprachler/innen diese Komik voll auskosten,
kann die Verfälschung bei Ausländer/innen insofern
kontraproduktiv werden, als sie sich die falschen Formen
einprägen (jeder Sprachlehrer sollte sich ja hüten, Fehler
hervorzuheben); diese Gefahr besteht grundsätzlich bei allen von der
Norm abweichenden Substandard-Varietäten und natürlich speziell
den Dialekten, die sich ja durch eigene Systematiken auszeichnen (weswegen
z.B. Goethe-Institute nur in standardsprachlichen "Reinräumen" angesiedelt
werden sollten).
Weiterhin handelt es sich um auf die
Sechziger
Jahre des 20. Jahrhunderts bezogene Kulturdokumente; besonders die
"Heiratsvermittlung" ist in einer Zeit angesiedelt, wo der
Zweite
Weltkrieg erst rund 20 Jahre zurückliegt.
Jürgen von Manger war 1941 bis 1945 Soldat in Rußland (in seinem
hier nicht behandelten "Schwiegermuttermörder"-Sketch begründet
er das Irresein des Delinquenten damit, daß er "bei
Weliki
Luki drei Tage unterm Panzer gelegen" habe). Daher auch "Adolf Tegtmeiers"
(heute politisch "unkorrekt" gewordene) Erzählung von dem
"Kröös-chen", das er mit einer Ukrainerin namens Taissa gehabt
habe, und der schlußendliche Plan, zur ersten Liebe und damit an diesen
Ort zurückzukehren. Und die Anspielung auf den 1956 gedrehten Film
"Liane, das Mädchen aus dem Urwald", in dem die erst
16-jährige
Marion
Michael an der Seite des noch jungen
Hardy
Krüger schlagartig berühmt wurde; die sehr reizvolle Kind-Frau
war damals nur mit einem Lendenschurz bekleidet, ihre wirklich harmlose partielle
Nacktheit sorgte im noch prüden Nachkriegsdeutschland für einen
Skandal.
Teilweise wenig nachvollziehbar sind auch Anspielungen aufs weibliche
Geschlecht, die nach heutigem Gender-geprägtem Rollenverständnis
als "sexistisch" empfunden werden könnten, aber keineswegs böse
gemeint und waren und damals, vor rund 40 Jahren, zum allgemeinen Sprachgebrauch
gehörten. "Spuchtig" ist Almut Stengel: "Junge, da kriste (=kriegst
du) ja blaue Flecken". Damals kursierte auch ein Witz: "Sie sieht aus wie
eine Hundehütte - an jeder Ecke Knochen". Heute haben nur
noch wenige dafür Verständnis, wird doch jedes Wort auf die Goldwaage
genommen und muß man sich hüten, bestimmte Dinge zu sagen, die
Zeit wird immer humorloser, Minderheiten dürfen nicht mehr "diskriminiert"
werden, fast alles ist irgendwie justiziabel geworden (allerdings nicht etwa
mit dem Resultat gestiegener Menschlichkeit, wie die jüngsten Kriege
beweisen).
Neben den für Ausländer teils "exotischen" Wörtern und Wendungen
gibt es subtile Pointen, die ein fortgeschrittenes Textverständnis
erfordern:
"Weil: rote Rosen, also, das dürfte man nur - ööh - als ein
Zeichen, öh daß man mit die Dame schon richtig da wat gehabt
hat, nich? Un sicher, wenn dat dann nich stimmt, ne, is klar,
dat der Hausherr böse wird. "
Und es gibt lexikalisch-komische Mißverständnisse wie
Persianer
für Perser
(=Teppich),
die erkannt werden wollen. Treudeutsch-biedere Sprichwörter wie "Mit
dem Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land" sind auch modernen
"Inländern" kaum noch geläufig.
So ist und bleibt der in den 60er und 70er Jahren als "kultig" empfundene
und von vielen (bes. von Studenten) imitierte (man
"mangerte")
Kabarettist seiner Zeit verhaftet. 1978, als ich das "Gute Benehmen",
den "Tanzkurs" erstmalig im Rahmen des Deutschen als Fremdsprache in meinem
zweiten Internationalen Ferienkurs als Schluß-Text behandelte, war
es noch anders. Ich erinnere mich gut an eine niederländische Teilnehmerin,
die, so würde man heute sagen, sich fast hingeschmissen (oder weggeworfen)
hat vor Lachen, sie konnte sich gar nicht mehr "einkriegen", es war ein
"durchschlagender" Erfolg und schon fast peinlich. Heute dagegen lauschen
die Zuhörer/innen fast versteinert, ab und zu zeigt sich bei wenigen
eine zarte Regung der Mundwinkel, die auf Verstehen hindeuten könnte
- Beweis für die Unmöglichkeit, fremdartig erscheinende Kulturepochen
mit ihrer individuellen Komplexität in knappster Zeit zu erfassen und
nachvollziehend zu begreifen.
Wie viele aus dem Leben gegriffene Sprachproben enthalten auch und gerade
Mangers Sketche Wörter und Wendungen, die damals "in aller Munde" waren
- und es teils heute noch sind. Wer auch im beginnenden 21. Jahrhundert in
den ehemaligen
"Kohlenpott"
reist und dort auf Einheimische trifft, wird mit dem Kennsatz Amanda,
nimm du dat Kind un ich dat Schierm - et fängt am Regen! noch heute
eine positive Resonanz und Lacherfolge ernten. Die vielen Internet-Links
zeigen, daß das Ruhrdeutsche aktuell geblieben ist und als Kult-Sprache
ebenso "gepflegt wird wie das neu entstandene
"Kanak"-Deutsch
der sozialen Brennpunkte.
Zum Schluß eine Liste der uns interessierenden regional- bzw.
umgangssprachlichen Beispiele (in Originalschreibung und der Reihenfolge
ihres Erscheinens; * mit "typisch" ruhrdeutschen Elementen):
------------ "Gutes Benehmen"
-----------------
-
wenn man da mal hinterkuckt wenn
man sich das mal ansieht, betrachtet
-
Junge, dat is vielleicht ein Dingen das
ist schon erstaunlich (heute würde man auch sagen: ein echter
Hammer)
-
* vom Münsterland..., wo er da weg is von
wo er kommt
-
kommt er mit seinem Moped angejuckelt ...angefahren,
hergezuckelt
-
also ährlich (Manger-Standardphrase)
also wirklich
-
der Mann is 'ne Kanone ...ist perfekt
(ein As), ein Meister seines Faches in...
-
wenn er loslegt mit seinen Gesellschaftssitten
wenn er anfängt mit
-
paßt mir ja auf, ihr alten Heinis
(scherzhaft für "Leute", "Kumpels", "Freunde")
-
* ihr kämt jetzt schon am Tanzen ...
zum Tanzen
-
dat kein Mensch merkt, wat los is das
niemand dahinterkommt, -steigt
-
wenn mer hinmarschiert wenn
man da (so) einfach hingeht
-
und eben mal kurz die Wampe vollschlägt und
sich ... "bis zum Stehkragen" satt ißt
-
* im Dingens reinkneift
Verlegenheitsausdruck für: 'in den Hintern, Po'
-
* dat man dem da nich im Handwerk pfuscht
daß man ihm nicht in die Quere kommt, seine Pläne durchkreuzt
(jm. ins Handwerk pfuschen wird noch heute in der Umgangssprache
verwendet)
-
nur so aus Jux un' Dollerei nur so zum
Spaß
-
* Kumma da! guck
/ schau / sieh mal!
-
... * ankommt und mit rote Rosen bei die Hausfrau
... bei der H. ankommt / zur H. geht, kommt
-
also, is' schon Feierabend hier: das hat
schon keinen Zweck mehr, ist völlig verfehlt
-
dat man mit die Dame schon richtig wat gehabt hat
daß man mit der Dame eine Affäre hatte
-
* man wär 'n schrappigen Hund man
wäre ein Geizkragen
-
dat man nix anlegen wollte daß
man nichts ausgeben wollte (aus der Sprache des Bankwesens)
-
das müßte da schon mal dann die Sache ... geradebiegen
das in Ordnung bringen, dafür eine Lösung
finden
-
...sind die anderen Gäste eingetrudelt
...angekommen, eingetroffen
-
* dat se anständig am Sitzen kommt
... Platz nehmen kann
-
* ... diese ganze Sachen 'und so
weiter' oder 'das alles'
-
man soll nicht auf den Mund gefallen sein
man soll immer eine Ausrede, ein Argument parat haben
-
(die Trichinen), dat die ... 'n Betriebsausflug machen
daß die in Massen auftreten
-
Weinbergschnecken ... is mer sowieso fies für
auf W. hat man sowieso keine Lust / W. will man ... nicht essen
-
* ... die Tage ...
neulich, kürzlich
-
* mit Schmackes mit voller Kraft,
Wucht
-
auf'm Frack gespritzt auf das Kleid ...
-
dat se 'ne nich zu'n Krüppel geschlagen haben
daß sie ihn nicht ganz fürchterlich verprügelt
haben
-
* sein eigen Butterbrot sein
eigenes ..
-
meintswegen meinetwegen
-
* wenn ich ... die Dame daneben alles auf'm Kleid
bekleckere wenn ich der D. alles auf ihrem Kleid mit
Flecken beschmutze
-
* dat man sich garnix von annimmt daß man
das gar nicht ernst / sich zu Herzen nimmt, daß einem das egal /
gleichgültig ist
-
sommer uns alle Mann hoch überlegen
sollen wir uns alle überlegen
-
wenn einer Malässen mi'm Magen hat
Probleme, Schwierigkeiten, Komplikationen (von frz. malaise)
-
* ... hat auch kein' Wert hat auch keinen
Sinn
-
* dat Dingen das Ding (hier: der
Kronleuchter)
-
dann hat man sich da ganz schön aus de Schlinge gezogen
hat man sich aus der Situation gerettet
-
* Jau, jau! (ja,) wirklich!
-------------- "Heiratsvermittlung" ---------------
-
da könn'se noch ... drauf rumrutschen
... sitzen
-
* ... weiß ich nich, wat se da - anspielen ...
worauf Sie da anspielen, was Sie ... meinen
-
kammer ja nix dran machen daran kann man
ja nichts ändern
-
obse so'ne Dame ... auf Lager hätten
ob Sie ... verfügbar, "im Angebot" hätten
-
dat ham se aber vielleicht gut gebracht
das haben Sie aber gut gesagt, formuliert ('vielleicht' ist eine
Füll-Partikel)
-
sollt' keiner sehn, wat los is da
sollte keiner etwas merken, niemandem sollte etwas auffallen
-
* ährlich, könnse für wetten wirklich,
darauf können Sie jede Wette eingehen
-
* wie die sein soll, im Gesicht, alles? ...
im ganzen / und so weiter
-
wennse dat ma einfädeln könnten
... hinbekommen, erreichen ('einfädeln' ist eine häufig auch in
der Ugs. gebrauchte Metapher!)
-
Kröös-chen
Techtelmechtel, Affäre (engl. hanky-panky)
-
kurant attraktiv, "sexy"
-
(da) träum ich sogar ganz schräge Sachen von
davon habe ich manchmal ganz wilde (feuchte?)
Träume
-
ich steh da drauf so etwas mag ich,
finde ich gut
-
* ...paß auf ... (betonende Floskel)
-
nich so'n Besen nicht so ein zänkisches
Weib
-
die war vielleicht ein Deuwel die hatte
den Teufel im Leib, war wie eine Furie
-
* hömma zu, Mädchen
hör mir mal zu, meine liebe ...
-
aber nicht mit mir das kommt hier nicht
in Frage, das verbitte ich mir
-
sie sind meistens viel zu karbitzig
viel zu zickig, kompliziert, überkanditelt
-
Hauptsache, sie hat wat anne (an die) Füße
sie hat Geld, sie ist vermögend
-
man möcht' au'm grünen Zweig kommen
man will etwas erreichen im Leben
-
* wo is dat dann? wo ist, liegt denn das?
-
* gehnse ruhig in diese Dingens da ... gehen
Sie nur da hinein
-
is alles so spuchtig (da)
ist alles so mager, knochig
-
* is ja noch so viel in Ihrem Büchsken drin
da ist ja noch so viel in Ihrem Büchlein
-
* Junge, Junge, komm schnell, Herr Baron ...
Mein Gott, schnell (weiter) ...
-
* wie se da kuckt mit ihrn Kompotthütchen auf
zu 'Kompotthut' siehe
Marlene Jaschkes
Website
-
* Sie sind mir aber ein
Schmecklecker
.. ein Feinschmecker, ein Mensch mit (gutem) Geschmack
-
Papier is(t) geduldig auf dem Papier kann
viel stehen, es braucht aber längst nicht wahr zu sein
-
* macht nur Arbeit, Sie ... (das 'Sie' ist eine
betonende Anrede-Floskel)
-
tunse die in Reserve, auf die Warteliste (aus
dem Verwaltungswesen und von der Luftfahrt übernommene Metapher)
-
dat is aber 'n bißken happig
das ist mir aber zu viel (des Schlechten)
-
* Herr Baron, wat machense denn mit mir? ...
was tun Sie mir denn an?
-
Kinder - un gleich drei Stück und
gleich drei Kinder ('Stück' kommt aus der Kaufmannssprache)
-
als hätten se (die) mit 'ne Brotkruste aus'm Urwald gelockt
(bezieht sich vermutlich auf den "Naturkind"-Film, s.o.)
-
den bin ich abhold
(antiquierte Ausdrucksweise:) die mag ich nicht, die kann ich nicht
leiden
-
man muß auch mal fünf gerad sein lassen
... mal über etwas (das einen stört) hinwegsehen
(können)
-
* mit so'n Stall voll fremde Blagen
mit so vielen fremden Kindern (dat Blag = das Kind)
-
Herr Baron, * sindse doch ma ährlich
geben Sie es doch mal ehrlich zu
-
* könnt ja auma sein
es könnte ja auch mal sein, passieren
-
* muß mer doch ... die Zukunft ... im Auge blicken
muß man doch der Zukunft ins Auge sehen
-
damit mer nich erkennen soll, wat los is
daß man nicht die Wahrheit erkennen
soll
-
wer weiß, wat die für Macken hat
welche Fehler, Makel sie hat / was an ihr nicht in Ordnung ist
-
kumma, er is schlecht sortiert
sieh an, er hat nichts Vernünftiges in seinem Sortiment
-
hat nix zum Anbieten hat nichts,
was man kaufen könnte
-
hat nur Ladenhüter in seine Albums
hat nur, was er nicht los wird / auf dem er sitzen bleibt, in seinen
Alben
-
unsereins ... kuckt hinterher inne Röhre
... guckt in die Röhre, geht leer aus
-
is doch alles Schiebung! ist doch
alles Betrug!
Wird ergänzt. (c) W. Näser, Marburg 7.12.2k7 * Stand: 22.1.2010