Dr. Wolfgang Näser: Formen schriftlicher Kommunikation * WS 1998 / 99

Di 16-18, HS 207, Biegenstraße 14 * Sprechstunde: Montag, 15-17 Uhr, Deutscher Sprachatlas (Kaffweg 3), Zi. 11 (Tel. 06421-28-3508)


Textsorte / Text 2: Zeitungssprache; Konzertkritik:

Mit Intellekt und Herzenswärme
Dirigent Siegfried Heinrich mit Solistenensemble bei Bach-Konzert (von Helmut ROTTMANN; OBERHESS. PRESSE 29.7.82 - zu behandeln am 10. November 1998; dazu Auszug aus Original-Livemitschnitt [#29] vom 25.7.1982)

Zu einem Höhepunkt in der musikarmen Sommerzeit wurde das Bach-Konzert mit dem Solistenensemble des Hessischen Kammerorchesters Frankfurt und weiteren Instrumentalisten sowie Vokalisten unter der Leitung von Siegfried Heinrich, zu dem der Marburger Konzertchor in die Kirche St. Peter und Paul eingeladen hatte. Was an dieser Aufführung von Werken des Barockmeisters begeisterte, war die Synthese aus Geist und Herz, mit Lebensatem gefüllte Tonschöpfungen, die in ihrer durchsichtigen Sachlichkeit Euphorie auslösten.

Johann Sebastian Bach und seine Kompositionen sind in unserer Zeit wieder "in". Nicht nur die jüngere Generation erfreut sich an der Melodik, Rhythmik und kunstvollen Ausgestaltung seiner Werke in "klassischer" und "moderner" Interpretation, sondern gerade die Freunde der "Hohen Kunst der Fuge" begrüßen die Versachlichung des Aufführungsstils und der Wiedergabe seiner meisterhaften Tonschöpfungen. Einer, der diesen Weg konsequent geht, ist Siegfried Heinrich. Er öffnet dem Zuhörer die "Tür zum Innern des Werkes", das sich vor ihm wie ein "Notenteppich mit symbolischen Mustern" ausbreitet. Für den Besucher seiner Konzerte wird Wissen zum Verständnis.

Und er hatte Solisten und ein Ensemble mitgebracht, die gleicher Auffassung sind und perfekt harmonierten. Beispiel: das erste Stück des Abends - wie auch die folgenden -, die Orchestersuite Nr. 2 h-Moll BWV 1967 für Flöte, Streicher und Basso continuo. Ohne Affektation, mit der Ruhe und Souveränität eines ausgereiften Künstlers, gestaltete der Dirigent dieses bekannte Werk so einheitlich, in sich geschlossen, wie ein Architekt ein Bauwerk ohne Stilbruch und störendes Fremdmaterial. Als Meister ihres "Handwerks" zeichneten sich hierbei Zbigniew Czapczynski (Violine) und Eckart Haupt (Flöte, von der Staatskapelle Dresden) sowie Matthias Heinrich (Cello) aus. Ihnen standen gleichberechtigt Armin Thalheim (Cembalo, Ost-Berlin), Heinz Mundt (Kontrabaß) und der junge, sehr zurückhaltend spielende Bratschist Ulrich Hartmann (bei seinem Können dürfte er ruhig mehr Selbstvertrauen zeigen!) zur Seite. Elegische Bögen überspannten das Werk, das in warmem Ton, insbesondere durch Eckart Haupt mit seiner Querflöte, einen intimen Charakter erhielt, ohne dabei an Frische (in der Bourrée und Badinerie) zu verlieren.

Anstelle der angekündigten und in Marburg schon aufgeführten Kantate Nr. 151 "Süßer Trost, mein Jesus kömmt" und des Tripelkonzerts a-Moll BWV 1044 nahm man aus der Kantate Nr. 68 "Also hat Gott die Welt geliebt" die Arie "Mein gläubiges Herze" und das 5. Brandenburgische Konzert D-Dur ins Programm auf. Barbara Hoene von der Staatskapelle Dresden stellte sich mit einem kultivierten Sopran vor, der nur in den obersten Lagen bedeckt zu sein schien. Sie verfügt über große Flexibilität bei Dynamik und Tempi, ließ jedoch bei schwierigen Intervallen auch in der Kantate Nr. 199 "Mein Herze schwimmet im Blut" leichte Unsicherheiten erkennen. Glänzendes Spiel auf der Oboe bot hierbei Lukas Meuli, der mit dezenter "Beantwortung" der Sopranpartien ein einfühlsames Pendant bildete. Sicherer Begleiter auf dem Orgel-Positiv war Dankwart von Zadow (DDR).

Wohl selten ist das 5. Brandenburgische Konzert in solcher Klarheit und fast elektrisierender Sprödigkeit, aber auch eleganter Beweglichkeit zu hören wie bei diesem Konzert. Es setzte sich zusammen aus geistiger Frische und herzlichem Charme, die sich gegenseitig stützten und aufbauten, sich wie in Privatsphären zurückzogen, um dann doch zu gemeinsamem konzertantem Spiel zu finden. Ein "Triumvirat" bildeten dabei Cembalo, Violine und Flöte.

Gerade hier wurde verdeutlicht: alle Musiker dieses Abends, ganz gleich ob Dirigent oder Instrumentalisten, sind Meister der zarten Töne. Diese feinfühlige Nuanciertheit war gleichermaßen beeindruckend wie auch begeisternd. Der Beifall der rund 300 Besucher nach jedem einzelnen Stück und der langanhaltende Schlußapplaus war nicht nur einer solchen Aufführungsstätte angepaßt, sondern schien auch dem gleichen Geist entsprungen zu sein: dezent, herzlich, überzeugend ...   hr

(HTML-Transkript und Bearb.: W. Näser 6.11.98)
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Verfahrensweise und Aufgaben:

  1. Wir lesen den Text gemeinsam, klären unbekannte Wörter (Lexeme) und Wendungen (Phraseologismen) und versuchen, Synonyme zu finden.
  2. Wir betrachten die Ausdrucksweise (Stilistik) des Textes und hier besonders die textsortenspezifischen Stilmittel. Inwiefern unterscheidet sich unsere Konzertkritik von Text 1?
  3. Wir versuchen, den Text mit eigenen Worten zusammenzufassen (abstract writing).
  4. Wir versuchen, den Text inhaltlich zu kommentieren. Was wird gesagt und wie wirkt das Gesagte auf uns?

WN 061198