Dr. Wolfgang Näser * HS 207 Biegenstr., 16-18 h (Sprechstunde: Mo 15-17 h, Hermann-Jacobsohn-Weg 3, Dt. Sprachatlas, Zi. 11, Tel. 28-23508)
VORBEMERKUNG: Aus aktuellem Anlaß lese und bespreche ich mit Ihnen drei Zeitungstexte, die sich mit dem Niedergang eines der größten deutschen Bauunternehmen und den für viele tausend Menschen äußerst gravierenden Konsequenzen befassen.
Der Vorstand der Baufirma und die Gläubigerbanken trafen sich am späten Nachmittag in Frankfurt zu abschließenden Gesprächen über das Sanierungspaket, nachdem Holzmann in der vorigen Woche drohende Verluste über rund 2,4 Milliarden DM beichten musste und die Banken bei mehreren Treffen keine Einigung auf Rettung des traditionsreichen Bauunternehmens erzielt hatten. Zur aktuellen Situation sagte ein Holzmann-Sprecher: Die Lage ist ernst. Auch am Wochenende hieß es in Bankenkreisen, während die entscheidenden Beratungen noch andauerten, die Chancen für ein Überleben des Konzerns stünden eher schlecht und lägen nur bei 40 Prozent. Die Verhandlungen seien die Party der Deutschen Bank. Sie müsse mehr Verantwortung übernehmen.
Die Deutsche Bank konterte und betonte, sie sei sich ihrer besonderen Position bewusst und habe bereits gesagt, das Sanierungspaket unterstützen zu wollen. Nun seien die anderen Banken gefordert. Wenn eine Reihe von Gläubigern nicht mitmache bei der Rettungsaktion, könne die Deutsche Bank allein nichts tun. Aus dem Umfeld des Holzmann-Vorstands verlautete mit Blick auf das Rettungspaket, es könne keine Zwischenlösung geben, weil dies auf einen schleichenden Konkurs hinausliefe. Ein Sprecher der Commerzbank bestätigte, dass sein Haus eine Strafanzeige gegen Holzmann-Chef Heinrich Binder und andere Vorstände erwägt. Kurz vor der Bekanntgabe der Konzern-Krise sollen sie 50 Millionen DM aus einer bestehenden Kreditlinie auf ein Holzmann-Konto abgerufen haben und dies angeblich im Wissen der drohenden Überschuldung.
Klar war, dass Holzmann zum Wochenauftakt einen Insolvenzantrag bei einem negativen Votum der Gläubiger stellen musste. Nach den Worten von Binder, der das entdeckte Verlustloch zu 95 Prozent in Altlasten begründet sieht, geht es bei einer Pleite seiner Firma nicht nur um die Jobs bei Holzmann, sondern auch um rund 40 000 inländische Arbeitsplätzen bei 270 Zulieferfirmen. Das laut Sanierungskonzept ohnehin mit dem Abbau von 3000 Stellen konfrontierte Personal des Frankfurter Baukonzerns hat sich unterdessen zu erheblichen Opfern für den Fall der Sanierung seines Unternehmens bereit erklärt. Jürgen Mahneke, Gesamtbetriebsratsvorsitzender und stellvertretender Aufsichtsratschef, sagte, das Berliner Modell könne Holzmann vor dem Aus bewahren. Dieses Modell sieht sechs Prozent weniger Lohn bei einer gleichzeitig auf 43 Stunden steigenden Wochenarbeitszeit vor.
Mahneke betonte, um den Baukonzern dauerhaft zu retten, sei die Verfolgung krimineller Machenschaften notwendig. Der Niedergang von Holzmann sei nicht auf bautechnische Fehler, sondern auf Straftaten zurückzuführen. Dies glaubt auch der amtierende Vorstand, der früheren Führungskräften massive Pflichtverletzungen vorhält und Strafanzeige gegen namentlich nicht genannte Personen erstattet hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und hegt den Anfangsverdacht der Untreue, des Betrugs und der Bilanzfälschung.
Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet erneut der aus dem Vorstand der Deutschen Bank stammende Aufsichtsratsvorsitzende von Holzmann, Carl Ludwig von Boehm-Bezing. Das Magazin Der Spiegel berichtete, Boehm-Bezing sei seit Monaten über die tatsächliche Lage des Baukonzerns informiert gewesen. Leitende Mitarbeiter von Holzmann hätten den Vorstand schon seit einem Jahr wiederholt vor unterbewerteten Risiken von bis zu einer Milliarde DM gewarnt.
Die Deutsche Bank ist bei Holzmann Hausbank, Hauptkreditgeber, Großaktionär mit einem Anteil von 15 Prozent und stellt in Boehm-Bezing den Oberaufseher im Kontrollgremium. Sie sprang ihrem Vorstandsmitglied zur Seite und wies die erhobenen Vorwürfe zurück. Boehm-Bezing sei erst seit Anfang November dieses Jahres über einen weiteren erheblichen Wertberichtigungsbedarf bei Holzmann informiert worden und habe sämtliche Gutachten vorangetrieben.
(Quelle: Süddeutsche Zeitung, 22.11.99)
Beschäftigte demonstrieren für ihre Arbeitsplätze
Nach dem Scheitern der Verhandlungen haben Beschäftigte von Holzmann Frankfurt abgeriegelt. Sie sperrten am Montagvormittag wichtige Zufahrtstraßen in die Mainmetropole. Die Untermainbrücke, die Friedensbrücke und weitere Hauptstraßen seien blockiert, sagte ein Sprecher des Betriebsrates.
Die Gläubigerbanken hatten sich in einem 15-stündigen Gesprächsmarathon nicht auf ein Sanierungspaket für den überschuldeten Konzern einigen können, wie der Aufsichtsratsvorsitzende Carl von Boehm-Bezing am Montagmorgen mitteilte. Damit sei ein Insolvenzverfahren unvermeidlich.
Verantwortlich für das Scheitern seien einige andere Geldinstitute, die sich einer angemessenen Beteiligung an der Sanierung verweigert hätten, sagte Boehm-Bezing. Die Deutsche Bank hätte sich mit einem Beitrag von 1,5 Milliarden Mark nach den Worten des Aufsichtsratsvorsitzenden deutlich überproportional beteiligen wollen. Insgesamt wären drei Milliarden Mark für eine Rettung nötig gewesen.
Ob der Konzern noch eine Zukunft habe, sei zurzeit noch nicht abzusehen, sagte der Vorstandsvorsitzende der Phillip Holzmann AG, Heinrich Binder. Als erste Konsequenz aus den gescheiterten Verhandlungen würden alle 1200 Baustellen des Unternehmens stillstehen.
Holzmann ist Deutschlands zweitgrößter Baukonzern. Plötzlich aufgetauchte Verluste in Höhe von 2,4 Milliarden Mark hatten zu einer Überschuldung des Unternehmens geführt. Binder erläuterte dazu, dass frühere Vorstandsmitglieder den Aufsichtsrat bewusst getäuscht und über die Finanzlage im Unklaren gelassen hätten.
Gegen alle Verantwortlichen wurde mittlerweile Strafanzeige gestellt.
Scharfe Kritik vom Betriebsrat
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Philipp Holzmann AG, Jürgen Mahneke,
äußerte sich im Hessischen Rundfunk maßlos
enttäuscht. Er warf den beteiligten Banken ein abgekartetes
Spiel vor. Am Ende hätten wohl nur noch einige hundert Millionen
für den Sanierungsplan gefehlt. Die Zahlung des Novembergehalts und
des Weihnachtsgeldes sei nach seinen Informationen noch gesichert, sagte
Mahneke. Deshalb sollten die rund 18 000 Beschäftigten im Inland trotz
allem zur Arbeit gehen.
Mahneke hatte vor den entscheidenden Verhandlungen erklärt, dass die Belegschaft zu Opfern bereit sei, um die Zustimmung der Gläubiger zu einem so genannten Berliner Modell für die Rettung des Konzerns zu erreichen. Wir sind für das Berliner Modell, das heißt sechs Prozent weniger Lohn bei einer auf 43 Stunden steigenden Wochenarbeitszeit. Wenn wir damit die Arbeitsplätze retten können, sind wir dazu bereit. Er warnte, im Insolvenzfall wären bei Holzmann 30 000 und bei den Zulieferern noch einmal 40 000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt bedroht.
Quelle: FOCUS, 22.11.99, 11:05 Uhr
Text 4 c: Schock auf Deutschlands Baustellen!
Die Banken wollen den zweitgrößten Baukonzern Deutschlands, die Philipp Holzmann AG, mit 28 000 Mitarbeitern sterben lassen!
Die Nachricht kam nach 15 Stunden Krisensitzung: Das Sanierungskonzept ist gescheitert, die Banken kommen nicht für die Milliardenschulden der 150 Jahre alten Firma auf. Die Arbeiter verraten und verkauft! - Politiker und Banken müssen jetzt handeln. BILD fordert: Lasst die Arbeiter nicht im Stich! Bundeskanzler Schröder will sich persönlich einschalten, auch die Stadt Frankfurt bietet Hilfe an. - Sie wussten, um was es geht: Eine ganz, ganz dicke Finanzspritze musste her. Mindestens 2,5 Milliarden Mark für die überschuldete Holzmann AG. Der letzte Versuch, 28 000 Arbeitsplätze zu retten. Und 240 000 Jobs bei Zulieferern und Sub-Unternehmern. 100 Manager für 20 Banken an einem Tisch. Fast 15 Stunden verhandelten sie am Ende kam für die Malocher vom Bau nichts dabei heraus!
Sonntagnachmittag, 15.30 Uhr: Das Treffen der Gläubigerbanken des Holzmann-Konzerns beginnt. - Der Ort: Hotel Frankfurter Hof, der Ballsaal. Tradition, Spiegeltüren, dicker Plüsch, erbaut von Holzmann-Arbeitern 18741876. - In den Saal darf kein Besucher. Bodyguards schirmen den Raum ab. Die Journalisten 20, 25 Meter weit weg. - Alle Banker setzen auf einen Mann: Carl von Boehm-Bezing (59). Vorstand der Deutschen Bank, Aufsichtsratsvorsitzender von Holzmann. 15 Prozent von Holzmann gehören der Bank und sie hat das Geld, Holzmann zu retten. - Zum Auftakt: Beaujolais, Käsewürfel, Frankfurter Würstchen. Stärkung die Nacht kann lang werden.
Mitternacht. Deutsche-Bank-Sprecher Dierk Hartwig kommt aus dem Saal. Er scheint hoffnungsvoll. Die Journalisten springen auf. Die Atmosphäre sei sehr sachlich, es werde gerungen, verkündet Hartwig. Die Wahrheit: Die haben sich gegenseitig angeschrieen, sagt ein Teilnehmer später. Weiter warten überall sitzen, liegen Reporter.
Die Saaltüren gehen auf, schließen sich in kleinen Runden wird weiter verhandelt. Nur der Kaffeewagen rollt regelmäßig in den Ballsaal. - Um vier Uhr morgens Gerüchte auf den Fluren: Das Scheitern zeichnet sich ab die Commerzbank will ihr Rettungsangebot nicht mehr nachbessern. 450 Millionen Mark fehlen noch.
6.30 Uhr: Mit versteinerter Miene tritt Holzmann-Boss Heinrich Binder vor die Presse. Neben ihm Boehm-Bezing. Wir haben alles versucht, und es hat dann gemeinsam nicht gereicht, gesteht Binder.
Am Tag formiert sich die Wut der Holzmann-Mitarbeiter. In der Frankfurter Innenstadt werden Zufahrtsstraßen blockiert, Arbeiter protestieren vor den Zentralen der Holzmann AG und der Deutschen Bank. Gesamtbetriebsrat Jürgen Mahneke wirft den Banken abgekartetes Spiel vor.
Gestern abend ein neuer Rettungsversuch Vertreter der
Gläubigerbanken und des Konzerns trafen sich noch einmal im Gebäude
der Hessischen Landesbank. Bundeskanzler Schröder schickte seinen
Staatssekretär Hans Martin Bury. Ergebnis bei Redaktionsschluss noch
offen.
Quelle: BILD on-line 23.11.99
Aufgaben:
(c) W. NÄSER 22.11.99