Deutsch im 20. Jahrhundert * Dr. Wolfgang Näser, Marburg, SS 2002 ff.

Zuse, Konrad (1910-1995): Bürokratismus und Rechenmaschinen (1950)
(mit freundl. Genehmigung von PD Dr.-Ing. Horst Zuse)

  "Ich wünsche der nachfolgenden Generation
  alles Gute im Umgang mit dem Computer.
  Möge dieses Instrument Ihnen helfen,
  die Probleme dieser Welt zu beseitigen,
  die wir Alten Euch hinterlassen haben."

Der am 22. Juni: in Berlin geborene Physiker, Erfinder und (hobbymäßige) Maler studiert bis 1935 Maschinenbau an der TH Charlottenburg, arbeitet dann als Statiker für die Henschel-Flugzeugwerke und entwickelt schon ein Jahr später ein Aussagenkalkül für duale Rechenautomaten (= Konzept frei programmierbarer Maschinen). 1938 stellt er die mechanische Rechenmaschine Z 1 fertig (eine Kopie heute im Museum fur Verkehr und Technik Berlin), die jedoch nicht zufriedenstellend arbeitet. Die hier verwendeten Algorithmen werden in den USA erst 1940 von John von Neumann (1903-1957) formuliert. In seiner Z 2 von 1940 verwendet er ein elektronisches Rechenwerk aus Telefon-Relais, in der Z 3 von 1941 (die schon wie ein modernes "Elektronengehirn" aussieht) arbeitet auch ein Speicher aus Relais; die Z 3 ist frei programmierbar, basiert auf dem binären Zahlensystem und ist somit der erste funktionsfähige Computer. Seine 1940 gegründete Firma wird bei Kriegsende zerstört, die bereits angefangene Z 4 ins Allgäu verbracht (später erhält sie die ETH Zürich, 1957 ist die auf der Hannover-Messe). Zu diesem Zeitpunkt entwickelt Zuse die Programmiersprache "Plankalkül" und gründet 1949 die Zuse KG, die später nach Bad Hersfeld umzieht. 1955 beginnt mit der Z 11 die Serienfertigung von elektronischen Rechnern. Firmen der Optik-Industrie und Universitäten sind Zuses Kunden. Die Z 22 von 1957 erhält den ersten magnetischen Speicher (Bild re.: Teilansicht Kernspeicher). Bis 1967 fertigt Zuse insgesamt 251 Computer, dann wird das Werk wegen wirtschaftlicher Probleme geschlossen. Am 18. Dezember 1995 stirbt er in Hünfeld. Auszeichnungen: u.a. 1956 Dr.-Ing.E.h., T.U. Berlin-Charlottenburg, 1964 Werner-von-Siemens Ring; 1966 Honorarprofessor der Georg-August-Universitat Göttingen; 1972 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (mit Stern 1985); 1979 Dr.rer.nat.h.c. der Uni Hamburg, 1981 der TU Dresden, 1986 der Uni Reykjavik und 1991 der Uni Dortmund; 1991 Dr.h.c.sc.techn. der ETH Zürich, Dr.-Ing.E.h. der Hochschule f. Architektur und Bauwesen, Weimar, 1993 Honorarprofessur der Uni Stettin; 1994 Dottore ad honorem in Matematica der Uni Siena. Div. Ehrenbürgerrechte usw. (Näheres zum techn.Lebenslauf hier)

Der folgende, wohl als Vortrag konzipierte Text, den ich zufällig entdeckte, ist in vielerlei Hinsicht relevant - nicht nur weil es hier auch um den Begriff "Planwirtschaft" und seine innere Füllung geht. Die Auseinandersetzung des Vierzigjährigen (s. Bild) mit Methoden und Prinzipien der Verwaltung liefert bis heute gültige und moderne Aussagen über das Wesen und die Technik der menschlichen Kommunikation und der Informationsgewinnung und -aufbereitung, zugleich auch zeitlos wichtige Erwägungen zur Arbeitsorganisation mit dem Ziel, neue Formen künftiger Datenverarbeitung einzufordern. Der Text ist zudem mustergültig verständlich. Bis auf (entsprechend markierte) unleserliche Stellen wird der (vom Schreibmaschinen-Faksimile abgeschriebene) Text als Ganzes präsentiert. W.N.


Man kann wohl sagen, daß ein großer Teil der Abneigung gegen die Planwirtschaft sich nicht gegen diese an sich richtet, sondern lediglich gegen den Bürokratismus gerichtet ist; denn offensichtlich muß der Umfang der staatlichen Verwaltungsarbeiten zunehmen, je mehr staatliche Stellen in die Lenkung eingreifen. Daher muß man die Nachteile der Planwirtschaft als solche von den technischen Schwierigkeiten der Verwaltung wohl unterscheiden.

Die Frage der Planwirtschaft oder Freiwirtschaft ist zunächst eine Frage der Weltanschauungen, der Tradition, der äußeren und inneren politischen Bedingungen und anderer grundsätzlicher Faktoren. Dagegen ist die Verwaltung ein rein technisches Problem und muß als solches behandelt werden. Eine gute und flüssige Verwaltungstechnik ist allerdings Voraussetzung einer gut funktionierenden Planwirtschaft; aber auch das beste freiwirtschaftliche System kommt ohne Verwaltungstechnik nicht aus, so daß auch der strenge Gegner der Planwirtschaft nicht umhin kommt, sich mit dem Problem der Verwaltungstechnik zu befassen.

Die Verwaltungstechnik kann als ein rechnerisches Problem höherer Ordnung aufgefaßt werden. Ausgangswerte der Rechnung bilden die Daten des Wirtschaftslebens und der Bevölkerung. Diese werden durch laufende Registrierungen, Statistiken und Fragebogen gegeben. Resultatwerte der Rechnung sind diejenigen Daten, welche den staatlichen Maßnahmen und Eingriffen in das Wirtschaftsleben als Unterlage dienen. Zwischenwerte sind die Ergebnisse einer Reihe von komplizierten Statistiken und anderer Auswertungen. Der gesamte Bürokratieapparat einer staatlichen Planung ist weitgehend mit dem innerbetrieblichen Kalkulationswesen einer Großfirma zu vergleichen, nur daß die Zusammenhänge noch wesentlich umfangreicher und komplizierter sind. Schon die innerbetriebliche Verwaltung des Betriebs erfordert ja einen erheblichen Aufwand und ist noch keineswegs ideal gelöst. Umso mehr gilt dies für die staatliche Verwaltung.

Fassen wir die Verwaltungsarbeit als "Rechnen höherer Ordnung" auf, so ist also ein Verwaltungsapparat eine "Rechenmaschine höherer Ordnung" und ist somit einem Gehirn vergleichbar. Unter diesem Gesichtspunkt muß zunächst festgestellt werden, daß die heutige Rechentechnik noch kaum in die Gebiete der eigentlichen Gehirntechnik eingedrungen ist. Im allgemeinen versteht man heute unter "Rechnen" überhaupt nur das Zahlenrechnen und die bekannten statistischen Geräte können dort mit Erfolg angewandt werden, wo große Massen von Angaben nach dem gleichen Schema zu behandeln sind. Überall da, wo Entscheidungen zu fällen sind und die Rechnung in komplizierter Kombination gegebener Umstände besteht, kann bis heute nur das menschliche Gehirn die einzelnen Operationen mit der nötigen Schnelligkeit ausführen. Nun ist das menschliche Gehirn in seiner Kapazität naturgemäß beschränkt. Bei umfangreichen Verwaltungsaufgaben kann unmöglich ein einzelnes Gehirn die gesamte Materie fassen und alle Entscheidungen allein treffen. Die zu leistende Arbeit muß daher auf mehrere Gehirne verteilt werden. Darin besteht nun die erste große Schwierigkeit einer Verwaltung, welche rein aus Gründen der Gehirnkapazität in "Dienststellen" aufgeteilt werden muß. Die Arbeitsteilung als solche ist dabei im Sinne der Flüssigkeit der Verwaltung durchaus fruchtbringend, jedoch müssen die einzelnen Stellen eng zusammen arbeiten, und darin liegt eine der Hauptursachen der Trägheit einer Verwaltung.

Innerhalb eines Rechenmaschinen-Organismus, als welchen wir auch den Komplex mehrerer Dienststellen auffassen können, bedeutet die Zusammenarbeit rein technisch gesehen die Übertragung von Aufgaben zwischen den einzelnen Dienststellen. Irgend eine Entscheidung kann von der Dienststelle A nicht gefällt werden, wenn hierzu Unterlagen erforderlich sind, welche nur der Dienststelle B zugänglich sind, sei es, daß diese im Gedächtnis der dort amtierenden Person gespeichert sind, oder in Archiven dieser Dienststelle schriftlich niedergelegt sind. Ebenso bedarf jede höhere Dienststelle der vorbereitenden Arbeit einer Reihe von niederen Dienststellen, welche gewissermaßen der Arbeit des Unterbewußtseins im menschlichen Gehirn entsprechen. Sie stellen Daten zusammen und übergeben sie einer vorgesetzten Dienststelle, welche auf Grund weitgehend vorbereiteten Materials die Entscheidung fällt.

Die Übertragung solcher Angaben kann in verschiedener Form erfolgen:

  1. Mündliche Übertragung in direktem oder fernmündlichem Gespräch.
  2. Schriftliche Übertragung in Form von Berichten oder durch vorgedruckte Formulare.
  3. Einsicht von Unterlagen bei einer anderen Dienststelle.
  4. Rein mech. Übertragung durch Übertragung eines Lochkartenstapels von Dienststelle zu Dienststelle.

Verglichen mit dem menschlichen Gehirn sind alle diese Methoden verhältnismäßig träge. Keine Übertragung ist so flüssig und schnell wie die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Teilen des menschlichen Gehirns. Deswegen ist das gute Gedächtnis immer noch das beste Nachschlagebuch. Die Bedeutung der einzelnen Personen im Verwaltungsapparat liegt daher nicht nur in ihrer eigentlichen ausführenden Tätigkeit, sondern auch in ihrer Funktion als Träger von gespeicherten Angaben, die in ihrem Gedächtnis deponiert sind. Daher ist der Einzelne oft so schwer zu ersetzen, weil mit seinem persönlichen Ausfall gewissermaßen ein Teil des Gesamtmechanismus ausfällt. "Darüber weiß Herr X Bescheid, aber er ist heute nicht da" ist eine der häufigsten Feststellungen in einer Verwaltung.

Aber auch wenn das eigentliche Angabenmaterial in Kartotheken usw. niedergelegt ist, so erfordert das Heraussuchen der richtigen Unterlagen doch meistens eine eingearbeitete Person. Wir haben noch keine mechanischen Nachschlagewerke, welche eine wirkliche Nachbildung des menschlichen Gedächtnisses sind und etwa Fragen wie die folgende beantworten könnten: "Wie hieß der Mann, der vor vier Wochen den Antrag X eingereicht hat, dann aber an Dienststelle Y verwiesen wurde?" Beim Gedächtnis ist aber nicht nur die eigentliche Speicherung des Angabenmaterials von Wichtigkeit, sondern auch die Organisation der Erfassung dieser Angaben, mit anderen Worten, das Gedächtnis muß vor allem auch immer wissen, wo die gefragte Angabe gespeichert ist. So ist das moderne Lochkartenverfahren zwar in gewisser Hinsicht ein mech. Gedächtnis, aber es ist nicht möglich, in jedem Augenblick an jede beliebige Angabe heran zu kommen, wie es beim menschlichen Gehirn möglich ist.

Somit nimmt also die Trägheit der Angaben innerhalb eines Verwaltungsapparates in dem Maße zu, wie diese Übertragungen nicht mehr innerhalb einzelner Gehirne, sondern von Gehirn zu Gehirn erforderlich sind.

Die mündliche Übertragung im Gespräch erfordert einen Besuch. Beide Partner müssen die Zeit vereinbaren und sich durch Verkehrsmittel erreichen können. Je beschäftigter die einzelnen Stellen, umso schwieriger sind solche Besprechungen herbei zu führen. Das Telefon hat hier zwar schon erhebliche Verbesserungen bewirkt. Jedoch wird auch hierbei erfahrungsgemäß sehr viel Zeit auf die Herstellung der Verbindung verwandt.

Dem gegenüber ist die schriftliche Mitteilung von der zufälligen Anwesenheit der Personen unabhängig. Ferner sind durch sie Irrtümer weitgehend ausgeschaltet. Außerdem dient sie als schriftliche Unterlage für spätere Untersuchungen. Deswegen ist es auch vielfach üblich, über Konferenzen und wichtige Ferngespräche Protokolle anzulegen, um einen Vorgang zu fixieren. Leider ist die schriftliche Mitteilung oft sehr träge. Der Weg von einer Dienststelle zur anderen dauert im allgemeinen mindestens einen Tag, oft aber länger. Muß ein Schriftstück zur Bearbeitung mehrere Dienststellen passieren, so bleibt es bei jeder Dienststelle liegen, bis es bearbeitet ist. Da bei mehreren Dienststellen meistens einer der Bearbeiter krank, verreist oder auf Urlaub ist, so bleibt fast jedes Schriftstück irgendwo längere Zeit liegen. Arbeitsüberhäufung hat dieselbe Wirkung. Hierdurch kommt der berüchtigte "Dienstweg" zustande, der eine unvermeidliche Folge der Arbeitsteilung ist.

Die rein mech. Übertragung ist nur zwischen mech. Vorrichtungen, z.B. Rechenmaschinen, möglich. So können z.B. statistische Auswertungen direkt zwischen einzelnen Abteilungen oder Ämtern übertragen werden. Bei Anwendung höherer Rechenmaschinen spielt dieser Vorgang eine wichtige Rolle. Je weiter sie entwickelt werden, desto selbständiger und vom Menschen unabhängiger ist ihre Zusammenarbeit. Sie kann dann auch über direkte elektrische Verbindung erfolgen. Solch ein hoch entwickelter und mechanisierter Verwaltungsapparat besteht aus einem Aggregat von Rechenmaschinen, welche durch ein eigenes Fernmeldenetz miteinander in Verbindung stehen und selbsttätig gegenseitig Angabenmaterial anfordern, weitergeben und verarbeiten. An Flüssigkeit und Geschwindigkeit ist eine derartige Anlage dem menschlichen Gehirn mindestens gleichwertig, an Leistungsfähigkeit selbstverständlich weit überlegen.

Beim augenblicklichen Stande der Verwaltungstechnik spielt also die Verteilung der Aufgabe auf einzelne Personen eine entscheidende Rolle. Die Aufgabenbereiche müssen so aufgeteilt sein, daß die Kapazität des Einzelnen nicht überschritten wird und die gesamten Verbindungen zu den einzelnen Stellen zu einem Minimum werden. Man kann in solchen Verwaltungsapparaten grundsätzlich zwei Typen unterscheiden:

Einmal haben wir das streng zentralisierte Büro, bei dem ein die andern weit überragender Kopf den gesamten Überblick möglichst weitgehend erstrebt, während seine Mitarbeiter den Charakter von Zubringern und untergeordneten Rechnern haben. Diese sind im wesentlichen nur Auskunftsstellen und Angabendepots für die zentrale Hauptstelle. In solchen Büros kommt es aus verschiedenen Gründen meistens zu Unstimmigkeiten zwischen dem Arbeitsrhythmus der Zentralstelle und den untergeordneten Stellen. Ihrerseits ist die Zentralstelle, d.h. der eigentliche Kopf des Ganzen naturgemäß stark überlastet, und da die anderen ohne die Zentralstelle nichts Wichtiges machen können, entsteht viel Leerlauf. Andererseits entstehen Differenzen zwischen dem meist vorwärtsstürmenden zentralen Kopf und den verhältnismäßig träge arbeitenden Sacharbeitern (sic!). Die Aufträge, die von oben an die unteren Organe zur Bearbeitung gegeben werden, werden im Verhältnis zum Tempo des Haupthirnes schleichend und träge bearbeitet und die Resultate dieser Untersuchungen liegen meistens erst vor, wenn der leitende Kopf schon wieder wesentlich weiter ist. Auch hieraus ergibt sich oft ein ungeheuerer Leerlauf.

Zum anderen haben wir das organisatorisch gut durchgearbeitete Büro, bei dem auch die schöpferische Arbeit und die Zuständigkeiten für eigentliche Entscheidungen sorgfältig auf mehrere Dienststellen und Köpfe verteilt sind. Die eigentlich leitende Stelle ist natürlich auch vorhanden. Diese behält aber nur eine gewisse Gesamtübersicht und greift nur in Ausnahmefällen in den Prozeß ein, der normaler Weise wie ein Uhrwerk zwischen den einzelnen Dienststellen abläuft. Bei derartigen Büros müssen nun allerdings eine Reihe von Angabenübertragungen, die beim zentralisierten Büro im Gehirn des führenden Kopfes blitzschnell erfolgen, durch die Hilfsmittel der persönlichen Fühlungnahme und schriftlicher Mitteilungen erfolgen. Dadurch tritt zweifelsohne eine gewisse Trägheit ein. Andererseits können die einzelnen Stellen selbständiger handeln und es können für die einzelnen Fachgebiete Spezialisten eingesetzt werden.

Einige Beispiele mögen noch zeigen, wie sich die mangelhafte Übertragungstechnik in der Verwaltung auswirkt. Jeder hat es als äußerst lästig empfunden, immer wieder Fragebogen auszufüllen. Die Abneigung gegen diese Methode erstreckt sich einmal gegen den Wissensdurst der Dienststellen überhaupt; d.h. man betrachtet es als eine Beeinträchtigung der Freiheit, Daten, die sich auf die eigene Person beziehen, bekannt zu geben. Dieses ist jedoch nicht das eigentlich Unangenehme; denn bei vernünftigen Fragen wird jeder Staatsbürger ihren Sinn einsehen. Als ausgesprochen lästig wird jedoch der Umstamd empfunden, daß ein und dieselben Fragen von der gleichen Person im Laufe ihres Lebens immer wieder beantwortet werden müssen, dazu noch oft in Fällen, wo ihr Sinn nicht einzusehen ist. Wie oft hat man wohl Namen und Geburtsdatum auf Formularen eingetragen?

Die Notwendigkeit dieser wiederholten Eintragungen ergibt sich nun aus der derzeitigen Verwaltungstechnik. Da wir noch nicht über mechanische Übertragungsmöglichkeiten von Dienststelle zu Dienststelle verfügen, müssen die Angaben bei jeder Dienststelle gesondert gesammelt werden. Aber auch innerhalb einer Dienststelle werden dieselben Angaben oft mehrmals auf verschiedenen Formularen zusammengestellt. Diese wiederholten Eintragungen läßt man dann noch oft durch den Staatsbürger erledigen, der für solche Arbeiten ja immer beliebig viel Zeit hat, trotzdem dies oft als Aufgabe der betreffenden Dienststelle angesehen werden könnte.

Es ist somit klar, welcher Weg zur Besserung führen kann: Eine möglichst weitgehende Mechanisierung der Verwaltung. Wir benötigen automatische Registrierungen und Übertragungsvorrichtungen zwischen diesen, welche eine einmalig erfolgte Eintragung beliebig (?) zu verteilen und herauszusuchen im Stande ist. Zieht z.B. eine Person um, so werden die Personalien dieser Person automatisch zu der betreffenden Dienststelle des neuen Wohnorts übertragen. Bestimmte Angaben, welche der Geheimhaltung unterliegen, werden überhaupt nur in einer Zentralverwaltungsstelle registriert, von wo sie nur an befugte Stellen abgegeben werden können. So ist dies meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, eine wirkliche Geheimhaltung bestimmter Daten durchzuführen.

Der technische Aufwand der zur mech. Übertragung von Daten zwischen den Dienststellen erforderlich ist, ist keineswegs unerträglich hoch. Die Übertragung von Personalien kann mit Hilfe moderner Nachrichtenmittel z.B. in wenigen Sekunden oder in noch kürzerer Zeit erfolgen, sofern hierfür rein technische Mittel verwandt werden, die vom Menschen unabhängig sind. Ein entsprechend über sämtliche Dienststellen ausgebauter Nachrichtenapparat könnte ohne große Schwierigkeiten und ohne Verzögerung laufend sämtliche Stellen miteinander in Verbindung halten und die Verwendung von mech. Speichern würde es ermöglichen, sämtliche wichtigen Karteien, Register usw. laufend auf dem neuesten Stand zu halten.

Neben dieser Mechanisierung der Übertragungen und des Gedächtnisses ist dann eine weitgehende Mechanisierung der Verwaltungstätigkeit selbst möglich. Die logistische Rechenmaschine gestattet es, den Begriff des Rechnens ganz erheblich über das Zahlenrechnen hinaus zu erweitern. Sämtliche Vorschriften, welche für alle in Frage kommenden Fälle bestimmte Lösungen festlegen, wie z.B. Steuergesetze, Zuteilungsbestimmungen usw. sind durch die logistischen Rechenmaschinen mechanisch lösbar. Der Mensch braucht nur in den Fällen einzugreifen, die wegen ihrer besonderen Verhältnisse nicht durch die allgemeinen Vorschriften erfaßt sind. Ein solcher Apparat nähert sich in seiner Arbeitsmethode der des menschlichen Gehirns. Die Zahl der an einem Verwaltungsvorgang beteiligten Personen läßt sich erheblich einschränken, sofern überhaupt noch die Mitarbeit (?) des Menschen erforderlich ist. Damit wird aber auch, wie eingangsgezeigt, der Hauptgrund für die Trägheit der Verwaltung beseitigt. Der Instanzenweg arbeitet stets flüssig und schnell, unabhängig von der Zuverlässigkeit des Menschen.

Einige Beispiele mögen zeigen, zu welchen Leistungen ein derartiger Verwaltungsapparat fähig ist. In dem Aufsatz "Neuzeitliche Methode der Belegschaftskontrolle" hat der Verfasser bereits ein Verfahren angegeben, um mit Hilfe mechanisch kontrollierbarer Ausweise eine weitgehende Kontrolle der Belegschaft eines Betriebes zu ermöglichen. Die Anwesenheit im Werk wird selbsttätig registriert, desgleichen, ob der Ausweis richtig ist, d.h. ob es tatsächlich eine Person mit der Nummer des Ausweises gibt. Ferner wird kontrolliert, ob bereits eine zweite Person mit der gleichen Nummer im Werk anwesend ist, usw. Dieses Verfahren läßt sich bis zu einem gewissen Grade auf das gesamte öffentliche Leben übertragen. Derartige Kontrollen können ohne wesentliche Belästigung der Person bei jedesmaligem Kontakt mit einer Dienststelle erfolgen. Jedes Passieren einer Sperre bei Bahnhöfen, Ämtern, Pförtnerlogen, jedes Abholen einer Bescheinigung, die nur einer bestimmten Person ausgehändigt werden [dürfen, mit einer Kontrolle des Ausweises (...) könnte auf diese Weise eine wirklich wirksame Personenkontrolle (?) erzielen, ohne daß sich der Einzelne kontrolliert fühlt. Er braucht nur jeweils seine Ausweise bei einer mechanischen Kontrolleinrichtung vorzuzeigen. Durch heutige Ausweiskontrollen pflegen oft nur die normalen Bürger belästigt zu werden, während der wirkliche Schwindler meistens über gut gefälschte Ausweise verfügt.]

Eine jede Planwirtschaft muß auf der laufenden Erfassung der bestehenden Wirtschaftssituation aufbauen. Die Nachteile bestehen oft nicht in der Planwirtschaft als solcher, sondern darin, daß der bürokratische Apparat zu träge in der Auswertung wirtschaftlicher Ergebnisse ist, so daß die Ergebnisse der Untersuchungen bei einer Auswertung bereits überholt sind. Durch Beschleunigung des Rechenprozesses in der Planwirtschaft läßt sich dieser Prozeß jedoch genügend schnell durchführen; ferner können durch einen Einsatz geeigneter Rechenmaschinen die wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich weitgehender und feiner erfaßt werden, denn ein weiterer Nachteil der Planwirtschaft ist ja der, daß allgemeine Schemen individuell verschiedenen Verhältnissen aufgezwungen werden. Das planwirtschaftliche System, welches an sich schon träge ist, konnte bisher nicht den örtlich jeweils verschiedenen Verhältnissen angepaßt werden, da der Rechenaufwand zu hoch wäre. Mit zunehmender Verfeinerung des Rechenwesens ist dies jedoch möglich. Men denke an das schwierige Verteilungswesen. Es hat sich bisher gezeigt, daß in Zeiten, in denen keine ausgesprochene Notlage herrscht, die freie Wirtschaft mit ihren Gesetzen von Angebot und Nachfrage am besten in der Lage ist, Produktion und Verbrauch so zu regeln und zu lenken, daß eine vernünftige Verteilung zustande kommt. Die Berechnung des Verteilungsmaßes erfolgt hier gewissermaßen durch die Gesamtheit aller einzelner Produzenten und Verbraucher, welche jeder für sich die wirtschaftlichen Verhältnisse analysieren, ihren Vorteil berechnen und das Wirtschaftsleben beeinflussen, so daß das Ganze im Gleichgewicht bleibt. Es zeigt sich heute aber immer klarer, daß eine völlige Rückkehr zu derartigen Verhältnissen nicht immer möglich, daß dieses System nicht krisenfest ist. Soll nun aber die Planwirtschaft in die bisherigen Belange der Freiwirtschaft eingreifen, so muß angestrebt werden, daß mit derselben Feinheit alle Details des Wirtschaftslebens erfaßt werden, und Entschlüsse ebenso schnell gefaßt und wirksam werden, wie die Eingriffe von Privatpersonen in die Freiwirtschaft.

Gelingt es, ein flüssiges, schnelles und allen Situationen anpaßbares Verwaltungssystem zu schaffen, so ist die Streitfrage zwischen Freiwirtschaft und Planwirtschaft vor eine neue Situation gestellt. Die Trägheit des Verwaltungsapparates könnte dann nicht mehr als Argument gegen die Planwirtschaft angeführt werden. Andererseits ist es möglich, eine auf die notwendigsten Punkte beschränkte Planwirtschaft zu schaffen, wobei auf Grund einer möglichst weitgehenden Harmonie zwischen den planenden Stellen und den Bedürfnissen der Wirtschaft die staatlichen Maßnahmen doch nicht den Charakter von Zwangsmaßnahmen hätten. Dabei kann dem Einzelnen eine möglichst weitgehende Freiheit gewährt werden bzw. ihm die Illusion der Freiheit gegeben werden.

Ein solches Wirtschaftssystem hat einige Ähnlichkeiten mit der prästabilisierten Harmonie, welche der Leibniz'schen Philosophie des Parallelismus zugrunde liegt. Der Widerspruch zwischen dem zwangsläufigen Ablauf des Weltgeschehens und der Freiheit des Willens des Einzelnen wird hier durch die Harmonie zwischen beiden parallelen Vorgängen zu erklären versucht. Aufs Wirtschaftsleben übertragen bedeutet dies, daß die staatliche Lenkung derartig fein allen individuellen Bedürfnissen angepaßt sein müßte, daß jeder das Empfinden hat, daß die Maßnahmen genau dem entsprechen, was er gerade benötigt. Es müssen gewissermaßen sämtliche einzelnen Rechenoperationen sämtlicher Geschäftsleute vorweggerechnet werden. Selbstverständlich ist dies ein Wunschtraum und nie ideal zu verwirklichen. In Notzeiten wird es immer nötig sein, den Einzelnen Beschränkungen aufzulegen (sic!), die auf keine Weise in Harmonie mit den Wünschen der Beteiligten gebracht werden können.

Die Statistik muß in einem solchen Wirtschaftssystem die feinsten Unebenheiten erfassen und der Auswertung zugänglich machen. Heute baut die Statistik auf den großen Volkszählungen und auf regelmäßigen Erhebungen der Wirtschaftsvorgänge auf. Es werden gute Durchschnittswerte für das Gesamtwirtschaftsleben ermittelt. Jedoch ist es mit den heutigen Mitteln schwierig, plötzlich Schlaglichter auf einzelne Probleme von lokaler Bedeutung zu werfen. Dabei bringt die Methode der Volkszählungen, z.B. im Rahmen des gesamten Verwaltungsapparats gesehen, an sich nichts Neues. Sämtliche Angaben sind nämlich von einzelnen Staatsbürgern, Geschäftsleuten usw. schon vorher irgendwann einmal gemacht worden und irgendwie bekannt. Nur weil der staatliche Verwaltungsapparat eben heute noch kein allgemein zusammenhängendes großes Hirn ist, ist es nicht möglich, sie dem statistischen Amt direkt zuzuführen. Die Daten über Familienstand werden laufend von der Ortspolizeibehörde registriert. Daten über Berufsausbildung werden von öffentlichen Schulen, Berufsschulen, Hochschulen usw. registriert. Die Daten über Arbeitsverhältnisse werden laufend von den Arbeitsämtern kontrolliert. Über die Zugehörigkeit zur Kirche kann diese selbst Auskunft erteilen. Über Vermögenssteuer sind Banken und Finanzämter orientiert, über den Grundbesitz die Katasterämter usw. Es ist ein mechanisches System denkbar, welches alle beteiligten Stellen miteinander und mit der Zentralstelle verbindet, und welches laufend und ohne Verzug die nötigen statistischen Angaben ermittelt. Auf diese Weise wäre eine sehr eingehende Kontrolle des Wirtschaftslebens ohne "Papierkrieg", ohne Fragebogen und ohne dauernde Belästigung der beteiligten Personen möglich. Jeder an irgendeiner Stelle notierte Vorgang würde sofort an alle interessierten anderen Stellen zur Bearbeitung weitergegeben werden, so daß auch die Statistiken laufend auf dem neuesten Stande gehalten werden könnten.

Kein großer Betrieb könnte es sich leisten, die wichtigsten Zahlen, die über den Betrieb Aufschluß geben und der Geschäftsführung als Unterlage dienen, jährlich oder in gar noch größeren Zeiträumen abzurechnen. Es besteht allgemein die Tendenz, das Rechnungswesen so flüssig zu machen, daß zumindestens eine monatliche, wenn nicht eine tägliche Abrechnung möglich ist. Das Gleiche muß für eine staatliche Planwirtschaft bzw. für die unvermeidliche Kontrolle der Freiwirtschaft gelten. Man nehme die Börsenkurse als Beispiel. In der Freiwirtschaft ist die Börse eins der wichtigsten Steuerorgane des Kapitals. Mit welcher Geschwindigkeit werden hier Entscheidungen gefällt? Es geht um Minuten. Die zugehörigen Rechenoperationen über Absatzaussichten, Produktion, Angebot und Nachfrage laufen in den Gehirnen der einzelnen Geschäftsführer mit äußerster Geschwindigkeit ab. Welcher staatliche Verwaltungsapparat hat ähnliche prompt arbeitende Vorgänge aufzuweisen? Und doch müssen auch in der staatlich gelenkten und durchkontrollierten Wirtschaft oft blitzartig Entscheidungen gefällt werden, um Störungen zu vermeiden.

Zum Schluß seien noch einmal die wichtigsten Forderungen, die an eine flüssige, schnelle und reibungslos arbeitende Verwaltung gestellt werden müssen, zusammengestellt:

  1. Die nötigen Daten und Erhebungen sollen in einer Form gemacht werden, die den Einzelnen möglichst wenig belästigt und ihm nicht das Gefühl des Kontrolliertwerdens gibt.
  2. Sämtliche Dienststellen, Behörden, Institute, Sekretariate öffentlicher Anstalten usw. sollen durch ein Nachrichtensystem miteinander in Verbindung stehen, so daß es jeder Stelle möglich ist, die sie angehenden Angaben von anderen Stellen laufend anzufordern, soweit diese Angaben bereits anderweitig bekannt sind.
  3. Dabei muß durch automatische Verriegelungen, Verschlüsselungen usw. dafür gesorgt werden, daß keine Stelle Angaben erfahren kann, die nicht für sie bestimmt sind, so daß ein echtes Geheimhaltesystem unabhängig von der Charakterfestigkeit der amtierenden Person möglich ist.
  4. Die statistischen und anderen Auswertungen von Daten, welche für die staatliche Wirtschaftspolitik als Unterlagen erforderlich sind, sollen möglichst laufend und ohne Zeitverzug erfolgen.
  5. Staatliche Maßnahmen sollen auf das wirklich unumgänglich Notwendige beschränkt werden, dann aber mit dem Einsatz aller technischen Mittel unbedingt und konsequent durchgeführt werden.
  6. Die Verbindungen des Verwaltungsapparates mit dem Publikum sollen nach psychologischen Gesichtspunkten so gestaltet werden, daß das Publikum nicht den Eindruck hat, einer Kontrolle zu unterliegen.

Es leuchtet ein, daß diese Grundsätze sowohl auf ein Freiwirtschafts- als auch auf ein Planwirtschaftssystem angewandt werden können. Es setzt sich ja heute allgemein die Erkenntnis durch, daß weder das eine noch das andere Extrem die Ideallösung darstellt, es sei denn, daß man durch Programme für die eine oder die andere Richtung voreingenommen ist.

Die Rechenmaschinentechnik hat jedoch noch nicht die bedeutende Rolle begriffen, die ihr in der zukünftigen Gestaltung des Wirtschaftslebens zufallen könnte. Bedenkt man, welche ungeheuren Summen die staatliche und wirtschaftliche Verwaltung kostet, so sind demgegenüber die Summen, die für die weitere Entwicklung der Rechenmaschinentechnik aufgewandt werden, geradezu lächerlich bescheiden. Man hat die engen Zusammenhänge zwischen Bürokratismus und Rechenmaschinentechnik anscheinend noch nicht begriffen. Die Rechenmaschinen-Industrie spielt heute noch etwa im Vergleich zur Schwerindustrie eine völlig untergeordnete Rolle im Gesamtwirtschaftsleben. Es liegt dies jedoch lediglich daran, daß sie ihre gigantischen Möglichkeiten noch nicht erkannt hat. Genau so, wie im menschlichen Organismus das Gehirn die Zentrale und übergeordnete Instanz darstellt, sollte im Wirtschaftsleben und in der Verwaltung die "Gehirntechnik", d.h. höhere Rechenmaschinentechnik die zentrale Rolle spielen. Es liegt nur an entsprechenden Köpfen, dies zu begreifen und sich den führenden Platz in der Industrie zu rarbeiten. Allerdings wird noch ein hartes Stück Arbeit erforderlich sein.

Quelle: Konrad Zuse Internet-Archiv, Text 0698 (Schreibmaschinen-Faksimile als *.pdf).

Aufgaben zur sprachlichen und inhaltlichen Analyse:

  1. Suchen Sie alle für diesen Text charakteristischen Wörter (Lexeme) heraus und erstellen Sie daraus eine alphabetische Liste (mit Erklärungen)
  2. Untersuchen Sie den Stil des Textes. Wo bieten sich Möglichkeiten, das Gesagte kürzer bzw. anders zu formulieren?
  3. Versuchen Sie, das im Text Gesagte in Thesen zu formulieren.
  4. Vergleichen Sie diesen (wie man annimmt) etwa 1950 entstandenen Text mit heutigen Verhältnissen. Welches sind Ihre Erfahrungen im Umgang mit Organen der öffentlichen Verwaltung?

Links:

  1. PD Dr.-Ing. Horst Zuse (alles über mehr als 60 Jahre Computer-Geschichte)
  2. Konrad Zuse: Freiheit und Kausalität im Lichte der Rechenmaschine (1948)
  3. Bayerische Verwaltungsschule
  4. Uni Essen: Verwaltungswesen
  5. Moderner Staat - moderne Verwaltung
  6. Verwaltung der Zukunft

Ergänzungen vorbehalten. Abschrift (mit Korrekturen, Layout, Vorwort, Links, Zusatzaufgaben: Dr. W. Näser, MR; Seite begonnen: 27.10.2k3, Stand 28.10.2k3 * nur zu didaktischen Zwecken *