Diskussionstext:

Der Stadtteil "Richtsberg"

oder: wie in drei Jahrzehnten ein (teilweise) liebenswertes Ghetto entstand
von Wolfgang Näser (Marburg)

Manche lernen ihn nie kennen, diesen Richtsberg, fahren nur immer an ihm vorbei, sehen dichtgedrängte helle Häuser, die fast überall stehen könnten, nur nicht immer von so viel Wald umgeben. Und dadurch in einer Distanz, die dem Ganzen etwas Unnahbares und Geheimnisvolles zugleich verleihen könnte.

In der Tat erweckt das Leben hier in diesem Raum vielfältige Gefühle und führt, wenn es bewußt geschieht, zuletzt zu einer Reflexion, die fair sein will und abwägt. Ein Denken, Sehen und Erkennen, das vor Wochen noch unmöglich schien. Identifikation mit einem Raum, wo fast das halbe Leben stattfand, Erinnern weit zurück an Menschen, die man lieb gewann und die dann gingen; an eine Zeit der Fehler und den Wandel, der neue Perspektiven schuf, die hoffen lassen.

Das Folgende1) rührt aus über drei Jahrzehnten praktischer Anschauung. Es war nämlich am 1. Juli 1976, als wir, das heißt meine Frau Uta und ich, in einen der damals rund acht Jahre alten Wohnblocks einzogen. Die 4-Zimmer-Wohnung auf dem Oberen Richtsberg hatte uns eine Frau Mäurer von der Universitätsverwaltung auf Antrag als Landesbedienstetenwohnung zugeteilt. Ganz oben im siebten Stock, zum Wald hin, das paßte mir als Funkamateur gut, man kann von dort aus mit nur einem Watt und einem Stäbchen auf UKW das Feldberg-Relais bei Frankfurt auftasten.

Landesbedienstetenwohnung: das war damals ein Privileg. Nur auf Antrag konnte man eine bekommen. Und weil ich wahrheitsgemäß geschrieben hatte, wir wollten eine Familie gründen. Der Richtsberg war wohl damals schon Marburgs größter Stadtteil, umfaßte aber nicht wie heute rund 9.000 Einwohner. Unser Wohnblock liegt ganz oben, in der Nähe des Einkaufszentrums. 24 "Wohneinheiten" haben darin Platz. Wer lebte damals in unserem Haus? Nur Beamte und Angestellte des Öffentlichen Dienstes, größtenteils Angehörige der Universität, auch Professoren; unter uns zum Beispiel eine sympathische junge Familie, er war Restaurator am Museum im Hülsen-Haus. Unten ein ungarischer Mathematikprofessor, dem ab und zu Kuchen gebracht wurde, weiter unten ein Dozent der Medizin, der einen Sportwagen fuhr. Vor jedem Wohnblock ein stets frischer, weil regelmäßig erneuerter Sandkasten und Bänke, auf denen sich die jungen Mütter ausruhen und den Kleinen zusehen konnten. Ansonsten ein nur bescheidenes Wohn-Umfeld: braun gewordene spärliche Wiesen und hinten, neben dem Einkaufszentrum, ein als Marktplatz genutztes freies Feld, wo sich ab und zu eine fahrbare Würstchenbude niederließ. Es gab eine Tankstelle, eine Bäckerei mit Café, eine sauber geführte, gutgehende Metzgerei, eine Reinigung, eine richtige Poststelle, mehrere Arztpraxen, eine Apotheke, eine Zweigstelle der Kreissparkasse, einen Edeka-Laden und darüber das sogenannte AKA-Kaufhaus, in dem ab und zu Sozialhilfeempfänger ihre Kleider-Marken gegen Waren oder Geld eintauschen wollten. Zweimal wöchentlich gab es einen gutbesuchten Markt, wo Obst, Gemüse und andere Produkte der Region verkauft wurden und man Bekannte treffen konnte. Oben in der vornehmen Pizzeria von Angelo Lorenzi konnte man stilvoll speisen und die damals noch von der Universität ausgegebenen Essenmarken einlösen, so daß sich dort mindestens einmal im Monat viele Uni-Leute aus der ganzen Stadt begegneten - so viel zur Infrastruktur, die im unten angeführten Wikipedia-Artikel verfälschend als vor 1980 "vernachlässigt" bezeichnet wird. Weiter oben, zur Potsdamer Straße hin, schloß schon damals die Reihe der Wohnblocks ab mit der "88" (Bild links im Winter 2k4), hier wohn(t)en verheiratete Studenten, auch viele Ausländer.

Das Umfeld war karg, doch sauber. Die vor den Wohnblocks stehenden Mülleimer waren gut lesbar gekennzeichnet und der Müllplatz so, wie man sich ihn als ordentlicher Mensch vorstellen könnte. Schon damals gab es viele Kinder im Haus und sie waren nicht weniger lebhaft als heute, doch wurden sie von ihren Eltern, die noch erzogen, dazu angehalten, die gesetzlich vorgeschriebene Mittagsruhe von 13 bis 15 Uhr einzuhalten; nach 20 Uhr gab es in der Regel kein Hämmern, Klopfen und Bohren und auf den Fluren kein lautes Palaver, das nicht jedem gefällt. Kurzum: die meisten nahmen Rücksicht und man konnte miteinander auskommen. Das war, wie gesagt, vor dreißig Jahren, womit ich nicht sagen möchte, alles sei damals besser gewesen als heute. Deutschland wurde erschüttert vom unbarmherzigen Terrorismus der sogenannten Rote-Armee-Fraktion, es gab schon damals soziale Probleme, einen beklagenswerten Bildungsnotstand und man regte sich auf über Superreiche, denen der Profit über alles ging, und sorglose Politiker, die sich die Taschen vollstopften und denen die Bürger, die sie vertreten sollten, wurst waren.

Dann wurde vieles anders, und diese Entwicklung widerspiegelt in vielem oder zumindest in einigem auch die Entwicklung unseres Landes, das der "Richtsberg" sozusagen als Mikrokosmos repräsentiert.

Gelenkter Wandel2)

Wie errichtet man ein Ghetto? Auf dem Richtsberg wurde es geradezu "klassisch" demonstriert. Zunächst wurden Leute aus dem sogenannten "Waldtal" zu uns "umgesiedelt". Das Waldtal galt mit einigem Recht als "asozial" - heute ist diese Bezeichnung politisch unkorrekt und verpönt, weil es doch eine entsprechende Häftlings-Kategorie in den berüchtigten KZs gab. Grund dieser Umsiedlung war, daß man die Waldtaler in eine schönere Umgebung transferieren und ihnen durch positive Integration bessere soziale Chancen geben wollte. Warum nicht. Man bemühte sich um Verständnis. Alle wollen doch nur gut leben und glücklich sein. Es ist eine größere Kunst, miteinander auszukommen, als mit dem Zeigefinger auf andere zu deuten und sich selbst als totale Saubermänner, Gutmenschen und Besserwisser zu gerieren.

Des weiteren wurden, als sie noch attraktiv waren, die Wohnungen bevorzugt an Ausländer vergeben (was den Zorn vieler deutscher Bewerber erregte). Zunehmend kamen Asylbewerber und andere "sozial Schwache" und gleichzeitig eine sehr wirksame Maßnahme, um diese durch gezielte Umschichtung am Richtsberg unterbringen zu können. Die einstigen Landesbedienstetenwohnungen wurden nämlich von der hessischen Staatsregierung per Gesetz zwangsweise in Sozialwohnungen umgewandelt: selbst diejenigen, die laut Mietvertrag nicht an das Wohnungsbaugesetz gekoppelt waren. Damit hatten alle betroffenen Stadtverwaltungen und somit auch der Marburger Magistrat eine Möglichkeit, von allen, die ihrer Meinung nach nicht in diesen Wohnbereich gehörten, ab Mitte 1993 eine sogenannte Fehlbelegungsabgabe (Fehlsubventionierungsabgabe)3) zu erheben. Das heißt, alle Betroffenen, egal, ob tüchtiger Handwerker, kleiner Gewerbetreibender, Angestellter oder Hochschuldozent, mußten von da an zusätzlich zur Miete monatlich einen nicht unerheblichen Betrag an die Stadt zahlen. Wer dieses unterschriftslose Schreiben bekam, hielt es zunächst für einen schlechten Scherz; viele protestierten, doch aller Widerstand war zwecklos. Erhoben wurde diese Fehlbelegungsabgabe 15 Jahre lang (bis Ende Juni 2008) von einer Amtsstelle im sogenannten Stadtbüro und abhängig war sie vom Gesamt-Einkommen der Wohnungsinhaber, die damit erstmalig zu "gläsernen Bürgern" wurden, weil man sämtliche Sozial- und Finanzdaten abfragte und registrierte.

Die Fehlbelegungsabgabe führte zu einer systematischen Vertreibung vieler ebenso ordentlicher wie gutwilliger Bürgerinnen und Bürger, die sich diese teils horrende Sondersteuer (400 DM oder höher pro Monat) nicht leisten konnten. Resultat: nach einem Bericht der Oberhessischen Presse vom 8.11.2007 leben heute auf dem Richtsberg nicht weniger als "etwa 70 Prozent" Menschen mit "Migrantenhintergrund", wie neuerdings politisch sprachregelnd einwandernde Ausländer tituliert werden.

Mit immerhin rund 9.000 Einwohner/innen ist der "Richtsberg" mittlerweile Marburgs größter Stadtteil. Etwa die Hälfte der Richtsberger, so die OP, bezögen heute "soziale Hilfen vom Staat"4). Google formuliert es noch drastischer5). Besonders der Untere Richtsberg sei, wie die OP v. 16.4.2k8 vermeldet, "Marburgs Armutszone"; hier sei die "Sozialhilfedichte" höher als im oberen Teil.

Der Weg bis dahin war lang und ereignisreich. Aufgrund großzügiger Initiativen Bundeskanzler Kohls (dem es in erster Linie um Wählerstimmen ging) kamen nun immer mehr Rußlanddeutsche (heute leben über 4,5 Millionen davon in unserem Lande) und später auch sogenannte Kontingentflüchtlinge; erstere erhalten automatisch einen deutschen Paß und genießen damit alle Rechte der deutschen Staatsbürgerschaft, letztere sind "weitgehend den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt"6). Diese Zuwanderer aus den sog. GUS-Staaten bevölkerten zunehmend die Wohnblocks auf dem Richtsberg; zwar hörte man nun auch einige (pfälzische) Dialekte der Wolgadeutschen, machte zunehmend aber auch die Beobachtung, daß sie mit ihren Klein- und Kleinstkindern fast nur auf Russisch kommunizierten, und es entstanden Läden mit kyrillischer Beschriftung, was unserem Stadtteil allmählich den Namen "Russberg" verlieh, mittlerweile stellen nämlich mit über 2.700 Menschen die Rußlanddeutschen den Löwenanteil der Bevölkerung. Es fiel auch auf, daß viele davon nach nur kurzer Zeit wieder auszogen, um eigene Häuser zu bauen. Manche argwöhnten, das könne nicht mit rechten Dingen zugehen, woher hätten sie wohl das viele Geld dazu, bis bewußt wurde, daß in vielen rußlanddeutschen Familien alle Erwachsenen hart arbeiten und somit ebenso kollektiv wie solidarisch ein beträchtliches Einkommen erwirtschaften (folglich werden auch sie von der Fehlbelegungsabgabe geschröpft), das schafft eine gesunde Basis zum Erwerb oder Bau eines Eigenheims, während andere Richtsberger es anscheinend bevorzug(t)en, von Sozialhilfe zu leben und, auch und gerade als junge Menschen mit bester Gesundheit und voller Erwerbsfähigkeit, mit dem Hund spazieren zu gehen und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Denn unser Sozialsystem ist noch immer so strukturiert, daß viele junge Menschen sagen: warum soll ich denn arbeiten und mir die Hände schmutzig machen, wenn ich auch ohne das ein gutes Auskommen habe?

Ein Biotop verwahrlost

Viele waren weggezogen (weil vertrieben), die Bevölkerungsstruktur hatte sich geändert, das einst liebenswerte Wohn-Umfeld mußte leiden. Die Sandkästen wurden zum Müllplatz von Cola- und Bierdosen; Jugendliche, die oft des Nachts betrunken und randalierend "durch die Gemeinde" zogen, zerstörten am hellichten Tage die Ruhebänke; die Müllplatze verkamen zu wilden Deponien7) (ein Wunder, daß noch keine Ratten gekommen sind); bisweilen wurden Container und Autos in Brand gesetzt, Kellerräume ausgeraubt, Aufzüge mutwillig beschädigt, ganze Klingelanlagen abgerissen (so daß wochenlang niemand von außen erreichbar ist), auch das Telefonhäuschen neben der ehemaligen Post vandalistisch unbrauchbar gemacht (wer denkt an dessen Wichtigkeit im Notfall?). Kinderbanden strichen herum auf der Suche nach Objekten, die sie ohne größeren Aufwand zerstören konnten. Die - oft arbeitslosen - Eltern dachten nicht daran, sich um ihre Kinder zu kümmern. Aus gegenüberliegenden Wohnblocks erscholl dröhnender Primitiv-Rock, Rücksichtnahme war zum Frendwort verkommen.

Die Bäckerei und ihr liebenswertes Café verloren ihr Klientel ebenso wie die Pizzeria Angelos, dessen Nachfolger, ein tüchtiger Afghane, nach einigen Jahren ebenfalls aufgab, die Fleischerei machte zu, ebenfalls die Reinigung, die Tankstelle wurde nach mehreren Überfällen abgerissen, andererseits entstanden unter anderem ein zweiter Supermarkt, ein Getränkemarkt und ein Friseurgeschäft; der kürzlich neugestaltete Mittenbereich des Einkaufszentrums erhielt einen gläsernen Aufzug.

Die Post, die noch ein schmuckes kleines Gebäude errichtet hatte, gab ebenfalls bald auf, zog als Nebenerwerbs-Zweigstelle zunächst in den Edeka-Markt (wo eine tüchtige Verkäuferin eigens dafür geschult wurde), dann in ein Lädchen oben neben der ehemaligen Pizzeria; der letzte Betreiber, ein tüchtiger Inder, gab auf, weil die profitgierige Post ihm nur noch die Hälfte seines kargen Lohns zahlen wollte, nun war die Poststelle dieses 9000-Menschen-Stadtteils in einem türkischen Gemüseladen untergebracht - man hatte sich auch daran gewöhnt, weil auch hier die Postgeschäfte korrekt geführt wurden und es keinen Grund zu Beschwerden gab. - Allerdings rieben sich im Mai 2008 die Richtsberger verwundert die Augen: auch dieser letzte Hort des Brief- und Paketverkehrs war geschlossen, der Kontrakt mit der Post beendet, der Richtsberg hatte keine Poststelle mehr. "Unsere Post ist da", heißt es in ebenso aufwendiger wie großspuriger TV-Werbung. Mit Frachtflugzeug im Vorgarten. Um eine Briefmarke zu kaufen, muß ich jetzt mit dem Bus in die Stadt hinunterfahren, sagte meine Frau. Sie fand, wie viele andere, die Situation absurd. Die Stadtteilverwaltung bemühte sich intensiv um eine Lösung - mit Erfolg, denn es gibt seit dem Herbst 2008 wieder eine Filiale der Deutschen Post: im Obergeschoß gegenüber dem Gemeinschaftszentrum. Die tageweise nur zweistündig geöffnete Poststelle wird von zwei sehr flott ("speditiv" würde Emil Steinberger sagen) agierenden Damen betrieben; nicht selten künden bis zur Eingangtstür reichende Schlangen vom regen Bedarf in Marburgs größtem Wohngebiet.

Die ehemals deutschen Bewohner des "Richtsberges" bilden nun eine Minderheit, immer mehr Migranten ziehen zu, darunter überproportional viele junge Frauen mit Kopftüchern und vielen Kindern an der Hand; viele davon sprechen nur schlecht oder gar kein Deutsch. Zunehmend ist es schwer, mit solchen Neubürgern zu kommunizieren; manche der "Übriggebliebenen" versuchen es erst gar nicht. Manchmal erscheint es, als wüßten beide Seiten nicht so recht, wie sie aufeinander zugehen sollen. Man fühlt sich gehemmt, isoliert, man geht seine eigenen Wege.

An manchen Wochenenden dröhnt bis nach Mitternacht Musik herüber vom Kulturzentrum über dem Edeka, es wird viel gefeiert, im Supermarkt war noch nie zuvor eine so lange Reihe mit Hochprozentigem, vorwiegend Wodka. Ab und zu gibt es auch einen Flohmarkt, der sich zum farbenfohen Bazar gemausert hat. Der frühere Wochenmarkt aber ist gewichen, mangels des größtenteils vertriebenen Kundenstamms.

Nur wenige "alte" Richtsberger leben heute noch hier; zu den wenigen Prominenten, die ihrem Stadtteil treu geblieben sind, zählt unter anderem der international bekannte Pädagoge und Erziehungswissenschaftler Wolfgang Klafki, der jüngst seinen 80. Geburtstag feierte.

Erneuerung durch das Programm "Die soziale Stadt"

Mein (im Jahre 2003 aufgenommenes) Bild zeigt den neugestalteten Marktplatz (auf dem allerdings kein Wochenmarkt mehr stattfindet). Unter der Prämisse, daß die Umgestaltung eines Lebensraums dessen Bevölkerung positiv beeinflußt, wurde viel unternommen, um dem Richtsberg (wieder) einen humanen, liebenswerten Charakter zu geben. Aus EU-Mitteln wurden im Rahmen des Programms "Soziale Stadt" Straßen, Bürgersteige und Grünflächen saniert, Bäume gepflanzt und es wurden nach und nach auch die meisten der mittlerweile fast 40 Jahre alten Wohnblocks renoviert und damit auch neue Ressourcen erschlossen8). Auch wurde Raum geschaffen für kleine, an den Hausrändern liegende Gärten. Grundstücke wurden eingezäunt und die Parkflächen neu geordnet. Zwischen den Wohnblocks angelegte Spielplätze ersetzen die früheren Sandkästen und laden zum Miteinander ein. Die dort aufgestellten Bänke gehören allen. Schon vier sieben Jahren machte ich dort eine wertvolle Erfahrung. Schick angezogen, setzte ich mich abends, aus der Uni kommend, dort zwischen völlig unbekannte, aus anderen Schichten stammende Menschen. Ich wurde sofort und ohne jeden Vorbehalt aufgenommen und mir wurde sogar etwas zu trinken angeboten. Daß dort, nur wenige Meter entfernt, ein Kampfhund es sich auf der Wiese bequem machte, spielte keine Rolle mehr. Nach kurzer Zeit fühlte ich mich wohl in diesem Kreis. Problemlos konnte ich mich an den Gesprächen beteiligen und so auch Nöte und Sorgen erfahren, von denen ich als Bewohner anderer, "homogener" Stadtteile sicherlich keine Notiz genommen hätte.

Wer heute, nach längerer Pause, den Richtsberg besucht, kennt ihn
kaum wieder. Satte Grünflächen, mit ansprechenden Motiven bemalte Häuserfronten, gut ausgebaute Gehsteige und verkehrsgerechte Parknischen. Ungewöhnlich viel Autoverkehr aufgrund der Supermärkte und der gewachsenen Bevölkerung. Rücksichtsloses Rasen durch die 30er-Zone. Geschäftiges Treiben eines bunten Gemischs aus verschiedensten Sprachen und Kulturen. Dazwischen die zarten Töne des aus Spendenmitteln errichteten Glocken-Türmchens9) des Gemeindezentrums (Bilder rechts und unten). Meist Volkslieder, ab und zu auch mal ein Klassik-Stück oder sogar ein Kirchenlied werden intoniert; ein Schildchen mit "Soli Deo Gloria" verwies auf den Sinn des Bauwerks (zu einem Turm mit großer Glocke, der die Thomaskirche vom nüchternen Zweckbau in ein Gotteshaus verwandelt hätte, konnte man sich wohl mit Rücksicht auf die anderen Religionen nicht entschließen).

Hier wird Ökumene praktiziert und gelebt, ohne dogmatische
und konfessionelle Vorbehalte, hier gibt es auch eine Gemeinde- bücherei10). Pfarrer Kling-Böhm und sein junges Team (Bild aus
dem Schaukasten) arbeiten für eine bessere Zukunft.



Die - im Gegensatz zur Anfangsphase - verstärkte Bepflanzung
verwandelte den Oberen Richtsberg zu einer "Grünen Lunge", in
der sich Mensch und Tier wohlfühlen. Die zentralen Spielplätze
(Bild links unten) werden gern genutzt, an heißen Tagen auch von biertrinkenden Jugendlichen und Erwachsenen. Und manchmal
werden die jungen Bäumchen umgeknickt, wenn sorglose Mütter
wegsehen oder die Kinder sich selbst überlassen sind.


Auch die sonst eher ein wenig nüchtern wirkenden Wohnblocks
können "romantisch" anmuten, wenn von der untergehenden
Sonne beleuchtet - ein  Beweis, daß es immer auf den Standpunkt
und die innere Einstellung ankommt, wie man einen Lebensraum
beurteilt und ob man sich in ihm wohlfühlen kann.

Man kümmert sich. Eine jüngst ernannte Stadtteilvorsteherin residiert mit eigenem Büro neben einer Küche, die bei politischen Wahlen als amtlichen Charakter annimmt. Es gibt kulturelle Initiativen. Zum Beispiel den Islamischen Kulturverein HADARA (der, wie "Richtsberg aktiv" (s.u.) berichtet, auch zum Dialog mit Christen einlade). Und die Bürgerinitiative für Soziale Fragen (BSF). Und das Deutsch-Osteuropäische Integrationszentrum (DOIZ e.V.)11).

Das Gemeinschaftszentrum Richtsberg (Fotos vom 21.11.2k7)
befindet sich über dem EDEKA-Markt und bietet genug Platz
für verschiedenste Vereins-Aktivitäten.

Vorbildlich für soziales Handeln ist die Richtsberg-Gemeinde
e.V. Sie trifft sich in einem gemütlichen, mit Theke und Fachbild-
Fernseher versehenen Raum; hier wird Gemeinschaft gepflegt,
werden Erlebnisse, Nöte und Sorgen ausgetauscht, wird gefeiert
und der Alltag wenigstens für kurze Zeit vergessen. Wie mir eine
freundliche Dame erzählte, belaufe sich der Jahresbeitrag für ein
Einzelmitglied auf nur 12 Euro, eine Familie zahle im ganzen jährlich

nur 8 Euro. Das dürfte einmalig sein für einen Verein, der sich aus
eigenen Mitteln finanziert und somit auch alle anfallenden Kosten trägt. Der Verein Richtsberg-Gemeinde veranstalte auch Fahrten, die nicht nur der Geselligkeit dienen, sondern auch den Horizont erweitern, gegenseitiges Verständnis und Toleranz fördern sollten.

"In den Vereinen", schreibt Walter Baudisch 12) im Blickpunkt Richtsberg vom November 2007, "findet etwas statt, das bekommst du in keiner Hochschule geboten: Menschen erleben soziales Lernen, sie lernen, für sich selbst und für Andere, für die Gruppe, für Ideen und emeinsame Ziele sich zu engagieren; für Kinder und Jugendliche ist dies oft der Eintritt in die Gesellschaft, für Erwachsene zumal. (...) Wie man auch immer den Begriff "Integration" definieren mag, es ist das, was in den Vereinen geschieht. (...) Integrationsbedarf hat auch so mancher "Eingeborene". Gerade wir am Richtsberg sollten das wissen!"


Schon 1990, so Jürgen Kaiser vom Ortsbeirat13), habe man einen Schwerpunkt gelegt auf interkulturelle Arbeit. Viele Ideen seien eingebracht worden, doch hätten diese wenig Unterstützung gefunden. Das vom Marburger Magistrat im Rahmen des Projekts "Soziale Stadt" geförderte und von Jürgen Kaiser redigierte, vielsprachig angelegte Magazin "Richtsberg aktiv" (Bilder rechts) versucht, in fairer Weise alle Interessen und Probleme des Stadtteils anzusprechen. Bis vor kurzem war es sogar im Internet; doch die von einem Bürger dankenswerterweise privat "gehostete" Seite ist nun aus dem Netz verschwunden. In regelmäßigen Stadtteilkonferenzen werden anstehende Probleme erörtert und Lösungen vorgeschlagen (die letzte war Gegenstand des erwähnten OP-Artikels).

Richtsberg Night Life - das ist hart wie Titan14)
"Was ich bisher nicht wusste: Marburg ist offenbar eine Hochburg des Ghetto-Rap. Spätestens seit den neuen Busfahrplänen, mit denen man kaum mehr ohne Umstieg an jenen Ort kommt kommt, der diese Musik gebiert, suhlt man sich im Aggro Berlin Image (...)" (http://blog.fallenbeck.com/archives/2007/01/06/573/)

Kampfsport-Rap = Richtsberg-Kultur? Kinder - nie gab es auf dem "Richtsberg" so viele - leihen Bücher aus, die aus vielen interessanten Gebieten verfügbar sind; professionell mit Zeitnahme schachspielende "Wunderkinder" wie auf dem sorgfältig gestellten Titelbild rechts sind Ausdruck einer Vision. In der Realität fehlen jedoch Leser, vor allem im Heranwachsenden-Alter; Jugendliche vermißt man auch in Veranstaltungen wie der Ende Juni 2007 angebotenen, in beiden Richtsberg-Schulen beworbenen und zur Hälfte vom Ortsbeirat mitfinanzierten Lesung der Marburger Autorin Iris Kammerer aus ihrem Roman "Der Pfaffenkönig". Auch in den Gottesdiensten finden sich überwiegend nur ältere Menschen. Lange Jahre gab es eine liebevoll betreute "Lesestube" für die Jüngsten, doch ist sie mangels Interesse jetzt geschlossen. Die wenigen freiwilligen Mitarbeiterinnen sind im Rentenalter (frühere "Kolleginnen" sind weggezogen); engagierten sich jüngere, könnte man - wie zum Beispiel seit vielen Jahren im kleinen Bad Arolsen - die ev. Gemeindebibliothek per Computer verwalten, die Ausleihe mit Barcodes rationalisieren und die Statistik in einer Minute erstellen; auf dem Richtsberg, so ist zu befürchten, würde der Computer schon nach wenigen Tagen gestohlen. Zwei neun und elf Jahre alte Kinder, erzählt Pfarrer Kling-Böhm, seien vor wenigen Tagen im Gemeindezentrum eingebrochen und hätten einen Kellerraum der Pfadfinder verwüstet. Er müsse noch die Polizei anrufen, sagt der Pfarrer nach dem letzten Gottesdienst, schon wieder sei ein Fenster eingeschlagen worden. Dessen ungeachtet und, wie es manchmal scheint, mit dem Mute der Verzweiflung tun der Magistrat und das Stadtteilbüro weiterhin alles, um Mitmenschlichkeit, Toleranz und Integration zu fördern und den Richtsberg "liebenswert" zu gestalten.

Dies ist nicht einfach, zumal der Wegzug ehemaliger deutscher Bewohner anhält und damit die Disproportionalität dieses Biotops weiter zunimmt, was endgültig den Anfangsverdacht erhärtet, daß hier - wider besseres Wissen - planvoll ein Ghetto geschaffen wurde. Wider besseres Wissen, denn es ist schon seit langem klar, daß ein Ghetto niemals eine gute Lösung bedeuten kann und daß in einem solchen Raum eine echte Integration mit der deutschen Bevölkerung und deren Kultur15) niemals vollständig erreicht wird. Ghettos sind dagegen immer ein idealer Raum für Parallelgesellschaften. Die Berliner Stadtteile Kreuzberg und Marzahn belegen dies seit Jahrzehnten. Integration kann nur dann stattfinden, wenn genug Kontakt mit der bodenständigen Bevölkerungsmehrheit des Landes besteht. Wie soll ich mein Deutsch verbessern, wenn ich im Studentenheim fast nur von anderen Ausländern umgeben bin, sagt mir vor einigen Tagen eine hochbegabte polnische Studentin. Noch gravierender muß es sein, wenn ausländische Studenten mit nur geringen Deutschkenntnissen dort "kaserniert" sind. Damit hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen, meine begabte Polin. Wie soll Integration stattfinden in einem Biotop, wo die Deutschen zur Minorität werden?

Das gilt natürlich auch für die in diesem multiethnischen Ghetto angesiedelten Kindergärten und Schulen (Astrid-Lindgren-Schule16) / Gesamtschule).

"In der Richtsberg-Gesamtschule lernen ca. 500 Kinder und Jugendliche aus 18 Nationen in 22 Klassen. Die Bandbreite der Unterschiede, welche die Schülerinnen und Schüler repräsentieren, ist groß. Sie reicht von kultureller Vielfalt über körperliche und geistige Behinderung, Differenzen bezüglich der sozialen Herkunft bis hin zu den für eine integrierte Gesamtschule selbstverständlichen Leistungsunterschieden im kognitiven Bereich. Diese besonderen Rahmenbedingungen stellen das Kollegium immer wieder vor neue Herausforderungen in der pädagogischen Praxis."
(http://schuleundgesundheit.hessen.de/schulen/schule.2007-01-03.6574390440)

Wie soll - und kann - bei gut siebzig Prozent mehr oder weniger gut deutsch verstehenden und sprechenden Migrant/innen noch ein allen PISA-Kriterien genügender Deutsch-Unterricht durchgeführt werden? Haben da die noch verbliebenden Kinder deutscher Familien (man wagt ja kaum, dies zu schreiben ohne Nationalismusverdacht) eine reelle Chance, lernen sie vergleichsweise rechtzeitig Lesen und Schreiben und machen sie solche Fortschritte, die sie dazu befähigen, an externen Schulen die Oberstufe zu besuchen und ein für alle Universitäten und Studiengänge qualifizierendes Abitur zu machen?

Und: gibt es in den Kindergärten und auf Spielplätzen nicht die Gefahr, daß Kinder, die von ihren Eltern wenig oder gar nicht in der deutschen Sprache erzogen werden, sich nicht ausreichend verständigen können und deshalb ausgegrenzt werden? Nicht umsonst mehren sich Hinweise darauf, daß dies hierzulande in "sozialen Brennpunkten" geschieht und hier bereits der Grundstein gelegt wird für das bedauerliche Manko, daß viele Migrantenkinder den Hauptschulbesuch abbrechen und sozial auf der untersten Leiterstufe stehen bleiben. Wenn sich Grundschul-Kinder Märchen in verschiedenen Sprachen vorlesen, ist das zwar gut für eine wohlmeinende und werbewirksame Zeitungsnotiz, doch nichts als Augenwischerei in puncto Förderung bildungspraktischer und berufsbezogener Chancengleichheit.

Gibt es an beiden Schulen wirklich ein deutliches Interesse, an einem anspruchsvollen Kulturleben in "ihrem" Stadtteil mitzuwirken? Hier sind Zweifel berechtigt. Als Beispiel erwähne ich die beiden letzten Literaturlesungen in der Evangelischen Gemeindebücherei der Thomaskirche. Am 26. Juni 2007 las die Marburger Autorin Iris Kammerer im Rahmen des Elisabeth-Jahrs aus ihrem "Pfaffenkönig", am 16. April 2008 präsentierte der Herborner Autor Dietmar Seibert seinen psychologisch und soziologisch interessanten Roman "Zum Schluss ist es immer das Herz". Obwohl rechtzeitig an wichtigen Punkten plakatiert worden war, zeigte sich in beiden Lesungen weder eine Lehrperson noch jemand aus der zahlreichen Schülerschaft.

Zuwendung ist niemals vergebens

"War heute zum Predigen in den Teensclub auf dem Richtsberg, einem „Problembezirk“ in Marburg, eingeladen. Der Teensclub teilt sich dort die Räumlichkeiten mit dem Boxclub und dem islamischen Kulturverein. Und so ist auch das „Publikum“, 80% islamische Teens die mich gleich standesgemäß begrüßten: „Hi, ich bin Toby.“ „Hi Hurensohn, geh heim und fick deine Mutter!“ Und so ging es dann weiter."
(http://toby-faix.blogspot.com/2007/09/richtsberg-das-wahre-leben.html)

Traurig für eine Stadt, die sich rühmt, die zumindest zweitälteste protestantische Universität zu haben und auch sonst alte Traditionen zu bewahren. Und fraglich, wie ein für die Kultur zuständiger Bürgermeister reagieren würde, wenn man ihm so entgegenträte. Die Räume des als Kulturzentrum genutzten "Netzwerkes Richtsberg" (wo auch auch der Kulturverein "Hadara" befindet) würden sehr oft von Jugendlichen belegt, die mit solchen Initiativen (und Vereinen) nichts zu tun hätten, erfahre ich. Im weiteren Verlauf dieses "Blogs" zeigt sich allerdings, was mit verständnisvoller Jugendarbeit zu erreichen ist: wenn man nämlich auf die zu- und eingeht, die noch nie wahre und aufrichtige Zuwendung erfahren haben: "Die Teens wurden tatsächlich ruhig und etwas später habe ich sie auf die Bühne geholt, immer zwei Leute, und jeder durfte dem anderen eine Frage [...] stellen und der andere musste ehrlich antworten [...] immer wenn ein Teen den „Kodex“ brechen wollte wurde er von den anderen deftig zu Recht gewiesen. Später haben wir noch miteinander gebetet [...]". Anonym kommentierte jenamd: "Hey Tobias! Dieser Abend war seit langem einer der besten (tiefsten) Abende! Danke, dass du da warst und spontan genug warst, auf die Richtsberger einzugehen! Gottes Segen weiterhin!"

Noch immer ein Problembezirk?

Soziale Durchmischung? Fehlanzeige17). Könnte man den stadtplanerisch Verantwortlichen ins Stammbuch schreiben. Wer woanders unerwünscht ist, wird auf den Richtsberg abgeschoben. Das führte letztlich zu der Situation, daß z.B., wer als Uni-Bediensteter eine Wohnung suchte, sich mit Händen und Füßen wehrte, wenn man ihm eine auf dem Richtsberg anbot18), und daß trotz der geschaffenen städtebaulichen Anreize weite Bevölkerungskreise nicht die geringste Lust verspüren, dorthin zu ziehen. Heute, so schreibt auch die OP in besagtem Artikel, gelte der Richtsberg als "Problembezirk". Den Richtsbergern schlage vielerorts Ablehnung entgegen. Jugendliche vom Richtsberg hätten es bei der Suche nach Ausbildungsplätzen meist schwerer als solche aus anderen Stadtteilen. Die Kriminalität sei auf dem Richtsberg höher als anderswo in Marburg. Kein Wunder, es gibt hier keine Polizeistation19), keine Fußstreife mit Beamten, die die Bevölkerung kennt und zu denen sie Vertrauen hat, die wenigen freiwilligen Hilfspolizisten20) haben sich schon vor Jahren verzogen, es gibt keine Polizeivorführungen mehr, die Streifenwagenbesatzungen fahren schnell durch, verziehen sich lieber in ihr wie eine Festung ausgebautes Cappeler Hauptquartier und messen alle paar Jahre mal mit Radarfallen, das bringt Geld - das ist jedenfalls der Eindruck, den man aufgrund dieser Situation gewinnen muß. Und andererseits geizte man nie mit Polizei, mit Mannschaftswagen und sogar Helikoptern, wenn es darum ging, ein im Gegensatz zu früheren APO-Aktionen relativ kleines, gegen die Studiengebühren protestierendes Studenten-Häuflein einzuschüchtern.

Für viele Millionen DM (oder Euro) wurde eine neue, schönere Umgebung geschaffen - nun könnte man sich eigentlich zurücklehnen und sagen "Es ist geschafft". Doch wäre das zu kurz gedacht. Wie anderswo haben sich auch hier in der vielzitierten Stunde der Wahrheit Anspruch und Wirklichkeit zu messen. Im idealen Sinne wäre eine "Soziale Stadt" nicht nur Sozialhilfestadt, sondern sozial auch in dem Sinne, daß die Menschen in allem gut miteinander auskommen und Gemeinsinn geübt wird.

Gemeinsinn entsteht, wenn einem nicht egal ist, was mit dem geschieht, das allen gehört, wenn man sich kümmert21). Ich erinnere mich daran, daß "damals", noch im schlichteren Ambiente, unter Beteiligung aller Mieter/innen (und darum auch sehr gemeinschaftsfördernd) auf unserem Grundstück Bäume gepflanzt wurden; sofern sie später nicht dem Amt für Grünflächen oder sonstigen Umgestaltungsmaßnahmen zum Opfer fielen22), haben sie überlebt, sind groß und stark geworden. Ein gutes Beispiel ist auch die sogenannte Große Hausordnung. In allen Hochhäusern des Richtsbergs galt früher die Regel, daß jede Woche eine andere "Mietpartei" nicht nur den zu ihrer Wohnung gehörenden Flur reinigte, sondern auch den Aufzug, die Verkehrsflächen des Dachbodens und Kellers von Dreck befreite und daß auf dem Grundstück Papier und sonstiger Abfall aufgelesen und weggeräumt wurde (viele gedankenlose Leute sind ja zu faul, ihre Eisverpackungen, Colaflaschen u.a. in Müllbehälter zu stecken und werfen sie auf den Boden, wenn sie aus einem Bus aussteigen, selbst wenn einen Meter entfernt ein Papierkorb steht). Früher klappte es auch mit der Hausordnung. Jeder fühlte sich verantwortlich und biß einmal im halben Jahr in den sauren Apfel. War alles geschafft, unterschrieb man in einem Heftchen und hängte dies an die Tür dessen, der in der folgenden Woche an der Reihe war. Mit der "Buntheit" der Hauszusammensetzung änderte sich das jedoch. Immer häufiger gab es solche, denen die Hausordnung völlig egal war. Und das waren nicht etwa alte Menschen, denen die Arbeit schwer fiel, es waren junge, kräftig genug, eine Flasche Bier zu stemmen, aber wohl nicht, einen Besen und ein Kehrblech in die Hand zu nehmen oder sich draußen zu bücken, um den in ihrem Wohngebiet gedankenlos verstreuten Unrat zu entsorgen. So etwas wie einen Hausmeister gab es niemals, der als Hauswart tätige Mieter versorgte höchstens den Aufzug und ein "Springer" kam mal alle paar Monate, wenn etwas zu reparieren war. Als es schlimmer wurde, reagierten die Wohnungsbaugesellschaften. In ihrem von außen gesehen lobenswerten Bemühen, auf Dauer Ordnung und Sauberkeit sicherzustellen, entließen sie die Hausgemeinschaft aus ihrer Verantwortung. Seitdem kommt jede Woche am Donnerstag eine Putzkolonne, deren Arbeit natürlich extra zu bezahlen ist, anteilig von jeder Mietpartei; wer keine Sozialleistungen erhält, der muß berappen: für sich selbst und für die anderen. Das ist wohl auch eine Art von Solidarität.

Hier liegt ein gravierendes, nicht nur den Richtsberg berührendes Problem. Man tötet Gemeinsinn, wenn man Verantwortung abnimmt - aus Bequemlichkeit und Opportunismus. Und so fördert man auch Vandalismus. Kinder, die, wie vielleicht auf Kuba, ihr Klassenzimmer selbst aufräumen oder gar anstreichen müssen, halten es sauber und intakt. Schüler, hinter denen aufgeräumt und geputzt wird, scheren sich einen Dreck um ihre Arbeitswelt. Und das betrifft alle Schichten unserer Gesellschaft.

"Freiwillige Helfer sammeln Müll auf Gehwegen"
heißt es im OP-Bericht vom 26. Oktober 2009. Die vom Büro für Stadterneuerung (unter Heinz Wahl) neuerdings ein- bis zweimal pro Jahr initiierte Reinigungs-Aktion könnte hier gegensteuern, vorausgesetzt, daß nicht nur ganze 25 (meist ältere) Leute teilnehmen, darunter auch unser Pfarrer der Thomaskirche, der in seiner knapp bemessenen Zeit sicher Besseres zu tun hätte als von gedankenlosen Dissozialen weggeworfenes Papier aufzusammeln. Vorbildlich und beispielgebend wäre es, wenn z.B. von den rund 500 Schüler/innen der hochgelobten Richtsberg-Gesamtschule eine Menge engagierter Jugendlicher dabei wären - das wäre doch mal eine ganz coole "Action", ein angesagtes "Event", das wirklich allen nützen würde. Man müsse eine Bewußtseinsänderung herbeiführen, meint der umtriebige Herr Wahl. Genau, das ist der Punkt. Aber da ist er, wie andere Gutwillige, alleingelassen. Auch von Lehrkräften, die es sich zu leicht machen, die es mit niemandem verderben wollen, die im Gemeinschaftskunde-Unterricht lieber Theorien vermitteln als praktische, auch ortsgebundene, soziale Fragen anzusprechen.

Es sind doch fast alle Häuser renoviert, der Richtsberg ist fast wie ein Neubaugebiet, sagt mir ein Herr vom hiesigen Architektenbüro. "Sie haben alles zu negativ dargestellt." Der Richtsberg sah noch nie so schön aus, man hat sich viel Mühe gegeben: sowohl außen (Bild links) wie innen (z.B. Aufzug, Bild rechts). Eine neue, schönere Umgebung bringt aber nicht automatisch einen entsprechenden Gesinnungswechsel. Erneuerung muß auch in den Köpfen stattfinden. Ohne das wird, egal wo sie stattfindet, eine Renovierung zur Mogelpackung. Verantwortende Erziehung beginnt im Säuglingsalter und endet mit dem Tode. Erziehen heißt, auch Unbequemes zu tun und hinzunehmen, sich auch mal unbeliebt zu machen und das scheinbar Unmögliche zu wagen, ja oft gar Kopf und Kragen zu riskieren. Und da kracht es im Getriebe unserer schönen, permissiven Gesellschaft.

"Gericht verhängt Jugendstrafe für Nasenbeinbruch", titelt die Oberhessische Presse am 19. April 2008. Fast eineinhalb Stunden habe man beraten, um einem 21-jährigen, bei dem schon "eine Vielzahl von Taten quer durch den Gemüsegarten des Strafgesetzbuches" geahndet und zur Bewährung ausgesetzt (!) worden sei, dennoch als letzte Chance eine viermonatige "Vorbewährung" zu ermöglichen, nach der entschieden werde, ob er eine 14-monatige Jugendstrafe (!) abzusitzen habe. Der "keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgehende junge Mann" habe im letzten Oktober am Oberen Richtsberg einem 35-Jährigen unvermittelt das Nasenbein gebrochen. Das "unter multiplen Erkrankungen" leidende und "als schwieriger Mitmensch beschriebene" Opfer sei danach stark angetrunken im Cappeler Polizeihauptquartier erschienen und habe Anzeige erstattet. Der Täter habe eine schwierige Jugend gehabt, Jugendamt und Jugendkonflikthilfe seien bemüht worden, er habe nach der Hauptschule keinen Ausbildungsplatz bekommen und nun "keine konkrete Vorstellung, wie es im Leben weitergehen solle". Abgesehen von den hohen Kosten, die in solchen Fällen der zahlenden und schweigenden Gemeinschaft entstehen, sind diese nicht gerade dazu angetan, das in vieler Augen auf den Nullpunkt gesunkene Ansehen des "Richtsbergs" zu bessern.

Kultur und kulturelle Räume

(Bild rechts: Plakat-Anschlagsäule auf dem Oberen Richtsberg, gesehen am 8.6.2012)
Kultur ist nur dann identitätsstiftend, wenn nachhaltig und geeignet, den jeweiligen Lebensraum zur Heimat werden zu lassen. Multiethnische Kultur-Räume schaffen, wenn überhaupt, viele Mikro-Identifikationszonen und erschweren es, ein gemeinschaftliches Zugehörigkeitsbewußtsein zu entwickeln (manche behaupten, die USA, Kuba und Brasilien böten als ethnische "Schmelztiegel" das Gegenteil). Solidarität schaffen solche Mikro-Räume, aber nur in sich selbst, nicht nach außen. Was der andere, Nichtzugehörige, denkt und wie er handelt, interessiert nicht. Menschen, die über ihr Leben nachdenken und denen nicht alles egal ist, leiden unter einer solchen Zerrissenheit; sie ist kontraproduktiv. Und damit fördert sie nicht gerade eine alle Gruppen umfassende, wirkliche Integration.

In solchen kulturellen "Sonderzonen" gibt es möglicherweise keine Bereitschaft, bestimmte in Deutschland per Grundgesetz garantierte Rechte anzuerkennen und umzusetzen, zum Beispiel die uneingeschränkte Gleichstellung der Geschlechter. Ebenso naiv wie unverantwortlich ist es daher, als typisch und daher unverzichtbar für fremde Kulturen wegzuentschuldigen, wenn Frauen sich in der Öffentlichkeit nicht frei und zwanglos (das betrifft auch die Kleidung!) bewegen können, wenn sie gegen ihren Willen an vom Familienclan ausgesuchte Männer verheiratet werden, wenn männliche Kinder schon von Anfang an zu kleinen Tyrannen und zur Geringschätzung ihrer weiblichen Geschwister erzogen werden oder wenn es Schülerinnen aus "religiösen" Gründen verboten wird, am Sportunterricht, am Schwimmen und an Klassenfahrten teilzunehmen. Das verstärkt die Ghettoisierung, so zieht man Parallelgesellschaften heran, die mit der in diesem Lande in vielen Jahrhunderten zur Vielfalt und Toleranz hin entwickelten Lebensart und Kultur so viel gemein haben wie der Esel mit dem Tanzen.

Hier, auf dem Richtsberg, spielt das, was traditionell als deutsche Kultur (manche sagen auch: Leitkultur) gelten konnte (minderwertige Programme der Neuen Medien sind nicht inbegriffen), schon längst nicht mehr die Hauptrolle. Ob uns, den noch Zurückdenkenden, das nun lieb ist oder nicht. Und ohnehin muß jeder selbst entscheiden, wie viel ihm die eigene traditionell deutsche Kultur wert ist, die eines Goethe, eines Schiller, eines Martin Luther und Johann Sebastian Bach. Ob er bereit ist, etwas zur Erhaltung und Pflege dieser kulturellen Güter zu tun, die ja schon seit langem zum kostbaren Besitz der Weltkultur gehören. Und ob er noch bereit ist, seinen Kindern deutsche Volkslieder beizubringen, die Gedichte eines Mörike oder Eichendorff zu vermitteln und mit ihnen ein "klassisches" Konzert oder ein anspruchsvolles Theaterstück zu besuchen.

Kultur und Kulturen ist ein Projekt von Netzwerk Richtsberg e. V. im Rahmen des (bundesweit angelegten und auch in der Wikipedia beschriebenen) Programms Soziale Stadt. Hier bemüht man sich darum, aus allen Schichten und Ethnien des Richtsbergs Menschen für kulturelle Arbeit zu gewinnen, so z.B. Jugendliche, die Mitte November 2009 in den Räumen der Bürgerinitiative für soziale Fragen an einem Talent-Wettbewerb teilnahmen, einem, wie Manfred Schubert in der OP vom 17.11. berichtet, "Musik-Festival von Klassik bis Rock"; es erklangen Kompositionen von (dem im russischen Kulturkreis durch Sinfonien, Klavierkonzerte, Opern u.a. bekannt gewordenen) Dmitrij Kabalevskij (1904-1987), Friedrich Seitz (1848-1918, schrieb Schüler-Konzerte für Violine) und Andrea Holzer-Rhomberg (Autorin einer Geigenschule) und Lieder wie "Watch what happens" oder "Gute Nachtlied für kleines Bärchen". Veranstalter war u.a. Rudolf Machmudov, Lehrer an der von Nina Rippe geleiteten Musikschule Klassika. Als Juroren fungierten neben ihr Konstantin Jochim (Solobratschist im Gießener und Frankfurter Opernorchester und ebenfalls Musiklehrer in Klassika) und Jochims Kollegin, die Solocellistin Ildiko Buczo.

Die evangelische Gemeindebücherei der Thomaskirche ist immer gut gerüstet für interessierte Leserinnen und Leser (wie mit von Uta Näser zu den Adventstagen 2009 zusammengestellter Literatur, mein Bild rechts).

Kultur und Kulturen unterstützte auch eine am 11.11.2009 hier durchgeführte Veranstaltung mit dem 1963 in Volosovo (Bez. Leningrad) geborenen, heute in Bad Kissingen lebenden deutsch-russischen Autor Dr. Andreas Keller, der aus seinem wechselvollen Leben berichtete, einige Proben aus seinem im Geest-Verlag (Vechta) erschienenen Buch "Meine Kata-Strophen" zum Besten gab und gefühlvoll zur Gitarre eigene Lieder vortrug.

Zu der unter "Migration und Identität" beworbenen Präsentation waren nur 22 deutsche Zuhörer/innen im Rentner-Alter erschienen. Pfarrer Kling-Böhm, der das kleine Auditorium begrüßte, warb als Kooperationspartner für das am 7. Februar 2010 vorgesehene "Internationale Suppenfest", das im kulturellen Leben des "Richtsbergs" große Beliebtheit erlangte.

Multikulturalität

Die "multikulturelle Gesellschaft", heißt es in einem OP-Artikel, werde "von einem Teil der deutschen Gesellschaft" gefürchtet. In der Tat: Mitbürger aus Kurorten, Touristenstädten, stillen Landgemeinden und Nobelvierteln und solche Volksvertreter, die keine sind, kennen nur ihre lokale, abgehobene Kultur (und entblöden sich z.B. nicht, als Vertreter einer bestimmten "liberalen" Partei dem Richtsberg einen eigenen Ortsbeirat zu verweigern). Wer im Luxusambiente lebt und (z.B. als Politiker) die Kinder in Privatschulen schickt, hat gut reden. Vor dem, was fremd ist, könnte man Angst bekommen: wenn man es nicht kennt und gar nicht kennen lernen will. Wenn man etwas zu verlieren hat. Es ist leicht, sich abzuschotten und die Augen vor der sich stetig ändernden Realität zu verschließen.

Andererseits bietet eine Multikulturalität, die verschiedenste Varianten und Ausprägungen berücksichtigt und die keine Kultur als absolut und allein seligmachend ansieht, eine große Chance - jedoch nur dann, wenn sich jede(r )sozial mitverantwortlich fühlt - egal, welcher Altersgruppe, Nationalität, Religion, sozialen Schicht usw. er / sie angehört. Wenn alle sich beteiligen, auch an gemeinnützigen Projekten (wie z.B. einer Bücherei) mitarbeiten, wenn jeder seine Umgebung sauber hält, wenn Kulturen in einen fairen Wettbewerb treten, wenn dies in einer toleranten Umgebung geschieht und wenn grundlegende Menschenrechte beachtet werden - und -was ganz wichtig ist - wenn die Jugend nicht alleingelassen wird und (wie im obigen "Blog" dargestellt) man sich um sie kümmert, dann kann ein Stadtteil wie der "Richtsberg" als Mikrokosmos Vorbild sein für eine alle Grenzen überschreitende soziale und kulturelle Politik in Deutschland und in der Welt.

Jeder solle nach seiner Façon (= auf seine Art und Weise) selig werden, meinte der von der französischen Aufklärung mitgeprägte Friedrich der Große (1712-1786), König von Preußen, und berief sich auf Voltaire und seinen Traité sur la tolérance 23).  Das bedeutet nicht absolute, schrankenlose Freiheit (das wäre Anarchie); gefordert ist eine offene, vielseitige, tolerante Gesellschaft, die sich auch ihrer Pflichten wohl bewußt ist. Toleranz ist ebensowenig eine Einbahnstraße24) wie ein wenn ein Staat Verfassungsfeinde und Terroristen dulden und dadurch offen Auges in sein Verderben rennen würde.

Zusammengehörigkeit durch übergreifende Identität

Der Richtsberg, sagte ich, widerspiegele eine heutzutage vielerorts feststellbare Entwicklung. Die Welt, sagt man neuerdings, sei ein Dorf geworden. Da heißt es Abschied nehmen von Nationalismen25). Der Globalismus hat auch kleinere Lebensräume erfaßt und auch dort treten verschiedenste Kulturen miteinander in Konkurrenz. Diese, sagte man schon früher, belebe "das Geschäft"; verstehen wir mal als solches das tägliche Leben. Soziale Räume wie der Richtsberg sind traditionell "monokulturellen" Räumen als zukunftsorientiert voraus. Im günstigsten Falle könnten solche Mikrokosmen sogar eine neue Identität schaffen. So wie eben auf Kuba und in Brasilien. Oder im ehemaligen deutschen Schlesien. Wo man weder Pole noch Deutscher sein will, wo man sogar in den Wurzeln Gemeinsamkeiten feststellt und hieraus für die Zukunft schöpft.

Eine bevölkerungspolitische Schieflage nützt niemandem; gegensteuern tut not. Der "Richtsberg", in dessen Erneuerung so viel investiert wurde, muß auch für deutsche Mitbürger wieder attraktiv sein26). Niemand darf übergangen, abgeschreckt oder vertrieben werden. Weder diejenigen, die trotz aller Umstände dieses Wandels geblieben sind, dort weiterleben und bei der Integration mithelfen wollen, noch die, die es schaffen wollen, mit äußerster Kraftanstrengung und großem Fleiß die ständig steigenden Lebenshaltungskosten zu finanzieren, ohne die Sozialhilfe-Segnungen unseres Staates in Anspruch zu nehmen. Wer sich selbst hilft und mit seinem Schaffen zum Wohle der Allgemeinheit beiträgt, darf nicht dafür bestraft werden. Unsinnige und kontraproduktive Maßnahmen wie etwa die Fehlbelegungsabgabe entmutigen, verbittern und vertreiben. Ohne eine ausgewogene, alle kulturellen Belange einbeziehende Bevölkerungsstruktur ist auch dem Richtsberg kaum noch zu helfen, dann kippt all das weg, was man als "soziale Stadt" verstehen will.

Der Richtsberg ist es wert, erlebt zu werden

Marburgs größter Stadtteil mit rund 9.000 Einwohner/innen wird im 45-minütigen "Bilderbogen"-Bericht von Hessen 3 über Marburg mit keinem Wort erwähnt - lediglich in einem kurzen Kameraschwenk über Lahnberge und Richtsberg wird von "Bausünden" gesprochen. Der Richtsberg paßt den Fernsehmachern offenbar nicht in ihr als heile Welt präsentiertes, romantisierend verklärtes Bild der fachwerkgeschmückten, altehrwürdigen Universitätsstadt. Vertan wird damit die Chance, dieses in Sachen Multikulturalität und Integration hessenweit wohl einmalige Modellprojekt einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen - das gibt zu denken.
Denn viel wurde - und wird weiterhin - dafür getan, auf dem Richtsberg neue soziale Strukturen und Ressourcen zu schaffen. Es lohnt sich, hier auf Entdeckungsreisen zu gehen. Erleben, entdecken, mitdenken, konstruktiv mitwirken. Eine multiethnische Gesellschaft, in der sich alle miteinander vertragen und wo es (im Gegensatz zu vielen ländlichen Bereichen!) weder Rassismus noch Intoleranz gibt, ist eine große Herausforderung, vielleicht die größte in unserer Zeit. Liebenswert ist ein Lebensraum, in dem dies gelingt, er wird zur Heimat, mit der man sich gern identifiziert und für die man auch Opfer bringt. Wenn es gelingt, die anstehenden Aufgaben zu schultern und unseren Stadtteil als liebenswert zu erhalten, dann können wir - egal, was die anderen sagen - uns dazu bekennen, Richtsberger zu sein.

Nachträge

30.11.2012 Nachdem kurz zuvor auf dem Wäscheboden des Hauses "Am Richtsberg 74" trotz eines klar gekennzeichneten Verbots intensiv geraucht worden war und die Übeltäter einige Wäscheleinen angesengt und dadurch unbrauchbar gemacht hatten, wurden in der Nacht auf dem Müllplatz vor demselben Haus 3 große Plastik-Container "abgefackelt". Ein direkt daneben stehender, von den Anwohnern gemeinsam gepflanzter Baum ist dem Tode geweiht. Noch immer fehlt in diesem sozialen Brennpunkt eine in 3 Schichten arbeitende, mit ortsbekannten Beamten besetzte Polizeistation. Wegsehen, Ignorieren und Gesundbeten sind einfacher und billiger.

27. Mai 2013 Dennoch: ich stehe zu meinem Optimismus. Es sind leise, kaum merkliche Signale, die man wahrnimmt, wenn man sich mit wachen Augen und Ohren in diesem Stadtteil bewegt - sei es beim Einkauf oder Herumschlendern. Wenn man zum Beispiel von einer freundlichen jungen Muslimin im Gemeinschaftszentrum eine Auskunft und von einem ebenfalls sehr freundlichen Wirt ohne Umschweife und Kosten die schöne Glanz-Farbkopie einer Richtsberg-Luftaufnahme erhält. Den Zugang zum Richtsberg muß man sich über die Herzen seiner Bewohner/innen erschließen. Das ist das ganze Geheimnis.

18. März 2014
Unter dem Titel "Fremde Helfer packen an - Angebot reicht von Müll sammeln und Musik machen bis Garage entrümpeln" berichtet Manfred Schubert in der Oberhessischen Presse von einer bislang in diesem Stadtteil beispiellosen Aktion. 40 junge Marburger hätten an verschiedenen Stellen Arbeiten verrichtet und Dienstleistungen erbracht, um Alleinerziehende (mit Kinderbetreuung) zu entlasten oder älteren Menschen (mit Entrümpelungen, Hausarbeiten oder Gesprächsangeboten) zu helfen. Viele Wünsche seien dabei erfüllt und Geschenkpäckchen an alle (auch an Postboten, Busfahrer und Fußgänger) verteilt worden. Im Café Zeitlos habe man musiziert. Dieser unter dem Motto "Surf (serve) the Richtsberg" stehende Tag der Dienstleistung" sei vom Marburger Bibelseminar und der vom Christus-Treff betriebenen Begegnungsstätte CenTral vier Monate lang vorbereitet und hierfür zahlreiche Kontakte genutzt worden.
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Anmerkungen:

  1. Um Verständnis bitte ich dafür, daß dieser Text als "Baustelle" weiterhin vielfältige Änderungen erfährt. Insofern bin ich auch gern bereit, konstruktive Anregungen von Leser/innen hier aufzunehmen.
  2. Mir ist bewußt, daß ich vielleicht in das eine oder andere "Fettnäpfchen" getreten bin. Gute Eltern, denen etwas an ihnen liegt, müssen ihre Kinder auch mal kritisieren dürfen, und so geht es auch mit Menschen, die irgendwo gern wohnen und, weil es ihnen dort gefällt, bewußt wahrnehmen, wenn sich etwas zum Nachteil aller verändert. Es wird überall gefordert, nicht wegzusehen; das gilt doch wohl auch hier.
  3. Die sog. Fehlsubventionierungsabgabe wird auch in anderen Bundesländern erhoben. Grundlage ist jeweils eine Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen. Was z.B. Bayern angeht, so erfahren wir aus der entsprechenden Website, man habe "das Ziel verfolgt, die Fehlbelegungsabgabe nicht nur als Instrument zur Abschöpfung ungerechtfertigter Mietsubventionsvorteile, sondern auch sozial verträglich auszugestalten." Bei der Erhebung werde "auf die aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen abgestellt." Trotz des allgemeinen - und in bestimmten Fällen durchaus wünschenswerten - Trends, Privilegien (wie z.B. die sog. Beamteneinkaufs-Ringe) und Subventionen abzubauen, bleibt die Frage, ob im Falle der ehemaligen Landesbedienstetenwohnungen am Richtsberg ein sittenwidriger Verwaltungsakt (§ 44 VwVfG), eine Verletzung der sog. Besitzstandswahrung oder des Vertrauensschutzes vorliegt, abgesehen von der grotesken Situation, daß, gemessen am jeweiligen Mietspiegel, die Wohnungen im ganzen oft teurer sind als in anderen Stadtteilen liegende und mindestens gleichwertig ausgestattete (man denke nur an die engen "Badezimmer"). Oder, anders herum gesagt: 1. man zahlt für den Luxus, in einem sogenannten Sozialen Brennpunkt zu wohnen, auch noch drauf. In meinem Falle beträgt z.B. diese "Luxusmiete" ohne Nebenkosten für 90 Quadratmeter (Garage nicht vorhanden) derzeit EUR 489,35 plus Fehlbelegungsabgabe EUR 220,00 = EUR 709,35. Ich bin nicht etwa Unternehmer oder mit vielen Nebenmandaten gesegneter Parlamentarier, sondern "nur" Uni-Mitarbeiter und Alleinverdiener. In anderen Familien, wo beide Partner arbeiten müssen, weil die Gehaltsstufen niedriger sind, werden, wie ich erfahren habe, vergleichbare oder gar höhere Sätze verlangt. Wer solches nicht als Beutelschneiderei versteht, muß schon ein sehr sonniges Gemüt haben. "Dann ziehen Sie doch aus, wenn es Ihnen hier nicht paßt!" höre ich schon. Sagte man das einem Ausländer, wäre damit für viele schon der Tatbestand der Fremdenfeindlichkeit erfüllt. Gibt es auch eine "Inländerfeindlichkeit"?
    Man könnte 2. deshalb folgern, der sog. Öffentlichen Hand seien ihre Bediensteten so viel "wert", daß sie ihnen fürsorgliche Rechte und Möglichkeiten entziehe und sie somit bestrafe (der Terminus Fehlsubventionierung ist hier nichts anderes als diffamierend, und es ist geradezu lächerlich anzunehmen, daß begüterte Reiche sich etwa einen Spaß daraus machten, sich zu Hauf in einem so veränderten Umfeld wie dem Richtsberg niederzulassen und ihnen moralisch nicht zustehende Rechte auszunutzen).
    Interessanterweise hat die federführende Behörde lange nichts von einem Mietspiegel wissen wollen, obwohl ein solcher im Marburger Raum mindestens inoffiziell (ersichtlich aus Anzeigenblättern wie dem sog. PAP-Markt oder den links eingescannten Anzeigen der Oberhessischen Presse vom 24.11.2007) schon immer existierte. Qualifizierte Mietspiegel gemäß § 558d BGB werden übrigens mancherorts sogar vom Amt für Wohnungswesen abgegeben.

    Nach insgesamt 15 Jahren Erhebung wird nun in Marburg die Fehlsubventionierungsabgabe vom 1. Juli 2008 an abgeschafft. Auf die bevölkerungspolitischen Folgen darf man gespannt sein.

    Im übrigen wurde durch renovierungstechnische Maßnahmen wie etwa effektive Wärmedämmung, die unten erwähnte Sternverkabelung und die technisch vorbildliche Neugestaltung von Aufzügen vieles dafür getan, die Wohnverhältnisse zu bessern. Die im Sinne des Öffentlichen Rechts verwalteten Gesellschaften bieten, im Gegensatz zu manchen Privatvermietern, eine langzeitige Stabilität des Mietzinses und Schutz vor willkürlichen, nichtkontrollierbaren Berechnungen. Und wenn es schon Mieterhöhungen gibt, so äußerst moderat (wie z.B. von EUR 482,15 auf EUR 489,35).

  4. Soziale Leistungen in Deutschland:
    Lt. dem "Ratgeber für soziale Hilfen" (siehe auch hier) zählen dazu:
    1. Hilfen zum Lebensunterhalt: "Für Ernährung, Kleidung, Wohnung (Miete, Strom, Wohnungsrenovierung, Heizung, Winterfeuerung, Umzugskosten), Hausrat, Krankenkassenbeiträge, Kosten für eine Haushaltshilfe (!!!), Übersiedlung in ein Heim." (http://www.hameln-pyrmont.de/ext/ratgeber/15d.html)
      "Der Regelsatz beträgt seit dem 1. Juli 2007 347 Euro. Nach der ab dem 01. Januar 2007 geltenden Neufassung des § 28 Abs. 2 Satz 3 SGB XII (BGBl I, S. 2670) entfällt die bisherige Differenzierung der Regelsätze zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Die Länder können abweichende Regelsätze bestimmen[5]. Der Regelsatz für den Haushaltsvorstand beträgt 100% des Eckregelsatzes; für Kinder und Jugendliche gelten ab 1. Juli 2009: 0-5 Jahre 211 EUR, 6-13 Jahre 246 EUR (neu) und 14-17 Jahre 281 EUR (jeweiliges Kindergeld wird mit diesen Beträgen verrechnet). Leben Ehegatten oder Lebenspartner zusammen, beträgt der Regelsatz jeweils 90 vom Hundert des Eckregelsatzes (Neuregelung ab dem 1. Januar 2007[6]). Die bisherigen einmaligen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt (z.B. für Bekleidung, Einschulung usw) sind seit dem 01. Januar 2005 bis auf wenige Ausnahmen als Pauschale in den Regelsatz einbezogen." (http://de.wikipedia.org/wiki/Hilfe_zum_Lebensunterhalt) bzw. Grundsicherung,
    2. Hilfe in besonderen Lebenslagen (nach dem Bundessozialhilfegesetz): "Kosten für Kuraufenthalte, ärztliche Behandlung, Krankenhausaufenthalt, Hilfe für Behinderte (Rollstuhl, Hörgerät und ähnliches), Pflegegeld bei häuslicher Pflege, Pflege in einem Heim, Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes. Das Sozialamt erbringt nicht nur diese genannten Leistungen, sondern es berät Sie auf Wunsch auch im persönlichen Gespräch." Was Behinderte angeht, sollen diese ab 2008 statt der bisherigen Sachleistungen (Pflege) einen Etat von bis 7.000 Euro monatlich (!) erhalten, aus dem sie "als ihr eigener Chef" Pflege-Personal einstellen und bezahlen können (womit einem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet werden, denn wer will schon kontrollieren, wie das Geld verwendet wird?)
    3. Wohngeld (siehe auch oben),
    4. Rundfunk- und Fernsehgebührenbefreiung: "Unter bestimmtem Voraussetzungen können Sie von der Rundfunk- und Fernsehgebührenpflicht befreit werden. Diese liegen z. B. vor, wenn Sie laufende Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen oder Pflegegeld vom Sozialamt erhalten. Ferner, wenn Sie blind oder dauernd wesentlich seh- oder hörgeschädigt sind oder wenn Sie aufgrund Ihres Leidens oder Ihrer Behinderung an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen können (Schwerbehindertenausweis mit dem Aufdruck „RF“)" (http://www.hameln-pyrmont.de/ext/ratgeber/15d.html)
    5. Verbilligungen beim Telefon: verbilligter Neuanschluss, verbilligte monatliche Grundgebühr; Voraussetzungen liegen vor, wenn von der Rundfunkgebührenpflicht befreit; Bescheinigung liefert das Sozialamt
    6. Hilfen nach dem Betreuungsgesetz,
    7. Schuldnerberatung

    Zur Sozialhilfe wollte mir keine der betroffenen Marburger Dienststellen einzelfallbezogene, konkrete Angaben machen. Das hänge ab vom Status der Betroffenen und "verstoße gegen den Datenschutz". Wichtig die Aussage, daß auch z.B. eine alleinerziehende Sekretärin mit BAT VII zusätzliche Sozialleistungen beantragen könne, wenn sie aus ihrem Gehalt die für ihre Lebenssituation unerläßlichen Ausgaben nicht gänzlich finanzieren könne; solche Anträge würden allerdings nur selten gestellt. 

  5. "Zwischen 70 und 76 Prozent der Bewohner des Richtsbergs weisen einen Migrationshintergrund auf. Menschen 84 verschiedener Nationalitäten leben dort und rund 44 Prozent der Richtsberger haben nach einer Veröffentlichung des Magistrats der Stadt im März 2004 einen ausländischen Geburtsort. Die Stadtteilgemeinde gilt als „Problembezirk“ und hat Marburgs höchste Kriminalitätsrate. Rund 57 Prozent der Bewohner beziehen soziale Hilfe vom Staat." (http://de.wikipedia.org/wiki/Marburg-Richtsberg).
  6. "Nach einer Vereinbarung der Ministerpräsidenten der Länder können seit dem 15. Februar 1991 jüdische Familien aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen werden. Die Kontingentflüchtlinge sind weitgehend den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt. Dies gilt insbesondere bei Sozialhilfe, Hilfen zur Erziehung, Arbeitslosenhilfe. Sie genießen Ausweisungsschutz nach § 56 des Aufenthaltsgesetzes; zur Eingliederung (nach SGB II) in Schule, Beruf und Gesellschaft werden Deutschkenntnisse vermittelt. Die Flüchtlinge werden laut Königsteiner Schlüssel entsprechend der Gesamtbevölkerungszahlen auf alle Bundesländer verteilt." (http://forge.fh-potsdam.de/~Sozwes/werkstatt/adf/integration/integrationkontingent.html; Links von mir)
    Die aus den ehemaligen GUS-Staaten (z.B. Kasachstan, Ukraine, Rußland) zuwandernden Menschen waren nicht immer willkommen, ihre genealogischen Voraussetzungen wurden angezweifelt (diffamierend hieß es, es genüge "ein deutscher Schäferhund" in der Verwandtschaft). Jugendliche, die sich weniger oder gar nicht als Deutsche fühlten, kamen oft nur widerwillig mit, auch gab es Probleme auf dem Arbeitsmarkt ("wir brauchen nicht nur Melker und Traktoristen"). Die umtriebigen und tüchtigen Rußlanddeutschen stellen heute einen bedeutenden Anteil am Arbeits- und Erwerbsleben in Deutschland; man findet sie nicht nur in Alten- und Pflegeheimen, auch beispielsweise als liebenswerte und stets hilfsbereite Küsterin (wie in Marburgs Lutherischer Pfarrkirche), als Handwerker, Angestellte und Gewerbetreibende. Andererseits werden oft die von ihnen in der Heimat erworbenen Qualifikationen nicht anerkannt, so beispielsweise im Falle zweier aus Rußland kommender Lehrerinnen und einer Diplom-Ingenieurin (der Starkstromtechnik). Sie wollten sich mit dieser Ablehnung nicht zufriedengeben und ließen sich zur Altenpflegerin umschulen.
  7. Obiges "Müll-Idyll" habe ich übrigens am 1. Januar 2008 fotografiert - ein Beweis dafür, daß sich trotz blumiger Lippenbekenntnisse in den Köpfen vieler "Mitbürger" nichts geändert hat. Durch die wie immer exzessive Silvester-Feuerwerkerei (u.a. gerieten zwei Balkone in Brand) war auf den Grundstücken ein wahrer Saustall an abgebrannten Knallern, Raketen u.a. entstanden, der nicht etwa von den Verursachern, sondern größtenteils vom Reinigungsdienst beseitigt wurde.
  8. Ich denke da besonders an die z.B. von der Wohnstadt in den renovierten Hochhäusern angelegte sog. Sternverkabelung: in drei oder vier Zimmern befindet sich je eine kombinierte Anschlußeinheit mit 3 Steckdosen für analoges und digitales Fernsehen, Rundfunk und Internet-Zugang (via Kabelmodem); jede Anschlußeinheit kommuniziert über ein separates Koaxkabel mit einem zentralen Verstärker. Die Gebühren für das Kabelfernsehen und einen mit Zweikanal-ISDN vergleichbaren langsamen Internet-Zugang sind bereits im Mietpreis enthalten (der bei Sozialhilfeempfängern ja vom Gemeinwesen getragen wird). Somit können die Neuen Medien incl. Internet (Down- und Upload) kostenfrei genutzt und auch so hochwertige Kabel-Programme wie 3Sat, arte oder Phoenix und auch deren Videotext-Angebote empfangen werden. In unserer mediengeprägten Zeit bedeutet das in diesem Stadtteil bildungstechnische Chancengleichheit für alle. Es liegt an jedem / jeder einzelnen, ob er / sie diese Möglichkeiten nutzt oder nicht, also konkret, welche Tasten an der jeweiligen Fernbedienung gedrückt werden. Wenn sich jemand statt der gebotenenen Kultur-Ressourcen aus minderwertigem Medien-Schrott bedient, wenn aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen den Kindern der Zugang zu toleranzfördernden Programmen verwehrt und wenn dann noch von einer bildungsmäßigen Benachteiligung der sog. Unterschicht oder der hier lebenden Migranten gesprochen wird, so ist das eine glatte Lüge.
  9. Zum Glockenspiel findet sich in der Oberhessischen Presse vom 14.12.2002 ein bemerkenswerter Leserbrief der ausgewiesenen Islam-Expertin und Honorarprofessorin Dr. Ursula Spuler-Stegemann. Mit Interesse habe sie die entsprechenden Berichte gelesen, auch den zweiten "Mich freut, dass auch auf dem Richtsberg bald Kirchenglocken erklingen". Dort heiße es u.a.: "Um die Gefühle der Nicht-Christen in diesem multikulturellen Stadtteil nicht zu beeinträchtigen, wird das Glockenspiel auch weltliche Lieder spielen." Die Gemeinde der Thomaskirche habe diesen "widersinnigen Beschluss" gefaßt. Setze sie etwa voraus, Angehörige anderer Religionen würden die Liedertexte kennen? Oder gelte diese Fürsorge den aus der Kirche Ausgetretenen? Sollte man, heißt es sinngemäß weiter, angesichts solch einer "liberalen" Einstellung nicht weiter gehen und abwechselnd zum Glockenspiel den Muezzin-Ruf vom Turm erschallen lassen? Mit Rücksicht auf weitere Religionsgemeinschaften könne man noch Gongschläge und ähnliches hinzufügen. Eine solche "Selbstaufgabe schristlicher Positionen" würde von Vertretern missionierender Religionen mit Freude und Dankbarkeit akzeptiert werden.
    Als Mahnmale einer Kultur, die es zu pflegen und zu bewahren gilt (und die zu verstecken offener Hohn wäre), verkünden die (wie uns Schiller lehrt) mit handwerklicher Meisterschaft gefertigten Kirchenglocken den Sinn des christlichen Glaubens. Viele ältere Richtsberger hätten sich statt des an Telekom-Sendemasten erinnernden "Schellen-Baums" einen richtigen Kirchturm und zumindest eine klangvolle, unüberhörbare Glocke gewünscht, so wie man es selbst aus winzigen, nur wenige hundert Seelen zählenden Dörfern her kennt. Ein, wenn auch bescheidenes, doch durchaus würdiges Glockentürmchen erhielt z.B. die von mir im Frühjahr 2008 fotografierte winzige Kirche in Cuxhaven-Duhnen (rechts).
    Angesichts dessen, daß es in dem 9.000-Seelen-Stadteil bisher sonst keine Kirchenglocken gab, ist der Mast jedoch eine erfreuliche Innovation; ob und inwieweit Nichtchristen die auch gespielten weltlichen Lieder kennen, ist unerheblich, und wenn einmal "Der Mai ist gekommen" oder eine schöne Mozart-Medlodie erklingen, so stößt sich das keineswegs mit dem Gedanken christlicher Liebe und verständnisvoller Toleranz - ganz im Gegenteil, sind wir doch gottseidank nicht mehr im Mittelalter, wo es einen Tatbestand der Ketzerei gab, die mit Folter und Verbrennung geahndet wurde.
  10. Ein Teil der Arbeit in der ca. 2.500 Medien-Einheiten umfassenden, allen Bewohner/innen des Richtsbergs gewidmeten Bücherei besteht in Auswahl, Kauf und Einarbeitung der Neuerwerbungen. Neben Katalogarbeit und Bestandspflege ist die Ausleihe von zentraler Bedeutung: sie soll so benutzerfreundlich wie möglich vonstatten gehen. Das bedeutet regelmäßige Öffnungszeiten, persönliche Beratung und größtmögliches Eingehen auf die Entleihwünsche. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen organisieren auch Veranstaltungen für Kinder und Erwachsene (wie die bereits erwähnten Lesungen).
  11. In einem OP-Artikel vom 28. Mai 2008 meldet Björn Wisker, das DOIZ sorge in Zusammenarbeit mit dem Lessing-Kolleg dafür, daß möglichst alle eingewanderten russischstämmigen*) Bürgerinnen und Bürger Wichtiges erfahren über "Land, Leute, Kultur und Sprache", wobei nach Norbert Kern, dem Regionalkoordinator des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, "auf die individuellen Bedürfnisse der Richtsberger eingegangen" werde. Im Zuge des seit 2005 geltenden Zuwanderungsgesetzes sei ein solcher Kurs nichts Neues, doch sei die Art und Weise der Durchführung (nämlich eine Schulung im direkten Lebensumfeld) einzigartig. Der Unterricht umfasse 645 Stunden und schließe mit einer standardisierten Prüfung ab. Ziel sei das "Zertifikat Deutsch" auf dem Wege zur deutschen Staatsbürgerschaft. "Gebrauchen Sie weiterhin Deutsch", habe Norbert Kern empfohlen. Kein Kurs könne das tägliche Gespräch mit Nachbarn und Schulfreunden ersetzen. Doch viele, das beobachte ich täglich, sprechen weiter Russisch, sei es im Hausflur, auf dem Parkplatz, im Einkaufszentrum. Da stoßen sich Wunsch und Wirklichkeit.
    *) früher war dagegen noch flächendeckend von "Rußlanddeutschen" die Rede (vgl. oben Anmerkung (6)
  12. In rastlosem Einsatz für "seinen" Richtsberg kämpfte er bis zuletzt tapfer gegen den Krebs. Der 1946 geborene Walter Baudisch verstarb am 14. November 2008. Damit verliert unser Stadtteil einen seiner bedeutendsten Bürger. Kultur bedeutete für ihn kein bloßes Reden, sondern selbstloses Handeln mit dem Ziel, die Verhältnisse zum Wohle aller zu bessern. Idealisten wie Walter Baudisch sind selten; sie dienen uns als Vorbild. Alle Richtsberger, die ihn kannten, gedenken seiner in Ehrfurcht und Dankbarkeit.
  13. Niemand wird wohl bestreiten, daß in Marburgs größtem Stadtteil die Schaffung eines Ortsbeirates (der 2006 noch keinen eigenen Raum besaß) überfällig war. Jedoch lesen wir in der OP vom 29. November 2007 unter dem Titel "Preis für den Ortsbeirat Richtsberg zahlen die anderen Ortsvorsteher", die Marburger FDP sei , wie sich Fraktionschefin Gerlinde Schwebel erinnere, "von Anfang an gegen die Errichtung des Ortsbeirats Richtsberg" gewesen.
  14. Seinem Bildungs- und Reifegrad entsprechend kommentiert ein gewisser Jens: "Januar 7th, 2007 at 10:19 Dieses Video ist ein sehr gelungenes Beispiel das neue Model [sic!] der vorschulischen Bildung. Ein Kindergärtner erkundet mit seinen ihm vom Staat anvertrauten Schützlingen die Maarburger Heimat und singt lustige Kinderlieder. Danke Ursula von der Leyen!" (ebd.)
  15. Zum Thema Integration (oder, was man sich in bundesdeutscher Naivität darunter vorstellt) hier noch eine aktuelle Episode. Heute (28.11.2k7) begegnet mir im Aufzug eine junge (sie könnte meine Tochter sein) und sehr hübsche Muslimin mit ihren zwei reizenden kleinen Kindern. Ihre Einkaufstasche enthält einen Aktenordner und Schriftstücke. "Sind Sie wissenschaftlich tätig?" frage ich (theoretisch könnte sie ja Lehrerin oder Studentin sein). "Oder lesen Sie vor?" Nein, entgegnet sie, es handle sich um ein Projekt im Kindergarten. "Förderung der Muttersprache." - "Nicht Deutsch?" frage ich, "die Kinder müssen das doch gut können, wenn sie im Kindergarten nicht benachteiligt sein sollen." Ja, erwidert sie, Deutsch werde auch behandelt. "Ist dieses Projekt am Richtsberg angesiedelt?" frage ich noch, als wir die Außentreppe hinuntergehen (und sie den Kleinen in ihrer fremden Sprache Anweisungen erteilt). "Nein, überall in Marburg."
  16. "Eine Schule für 325 Kinder aus 25 Nationen feiert mit viel Musik": Die Astrid-Lindgren-Schule wurde im Mai 2008 40 Jahre alt (OP-Meldung vom 2.6.2k8)
  17. Mitschuld am Fehlen der sozialen Durchmischung tragen auch die am "Richtsberg" beteiligten Wohnungsbaugesellschaften. Als "stabilisierender Faktor" werde sie, wie wir zum Beispiel hier erfahren, "zwar propagiert, aber nicht durchgeführt". Ein mir gut bekanntes Geschäftsführendes Mitglied einer Gesellschaft gab vor Jahren in einer Email unumwunden zu, daß es bei der Wohnungsvergabe in erster Linie ums Geld gehe und man sich ansonsten zu wenig Gedanken mache.
    Die von mir geschilderten Probleme sind keine Seltenheit. In einer Stellungnahme des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Stuttgart vom 12.10.2001 (GZ: OB 6565-00) heißt es unter anderem: "Hinzu kommt, dass in den rund 20 000 Wohnungen der SWSG fast 50 % der Bewohner ohne deutschen Paß leben. Zieht man die 1- und 2-Personen-Haushalte ab, beträgt der Ausländeranteil in der Vormerkdatei rund 70 %. Damit ist es nur schwer möglich, die immer wieder geforderte soziale Durchmischung zu erreichen." (http://www.domino1.stuttgart.de/web/ksd/ksdarchiv.nsf)
  18. Die Ablehnung des Wohnungs-Standortes "Richtsberg" erfuhr ich während meiner Personalrats-Zeit an der Uni Marburg (1992-2000).
  19. Wenn einerseits Unsummen ausgegeben werden, um in Krisengebieten wie dem Kosovo, im Irak und in Afghanistan Polizisten auszubilden, hierzulande aber ebenfalls in "Krisengebieten" Polizeikräfte fehlen, ist das ein skandalöser Übelstand. In einen neuntausend Menschen umfassenden und zudem problematischen Stadtteil wie den "Richtsberg" gehört - an zentraler Stelle - mindestens eine Polizeistation, wo in drei Schichten mindestens je zwei oder drei Beamt/innen Dienst tun und von wo aus in regelmäßigen Abständen mit Funkgeräten und leichten Waffen ausgerüstete Fußstreifen entsandt werden. Nach dem Muster der englischen Bobbies sollten es qualifizierte Persönlichkeiten sein, denen die Bürger vertrauen und an die sie sich auch hilfesuchend und angstfrei wenden könnten. Eine solche Polizeipräsenz wäre viel weniger mit einem "Polizeistaat" zu assoziieren als etwa die in naher Zukunft anstehende, alle Bürger unter Generalverdacht stellende sog. Vorratsdatenspeicherung.
  20. Als 2004 die "Frage zur Drogenproblematik am Richtsberg" diskutiert wurde, lehnte, wie wir hier erfahren, Pit Metz von der PDS "den freiwilligen Polizeidienst zur Überwachung ab". Einig seien sich die Kandidaten aber letztendlich gewesen, "dass dieses Problem (...) nur im gesamtgesellschaftlichen Kontext angegangen werden könne". Solch schwammige Statements helfen nicht weiter.
  21. Ich denke in diesem Zusammenhang an "meinen" letzten Internationalen Sommerkurs 1993, als wir, knapp 3 Jahre nach der (Wieder-)Vereinigung, Weimar besuchten. Auch dort gibt es eine Kirche Peter und Paul. Jemand saß darin, trug eine kirchlich-leidende Miene zur Schau und sammelte. Nie vergesse ich das große Portal. Deplorabel wirkte es mit seinem verwitterten Holz, das wohl noch in vorsozialistischer Zeit den letzten Anstrich erhalten hatte (so wie viele Fensterrahmen, aus denen optimistische Gesichter schauten, während unten die neuen West-Autos standen). Mein Gott, dachte ich, einen Nachmittag und einen Eimer Farbe, und die Sache wäre "gegessen". Doch offenbar ist es viel leichter und einfacher, zu klagen, zu beten und zu hoffen. Wie sagte doch einstens so treffend der damalige Minister Norbert Blüm in Polen? "Wir haben zusammen gebetet, jetzt wollen wir auch zusammen arbeiten." Eben.
  22. Wie sehr sich das Fällen - hier völlig gesunder - Bäume auf das Landschaftsbild auswirkt, mögen meine obigen, im Frühjahr 2003 und im Herbst 2007 aufgenommenen Bilder zeigen.
    Eine unten links im gegenüberliegenden Haus wohnende Mieterin hatte sich angeblich über "mangelnde Sicht" beschwert; trotz meines bis zur Kasseler Geschäftsstelle reichenden Protests mußten die in der Ecke stehenden Bäume weichen (artbedingt paßten sie ohnehin nicht in das einheitlich zu gestaltende Landschaftsbild, wurde argumentiert - was können sie denn dafür?), und nachher mußten andere Bäume und Büsche auch noch "dran glauben". Nun ist alles frisch renoviert, übersichtlich, nüchtern und verwaltungskonform; es wird lange dauern, bis an dieser Stelle ein - hoffentlich nicht erneut vernichteter - Baumbewuchs das alte, liebenswerte Bild erneuert. WN22112k7
  23. "Die Religionen müssen alle toleriert werden und der Fiskus muss nur das Auge darauf haben, dass keine der anderen Abbruch tue, denn hier muss ein jeder nach seiner Façon selig werden", sagte Friedrich II (lt. Wikiquote) am 22. Juni 1740 auf die Frage, ob die katholischen Schulen in Preußen abzuschaffen seien; Voltaire bezeichnete in seinem Traité die Japaner als "am tolerantesten von allen Menschen", weil in ihrem Reiche zwölf friedliche Religionen angesiedelt seien ("les plus tolérants de tous les hommes: douze religions paisibles étaient établies dans leur empire.") Auch wird ihm folgende Aussage zugeschrieben: "Ich teile nicht Ihre Ansicht, aber ich würde bis zum Tode Ihr Recht verteidigen, sie zu äußern." («Je ne partage pas votre opinion, mais je défendrais jusqu’à la mort votre droit de l’exprimer.»). Es wäre interessant und aufschlußreich, solche Zitate mal in einem christlich-muslimischen Dialog auf dem Richtsberg zur Diskussion zu stellen.
  24. Voltaire soll ja auch gefordert haben "Toleranz nur gegen den Toleranten!".
    (1) Hierzu ein Ausschnitt "Um Antwort wird gebeten" aus der ZDF-Sendung "Frontal 21" vom 8. Dezember 2009 (Transkription und Links von mir):
    "Sehr verehrte türkische Regierung! Weil die Schweizer keine neuen Minarette mehr wollen, ist die Schweiz für Sie ein Land der Schande. Reiche Türken sollen ihr Vermögen aus der Schweiz abziehen, und ganz Europa unterstellen Sie eine faschistische Haltung. Aber wie tolerant sind Sie eigentlich, Herr Ministerpräsident Erdogan, gegenüber Andersgläubigen? Wie geht es den Christen in der Türkei? Dürfen Katholiken und Protestanten neue Kirchen, geschweige denn neue Kirchtürme errichten? Nein! Denn die Katholiken und Protestanten sind in der Türkei als Religionsgemeinschaften gar nicht anerkannt. Das sind nur die Griechisch-Orthodoxen und die Armenisch-Apostolischen. Katholiken und Protestanten haben in Ihrem Land keine Rechte. Sie dürfen keine Immobilien kaufen, noch nicht einmal erben; sie dürfen keine Neubauten errichten, sie dürfen kein Personal ersetzen und sie dürfen keine Gerichtsverfahren anstrengen. Die türkischen Behörden schlossen das letzte Priesterseminar vor fast vierzig Jahren, und weil neue Priester fehlen, sterben christliche Gemeinden aus - gerade in den ländlichen Gegenden der Türkei. Die kleine christliche Minderheit wird verunglimpft. Militante Nationalisten beschimpfen Papst und Patriarch als doppelköpfige Schlange. Christliche Würdenträger, klagt Bischof Padovese, hätten mit bürokratischen Schikanen zu kämpfen und würden sogar verfolgt. Auf den Bischof wurde ein Anschlag versucht - seitdem verläßt er sein Haus nur noch in Begleitung. Christen, Herr Erdogan, werden in Ihrem Land bedroht und sogar getötet - wie im April 2007 in Malatya. Bei einem Anschlag auf einen Bibelverlag wurden drei Christen zunächst stundenlang gefoltert und dann ermordet, darunter ein Deutscher. Die Täter, so die Polizei, hätten den Feinden des Islams eine Lehre erteilen wollen. Der Prozeß gegen die Attentäter läuft noch. Verehrter Herr Ministerpräsident Erdogan, wie würden Sie wohl reagieren, wenn derartige Verbrechen an Muslimen in Deutschland verübt würden? Auch Kanzlerin Merkel forderte Sie auf, mehr gegen die Intoleranz gegenüber Christen zu tun. Statt dessen, Herr Erdogan, kamen Sie nach Deutschland und erklärten vor tausenden Deutsch-Türken in Köln, Assimilation, also Anpassung, sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wie, Herr Ministerpräsident, halten Sie es mit der Menschlichkeit, mit den Menschenrechten der Christen in der Türkei?"
    (2) Während sich gerade in Deutschland viele Kulturschaffende und Politiker Gedanken machen, wie der wachsenden Islamisierung möglichst tolerant zu begegnen sei, erfahren wir am 23.12.2k9 in http://news.de.msn.com/, der einflußreiche islamische Gelehrte Yussuf al-Qaradawi hetze gegen die Christen. In der islamischen Welt müsse das Weihnachtsfest verboten werden, fordere der 83-Jährige in einer Fatwa, einem islamischen Rechtsgutachten.
    (3) Und hier noch etwas ganz Aktuelles zum Thema Toleranz / Parallelgesellschaften: heute (13.8.2014) gesehen in Facebook:
    "Andrew Walde: Beschimpft, bespuckt, bedroht: "Du bist tot!"
    Ich möchte all meinen Facebook-Freunden gern von einem Selbstversuch berichten. Montag, 11.8.2014, Berlin-Neukölln.
    Aus Solidarität mit den in Deutschland lebenden Juden, die in den vergangenen, die antisemitischen Übergriffen ausgesetzt waren bzw. sind, habe ich an meinem Auto zwei kleine Fan-Fähnchen. Eine schwarz-rot-goldene und eine israelische mit dem Davidsstern. Damit bin ich nach Neukölln-Nord gefahren, zu einem Termin bei der AOK. Ab Bhf. Neukölln zog das nicht nur irritierte Blicke nach sich, sondern an Ampeln auf Beschimpfungen. "Juden-Schwein", Mörder, Wixer ... alles dabei. Tür-Verriegelung runter. Aus insgesamt drei nachfolgenden Autos wurde ich gefilmt oder fotografiert. An einem Fußgänger-Überweg von türkischen oder arabischen Jugendlichen bespuckt. Wäre die Ampel nicht auf grün gesprungen, hätten sie mir die Fahne abgerissen. In der Karl-Marx-Straße: Geschäfte mit T-Shirts "Free Palestine" auf dem Gehsteig. Daran ein DIN A4-Zettel "10 Euro als Spende für Gaza". Weitere Shirts mit Kindern mit Kalaschnikov. Landkarten ohne Israel. Vor der AOK mache ich die Fahne lieber ab. Drinnen von über 30 Kunden nur zwei Nicht-Migranten. Da kann man nicht mal erzählen, mit der Hoffnung auf Verständnis. Noch ein kurzer Termin in Kreuzberg Ritterstraße. Ich fahre nicht über Kottbusser Tor. Zu lange Wartezeiten an den Ampeln. Angst. Angst? In Berlin?
    Am Straßenrand drei arabische Jungs. ca. 10 bis 12 Jahre. Sie bleiben wie angewurzelt stehen, zeigen auf die Fahne. Beschimpfen mich. Einer zieht sich vorn die Hose runter (Unterhose an). Ein zweiter zeigt auf mich und setzt die andere Hand an die Kehle. Weiterfahrt. Prinzenstraße. Ein Mann mit Vollbart bleibt stehen, läuft auf mich zu: "Du bist tot!" Grün.
    Ich fühle mich wie im Feindesland. In fremder Uniform hinter der Front abgesetzt. Im Krieg. Unfassbar. Ich bin in Deutschland im Jahr 2014. In der toleranten, multikulturellen Hauptstadt Berlin. Wahnsinn.
    Ich fahre nach Hause Richtung Britz. Jetzt noch den Falafel-Test. Ich halte direkt vor dem Imbiss in der Hermannstraße. "Was soll die Scheiße?" werde ich begrüßt. "Verpiss disch". Ok. Da hat sich jede Frage oder Diskussion erledigt. Den Test bei "meinem" Döner-Stand mache ich nicht. Weiß nicht warum? Weil er mich dann nie mehr bedient? Ich ärgere mich über mich selbst. Als ich einparke, bin ich sauer, verzweifelt, fassungslos. Ich kann einfach nach Hause fahren. Die Fahne abmachen. Nur noch "neutraler" Deutscher sein. Aber die Juden, die Israelis, die täglich an Leib und Leben Bedrohten? Die das nicht können. Und wie muss das erst 1933 gewesen sein. Wenn deine Heimat zum Feindesland wird ...? Wie soll das weitergehen? Ich empfehle dieses oder ähnliche Versuche allen Politikern und Journalisten, die sich die Welt schönreden und -schreiben. Setzt euch eine Kippa auf, tragt einen Davidsstern oder gar einen schwarzen Mantel. Und dann auf in die Vielfalt, Friedfertigkeit und Toleranz des Islam. Allein. Ohne Begleitschutz. Und dann diskutieren wir weiter. Ich fahre weiter mit der Fahne. Nicht immer und nicht überall. Aber in dem Bewusstsein, auf der richtigen Seite zu stehen. Shalom"
  25. Bis zu grenzenloser Überschätzung dessen, was man unter eigener Kultur verstand, gesteigerter Nationalismus führte in Deutschland bekanntermaßen zum Holocaust und zum Zweiten Weltkrieg, weswegen unser Volk seitdem für derartige Strömungen eine besondere Sensibilität entwickelt hat.
  26. Hier sind viele angesprochen: so z.B. der Magistrat (Verkehrsverein) in Sachen Public Relations, der Regierungspräsident in Gießen (und mitspracheberechtigte Gremien), wenn es um die Vergabe von Bediensteten-Wohnungen geht (die Weigerung, auf den durchaus attraktiven Richtsberg zu ziehen, darf nicht mehr hingenommen werden).

Links:

  1. Der Richtsberg in der Wikipedia
  2. Thomaskirche, Gemeindezentrum (neue, sehr gut gestaltete Website)
  3. Bürgerinitiative für Soziale Fragen (BSF)
  4. Richtsberg-Gesamtschule (Karlsbader Weg 3)
  5. Astrid-Lindgren-Schule (Sudetenstr. 35)
  6. Central-Christustreff
  7. SPD-Ortsverein Richtsberg / "Beste Politik für den Richtsberg"
  8. Tischtennisverein (TTV) Richtsberg
  9. Ballsportfreunde (BSF) Marburg-Richtsberg 1975 e.V.
  10. Wohnheim für studentische Familien, Am Richtsberg (Nr. 88, siehe oben)
  11. "Das wahre Leben" - Tobys Blog
  12. Die Grünen zum Richtsberg
  13. Einbürgerung (Informationen der Bundesbeauftragten)

Wird ergänzt.
Text:
(c) Wolfgang Näser * begonnen: 9.11.2007; Stand: 13.8.2014
Fotos und Scan: (c) W. Näser (2003 ff.)