DUDEN 1996 und 2000: Dokumente der Konfusion

oder: Ein DUDEN wird nicht besser, indem man neue Wörter aufnimmt

von Wolfgang NÄSER, Marburg (4.8.98 ff.; September 2000 ff.)

Allerdings kann man den neuen Duden irgendwie auch als kleines Humorbuch durchlesen.
(Rheinische Post, 10.9.98)

Die "Reformer" vertreten (und verbreiten) noch immer die Ansicht, die Schreibung und damit die durch jene repräsentierte Sprache werde nur ganz unwesentlich verändert; es seien nur wenige Wörter und Schreibeigenheiten betroffen und die Sprache werde durch dieses Regel-Werk einfacher und leichter erlernbar.

Diese Reform erwies sich als "Albtraum": nicht nur schafft und provoziert sie neue Unklarheiten1) , sondern setzt auch fragliche neue Paradigmen und lenkt damit - per Dekret - die Sprachentwicklung in zweifelhafte Bahnen. Dies wird umso deutlicher, je länger und intensiver man sich mit diesem Werk befaßt. Andererseits darf eine derartige (Kurz-) Analyse nicht ignorieren, daß sich einige Autoren des Reformwerks durchaus bemüht haben, einige Inkonsequenzen der bisherigen Schreibung zu tilgen, wobei sie - wie im Falle von [durch-, ein-]bläuen (DUDEN 1996, wie LEXER 1872) - bisweilen zu älteren Schreib-Stufen zurückkehrten.

Im folgenden analysier(t)e ich die 21. DUDEN-Auflage des Jahres 1996. Ende August 2000 erschien, mit 5000 neuen Wörtern und in übersichtlicherem Layout, die "22., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage" (1152 S.), in deren Vorwort es heißt:

"Die maßvolle Neuregelung hat das korrekte Schreiben erleichtert, ohne vertraute Schriftbilder drastisch zu verändern. Sie erhöht den Geltungsgrad von Grundregeln durch den Abbau von Ausnahmebestimmungen und Einzelfestlegungen; sie erlaubt in zahlreichen Fällen mehr als eine richtige Schreib- oder Trennweise, und sie toleriert einige wenige Schreibgewohnheiten, die sich im Laufe der Jahre gegen das geltende Regelwerk etabliert haben."

Meinen aus dem Duden '96 gewonnenen Beobachtungen füge ich in (|) die jeweilige Entsprechung der Neuausgabe (z.B. N224 = 22. Auflage, S. 224) hinzu. Zweitformen werden mit * markiert. Dabei wird sich zeigen, daß mit dem DUDEN 2000 zum einen viele Neuschreibungen zementiert wurden; andererseits wurden peinliche Primitivismen und Entgleisungen zurückgenommen und durch traditionelle Schreibung ersetzt und haben alle, die nach verläßlichen Sprachnormen suchen, nun oft die Wahl zwischen dieser und jener Schreibung: das berechtigt auch weiterhin die Frage nach dem Warum einer, wie zunehmend klar wurde, ebenso chaotischen wie gänzlich unnötigen Reform.
W.N., im September 2000
--------------------------------------
1) vgl. hierzu die ebenso lächerliche wie irrige Diskussion um das 'Maß Bier' und die Frage, ob der - für immerhin drei Länder zuständige - DUDEN auch einer dialektalen Aussprache Rechnung zu tragen habe. Vor allem aber "vernebelt" die neue "Rechtschreibung" in vielen Fällen (wie zum Beispiel Albtraum) die Wortherkunft (Alp = böser Geist) und raubt daher der in mehr als 1200 Jahren gewachsenen Sprache eine wichtige kulturelle Funktion.

Beispiel 1: stamm'kastrierende' Elision, so [nach Kurzvokal+ss] in den Varianten Bess|rung (Duden 161; N224); auch: Entschlüss|lung (254, N342; fälschlich analog zu Entschluss|losigkeit), Erdross|lung (257; *N347), Erst|klass|wagen (261, N352), Kass|ler (400, N533, vs. Essener, 263, N354); den Kürzern ziehen (442; N586); die Unser|n, das Uns|re (777, N1008; beachte hier auch die Konfusion hinsichtlich Groß-/Kleinschreibung!); Verwäss|rung (803, N1037)

Beispiel 2: Fremdwort-Übernahmen, so Payingguest  (556, N731; Zweitform Paying Guest erscheint oben am Seitenrand!). Von keiner (anglistischen) Sachkenntnis getrübt, möchte man meinen. Oder, mit einem BACHschen Passionstext gefragt: Wozu dienet dieser Unrat? Wozu? - Nicht gerade eine Hilfe für den Englischunterricht. Denn hier würde man diesen Begriff nach seiner funktionalen Struktur natürlich ebenso als zwei Lexeme realisieren wie *Cool Jazz (N266) oder *Minimal Music (N652).

Beispiel 3: unnötige Modifikation fachsprachlicher Ausdrucks-Komponenten. Auch hier ein neues Paradigma: nicht leitende Metalle (523, N590); entsprechend nicht lineare Verzerrungen? Hat jemand von den Reformern auch an die armen Berufsschülerinnen und -schüler gedacht und an die vielen Studierenden der Naturwissenschaften? Sollen nun all die vielen tausend Fachbücher auch umgeschrieben werden, nur um der unverantwortlichen Spielerei einiger Unbedarfter Rechnung zu tragen?

Beispiel 4: Tripelung von Buchstaben (übrigens keine Erfindung der Rechtschreibreform):

Das Deutsche kann unendlich viele und vielgestaltige Komposita bilden (*neue Orthographie):

Online|lern|programm 1)
*Round|table|konferenz 1a)
Di|elektrizität|s|konstante|n|tabelle 2)
Sozial|ver|sicher|ung|s|eigen|an|teil
Dividenden|be|rechnung|s|grund|lage
*Donau|dampf|schiff|fahrt|s|gesell|schaft
Schneid|kenn|linie|n|korrektur|schaltung 3)
Erd|öl|aus|fuhr|be|schränk|ung|s|maß|nahmen
Ein|kommen|steuer|jahres|aus|gleichs|formular
Sender|end|stufe|n|neutralisation|s|kondensator 4)
Gegen|takt|end|stufe|n|aus|gangs|impedanz|messung
--------------
1) Erste Schritte MS Windows 98, S. 4
1a) DUDEN 1996, 630
2) Beispiel: Brockhaus-Enzyklopädie 4 (1968), S. 716 r
3) Entzerrerschaltung für die Schallplatten-Wiedergabe
4) elektronisches Bauteil zur Vermeidung sog. wilder Schwingungen

Überdies neigt das Deutsche zu Konsonantenhäufungen ([du] plantschst = 1v : 9k; Schrumpfschlauch = 3v : 13k) und Mehrzeichen-Wiederholungen:

Plenar|arbeit, Polizei|einsatz, Antennen|entfernung, Körper|ertüchtigung, Sprecher|erkennung, Chor|orgel, Labor|ordnung, Aluminium|ummantelung, Hinterhaus|ausgänge, Protein|einnahme [Aussprache!], Fein|einstellung, Probe|betrieb, Bach|chor, Pferdedecke, Berge|gerät, Dampf|pfeife, Swapo|politiker, Rast|stätte, Lust|steigerung, Dienst|stelle, selbst|steuernd (=automatisch; dazu: *selbst|ständig 675, N883 f.), Computer|terminal, Pulver|verbrauch, Wasch|schüssel;

Solche Zeichenketten können auch spiegelbildlich (chiastisch) angeordnet sein:

Abstim|mittel, An|nahme, Bisam|mantel, Burg|graben, Durst|strecke, Erd|drehung, herunter|regeln, Marsch|schritt, Plastik|kiste, Spiel|leiter, Zentral|lager

Wenn nötig, galt aus ästhetischen Gründen (Schriftbild) in allen Lautumgebungen nur Zeichen-Verdoppelung; die wenigen Verständnisprobleme (Stilleben = Stil-Leben oder Still-Leben?), die auch Wortspiele provozierten (Buß- und Bettag: 'büßen' und ins Bett gehen), wurden in Kauf genommen. Als einzige Ausnahme galt:

[Regel 1] Folgt dem - am Anfang des Zweitwortes stehenden - Konsonanten ein weiterer, so muß er [als dritter] geschrieben werden, z.B.:

Sauerstoff + Flasche => Sauerstoffflasche;   Ballett + Truppe => Balletttruppe ;

[Regel 2] Dreifachsetzungen von Vokalen und Konsonanten bleiben erhalten, wenn bei Trennung am Zeilenende das dritte Schriftzeichen in die Folgezeile übernommen wird:

Schlamm-massen; Bett-tuch; Woll-lappen, Kenn-nummer, Schnee-eule.

Dieses klare, in kurzer Zeit erlern- und einübbare ästhetische Prinzip minimierte zugleich die als 'linkisch' empfundene Bindestrich-Setzung.

Nun gilt in allen Fällen die Verdreifachung als Regel (R 136, 63). Zooorchester, Seeelefant waren die ersten Beispiele, helllila (343) wirkt sehr putzig, Flussschifffahrt pompös, die Hawaiiinseln (339) sind der Gipfel des Absonderlichen. Wie die didaktische Erfahrung zeigen wird, sind solche - teils ohne Not (-ß|s- praktikabler als -ss|s-) generierte - "Drillinge" möglicherweise von Übel, doch bereichern sie unser Deutsch mit allerlei 'potthässlichen' Neu-Schreibungen; auch die Fachsprachen sind betroffen. Hier eine Liste der per Brainstorming sowie aus DUDEN und BERTELSMANN (B) gewonnenen Exemplare (*Fachwörter inbegriffen; wird erweitert):

*Ablassschraube (Öl-), *(Ab)sperrrad (696), Alleeeinfahrt, Ausschusssitzung, Balletttänzer / Balllokal (145), *Basssaite, Bestellliste, Betttuch, Bordellleiter, Brennnessel, *Brummmodulation, *Dasssatz, *Einstelllehre, Eisschnelllauf, Esssaal, *Fassspund, *Feinripppullunder, Flusssand, Fresssack (292), Fußballländerspiel (296), Genusssucht, Gerölllawine, Gewinnnummer, *Grammmol[ekül] (323), grifffest (325), *Gussstahl, Gussstein (B 445), Hafffischer (N445), *Halllautstärke, Haselnussstrauch (337), helllicht, Imbissstube, Kaffeeersatz (63), Kammmacher, Kennnummer, Kleeeinsaat(N546), Kleeernte (N546), Klemmmappe(N547), Kommissstiefel (420), Kompottteller (421), Kongressstadt, Kontrolllampe, Kreisssaal, Krepppapier, Kunststofffenster, Kussszene (N586), *Messsatz (489), *Messstelle, Metalllegierung, Metallleiste, Missstimmung, *nassschleifen, Nassschnee (N681), *Nulllage / *Nullleiter / *Nulllinie / Nulllösung (530), Nussschale / Nussschinken / Nussschokolade / Nussstrudel (531), Ölmessstab (N708), Pappplakat (63), *Passschraube, *Photogrammmetrie (gegen frz. photogrammétrie, Littré 5,1830), Presssack (N767), Pressschlag (N767), Pressspan (N767), Pressstoff (N767), Pressstroh (N767), programmmäßig, *Programmmusik (589), *Prozesssteuerung, Pufffenster, Rammmaschine (N790), Reißverschlusssystem (615), *Rennnabe, Rollläden, Rossschlachter (629), *Schallleiter (645), *Schelllackplatten, Schlammmassen, *Schlepppinsel (654), *Schlusssatz (656), Schlusssirene (656), *Schlusssprung, Schlussszene (656), Schmuckblatttelegramm (657), Schneeeifel [für: Schneifel, 659 (!)], Schneeeule (659), *Schnellladung (Akku-); schnelllebig (659), Schritttempo (663), Schrubbbesen (664), *Schwalllötung, Schwimmmeister, Seeerfahrung, Seeerze (672), Separeeeingang (-> 678), *Siffflöte (Orgelregister), *Sperrriegel 696), Stalllaterne, Stammmannschaft, Stammmiete, Stammmutter (704), stickstofffrei (63), *Stillleben, stillliegen (711), *Stimmmaterial, *Stimmmessung, Stimmmittel (712), Stofffarbe / Stofffetzen / Stofffülle (712), Stresssituation (716), Teeei, schussschwach (666), *Verschlusssache, *Verschlussschraube, *Verschlussstreifen (799), *Volllast (Ggs.: Leerlauf), vollleibig (809), *Werkstatttage (827), Werkstatttür, Wetttauchen, Wettteufel, wettturnen (828), Wolllappen, Wolllaus (836), *Zwangsstilllegung [e. Motors durch Unfall].

Damit entstehen Zeichen-Bandwürmer wie das besonders im Proportional-Satz sehr unästhetisch wirkende /mmm/, 'Säulen-Reihen' wie /lll/, 'Gartenzäune' wie /ttt/ oder sonstige 'Ornamente' wie /sss/ und /ooo/, die zwar interessant wirken mögen, jedoch den eiligen oder unkonzentrierten Schreiber möglicherweise zur automatischen Umwandlung von Doppel- in Dreifachschreibungen (Wollust => Wolllust) oder zur Viertlaut-Ergänzung (Essssaal) verleiten: für alle Korrektoren (vor allem die bedauernswerten Lehrerinnen und Lehrer) ein Novum. Die WELT vom 9.3.99 ergänzt hierzu:

Manche zweifelhaften Ableitungen und Schreibweisen, die durch die Rechtschreibreform legitimiert werden, verführen Schüler zunehmend zu eigenen Ableitungen nach demselben Muster. So taucht neben dem (jetzt erlaubten) "Tollpatsch" und "belämmert" als Neuschöpfung "Schlammmassel" auf ­ analog zur "Schlammmasse", die neuerdings mit drei "m" geschrieben werden muß.

Der fast aus der Mode gekommene Bindestrich dient als "Notnagel", um allzu lächerliche Tripelungen aufzulösen:

Bestell-Liste, Brenn-Nessel, Kaffee-Ersatz, Kamm-Macher (63), Kontroll-Lampe, Schiff-Fahrt*), Stickstoff-frei (63), Tee-Ernte, Woll-Lappen*), Zoo-Orchester
----------------
*) wirkt ebenso gekünstelt wie häßlich

Außerdem ist und bleibt unklar, wie die Fachbuch-Verlage auf diese reformerische 'Errungenschaft' reagieren: schließlich sind - ebenso wie in der Getrenntschreibung (s.u.) - aus systematisch-klassifikatorischen Gründen mehr Wörter betroffen als es sich die unbedarfte, praxisferne Reformer-Riege hat träumen lassen.

Beispiel 5: sinnlose oder kuriose (weil unnötige bzw. überflüssige) Neuschöpfungen bzw. *Varianten (=> auch Elision):

*Plantschbecken (571, N750; analog *plantschen, du plantschst ebd.: 9 Konsonanten, 1 Vokal!),*Toresschluss (744, N971); etwa Vorbild für *Kopfesschmerz, *Arschessausen?)

Beispiel 6: neue semantische Unschärfen:

6.1. durch Inkonsequenzen in bezug auf Groß- und / oder Getrenntschreibung:

- als ob er Wunder was getan hätte (auch N1083; Wunder = als Objekt oder adverbiell zu verstehen?)
- Anzeige gegen unbekannt (auch N1002; warum substantivische Komponente kleingeschrieben?)
- jedes Mal vs. nicht jedermanns Sache (383, N512; aber: je|des|ma|lig N512)

6.2. Trennbare Verben (z.B. hohnlachen, kopfstehen, radfahren) und zweigliedrige Verb-Wendungen (z.B. diät leben, recht haben) mit substantivischer Bedeutungskomponente werden standardisiert zu zweigliedrigen Wendungen aus Substantiv + Verb: auf den ersten Blick eine sinnvolle Vereinfachung, auf den zweiten insofern fraglich, als hier eine tiefenstrukturelle Identität der Beziehungen (syntaktischen Zuordnungen) postuliert wird, so in (*Varianten):

Diät leben (213, N290), Eis laufen (246, N332), aber: *delfinschwimmen (205, N281 wieder mit /ph/!), Hohn lachen (355, Erstform N478), Kopf stehen (428, N568), Maschine schreiben (479, N634; aber: das Maschinenschreiben, 75; N635), Pleite gehen (=werden! => 573, N752; aber: pleite sein (auch N752), wie: rechtens sein, 609, N797), Probe fahren /laufen /singen /turnen (=> 587, N770), Rad fahren (602, N788; wie Auto fahren 271, N198), Rad schlagen (603, N788), Recht haben (609, N797)
aber: schlafwandeln (auch N852), teilnehmen (auch N958).
Die lexikalischen und syntaktischen Tiefenstrukturen wurden hier auch in der Neuauflage teilweise nicht erkannt. Pleite gehen entspricht strukturell pleite sein, Probe fahren (eigentl. zur Probe f.) entspricht schlafwandeln (eig. im Schlaf w.); warum die Unterschiede? Gut hingegen finde ich die längst nötigen Korrekturen rechtens (=rechtmäßig Adj.) sein, Recht (=das Recht Subst.) haben.

Nach dem Muster der von Stephanus Peil angelegten Liste läßt sich anhand weiterer Beispiele aufzeigen, welche Inkonsequenz, Haltlosigkeit und Konfusion in der 21. und 22. DUDEN-Auflage (1996, 2000) der Schreibung "verordnet" werden. Je nach Fortschritt der lexikographischen Analyse und evtl. eingehenden Vorschlägen und Ergänzungen wird dieser Text laufend erweitert.

  1. Getrennt- und Zusammenschreibung (bes.: RS-Regeln 37-41, N42-48)

    "In der Geschichte vom verlorenen Sohn etwa ist es sehr wohl ein Unterschied, ob er 'wiedergefunden' oder 'wieder gefunden' wird.
    Stuttgarter Nachrichten 20.8.98

    Die neuen Regeln sind äußerst kompliziert, ihre Didaktisierung ist problematisch. Der - sprachgeschichtlich rückwärtsgewandte und gegen die Prinzipien des Sprachwandels durchgepeitschte - Trend zur forcierten Getrenntschreibung entfernt im DUDEN '96 (Klammer 'N...': Neuauflage) hunderte von Wörtern (z.B. wiedersehen) aus dem Sprachschatz und entzieht der Verschriftung ein probates Mittel der Unterscheidung. Zudem zeigen sich zahlreiche Inkonsequenzen. In bezug auf Tiefenstrukturen bzw. Funktionsklassen ergibt sich folgendes:
  2. Groß- /Kleinschreibung
    Die Reformer woll(t)en auch hier vereinfachen: wiederum mit dem Resultat neuer Konfusion.

    1. In präpositionalen Wendungen mit adverbieller Tiefenstruktur soll der substantivische Kern mit großem Anfangsbuchstaben markiert werden. In gewissen Fällen werden sie dadurch mißverständlich:

    -  wenn ich mich nicht kümmere, bleibt alles beim Alten (N155; behält der Vater alles?)
    -  so will ich allein im Stillen (Tätigkeit des Stillens?) mich freun (N930; => GRIMM, DWB 18, 2985)

    2. feste Fügungen bzw. mehrwortige (syntagmatische) Begriffe werden unterschiedlich behandelt:

    -  die hohe Schule [des Reitens] (355; N477); das hohe Haus (=Parlament; N477); aber: der Hohe Priester (N477 auch: Hohepriester), das Hohe Lied (N477 auch: Hohelied), aber: "ein Hohelied der Treue singen; bei Beugung des ersten Bestandteils getrennt geschrieben" (354, N477);
    - die englische Krankheit (=Rachitis, N339) / die Englischen Fräulein (251, N339; Frauenorden)
    - das d'hondtsche System (212, N289 auch: d'H-); potemkinsche Dörfer (581; N762 auch P-);
    - die spanische Wand / Spanische Reitschule (694, N907)

    3. Mit Eigennamen-Ableitungen gebildete Begriffe:

    3.1. nach Regel 94:
    -  die bachschen Kantaten, grimmschen 1) (326; N436 auch G-); vgl. grimmigen im sächs. Dialekt!] Märchen, hegelsche Philosophie (N456), konfuzianische Aussprüche (422, N561), molierische (500, N661) Charaktere, die neronische Christenverfolgung (520, N686; vgl. die tironischen Noten, 741, N967), pindarische Verse (569, N748), das plancksche Strahlungsgesetz (571, N750 auch P-), die schillerischen Balladen (N850), ein schopenhauerisches Werk (661; N865 auch S-), das tosische Schloss (745, nach einem ital. Schlosser Tosi; nicht mehr im Duden 2000)

    3.2. Nach Regel 96 entstehen u.a. folgende Peinlichkeiten (52):
    -  die heinrich-mannschen Romane
    -  die von-bülowschen Zeichnungen
    -  die la-fontaineschen Fabeln
    ----------------------------------------------------------------
    1) die Schreib-Reformer entblöden sich nicht, dafür das ('96 rotmarkierte) Lemma grimmsch einzutragen; man stelle sich nur vor, daß es unkommentiert in irgendeinem DaF-Vokabelverzeichnis auftaucht!
    ---------
  3. Wort-Trennung am Zeilenende oder: Mut zur Hässlichkeit 1)
    Die "revolutionäre" Reform-WT bietet erstaunliche, innovative Möglichkeiten der Konfusion (neue Sprachverwilderung), zugleich eine Menge neuer, reizvoller Sprachspiele. Der neue Duden perpetuiert auch diesen Schwachsinn.

    -  An der U-niversität (775, N1006) gab es viel Infilt-ration (369, N496). 
    -  Die Explosion der Pat-ronen (555, N730) verschreckte viele Tee-nager (733, N957).
    -  Der Studienrat meinte, das Quad-rat (598, N782) sei wichtiger als ein Kunstwerk.
    -  Was machten der Postrat und der Kast-rat (400, N534) in Kob-lenz (415, N553)?
    -  Nach der Schlusse-tappe (=> 264) fahre ich zur Schlosser-öffnung.
    -  Gib O-bacht (531, N701), da ist ein A-bort (91, N136) in der E-cke (263, N319)!
    -  Zusammenzu-cken (856, N1106) ist hier im Skript nicht vorgesehen.
    -  Die Verdi-ckung (790, N1023) an dieser Stelle gefällt mir nicht.
    -  Heute A-bend (88, N132) geht sie mit A-dalbert (96, N142) nach O-cker2)shausen [Stadtteil von Marburg].
    -  Motorola3)-Geräte und Nitrola-cke (=> 444, N588) suchen Sie hier vergebens.
    -  Der Nit-rolack (N693) hatte die Niethose verschmutzt.
    -  Geister, die spuken, spu-cken (701, N917) nicht, wenn ich sie mit Puderzu-cker (594, N778)
        lo-cke (462, N613).
    -  Häng die Ha-cken (331,  N445) an die Haken, wenn du die No-ckenwelle (526, N694) abgelegt hast!
    -----------------------------------------
    1) unvergeßlich bleibt mir - anläßlich einer Exkursion nach Saarbrücken (1975) Hans EGGERS' Vision
        künftiger Computer-Trennungen: Kulturinfiltration > Kult | urin | filtrat | ion
    2) vgl. hierzu O-ckerfarbe usw. (534, N704)
    3) US-Konzern, der Funkgeräte und Telefone herstellt
    * Warum stürzen in Schulen und Behörden die PCs dauernd ab? Weil sie die Zabel-Augst'schen
       Trenn-Algorithmen
    verarbeiten müssen.

    BERTELSMANN, Die neue deutsche Rechtschreibung", München 1996), erlaubt folgende alternative Trennungen (ohne Nachweis: Analogien oder Lexem nicht aufgeführt):

    -  Alla-bendlich (187) zeigt sich der Seee-lefant (849) als Prachte-xemplar (748) der Tierwelt.
    -  In Norda-merika (689) vere-lendet (971) die Bevölkerung unter der Grippee-pidemie 441).
    -  Späta-bends (874) erfuhr ich, die U-roma habe sich die Pulsa-der (762) verletzt.
    -  In der Koche-cke von Anneke steht das Ruma-roma, du Volli-diot.
    -  Ich kaufte den Saunao-fen in Sao Paulo.
    -  Der Messerwerfer war mit dem Messer-gebnis nicht einverstanden.
    -  Verona meint, sie sei kein Packe-sel (709), sie wolle sich nicht mehr vere-helichen (971).

    Wohl 'animiert' von ZABEL * Co., geht Marburgs OBERHESSISCHE PRESSE eigene, revolutionäre Trenn-Wege:
    -  "Doch jetzt bekommen die etablierten Politiker Konkurrenz aus der Blöde-lecke." (30.6.98)
    ------------------------

  4. Etymologie (s. auch oben):
  5. Fremdwörter:                 => Behandlung von griech. Buchstaben in Fremdwörtern europäischer Sprachen

    Die FW-Behandlung offenbart einmal mehr die Kultur oder Unkultur  einer Sprache. Die vergleichende Analyse zeigt, daß die Duden-Redaktion gut beraten war, in der 22. Auflage einige Ungereimtheiten zu tilgen; andererseits liegt gerade hinsichtlich des anglo-amerikanischen Bereichs noch viel im argen. Besonders kritisch wird es, wenn aus fremden Sprachen entstandene Fachtermini betroffen sind. Dem (noch 1996 favorisierten) Trend nach Gemischtschreibungen (z.B. Ethnografie) wurde verschiedentlich entgegengewirkt.

    1. (fakultativ inkonsequente) Transliteration aus dem Griechischen
    (aa) inkonsequenterweise bleibt nur /th/ : Ethnografie (264; N355 auch -f-), Fotolithografie (288, N387), *Fototherapie (567; N388 verweist wieder auf Ph-), *Orthografie (N714 hat als Erstform wieder -ph-);
    (ab) /th/ willkürlich umgesetzt: *Panter (N721 jetzt Zweitform!), aber Pan[en]theismus (547 f., N721)
    (b) nur /y/ bleibt: Fonotypistin (N385: jetzt ebenfalls Zweitform, s. die wieder erstarkte Phono-/Photo-Gruppe in N744 f.!);
    (c) nur /y/ und /th/ bleiben: Fotosynthese (566, N388, auch hier Zweitform, => N745)
    (d) Wechsel /f/ > /ph/: Saxofon (N840: Zweitform; siehe /ph/ in N744 f.); desgleichen Fon (N385/744), Fantasie (N366/742) usw.: Fazit: zumindest im Hinblick auf die Umsetzung des griechischen Phi (ph) kehrt der Duden 2000 zur traditionellen Schreibung zurück. Im ganzen ist festzustellen, daß hinsichtlich der Umsetzung griechischer Buchstaben (z.B. Phi > ph, Rho > rh, Theta > th) bzw. Zeichenketten (z.B. ai > ä) das Deutsche (wieder) weitgehend der klassischen Tradition folgt, während in anderen Sprachen (Niederländisch, Italienisch, Spanisch) ein (nahezu) völliger Ersatz durch Einzelzeichen vorgenommen und so der Ursprung der Wörter 'kaschiert' wird.

    2. falsche Übernahme aus dem Engl./Amerikanischen ('intuitive' Trennungen in Klammern):
    2.1.: Gretrennt- / Zusammenschreibung (*=Alternativen; DP=deutsches Pendant)
    -  (Zustands-) Adjektiv + Substantiv: Erstformen Blackpower (169, N234), Coldcream (193, N265), Cooljazz (194, N266), Comicstrip (N266), Commonsense (N266), Compactdisc (N266), Easyrider (235, N318), Fairplay (N364), Grandslam (323, N434), Happyend (336, N452), Hardcover (336, N452); Heavymetal (N456), Highend (N468), Highfidelity (N468), Highsociety (N468), Hightech (354, N468), aber: High Church (348, N468), Hotjazz (N481), Jointventure (N514), Latinlover (449, N595), Liveshow (N613), Minimalmusic (N652), Modernjazz (499, N660), Newlook (N698), Newage  (522; N689; Ne-wage?), Newlook (522, N689), Primetime (N768), *Publicrelations (N778), Shootingstar (N890); Shortstory (680, N890), Smalltalk (687, N899), Softdrink (N900), Softrock (688, N900); Steadicam (N923), Suddendeath (721, N942); DP: Russischbrot (634, N828), Sämischleder (638, N834), Softeis (688, N900).
    *** aber: first class (N378), First Lady (N378), First-Class-Hotel (281, N378), Pop-Art (N759), Golden Delicious (321, N430), Golden Goal (N430; syn. für => Suddendeath N942; das eine engl. Fremdwort wird auseinander-, das andere zusammengeschrieben, obwohl keine strukturell-semantische Differenz besteht); Lexeme wie Speedway(-Rennen, WAHRIG , Dt.WB 1977, Sp. 3445; => N909) wurden auch im 'Original' zusammengeschrieben (=> Webster's 3rd New. Int. Dictionary, Vol. III [Chicago u.a. 1976], p. 2190).
    -  (Partizipielles) Adjektiv + Substantiv: Erstformen Cornedbeef (N267), Missinglink (495, N654), Payingguest (556, N731), Runninggag (633, N828), Slidingtackling (687, N899), Standingovations (704, N921; Standingo-vations?)
    -  Adverb + (Verbal-)Substantiv: Freeclimbing (290, N390), Freejazz (N390), aber: Free TV (N390; warum?); Highriser (N468), Personalcomputer (N737; ist das ein Computer für das Personal?)
    -  Präposition + Substantiv: Crosscountry (196, N269)

    -  Partikel + Substantiv
    : Nonproliferation (N695)
    -  Zahlwort + Substantiv
    : Onestepp (N709), Twostepp (N987)
    -  Präposition + Substantiv
    : Preshave (N767)
    -  Verb + Präposition
    : Erstformen Hand-out (335, N450), Show-down (680, N890), Lay-out (N597), dagegen nur: Stand-by (704, N920)
    -  Verb + Gerundium (Subst.): Keepsmiling (403, N537)
    -  Objekt + Gerundium: Erstform Timesharing (741, N966)
    -  Subst. + Subst.: Erstformen (oder * ausschließlich): Beat1)generation (151, N210), Boatpeople (172, N239), Bottleparty (N243), Boyscout (N243), Cashflow (*N257), Centrecourt (N258), Cherrybrandy (N261), Chewinggum (N261); Countrymusic (*N268); Conceptart (N266), Cruisemissile (196, N269), Diningroom (*N294), Dinnerjacket *(N294), Drawingroom (nicht mehr im Duden 2000), Dreamteam (N305), Fosburyflop (N387), Gingerale (317, N425), Hairstylist (N446), Hardcover (N452), Homebanking (N479), Homelearning (N479), Hometrainer (N479), Hudsonbai (N482), Hughestelegraf (N482), Jamsession (N511), Kingsize (407, *N542), Lawntennis (N597), Mercurykapsel (nicht mehr im Duden 2000), Midlifecrisis (491; N649 ZF mit Bindestr.), Negrospiritual (N685; analog zu 'Negerkuss' N684?), Personalityshow (561, N738), Pressuregroup (N767), Rallyecross (604, N790), Rushhour (633, *N828), Salesmanager (*N832), Salespromoter (*N832), Shoppingcenter (680, N890), Sightseeingtour (682, N893), Squaredance (702, *N917), Timesharing (N966); Tradeunion (746; N973 ZF Trade-Union),
    aber: Yankee Doodle (839, N1086); Walkman (N1057), aber
    Walkie-Talkie (*817, *N1057)
    NB. unter Walkman versteht man i.d.Regel2) einen Kassettenspieler ohne Aufnahme-Funktion
    -  Komplexere Komposita: Erstformen Nofuturegeneration (526, N694, Nofutu-regeneration?); Dutyfreeshop (N317),  Openairfestival (N710), Preshavelotion (585, N767; Presha-velotion?); aber: T-Bone-Steak (*733, *N956), Grand Old Lady   /Man (N433)
    -  deutsch-englische Misch-Komposita: Erstformen Nonameprodukt (N695), Nonbookabteilung (N695), Nonfoodabteilung (N695), Nonstopflug (N695), Offshorebohrung (*N706), Offsprecher (N706), Offstimme (N706), Openenddiskussion (N710)
    ----------------------------
    1) übrigens wurde in dem "für Deutschland, Österreich und die Schweiz" gültigen DUDEN 1996 und 2000 vergessen, darauf hinzuweisen, daß Beat auch ein schweizer. männlicher Vorname ist!
    2) die japan. Firma SONY, die diesen Begriff (um 1980) prägte und auch rechtlich schützen ließ, dehnte ihn später aus auf den HiFi-tauglichen Kleinst-Cassettenrecorder "Walkman Professional" (WM-D6[C]) und diverse kleine DAT- und MiniDisc-Recorder. Nichtsdestoweniger wurde Walkman zum markenunabhängigen Synonym für den kopfhörerbestückten Kleinst-Cassettenspieler ebenso wie (in den 50er Jahren) Magnetophon für das Heimtonbandgerät.
    Fazit: Im neuen Duden 2000 setzt sich bis auf (unsystematisch selektierte!) Ausnahmen nun als jeweilige Erstform die falsche Zusammenschreibung der (meisten) englischen Fremdwörter durch und konterkariert damit das in Europa immer mehr geforderte generelle Erlernen des Englischen als Zweitsprache.

    2.2. lächerliche bzw. 'vernebelnde' Eindeutschungen:
    - Hillbillimusik neben Hillbillymusic und Hillbilly-Music (349, N468; gibt es noch mehr Schreibungen?);
    - Stepptanz (N926; < step 'Schritt'); jedoch: Steppdecke (N926; < steppen 'Stofflagen zusammennähen', das homonymisch konkurriert mit steppen 'Stepp tanzen', 709, N926); Missmanagement (495, N655; = Misswirtschaft N655), vgl. dazu Misswahl (N655)

    3. (in wenigen Fällen) falsche bzw. widersprüchliche Übernahme aus romanischen Sprachen:
    3.1. franz.:
    3.1.1. Schreibumsetzung: Fritteuse (293, N394) < friteuse (Littré 2,1902), aber: Pommes frites (578, N758); Portmonee (N760); aber: Portefeuille (579, N759); Bravur (177, N245); Kaprize (395, N528), Negligee (N684); EF Saisonnier (N831; vgl. frz. maladies saisonnières, Littré 6,1848), aber saisonal (636, N831)
    3.1.2. Getrennt- / Zusammenschreibung: Grandseigneur (N434), aber: Grand ouvert (N433), Grand Prix (323, N433)
    3.2. latein.: willkürliche Umsetzung des Stamm-Prinzips
    - Lizentiat, auch: Lizenziat (462, N613)
    - nummerieren (N700; < numerare), aber: Numerale (=Zahlwort, 530, N699)
    - potent, Potentat, aber: *potenziell (N762), Potenzial (N762; Potentialdifferenz 581 wurde in N762 mit /z/ angeglichen!); EF pretiös (585, N767) = preziös (ebd.), entsprechend Preziosen, aber auch Pretiosen (N767; was soll der Unsinn?); sequenziell / sequentiell (678, N887). Was Fachtermini (z.B. Potential) betrifft, hat sich auch hier der neue Duden 2000 die unzulässigen Schreibalternativen "bewahrt" und verstößt damit gegen die in diesem Sprachsektor unumgängliche normative Eindeutigkeit.

    4. außereurop. Sprachen: Nasigoreng (N681)

    5. inkonsequente Umsetzung mehrsprachig komponierter Fremdwörter:
    -  Varieteetheater (neben: Varietétheater, 786, N1018)
  6. Kommasetzung / Interpunktion.
    Es ist nicht mehr zwingend vorgeschrieben, wo in folgenden Beispielen Satzzeichen zu stehen haben:

Wird fortgesetzt; Kommentare und ergänzende Hinweise willkommen; Stand: 30.09.2006;
=> zur Rechtschreibreform-Hauptseite
=> zur Homepage