Jugendgewalt - die Schuld des Lehrers?

von Hilary Pitt, University of Kent at Canterbury, England

Diese Äußerung habe ich mehrmals gehört und jedesmal, wenn ich eine solche Meinung höre, fühle ich mich wütend. Jeder hat das Recht, seine eigene Meinung vorzubringen, aber als Tochter einer Lehrerin denke ich oft, dass man bei einer Frage beide Seiten anhören sollte.

Meine Mutter ist seit achtundzwanzig Jahren Lehrerin und hat sich in den letzten Jahren ständig über die Gewalt und das Benehmen ihrer Schüler beklagt. Sie hat in vielen Schulen gearbeitet und ist jetzt bei der schlimmsten Schule. In der letzten Woche hat sie mir von drei Schülern erzählt, die der Schuldirektor zeitweilig ausschließen musste. Dazu kommt noch die 7-Jährige, die während der Pause das Klassenzimmer kaputt gemacht hat.

Die Schule, in der meine Mutter arbeitet, ist allerdings keine besonders schlechte Schule. Zugegeben ist der Einzugsbereich der Schule nicht der beste in meiner Grafschaft, aber die Eltern der Kinder haben meistens eine Stelle und bekamen wenigstens bis zum sechzehnten Lebensjahr eine Ausbildung. Es ist ein typisches Gebiet der Arbeiterklasse.

Laut meiner Mutter sind die Klassen einfach zu groß, um Zeit mit allen Kindern zu verbringen. Sie hat derzeit fünfunddreißig neunjährige Kinder in ihrer Klasse. Unter diesen fünfunddreißig gibt es drei Unruhestifter, die ständig den Unterricht unterbrechen. Den größten Teil ihrer Zeit muss sie mit diesen drei verbringen, was sehr nachteilig für die anderen Kinder ist. Alle Schüler brauchen die Zeit und die Unterstützung einer Lehrerin bzw. eines Lehrers, weil sie oft keine Aufmerksamkeit von ihren Eltern bekommen. Meine Mutter würde den Schülern gern Aufmerksamkeit schenken, aber so viele Stunden an einem Tag hat sie leider nicht. Ein großer Teil des Lehrberufs heutzutage hat gar nichts mit Unterrichten zu tun. Sie muss viele Formulare ausfüllen und Zeugnisse schreiben, die die Eltern meistens nicht lesen.

Eines der größten Probleme der Kinder ist, dass ihre Eltern keine Zeit haben, mit ihnen etwas zu machen. Die Kinder bekommen Geld, um Videos oder Computerspiele zu kaufen, die meistens gewalttätige Figuren einbeziehen. Aufgrund dieser Computerspiele und Videos ist ihre Fantasie voll von schlechten Rollenbildern. Diese Rollenbilder führen zum schlechten Benehmen der Kinder in der Schule. Es wäre besser, wenn sie mehr Zeit mit Erwachsenen verbringen könnten, anstatt immer allein zu sein.

Manchmal scheint es, als ob die Unruhestifter sich schlecht benehmen, nur um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu erregen. Sie wissen, dass ihre Eltern immer bereit sind, sich über die Entscheidung eines Lehrers bei der Schule zu beklagen, weil sie nur den Standpunkt ihres Kindes vertreten. Sie wollen nicht hören, dass ihr Kind Probleme hat. Sie halten sich nicht für schlechte Eltern, sondern den Lehrer für nutzlos. Solche Situationen helfen nichts, weil sie für den Lehrer sehr frustrierend sind.

Im Großen und Ganzen könnte man viel Unruhe in den Schulen vermeiden, wenn die Eltern und die Lehrer zusammenarbeiten würden. Die Eltern müssen zugeben, dass es für den Lehrer unmöglich ist, alle Zeit mit einem Kind zu verbringen. Die Kinder müssen zu Hause lernen, wie sie sich benehmen sollen. Außerdem sollen die Eltern die Verantwortung für ihre Kinder ernst nehmen. Sie können nicht einfach dem Lehrer die Verantwortung für die Kinder übertragen. Die Hauptaufgabe eines Lehrers soll das Unterrichten sein, anstatt Kindern grundlegende Manieren zu lehren.

HTML: W. Näser 7/2000
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*) entstand als schriftliche Arbeit in meiner Übung "Wörter und Wendungen in der aktuellen deutschen Zeitungssprache" (Sommersemester 2000) anlässlich eines thematisch entsprechenden Artikels der "Oberhessischen Presse".