Jugendgewalt

von Anca Raluca Radu, Sibiu (Rumänien)

Die zwei Termini "Jugend" und "Gewalt" kommen nicht zufällig zusammen in diesem Kompositum. Es ist eine in der Psychologie bewiesene Tatsache, dass Jugendliche ihre Persönlichkeit dadurch zum Ausdruck bringen wollen, indem sie sich wie Erwachsene benehmen. Erwachsene sind ihr Vorbild. Und Erwachsene haben die Macht, eine Macht, die durch Gewalt ziemlich leicht zu erlangen ist. Der Stärkste ist der Mächtigste - dies glauben viele Jugendliche, für die Gewalt der einzige Weg ist, sich gegen andere Jugendliche durchzusetzen und sogar Erwachsene unter ihre Kontrolle zu bringen.

Diese Jugendlichen sind meistens weder besonders kräftig noch mutig, sondern nur machtvoll zusammen. Sie handeln nicht als isolierte Individuen, sondern in Gruppen (oder in Scharen). Vereinzelt handelt es sich um frustrierte oder schüchterne, sogar feige, Elemente, die andere einschüchtern, nur weil sie Angst haben, von den anderen eingeschüchtert zu werden. Angriff ist ihre beste Verteidigung. Verteidigung wogegen? Gegen ihre eigene Familie, bei der sie sich nicht beliebt und erwünscht fühlen, gegen die Gesellschaft, die ihnen keine Aussichten bietet außer Arbeitslosigkeit, Einsamkeit, Belanglosigkeit. Es kann nicht sein, dass allein Aus- und Übersiedler für die Jugendgewalt in Deutschland verantwortlich sind. Sie fallen zwar eher auf, weil ihr Handeln als destruktive Absicht, als mangelnde Bereitschaft zur Integration und als Undankbarkeit interpretiert wird. Dieses Problem gibt es aber auch in den Ländern, wo diese Leute herkommen, dieses Problem existiert in jedem Land, weil es hauptsächlich sozial bedingt ist. Armut, Arbeitslosigkeit und zerbrochene Familien gibt es in allen Gesellschaften, ganz zu schweigen von der daraus folgenden mangelnden Erziehung in der Familie und in der Schule. Ich habe keine Statistiken gelesen, aber in den meisten Fällen, über die ich gehört oder gelesen habe, handelt es sich um Jugendliche, die aus einem bestimmten, sozial ungünstigen Milieu stammen.

Andere Kinder und Jugendliche mögen zwar eine Gewaltbereitschaft haben, die durch Fernsehsendungen, Computerspiele oder Jugendmagazine leider nicht mermindert, sondern eher gefördert wird. Sie überschreiten jedoch die Hemmschwelle nicht, weil sie den Vorteil einer guten Erziehung und Anleitung haben, die ihnen unbewusst sagt, wo die Grenze liegt. Eine gewisse angeborene Gewaltbereitschaft lässt sich nicht verneinen. Ob es sich manifestiert oder in wie fern das passiert, das ist aber eine soziale Frage.

Die Lösung wäre dann die Abschaffung der sozialen Probleme. Eine Utopie! Es könnte allerdings sein, dass ein gefestigtes Selbstwertgefühl und die Gewissheit, dass man der Gesellschaft von Nutzen ist und dadurch die Anerkennung der anderen gewinnt, eine Antwort wäre auf die Frage danach, was gegen Jugendgewalt zu tun sei. Aufgaben in der Gemeinschaft, in der man lebt, besonders im Bereich der Sozialhilfe, wären für diejenigen, die dazu bereit sind, eine gute, lobenswerte Tätigkeit. Dieser Bereich bietet eine Vielfalt von Möglichkeiten: auf kleine Kinder aufpassen, mit ihnen Sport treiben, alleinstehende ältere Leute pflegen oder für sie einkaufen, kochen, putzen, waschen, Grünanlagen pflegen, Spielplätze einrichten, statt sie zu zerstören, sogar nur jeden Morgen frische Milch und Brötchen für Leute holen, die es entweder nicht selbst tun können oder die lieber etwas bezahlen, statt morgens früh aufstehen zu müssen. Diese Jugendlichen müssen eine Beschäftigung haben. Leider wollen es die meisten nicht oder die Gesellschaft selbst ist nicht bereit, ihnen diese Chance zu geben.

HTML: W. Näser 7/2000
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*) Dieser sprachlich und inhaltlich exzellente, diskussionswürdige Essay entstand als freiwillige Hausaufgabe in meiner Übung "Wörter und Wendungen in der aktuellen deutschen Zeitungssprache" (Sommersemester 2000) anlässlich eines thematisch entsprechenden Artikels der "Oberhessischen Presse".