Dr. W. Näser: Formen schriftlicher Kommunikation, SS 1992

Die Sprache als Baukasten: produktive (Verbal-) Präfixe und kombinationsfähige Grundverben
(zugleich ein Nachtrag zur Übung vom 5.5.92)
Anmerkung: untenstehende Aussagen, Beispiele und Listen basieren auf der Sprachkompetenz des Verfassers (Brainstorming) und sind also keinen externen Quellen entnommen.

1. Wie andere Sprachen kann auch die deutsche aus Präfixen und Grundverben (Verbalstämmen, verbalen Grundmorphemen) eine sehr große Anzahl semantisch neuartiger Präfixverben bilden, je nach dem individuellen Kontext. Dabei können sogar bestimmte Präfixverben als Homonyme zwei- oder mehrdeutig werden. Mehrdeutigkeit kann, bei demselben Wortkörper, auch durch Akzentverlagerung (vom Präfix zum Bestimmungswort hin) entstehen, was mit einer unterschiedlichen Bildung des Partizips Perfekt einhergeht:

Wenn wir mit der Fähre nach Brunsbüttel 'übersetzen [intransitiv], können wir das Gedicht ins Französische über'setzen [transitiv].
Wir sind mit der Fähre 'übergesetzt und haben dabei das Gedicht über'setzt.
Ich bin hier 'durchgefahren und habe später den Tunnel durch'fahren.
Das Gewebe war mit synthetischen Fastern durch'setzt, es hat sich im Markt nicht durchgesetzt.

Als Präfixe können dienen:

  1. Präpositionen (angeben, aufstellen, hinterfragen, überlaufen, untergehen etc.),
  2. Adjektive bzw. Adverbien (festlegen, reinwaschen, ruhigstellen, schönfärben etc.)
  3. Partikel (z.B. hinschreiben, weitersagen, wiederkommen; Grenzfall: teilnehmen)

Neben einfachen Präfixen gibt es auch kombinierte: diese bestehen aus zwei oder mehr aneinandergereihten Modulen in Gestalt von Präfixen, Adverbien oder Partikeln:

Anmerkung: nach der Rechtschreibreform werden vor allem adverbiale und komplexe Präfigierungen künftig aufgelöst: wiedersehen > wieder sehen; wieder|erlangen > wieder erlangen usw.

Besonders Verben der Bewegung (laufen, gehen) und der Ruhe (liegen, stehen), des Sagens (sprechen, schreien), Denkens (denken, planen, lieben, achten), und Wahrnehmens (hören, sehen, schmecken) können mit vielen Präfixen eine große Anzahl neuer Bedeutungen bilden.

Liste der Präfixe:

ab-, an-, auf-, aus-, aus|ein|ander-, be-, bei-, bei|ein|ander-, be|ob-, durch-, durch|ver-, ein-, ent-, ent|lang-, er-, fehl-, fest-, fort-, ge-, her-, her|aus-, her|ein-, her|über-, her|unter-, hin-, hin|aus-, hin|ein-, hin|über-, hin|unter-, hin|weg-, miß-, miß|ver-, mit-, mit|be-, mit|ver-, nach-, ob-, um-, un-, unter-, ur-, ver-, vor-, vor|bei-, vor|über-, vor|weg-, wieder-, wieder|er-, wider-, zer-, zu-, zu|rück-, zwischen-

(alphabetische) Auswahl von Grundverben:

-arbeiten, -binden, -bringen, -decken, -denken, -fallen, -fangen, -fliegen, -fließen, -fragen, -fügen, -führen, -geben, -gehen, -gleiten, -graben, -kommen, -kriechen, -laufen, -leben, -legen, -leiten, -lesen, -liegen, -machen, -reden, -rufen, -sagen, -schlagen, -schleudern, -setzen, -sprechen, -springen, -stehen, -steigen, -stellen, -sterben, -stimmen, -stören, -stoßen, -streichen, -tauchen, -teilen, -treiben, -werfen, -wickeln, -wühlen, -ziehen.

Wird ergänzt. Konzeption: Mai 1992 und Juli 2000 * HTML: (c) W. Näser 24.7.2000