Ergänzende Thesen zu den Anglo-Amerikanismen und zum gegenwärtigen Sprachwandel

Folgende Ausführungen waren ursprünglich Teil des Vorworts meiner im Dezember 2002 begonnenen Anglizismen- und Amerikanismenliste. Je nach Lage werden sie erweitert. Ich stelle sie zur Diskussion.

1. Mit Boogie-Woogie, Glamour und Sex-Appeal erfuhren die Deutschen erstmals den überflußbetonten American Way of Life. Inzwischen sind so gut wie alle Bereiche unseres Alltags und unserer Kultur (bis hin zur kommerzialisierten Erotik) mit Amerikanismen durchsetzt. Das betrifft nicht nur einzelne Begriffe, sondern auch die Struktur idiomatischer Wendungen und ganzer Sätze. Ursache ist einerseits die Aufnahme neuer, (noch) nicht eigensprachlich benannter Begriffe (z.B. Cheerleader, GPS, lynchen, Muffins), andererseits der stetig zunehmende -> Trend, alles, was irgendwie "geht" (z.B. Referee statt Schiedsrichter, clever statt gewitzt), englisch (bzw. amerikanisch) auszudrücken - und täglich kommt Neues hinzu. Grund ist einerseits die dem (allen Sprachen eigenen) Trend zur sprachlichen Ökonomie entgegenkommende Kürze und Prägnanz des Englischen (der Titel "Love is in the air" klingt anscheinend zupackender als sein Pendant "Liebe liegt in der Luft", "enter command" direkter als "Geben Sie einen Befehl ein"), andererseits wird der andersartige Sprachklang als besonders "chic", als "trendy" empfunden (vor allem wenn man sich - wie in der Szene - abgrenzen will) oder dient - wie Convenience-Produkte - zur euphemistischen Verschleierung (wer würde schon ein Nobel-Restaurant besuchen, in dem Aufwärmspeisen zubereitet werden?).

2. Die modernen Medien treiben diese Entwicklung unaufhaltsam voran; fast 90 Prozent aller Spielfilme und Serien stammen aus den USA und werden (wie z.B. Die Zwei mit Curtis + Moore) bisweilen Zeitgeist-gemäß nachsynchronisiert. In solchen Filmen geht es nicht selten um menschenverachtende Diskriminierung, Brutalität und nackte Gewalt; aus Vierteln des Elends und Verbrechens (mit deren Lebensweise und Problemen wir gnadenlos bombardiert werden) gelangen Wörter wie Bullshit und Motherfucker in das Sprachbewußtsein auch unseres jugendlichen TV-Publikums, das es verdient hätte, in anspruchsvollerer Form unterrichtet und für ihr eigenes soziales Umfeld sensibilisiert zu werden. Andererseits dienen sprachlenkende Neologismen wie Anti-Terror-Krieg, Kollateralschaden, daisy cutter, Enduring Freedom usw. der Verschleierung kritischer, oft erschreckender Tatbestände.

3. Reizüberflutung und Lebenshektik wachsen ins Unendliche: dies läßt weder Zeit noch Raum zum Verweilen, zum Bewußtwerden, zum Nachdenken; vieles wird unreflektiert nachgeplappert und verdrängt mindestens ebenso gute, wenn nicht bessere eigensprachliche Benennungen und Ausdrucksformen; zudem wirkt dieser Prozeß auf das Denken zurück. In einer Zeit wachsender Verflachung und Verrohung verarmt die Sprache, wird zumindest teilweise zum Sprachrohr eines kompromißlos auf Profitmaximierung ausgerichteten, globalistischen Turbo-Kapitalismus, in dem Menschlichkeit, Naturverbundenheit und geistiger Tiefgang nichts mehr zu suchen haben. Sex, drugs and Rock'n Roll werden in Jugendsendungen nicht selten thematisiert, andererseits wird - im Zeichen einer über den Großen Teich re-importierten neuen Prüderie - das noch in den siebziger Jahren als natürlich Empfundene zum Schein neu tabuisiert, um es - mitsamt eines wohlüberlegt ordinären, entwürdigenden Wortschatzes - via Internet oder Telefon-Sex bei Milliarden-Umsätzen maximal vermarkten zu können, und auch der -> human touch ist nur dort angebracht, wo er dem -> big business nützt. Business as usual selbst im Angesicht von Trauer und Verzweiflung, denn The show must go on. Bei dieser Oberflächlichkeit hat europäische Kultur verloren.

4. Unsere Nachbarn, die Franzosen, wissen ihre Muttersprache zu pflegen und vor barbarisierenden Einflüssen zu schützen. Wir Deutsche dagegen behandeln sie wie einen Schuhputzlumpen, einen Wegwerfartikel. Die sprachbewußten Forscher und Lehrer müssen hilflos ansehen, wie jede neue moderne Begrifflichkeit alsbald in eine englische oder englisch anmutende Worthülse verpackt wird, wie Werbung, Sportsendungen und anderes mit rhythmisch aggressiven englischen "Songs" unterlegt werden und so das hektisch-oberflächliche amerikanische "Feeling" per Kabelfernsehen und Satellitenschüssel selbst dem letzten Hinterwäldler eingeimpft wird. Den Moderatoren in Deutschlands Schulstube Nr. 1, dem Fernsehen, scheint korrekter Sprachgebrauch mehr und mehr egal zu sein, sie reden unreflektiert und kariert daher, da besteht man auf die Einhaltung von Verträgen, da werden Partizipien falsch gesetzt und wird korrekte Kongruenz zur Glücksache. Unsere Sprach- und Kulturverderber reden uns ein, nur auf der Basis großer finanzieller und apparativer Ressourcen und durch eine Änderung des Schulsystems sei die (schon von A. Picht prophezeihte) Bildungskatastrophe zu überwinden, anstatt sich an die frühen 50er Jahre zu erinnern, als auf zerfurchten Holzbänken in Räumen, wo der Putz von der Decke fiel, systematisch Grammatik, Stilistik und Mathematik gepaukt, Literatur, Naturwissenschaften, Kunst und Musik vermittelt und Zeugnisse erarbeitet wurden, deren Noten dem wirklichen Können und keinem Wunschdenken entsprachen.

5. Die wachsende sprachliche Unsicherheit und eine Existenz in kulturellem Niemandsland schaffen Minderwertigkeitsgefühle und damit gravierende soziale Probleme. Werteverlust und Desorientierung werden zur Ursache wachsender Gewalt. Multi-Kulti ist weder ein soziales Allheilmittel noch ein Ersatz für fundierte Bildung in der eigenen Landessprache und -kultur.

6. Ohne Sprachbewußtsein keine Sprachkultur. Sprachbewußtsein erwirbt man nicht in Schnellkursen oder im Sommerschlußverkauf, es resultiert aus langem, beharrlichem und vor allem motiviert-beobachtendem Lernen. Motivieren kann nur, wer als Lehrer begabt ist, das fachliche Rüstzeug besitzt und nicht durch organisatorische Katastrophen am Lehren behindert wird.

7. Es dürfte wohl klar sein, daß Deutschlehrer ohne exzellente Grammatikkenntnisse und ohne die Fähigkeit zu feinfühliger Sprachbetrachtung eher Müllwerker der Sprachkultur sind und ein guter Deutschunterricht nicht in einer Klasse stattfinden kann, die zu 90 oder gar mehr Prozent mit sogenannten Migranten besetzt ist, deren Eltern oft nicht das geringste Vermögen bzw. Interesse besitzen, ihre Kinder im Erwerb unserer Sprache und Kultur zu unterstützen. In den letztens vielerwähnten Parallelgesellschaften herrscht oft der Vater wie ein Pascha, wird die Mutter als Gebärmaschine mißbraucht und dumm gehalten, werden die Kinder kulturell separiert (oft sogar vom Schulbesuch ferngehalten) und müssen dann die mangels sozialer Interaktion entstandenen sprachlichen Defizite in Schulen ausbaden, in denen eine wachsende Kriminalität zur ernsthaften, aber oft noch immer verkannten Gefahr wird. Jedes Kind aber, ganz gleich welcher Herkunft, hat hierzulande das Recht, die deutsche Sprache optimal in Wort und Schrift zu erlernen und im Rahmen seiner durch Geburt erlangten deutschen Staatsbürgerschaft unsere Kultur so zu erwerben, daß es Freude macht, sich in ihr zu bewegen. Als sozialer und kultureller Raum, als Raum der Toleranz, des Sich-Verstehens und des Friedens kann eine Nation nur dann sich entwickeln und bestehen, wenn dafür die nötigen mentalen und vor allem sprachlichen Ressourcen geschaffen werden, wenn jeder Mensch in dieser Nation befähigt wird, relevante Sachverhalte (vor allem soziopolitische) zu verstehen und sich auszudrücken. Diese Fähigkeit darf nicht beeinträchtigt werden: weder durch soziale noch durch finanzielle, politische, religiöse oder sonstige Schranken.

8. Logisch klares, analytisches und kreatives Denken kann nur erfolgen auf der Basis adäquater sprachlicher Bildung. In einer jeden Nation muß die ihr zugehörige Verkehrs- und Bildungssprache erste Priorität genießen und müssen ihrer Vermittlung und korrekten Verwendung alle Aufmerksamkeit und Hilfe zuteil werden. Ein sprachlich gut ausgebildeter junger Mensch ist zugleich ein mündiger Bürger und damit befähigt, seinen Platz kritisch, in Würde, mit innerem Gewinn und zum Wohle des Gemeinwesens auszufüllen. Eine Sprache, die sich ohne Not und in sich anbiedernder Weise mit fremden Elementen durchsetzt, gebraucht bald nur noch solche Fremdvokabeln, und wichtige Schriftdokumente selbst der jüngsten Vergangenheit werden von vielen nicht mehr verstanden.

9. Das immer wieder - auch von kulturell verantwortlicher deutscher Seite - vorgetragene Argument, das Englische sei schließlich die Weltsprache und es empfehle sich deshalb, englische bzw. angloamerikanische Ausdrücke bedenkenlos als Internationalismen (wie NATO, UNO, UNESCO) aufzunehmen, läßt sich nur dann stützen, wenn es sich - wie z.B. in der Sprache der Datenverarbeitung - um Fachtermini handelt; im übrigen hat das Spanische mindestens dieselbe Sprecherzahl wie das Englische, und niemand käme deshalb auf die Idee, so viel wie möglich spanisch auszudrücken (auch wenn dies vielleicht - olé - ganz reizvoll wäre). Wird das Anglo-Amerikanische auch zur Welt-Kultursprache?

Wird ergänzt. (c) W. Näser 2002-2005