Vor
mehr als fünf Jahren, genau genommen Anfang 2013, habe ich
an dieser Stelle anläßlich meines
vierzigsten Doktorjubiläums zu schildern versucht, wie ich auf recht
verschlungenen Wegen zur Wissenschaft kam und damit zu der Ehre, an der Alma
Mater Philippina zu studieren, zu promovieren und mehrere Jahrzehnte
lang auch zu lehren. Heute, wo ich (leider) mit Riesenschritten, sozusagen
accelerando, einem Alter entgegeneile, in dem ich meinem Schöpfer
für Leben und Gesundheit zu danken habe, möchte ich mich hier erneut
zu Wort melden.
Anlaß ist eine, wenn auch (hoffentlich) nur 24 Stunden währende
Sperre in Facebook, dem weltweit größten sogenannten
Sozialen Netzwerk. Was hat denn das mit Wissenschaft zu tun, könnte
man jetzt einwenden. Viel, erwidere ich, sind hier nicht nur auch viele
prominente Frauen und Männer der Wissenschaft zu finden, sondern eignet
sich dieser mit immerhin zwei Milliarden Menschen (davon 1,2 Milliarden
täglich aktiven) Teilnehmer/innen bevölkerte Raum hervorragend
für vielfältige Studien der Verhaltensforschung, finden
sich hier doch Angehörige aller denkbaren Ethnien, Temperamente,
Altersstufen und Schichten - in meinem Falle immerhin rund 4.300 Freund/innen
und Bekannte. Freunde kenne ich persönlich und / oder kann mit ihnen
fruchtbar und auch bisweilen kontrovers diskutieren, Bekannte
trifft man dann und wann, oft setzen sie nur ein Häkchen ("Like") und
bekunden damit wohlwollendes Interesse oder auch Ablehnung.
Facebook ist ein relativ junges Kind des Internets, das, wie ich noch erlebte,
in den Anfangszeiten als rechtsfreier Raum galt, was nicht zwingend
oder ausschließlich als "anarchisch" zu deuten wäre, sondern im
Idealfall als kreatives, nicht durch knebelnde Gesetze eingeschränktes
Biotop. Mit den Jahren wurde das World Wide Web zum größten
kommerziellen Netzwerk unserer Erde und lebt Facebook von der Präsenz
seiner Nutzer/innen. Je mehr davon, desto mehr Werbung. Wir als FB-User
stehen unter lückenloser Beobachtung. Wenn ich heute nach
Schließzylindern recherchiere und ob diese für eine externe
Batterietrennung meines alten Autos taugen, werde ich tags darauf im
Facebook-Hauptbereich gefragt, ob ich mich auch für bestimmte
Schließzylinder interessiere.
Warum diese Sperre? In meinem Falle wegen eines Adjektivs, nämlich
der Farbe Schwarz, die in einem harmlosen, scherzhaften Posting (das
schwarze Monster von Loch Ness ist wieder da) von dem übereifrigen
Mitarbeiter einer hundertefach bevölkerten Löschzentrale offenbar
als "rassistisch" misinterpretiert wurde - ich hätte es nicht für
möglich gehalten, daß mir als Germanisten bei sorgsamster Wortwahl
in tausenden von Postings doch noch so etwas widerfahren würde. Aber
man lernt ja nie aus und sollte die Dummheit gewisser Mitmenschen niemals
unterschätzen.
Sperre. Man kann alles (noch) lesen, darf aber nichts schreiben (auch
keinen Geburtstagsglückwunsch), keine Fotos oder Audio-Samples hochladen,
nicht einmal ein "Like", selbst nicht (mehr) eine Nachricht an die "Admins"
absetzen. Ein perfekter Maulkorb. Gab es schon mal in gar nicht weit
zurückliegender Vergangenheit, unter einer braunen und später roten
Diktatur. Wollten wir eigentlich nicht mehr haben. Ja, man kann viel wollen,
ist noch eine gewisse Freiheit. Und die Gedanken sind ja angeblich frei und
man könne sie nicht erschießen, sagt ein wunderbares Volkslied.
Doch was vermögen solchermaßen freie Gedanken, wenn sie, eingesperrt,
nicht nach außen dringen und sich mit anderen, vielleicht kontroversen,
auf fruchtbare Weise messen können?
Dieser Text ist kein Generalangriff auf Facebook, sondern eine Warnung
vor Fakten und Tendenzen, denen wir tagtäglich begegnen.
Zensur tötet. Die Gedanken sind
frei - noch, sage ich, weil man - und das ist keine Utopie - bereits
daran arbeitet, sie eines vielleicht gar nicht mehr so fern liegenden Tages
meßtechnisch dekodieren zu können. Freie Gedanken sind
das Kern-Element eines menschlichen Zusammenlebens, das wir seit dem
griechischen Altertum Demokratie nennen. Herrschaft des Volkes, in
einem Volk von mündigen Bürgerinnen und Bürgern, die
ohne Gefahr für Leib, Leben, Gesundheit und Sicherheit ihre Meinungen
kundtun und sich darin mit anderen Menschen austauschen können, auch
wenn diese Meinungen auch noch auf den zweiten Blick fragwürdig und
möglicherweise gefährlich erscheinen - im letzteren Falle ist das
dringend vonnöten, was man - ebenfalls in Verfolgung alter Rede-Techniken,
als Überzeugungskraft (persuasio) bezeichnet. Überzeugungskraft
durch Worte, nicht durch Waffen. Wie aber diskutieren, im
Gedankenaustausch voneinander lernen, auf Fehler hinweisen und diese
überzeugend lindern oder gar beseitigen, wenn dazu der nötige
Freiraum fehlt? Wenn vorgeschrieben wird, was politisch korrekt,
also (noch) vertretbar ist und was auf den Index der Meinungen gehört?
Ohnmacht als Prinzip? Meinungsdiktatur ist
möglicherweise die Vorstufe einer Staatsform, die in der Verbrennung
von Büchern, der Verfolgung Andersdenkender, in Folter, Haft, Vernichtung
endet; wir haben es millionenfach erlebt und wollten doch für immer
aus unserer Geschichte lernen. Freiheit ist stets auch die Freiheit des
Andersdenkenden. Eine durch Verbote, Überwachung, Sperren sabotierte
Freiheit ist nur noch die der gnadenlosen, menschenfeindlichen
Überwacher, die alles andere im Sinn haben als das Wohl der ihnen
Anvertrauten, und das sind wir doch alle, die jene gewählt haben, welche
uns in Parlamenten und Ãmtern, also in allen hoheitlichen Funktionen
vertreten. Sie haben einen Eid geschworen, Schaden von den ihnen anvertrauten
Staatsbürgerinnen und -bürgern fernzuhalten und das Wohl des
Staatswesens zu fördern, dem sie in unserem Auftrag zu dienen
haben.
In einer funktionierenden Demokratie gibt es immer ein Spektrum von
Meinungen, von ganz "links" bis ganz "rechts", und eine wirklich
gesunde Demokratie muß das aushalten, damit zurechtkommen. Wenn
mir etwas mißfällt und ich Grund genug habe, sollte ich es aussprechen
dürfen. Und wenn eine Demokratie aus dem Ruder zu laufen droht,
etwa wenn mit zweierlei Maß gemessen wird und die Gerechtigkeit
in Gefahr ist, muß ich meine Ansicht kundtun und bin ich zum Widerstand
verpflichtet - zumindest einem gewaltlosen, verbalen. Dazu habe ich denken
und angemessen sprechen gelernt, dazu darf und muß ich mich des
reichhaltigen Instrumentariums einer in mehr als tausend Jahren zum Kunstwerk
herangereiften Sprache bedienen, des Wichtigsten, das uns Menschen
von der Tierwelt abhebt und dazu dienen sollte, unsere Menschen- und die
Tier- und Pflanzenwelt optimal zu verstehen und zu fördern.
Eine Facebook-Sperre. Für einen Tag, im Wiederholungsfall für
drei, dann dreißig; im Extremfall droht die
Zwangs-Löschung des gesamten Accounts mit allen Freundschaften,
möglicherweise tausenden von Messages, Bildern, Tondateien, und dies
für immer. So gnadenlos wie selbst manches Urteil nicht in Fällen
von Schwerkriminalitüt. Wie kommt diese Sperre zustande, wenn viele
meiner "Postings" lediglich im Umfeld meiner "Freundschaften" erfolgen? Es
gibt immer zwei Möglichkeiten, auch hier: entweder sind es wenig
schmeichelfaft als "Melde-Muschis" titulierte, offenbar pathologisch besorgte
Schein-Freund/innen oder vorauseilend gehorsame Angehörige von
Lösch-Zentralen, die in den letzten Jahren besorgniserregend
ins Kraut geschossen sind und zunehmend wohl mit Leuten besetzt werden, die
zwar der deutschen Sprache in ihren Nuancen kaum mächtig sind, doch,
nach allerbester CIA-Manier, Meister im Suchen verdächtiger
Begrifflichkeiten, die terroristische oder diffamierende Absichten vermuten
lassen. Und dann wird zugeschlagen, egal ob man sich (wie in meinem Falle)
entschuldigt oder nicht.
Peanuts, sagen die, welche Facebook als Firlefanz und nutzlose
Zeitverschwendung abqualifizieren. Peanuts in einer Zeit bedrohlich wachsender
Tendenzen von Argwohn und Verdächtigung? Der schlimmste
Feind im ganzen Land, das ist der Denunziant, hieß es doch früher
in alles andere als rosigen Zeiten deutscher Geschichte. Haben wir das vergessen?
Sollten wir nicht, wenn uns das Staatswesen, in dem wir zu leben die Ehre
haben, und seine Zukunft etwas wert sind. Denn wir alle sind der Staat,
l'état, c'est nous, und gerade in diesem Sinne darf sich der
Umgang mit Datenkommunikation für uns alle, ob Professional oder
Nur-Nutzer, nicht beschränken auf Wischen, Tippen, Spielen und
"Simsen", sondern ist es unser aller Aufgabe, dieses anscheinend unrettbar
ausufernde System von täglicher Milliarden-Datenflut und Hyper-Kontrolle
nicht in eine Hölle menschenfeindlichen Zwangs abdriften zu lassen.
Jawohl, es ist unser aller Aufgabe, egal wie alt wir sind, woher wir kommen,
welcher sozialen Schicht, Religion, politischer Partei wir angehören.
Es ist Zeit, solche Grenzen und Spaltungen jeder Art zu
überwinden, sich zusammenzuschließen, sich auszutauschen im
gemeinsamen Bemühen, tragfähige Lösungen für ein
konflikt-, gewalt- und kriegfreies Zusammenleben zu finden. Und da
richte ich mich besonders an die jungen Menschen, die das "Computieren"
quasi mit der Muttermilch einsaugen in unserer Zeit, da der Internetzugang
zu den unveräußerlichen Menschenrechten zu zählen beginnt,
und solche Menschenrechte wollen mit aller Behutsamkeit, Vorsicht und Vermunft
umgesetzt und verteidigt werden.
Seid wachsam, werdet und bleibt aktiv, laßt euch nicht
überfahren, hütet die Freiheit eurer Gedanken, neben Gesundheit
und Liebe euer wichtigstes, teuerstes Gut. Mehr kann ich euch nicht empfehlen
in dieser schwierigen Zeit des größten politischen und
gesellschaftlichen Umbruchs, den unser Land jemals erlebte und der uns alle
mit nur scheinbar unüberwindlichen Herausforderungen konfrontiert.
Am 1. Juli 2018 Wolfgang Näser,
Marburg
Stand: 15.7.2018
Ãnderungen und Ergänzungen vorbehalten.