Dr. Wolfgang Näser: UE "Landes- und Kulturkunde des Deutschen" (für
Ausländer)
WS 2002/2003 * Do 16-18, HG 207
Texte gegen den Krieg
Friedensbewegung und Friedenswille im Deutschland des 20. Jahrhunderts
Gegen jeglichen Krieg sein heißt nicht, Demokratie, Recht und Ordnung in Frage zu stellen - ganz im Gegenteil ist es der Krieg, der zusammen mit der Menschlichkeit auch die Toleranz und Demokratie vernichtet, der die Menschheit außerhalb jeder höheren Vernunft stellt. Staatsbürger sein heißt auch: der Pflicht zum Widerstand gehorchen, zu einem Widerstand gegen Haß, Gewalt und Völkermord - und was ist der Krieg sonst? Staatsbürger sein heißt: nicht wegschauen, nicht abnicken, sondern Verantwortung übernehmen für eine Lebensform, die den Krieg als größtes Verbrechen ansieht und für alle Zeit ächtet.
W. Näser 25.2.2003
1.
Die Vertreter des Pazifismus sind sich wohl der Geringfügigkeit
ihres persönlichen Machteinflusses bewußt, sie wissen, wie schwach
sie noch an Zahl und Ansehen sind, aber wenn sie bescheiden von sich selber
denken, von der Sache, der sie dienen, denken sie nicht bescheiden. Sie
betrachten sie als die größte, der überhaupt gedient werden
kann. Von ihrer Lösung hängt es ab, ob unser Europa noch der Schauplatz
von Ruin und Zusammenbruch werden, oder ob und wie in
Verhütung dieser Gefahr noch früher die Ära des gesicherten
Rechtsfriedens eingeführt werden soll, in der die Zivilisation zu
ungeahnter Blüte sich entfalten wird. Das ist die Frage, die mit ihren
vielseitigen Aspekten das Programm der zweiten Haager Konferenz füllen
sollte, statt den vorgeschlagenen Erörterungen über die Gesetze
und Gebräuche des Seekrieges, Beschießung von Häfen,
Städten und Dörfern, Legung von Minen usw. Durch dieses Programm
zeigt sich, wie die Anhänger der herrschenden Kriegsordnung diese letztere
sogar noch auf dem eigensten Terrain der Friedensbewegung zwar modifizieren,
aber aufrecht erhalten wollen. Die Anhänger des Pazifismus jedoch, innerhalb
und außerhalb der Konferenz, werden zur Stelle sein, um ihr Ziel zu
verteidigen und sich ihm wieder einen Schritt zu nähern. Das Ziel
nämlich, welches, um Roosevelts Worte zu wiederholen, die Pflicht seiner
Regierung, die Pflicht aller Regierungen darstellt: "Die Zeit
herbeizuführen, wo der Schiedsrichter zwischen den Völkern nicht
mehr das Schwert sein wird."
Quelle:
Suttner, Bertha von (1843-1914):
Die Entwicklung der Friedensbewegung,
Vortrag vor dem Nobel-Komitee des Storthing zu Christiania,
18.4.1906
2. Es wird Mittag. Die Sonne brennt heiß, uns beißt
der Schweiß in die Augen, wir wischen ihn mit dem Ärmel weg, manchmal
ist Blut dabei. Der erste etwas besser erhaltene Graben taucht auf. Er ist
besetzt und vorbereitet zum Gegenstoß, er nimmt uns auf. Unsere Artillerie
setzt mächtig ein und riegelt den Vorstoß ab.
Die Linien hinter uns stocken. Sie können nicht vorwärts. Der Angriff
wird zerfetzt durch unsere Artillerie. Wir lauern. Das Feuer springt hundert
Meter weiter, und wir brechen wieder vor. Neben mir wird einem Gefreiten
der Kopf abgerissen. [86] Er läuft noch einige Schritte, während
das Blut ihm wie ein Springbrunnen aus dem Halse schießt.
Es kommt nicht ganz zum Handgemenge, die anderen müssen zurück.
Wir erreichen unsere Grabenstücke wieder. [...]
Wir haben alles Gefühl füreinander verloren, wir kennen
uns kaum noch, wenn das Bild des andern in unseren gejagten Blick fällt.
Wir sind gefühllose Tote, die durch einen Trick, einen
gefährlichen Zauber noch laufen und töten können.
Ein junger Franzose bleibt zurück, er wird erreicht, hebt die Hände,
in einer hat er noch den Revolver - man weiß nicht, will er schießen
oder sich ergeben -; ein Spatenschlag spaltet ihm das Gesicht. Ein zweiter
sieht es und versucht, weiterzuflüchten; ein Bajonett zischt ihm in
den Rücken. Er springt hoch, und die Arme ausgebreitet, den Mund schreiend
weit offen, taumelt er davon, in seinem Rücken schwankt das Bajonett.
Ein dritter wirft das Gewehr weg, kauert sich nieder, die Hände vor
den Augen. Er bleibt zurück mit einigen anderen Gefangenen, um Verwundete
fortzutragen.
[87] Plötzlich geraten wir in der Verfolgung an die feindlichen
Stellungen.
Wir sind so dicht hinter den weichenden Gegnern, daß es uns gelingt,
fast gleichzeitig mit ihnen anzulangen. Dadurch haben wir wenig Verluste.
Ein Maschinengewehr kläfft, wird aber durch eine Handgranate erledigt.
Immerhin haben die paar Sekunden für fünf Bauchschüsse bei
uns ausgereicht. Kat schlägt einem der unverwundet gebliebenen
Maschinengewehrschützen mit dem Kolben das Gesicht zu Brei. Die andern
erstechen wir, ehe sie ihre Handgranaten heraus haben. Dann saufen wir durstig
das Kühlwasser aus.
Überall knacken Drahtzangen, poltern Bretter über die Verhaue,
springen wir durch die schmalen Zugänge in die Gräben. Haie
stößt einem riesigen Franzosen seinen Spaten in den Hals und wirft
die erste Handgranate; wir ducken uns einige Sekunden hinter einer Brustwehr,
dann ist das gerade Stück des Grabens vor uns leer. Schräg über
die Ecke zischt der nächste Wurf und schafft freie Bahn, im Vorbeilaufen
fliegen geballte Ladungen in die Unterstände, die Erde ruckt, es kracht,
dampft und stöhnt, wir stolpern über glitschige Fleischfetzen,
über weiche Körper, ich falle in einen zerrissenen Bauch, auf dem
ein neues, sauberes Offizierskäppi liegt. [...]
Quelle: Remarque,
Erich Maria (1898-1970): Aus Im
Westen nichts Neues (1928)
3. "Hören Sie auf mit diesen Lügen!" General
Harras kondoliert Anna EILERS, deren Mann bei der Erprobung
eines Bombers "MO 168" abgestürzt ist.
Personen: H=Harras, AE=Anna Eilers, P=ihre Schwester "Pützchen"
H: Anne...es tut mir so leid. Sie wissen ja, wie gern ich ihn hatte.
Die Kinder spielen und lachen im Hintergrund.
AE: Ich hab's den Kindern noch nicht sagen können.
H: Er wußte wenigstens, wofür er fiel. Und Sie wissen,
wofür Sie ihn hergegeben haben. Hm, das Beste an diesem bißchen
Leben ist doch der Glaube. Eine Idee, die groß genug ist, um dafür
zu sterben.
AE: (ein wenig hysterisch) Ja, und in stolzer Trauer die Helden beweinen,
nicht wahr, das kommt doch wohl jetzt? Nein, Harras, hören Sie auf mit
diesen furchtbaren Phrasen, diesen Lügen! Ich weiß, Sie meinen
es gut, aber ich kann das nicht mehr hören, ich habe selber zu viel
gelogen, die ganzen schönen Jahre mit Friedrich (schluchzt) ... ich
hab nie an das geglaubt, was ihm groß und heilig war, ich hab immer
gewußt, es ist erbärmlich und schmutzig. Aber ich hab's ihm doch
nicht sagen können. Ich hab ihn doch geliebt! - Ich hab immer gehofft,
später, wenn dieser wahnsinnige Krieg einmal aus sein wird, dann kann
ich mit ihm sprechen, mit ihm streiten, mit ihm einig werden.
H: Und er hat nie gewußt, daß Sie - AE: Durft'
ich ihn denn unsicher machen? Unglücklich? Solange er Tag für Tag
da draußen seinen Kopf hinhalten mußte? 'S is doch Krieg, er
mußte doch Soldat sein! (die Türklingel schrillt)
P: (im Hintergrund) Klaus, Erika, geht doch in eure Zimmer. (einige
Personen treten ein) Einige Herren vom Generalstab sind
draußen.
AE: (nach einer Pause) Ich danke Ihnen: für Ihren Besuch und
daß Sie mir zugehört haben. (abgewandt) Ich hab doch sonst niemand.
(schluchzt)
H: Ich danke I h n e n, Anne. Ich wollte Ihnen helfen, und jetzt haben
Sie mir geholfen. Ja ... ja. (geht hinaus)
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aus:
Zuckmayer,
Carl (1896-1977): Drei Szenen aus
dem Spielfilm "Des Teufels General" (1954) nach dem gleichnamigen
Bühnenstück (UA Zürich 1946; Transkription: Wolfgang Näser
1993)
4. Liebe Freunde, die Zeiten, in denen FRIEDEN ein Wort war, das elektrisierte, sind vorerst vorbei. [...] Wir haben den entsetzlichen Kosovo-Krieg hinter uns. Mit ihm haben wir Deutschen, die wir doch nach dem Zweiten Weltkrieg unisono "Nie wieder Krieg!" schworen, eine verhängnisvolle Schwelle überschritten. Dieser Krieg, an dem wir gegen alle guten Vorsätze mitwirkten und während dem die Welt von den Medien systematisch betrogen wurde, hat viele heftige Diskussionen ausgelöst, hat auch manche Friedensbewegte verunsichert. [...]
Ein Engagement für den Frieden liegt zur Zeit nicht im Trend, damit muss man sich abfinden. Ein Friedensaktivist - oder wie immer man ihn nennen will -schwimmt heute gegen den Strom. Denn die Militarisierung schreitet fort, die Rüstungslobby baut ihre Macht aus, die Brutalität nimmt zu. Die Vorgänge in Tschetschenien sind nur ein Beispiel unter vielen. [...]
Zum Teufel: Warum ist die Gattung Mensch nicht fähig, Dauerfrieden zu halten? An Ansätzen, dieses Ziel zu erreichen, hat es nicht gefehlt, eben so wenig an Beispielen kläglichen Scheiterns solcher Bemühungen. [...] Als noch Mann gegen Mann kämpfte, hielten sich die Totenzahlen in Grenzen. Heute steigen die Verlustziffern aufgrund der hochentwickelten Waffentechnik schnell in den Bereich der Millionen. Im Zweiten Weltkrieg kamen etwa 50 Millionen Menschen um. Angesichts solcher Zahlen versagt unser Vorstellungsvermögen: In künftigen Kriegen wird sich die Zahl der Toten wahrscheinlich verdoppeln.
Bismarck sagte einmal: "Wer seine Ansicht mit anderen Waffen als denen des
Geistes verteidigt, von dem muss ich annehmen, dass ihm die Waffen des Geistes
ausgegangen sind."
Quelle:
Pausewang,
Gudrun:
Rede
vom 15.4.2000 zur Ostermarsch-Aktion in Oldenburg
5. Um ein solches hartes Kriegs-Konzept zu realisieren und durchzuhalten, ist Geschlossenheit nötig (d. h. mentale Gleichschaltung). Diese wird noch immer demonstriert: seit dem 50. Geburtstag der NATO. Entschlossenheit, für Frieden und Freiheit zu kämpfen und Werte zu verteidigen, die (Börsen-?)Werte des Abendlandes 1). Wie schon bei der NATO-Erweiterung 2) geht es um Geld - auch in Deutschland 3). Um viel Geld. Um Wohlfahrt und Zukunftsperspektiven der Rüstungsindustrie. Ein "Tomahawk"-Geschoß kostet rund 1 Million Dollar, eine "Harm"-Rakete 1,2 Millionen Mark. Die A-10 mit ihrer Revolverkanone verfeuert in der Minute dreitausend 3,3-Zentimeter-Granaten; ebenso wie die "Liebesgrüße" der Apaches und der mobilen Artillerie enthalten sie einen Kern aus abgereichertem Uran (einem kostspieligen Produkt genialer militärischer Forschung; s. unten). Waffenverbrauch und Logistik verschlingen Unsummen. Pro Tag werden (entsprechend dem früheren Ansatz von 125 Mio $ pro Nacht) ca. 200 Millionen Dollar (oder mehr) verschossen und verbombt - das entspricht fast 1,5 mal dem Jahresetat der Marburger Philipps-Universität. Wohlgemerkt: diese enorme Summe wird - täglich - nicht etwa zu Hilfszwecken ausgegeben (was in der Geschichte wohl einmalig wäre), sondern für Tod und Vernichtung durch Waffen, die der Menschlichkeit zum Durchbruch verhelfen, im zerbombten Lande die Demokratie aufbauen und nahezu einer Million Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen sollen. [...]
Heute müssen wir uns alle fragen, ob es nicht das einzig richtige gewesen wäre, die kulturellen Kontakte [...] zu intensivieren und auf diesem Wege in gemeinsamem küstlerischem Handeln zu einem Konsens zu finden, der sich - als ewiger, höherer Wert - über die von Macht- und Geldgier beherrschten Polit-Interessen erhebt. Dort, wo man gemeinsam liest, gestaltet, diskutiert, musiziert, dort schweigen die Kanonen. Das deutsch-tschechische Verhältnis z.B. war Gegenstand eines jahrzehntelangen Strohdreschens und Problematisierens, während parallel dazu der künstlerische Austausch völlig problemlos und freundschaftlich verlief. In mehr als einem Jahrzehnt der Zusammenarbeit mit dem Radiosinfonieorchester Prag habe ich das in schönster Weise erlebt. Ein anderer Aspekt ist die Seenotrettung. Als das total zerbombte und demoralisierte Deutschland bedingungslos kapitulierte und nach jenem 8. Mai 1945 niemand in der übrigen, "freien" Welt mehr an dieses geschundene Volk glaubte, funktionierte in den Wogen der gepeitschten Nordsee die Zusammenarbeit mit Engländern, Holländern und Skandinaviern wie eh und je. Wo gutes Handeln vereint, da haben Hetze und Krieg keine Chance.
Ich frage mich [...],
Auch Hitler und Stalin haben Bomben geworfen.
Auch Analphabeten können Bomben werfen.
Bomben sind eine Mißachtung religiöser Prinzipien und abendländischer Kultur.
Bomben zerstören in Sekunden, was kluge Geister und tüchtige Hände in vielen tausend Stunden erschufen.
Bomben stehen für Mord.
Bomben sind keine Lösung am Ende des 20. Jahrhunderts.
Wer mit Bomben erpreßt, handelt barbarisch.
[...] Die Menschheit wird erst dann ihren Namen verdienen, wenn sie
ein Sensorium und Maßnahmen entwickelt hat, durch eine Befriedung
des Sprechens und Denkens Gewalt, politische Eskalationen und Krieg
auszuschließen.
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1) Der Dow Jones überstieg am 27.4.99 erstmals 10.800
Punkte und erreichte damit einen neuen Rekord. "Aufgrund von Technologie-Werten",
hieß es. Inzwischen hat er vorübergehend die "Traumgrenze" von
11.000 Punkten überschritten.
2) "Man rechnete in Washington für die nächsten 15 Jahre
mit gewaltigen militärischen Investitionen der drei neuen
Nato-Mitgliedsstaaten: 60 bis über 100 Milliarden US-Dollar." - Helmut
Schmidt in der
ZEIT v.
22.4.99
3) zu Scharpings und Fischers Wandel von Gegnern zu Verfechtern des
Eurofighters die WELT vom 12.5.99
Quelle: Näser, Wolfgang:
Alles oder nichts Aussagen und Fakten
zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien (Dokumentation).
1999
Links:
Ergänzungen vorbehalten * W. Näser, MR, 22.11.2002 * Stand 25.7.2014