Herkunft und Verwendung von Handie-, Handy und seinen Synonymen

Wolfgang NÄSER, Marburg, 8.1.2001 ff.

Es hat sich eingebürgert, die seit etwa 1993 für handliche Mobiltelefone verwendete Bezeichnung Handy für genuin deutsch und als im Ausland 'lächerlich' zu apostrophieren, wobei stets betont wird, daß man dort Cellphone, Mobile (phone) und Ähnliches sage; das engl. Adjektiv handy bedeutet eigentlich 'praktisch im Gebrauch, handlich' - so z.B. trägt - lt. Hinweis von Michael Rohde (s. unten) eine Taschenlampe der 60er Jahre die Aufschrift "Handy". Die Gesellschaft für deutsche Sprache schrieb 1996 einen Wettbewerb aus mit dem Ziel, eine im dt. Sprachraum "solidere" Alternative zu finden. Im folgenden gebe ich einige Daten zur technischen und terminologischen Entwicklung der kleinen "handlichen" Sprechfunkgeräte, die zweisträngig verläuft: zum einen in Richtung auf relaislose Direktverbindungen, zum anderen im Bereich des sog. Zellularfunks oder GSM-Dienstes, wie wir ihn heute als Handy- oder Autotelefonbenutzer kennen.

Bereits im Jahre 1918, rund 5 Jahre nach Erfindung des Meißnerschen Röhrensenders, unternahm die Deutsche Reichsbahn im Raum Berlin Versuche mit Funktelefongesprächen aus fahrenden Zügen. Im Jahre 1926 wurde dann auf der Strecke Berlin-Hamburg den Fahrgästen der ersten Klasse ein Funktelefondienst angeboten (=> http://www.mobilkom.com/deutsch/links/company/inaminute/11geschichte.html)

Urvater aller "Handies" ist das 1940 unter der Bez. SCR-536 (BC-611) als "hand-held" AM-Sendeempfänger (two way radio) von MOTOROLA vorgestellte sog. Handie-Talkie, drei Jahre später folgt die verbesserte FM-Version. Wie wir aus der Encyclopaedia Britannica erfahren, erscheint der Begriff 1943 auf einem Werbeprospekt; und, wie uns Walter KOCH in seiner Themenseite mitteilt, auch in einer Geschichte der 1928 in Chicago gegründeten Firma.

"1943 The first portable FM two-way radio, the "walkie-talkie" backpack radio, is designed by Motorola's Dan Noble. It and the "Handie-Talkie" handheld radio become vital to battlefield communications throughout Europe and the South Pacific during World War II."

Schon in der 1963 erschienenen 3. Auflage des in Schulen viel benutzten Taschenwörterbuchs der englischen und deutschen Sprache von SCHÖFFLER-WEIS findet sich auf S. 219 der kleine Eintrag

"[hand]~ie-talkie tragbares Sprechfunkgerät n."

Im (c) 1971 erschienenen Websters Third New International Dictionary, Vol. II, S. 1027 heißt es:

"Handie-Talkie [...] trademark - used for a small portable radio transmitter-receiver",

während die Bezeichnung im Supplement to the Oxford English Dictionary, Vol. II, Oxford 1976, S. 24 ausgewiesen wird als:

"handie-talkie [...]. Also Handie-Talkie, handy-talky. [After *WALKIE-TALKIE]. Name of  a light form of walkie-talkie two-way radio set, easily carried in the hand. 1942 Nat. Geogr. Mag. Nov. Churchill .. is holding a 'handie-talkie' radio used for conversation between ground points and planes in the air. [...] 1969 S. GREENLEE Spook who sat by Door XII. 113 Cops spoke busily into their car radios and handy-talkies."

Indessen schlägt 1977 die Geburtsstunde des Zellularfunks: MOTOROLA entwickelt ein "handheld wireless telephone that was able to communicate with the public telephone network through a system of short-range cells": das ist die Urform des späteren GSM-Funkdienstes (=Groupe Spécial Mobile: D1, D2 usw.); bereits gegen 1985 installieren weltweit viele Großstädte Zellular-Netze*), und 1989 bringt Motorola als quasi GSM-taugliches cellular phone sein klappbares Micro-Tac auf den Markt, dessen weiterentwickelte Variante "528" als "D1-Mobiltelefon Club" später auch von der Dt. Telekom vertrieben wird.
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*) ein solches Zellular-Telefon sehe ich zum ersten Mal im Februar 1988 während eines Urlaubs in London; zu Geschichte und Zukunft des Mobilfunks Bilddokumente auch hier.

Als Mobiltelefone gelten auch die ebenfalls etwa 1989 aufkommenden tragbaren 8-Watt-Telefone des C-Netzes mit drahtgekoppeltem Hörer und universellem Antennenschluß:

"Während des automatischen Einbuchens des Mobiltelefons in das Funktelefonnetz können am Display nacheinander in kurzer Folge verschiedene Anzeigen erscheinen; sie geben Auskunft über die z.Zt. in Ihrem Mobiltelefon und auf Ihrer Telekarte programmierten Funktionen, ..."
(aus einer 1989 erschienenen Bedienungsanleitung zum Siemens-C-Netz-Gerät). Das SEL-SEM 340 von 1991 heißt in der Bosch Ausführung "Handy C9"  (diesen Hinweis verdanke ich Herrn Michael Rohde, siehe dazu http://www.munich-handy.de/handy/bosch_c9.htm).
In Deutschland gab/gibt es bisher 5 Netze:
  1. Das A-Netz (handvermittelt), 1958-1977, zuletzt ca. 10.500 Teilnehmer. F=150 MHz. Deutschlandweite Abdeckung knapp 80 %. Prominente Teilnehmer aus Politik und Großindustrie, u.a. Bundeskanzler Dr. ADENAUER.
  2. Das B-Netz, 1972-1986 (bzw. 1991); erstmals grenzüberschreitend (Roaming) bis Luxemburg, Österreich und NL. Insgesamt ca. 27.000 Teilnehmer. F=148 und 162 MHz. Festnetz-Anrufer mußte wissen, wo sich der B-Netz-Teilnehmer aufhielt.
  3. Das C-Netz, erstes vollautomatisches Mobilfunk-Netz mit SIM-Karte, 1985-2001 (?), noch analog (und deshalb abhörbar). C-Tel-Standard von SIEMENS; kompakte Porties und Handgeräte. F=450 MHz, P=max. 15 Watt. Früher bis 850.000 Teilnehmer.
  4. Das D-Netz, 1991-. Erstes europaweit kompatibles GSM-Netz für Sprache und Daten (9600 bps/Kanal); digitale Technik (abhörsicher; Frequenz- + Zeitmultiplex); F= 900 MHz; P= 2 Watt (Handgeräte) bzw. 8 Watt (Porties). Erster priv. Betreiber ist Mannesmann (D2). Stetige Miniaturisierung; rasant wachsende Beliebtheit in allen Altersgruppen. Schon bald auch GSM-Peripherie für Notebooks (Funkmodems = PCMCIA-Karten mit integriertem Sender+Empfänger+Modem für Datenkommunikation); klappbare Tastatur-Handies (Communicators) mit Mini-Display (und Kamera) für Bildtelefonie, Fax- und Datenverkehr und (ab 1999/2000) WAP(=Wireless Application Protocol)-Handies (bisher rund 1 Mio Benutzer) für eingeschränktes autonomes Surfen (und Einkaufen) im Internet; schnellerer GPRS (General Packet Radio Service) geplant. Seit ca. 1998 auch Prepaid-Handys (H.s ohne Vertragsbindung) mit SimLock. JAVA-taugliche Mobiltelefone für Anfang 2001 vorgesehen. Funktionale /kreative Konkurrenz mit dem
  5. E-Netz, 1994-; ( E-Plus, E1); F=1800 MHz, P= max. 1 Watt. Ab 1998 zusätzl. E2 = VIAG-Interkom, auch mit Genion-Kombigeräten für E-Netz und schnurlosen Heim-Festnetzbetrieb.
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  6. Als neuer Weltstandard UMTS (=Universal Mobile Telecommunications System) ab ca. 2002 vorgesehen. F= ca.2,2 GHz. (Nicht abwärtskompatible) Kombi-Technik für Audio, Daten und Interaktiv-Video (auch Filme!) mit variablen Bandbreiten bis 2 MB/sec.

Im Januar 1994 publiziert die DeTeMobil Deutsche Telekom Mobilfunk GmbH (kurz: Telekom Mobilfunk) eine Karte mit dem Titel "Das D1-Funktelefonnetz. Ausbau und Planung für Handies." Im April 1994 erscheint der das D2-Benutzer-Handbuch der Mannesmann Mobilfunk GmbH. Im Kapitel "Die Mobiltelefone" heißt es dort S. 19:

"Ein Handy ist ein komplettes D-Mobiltelefon. Es besitzt auf kleinstem Raum einen eigenen Akku, Sender und Empfänger. Paßt in jede Jacken- oder Aktentasche. Ist immer dabei. Beim Einkaufen, im Café, auf der Baustelle, beim Picknick, auf der Fahrradtour, aber auch im Auto."

"Handy", so schreibt Daniel Grün aus Waldfischbach (Kreis Südwestpfalz/Pirmasens) am 12.2.2003 quasi stellvertretend für seine Sprachregion, sei lediglich eine Verknappung der Frage "Hän die kää Schnur?" von "erstaunten Pfälzern", als diese das Gerät zum ersten Mal gesehen hätten. Diese liebenswerte, leider jedoch eher dem Wunschdenken entsprießende Deutung egalisiert den Unterschied zwischen dem eigentlichen (d.h. zellular arbeitenden) Mobiltelefon und dem in Deutschland etwa zeitgleich (als FTZ-genehmigte Variante illegaler, weil leistungsstark auf ungenehmigten Frequenzen arbeitender Versionen) eingeführten sog. schnurlosen Telefon, das mit nur geringer Reichweite (300...600 m) via Basis-Station mit dem drahtgebundenen Fernsprechnetz kommuniziert und trotz seiner kümmerlichen HF-Leistung (wenige Milliwatt) von uninformierten Gesundheitsaposteln schon zu den krankmachenden Elektrosmog-Schleudern gezählt wird. In sauberer Abgrenzung zum schnurlosen Telefon beschreibt www.tellyd1.de es als "In der Hand tragbares Gerät zum mobilen Telefonieren, das ohne eigene Basisstation auskommt"; als ("anglisierend") für 'handliches schnurloses Funktelefon' erscheint es im DUDEN 2000 (S. 451).

"Handys sind 1999 fast so selbstverständlich wie Kühlschrank oder Fernseher. Allein 1998 stieg die Zahl der Mobiltelefonierer im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent auf mehr als 13,8 Millionen. Jeder sechste Deutsche besitzt bereits ein Handy. Zum Start ins neue Jahrtausend werden nach Schätzungen der Elektrobranche mehr als 20 Millionen mobil telefonieren." (http://www.strom.de/ak_br_9906.htm)

"Die Handys der Zukunft werden für Verkehrssicherheit und Roadpricing zuständig sein, Dokumente wie Führerschein, Zulassungsschein, Versicherungskarte und Reisepaß verwalten, "Behördenwege" online durchführen und als digitale Wahlurnen dienen. Was heute nach Science-fiction klingt, ist morgen integraler Bestandteil unseres Lebens. Gewinnen werden jene, die die mobile Welt von morgen mit Inhalten füllen. Die Handys der Zukunft stellen Verbindungen zur Hausbank her, ersetzen Kreditkarten und finanzieren die Sprachtelefonie durch Informations- und Commerce-Angebote." (http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3854363249/jonradel02/302-7149815-0151230)

Für das GSM-Handtelefon werden Handy und Handie nebeneinander gebraucht: so heißt es am 17.5.2000 in einer WWW-Anzeige: "Nokia Kult Handie zu verkaufen".

Handy / Handie findet Eingang auch in die romanischsprachige Fachwelt:

wobei wie im Falle von

allerdings das engl. Adjektiv im Sinne von 'klein, handlich' gemeint ist.

Die Bezeichnung handi-phone begegnet uns u.a. in der Website der Northern Telecom Wireless Networks, 2221 Lakeside Blvd., Richardson, Texas 75082 und - ohne Bindestrich - im irischen Touristikunternehmen Lochside Cruisers Ltd. oder der US-amerikanischen Militärbasis Fairchild; beim sog. Personal Handi Phone System (PHS) geht es um eine bes. in Japan genutzte innovative Technologie: "In Japan, the Handi-Phone is sold like a cheap watch and is as popular among kids and their parents as pagers are in the United States.", heißt es in einem von Clarence WESLEY verfaßten Artikel Wireless Gone Astray  der Website Telecommunications Online; die japanische PHS MoU Group definiert das neue "eggy" PHS terminal", es kann "take pictures by the built-in digital camera and send them as attachment in the e-mail, and can communicate a message of maximum 3,000 letters in the e-mail."

Auf dem ebenfalls von der US-Pionierfirma mitbeherrschten Sektor des Amateur- und Betriebsfunks wird noch 1985 in Fachpublikationen (wie dem von Reinhard BIRCHEL herausgegebenen Amateurfunk-Geräteführer '85 ausschließlich unterschieden zwischen den kleinen Handfunk(sprech)- und den eingebauten Mobilfunkgeräten, doch erscheint die (deutsche?) Bezeichnung "Handy" (Plural Handies) für 'handlicher Mini-Transceiver' schon wenig später in Anzeigen deutscher Funkzeitschriften und wird ab ca. 1989 synonym gebraucht mit Handfunkgerät, Minihandfunke, Handgerät usw.

"Das neue Duoband-Handy von Kenwood ist nicht nur leicht zu bedienen, es ist auch leicht an Gewicht. Mit nur 430 Gramm zählt das TH-77E zu den leichtesten Duoband-Handies, die auf dem Markt zu haben sind."
(cqDL, Clubzeitschrift des DARC, Fachorgan für den Amateurfunkdienst, 9/1990, Anzeige Deckel innen)

Einer mehr als 60jährigen Tradition folgend, trägt auch an der Jahrtausendwende Motorolas jüngster, bequem in eine Hand passender Mini-Transceiver die Bezeichnung "Handie Talkie". Die Klein-Sendeempfänger (portable transceivers) werden auch im WWW von zahlreichen Firman angeboten, so z.B. Black Box (Spanien), Sorecom (Frankreich) oder Standard (Japan).

Fazit:

Spätere Links:

  1. Schneidet das Kabel ab - 20 Jahre Handy (zum Jubiläum i.J. 2003; verkürzt siehe auch hier)
  2. Das Wort "Handy" (mit Übernahmen aus einem anderen Link)
  3. Es war einmal das Handy ... (STERN-Bericht)
  4. Handy-Weblog

Literatur:

  1. Olaf Schumacher: Die Handy-Story. Die wahre Geschichte der Telekommunikation, Königswinter 1999 (Tb., 111 Seiten, ISBN: 3893657274; humorvolle Darstellung)
  2. Oliver Pott: Handy total, Kilchberg 1999 (128 Seiten gebunden, ISBN 3-907601-16-5)

Wird ergänzt. (c) Dr. Wolfgang Näser, MR, Stand: 11.6.2008