KOSOVO-KRIEG:

3. ENDE DES LUFTKRIEGS - KFOR-EINSATZ - NACHWORT

DIE DEESKALATION HAT BEREITS BEGONNEN (Bundeskanzler Gerhard SCHRÖDER)
3. Juni 99 (=> Links) nach 72 Tagen zeichnet sich ein möglicher Frieden ab - vorerst als schwaches Licht am Ende eines düsteren Weges von Tod und Zerstörung. Europa hofft, die USA sind eher skeptisch. Während an konkreten Plänen für Kriegsende und Nachkriegsmaßnahmen gearbeitet wird, wirft die NATO ("wir verhandeln nicht, wir diktieren") weiter Bomben, attackiert "militärische" Ziele, auch Radiostationen.

7. Juni 99: gegen 2:45 Uhr MEZ erklärt der britische Generalleutnant Sir Michael JACKSON die militärischen Verhandlungen für gescheitert. Die serbischen Militärs hätten auf Zugeständnissen beharrt, die eine gefahrlose Rückkehr der Kosovo-Flüchtlinge nicht hätten garantieren können. Daraufhin werde die NATO das Bombardement fortsetzen, möglicherweise gar intensivieren. Am frühen Morgen werden bereits neue Einschläge gemeldet, u.a. in Strom-Umspannstationen und Fernmeldeeinrichtungen (Sendern u.a.). Klaus Below berichtet im Morgenmagazin aus Belgrad: die Menschen seien tiefstens enttäuscht und könnten diese Entwicklung nicht verstehen, da doch ihr Präsident Milosevic einen mehrheitlichen Parlamentsbeschluß bekommen habe, der in allen Punkten den G-8-Forderungen entsprochen habe. FOCUS meldet am 7.6. um 12:01, die Verhandlungen "liefen weiter".

9. Juni 99: nach letzten Korrekturen wird die UN-Resolution eingebracht (Abstimmung innerhalb 24 Stunden). Währenddessen laufen in Kumanovos "Zelt-Hangar" die Militärgespräche weiter und hat die NATO ihr Bombardement 'auf rein militärische Ziele' eingeschränkt; dabei wurden am 8.6. etwa 400-800 jugoslaw. Soldaten bei einem B-52-Flächenbombardement getötet.

"Ein Vertrag ist nichtig, wenn sein Abschluß durch Androhung oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt wurde." - Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge von 1969,  Artikel 52

Gegen 22:40 wird in Kumanovo das "militärisch-technische Abkommen über den Rückzug der serbischen Verbände aus dem Kosovo" unterzeichnet. Lt. Gen. Sir Mike Jackson und der jugoslawische General Marjanovic geben sich optimistisch. Während - nach einer TV-Meldung v. 10.6./8:03 - in ganz Jugoslawien gejubelt wurde, berichtet Klaus Below von einer haßerfüllten Stimmung in der Kosovo-Hauptstadt Pristina. Man habe dort die ganze Nacht bis zum frühen Morgen aus allen Rohren in die Luft geschossen - nicht aus Freude.

10. Juni 99, 19:06 UN-Resolution mit 14 : 0 : 1 angenommen (ZDF; Enthaltung: China). Serbische Verbände haben den Rückzug begonnen. Bundeskanzler SCHRÖDER: "Die Tür zum Frieden ist jetzt offen." Außenminister FISCHER: "Ich bin zum ersten Male wieder ein wenig glücklich." US-Präsident Clinton: Die Luftschläge seien nur ausgesetzt; Generalsekretär Javier SOLANA habe das Recht, im Bedarfsfalle weitere anzuordnen. Generalmajor JERTZ: "Jetzt beginnt der zweite schwierige Teil unserer Aufgabe."

Möglicherweise verschwinden jetzt die donnernden Flugzeuge der Allianz über Serbien, und friedliche Stille tritt an die Stelle von explodierenden Bomben. Sicher ist das aber nicht. Denn nichts ist trügerischer, als die Rechnung ohne den Wirt zu machen - und das gilt gerade für den Balkan. Interessiert sich in Brüssel überhaupt jemand für den zu erwartenden Exodus der Serben aus dem Kosovo und für den Verlauf dieser Vertreibung? Die Nato erkennt jetzt, daß es schwieriger ist, Frieden auf dem Balkan herzustellen, als einen Krieg zu gewinnen. Die Minen unter der Zukunft der Region werden noch lange scharf sein - und der Krieg um das Kosovo ist längst nicht zu Ende. (Rude Pravo, zit. in taz 11.6.99)

Nach 79 Tagen Luftschlägen ist der erste Krieg der NATO-Geschichte anscheinend beendet. Seine realen Kosten und Weiterungen können nur erahnt werden: Grund genug für düstere Bilanzen und tiefgreifende Änderungen in Europa, die auch und gerade unser Land betreffen und unsere Ressourcen noch weiter schmälern werden. Die ersehnte Ruhe wird noch lange nicht einkehren im Kosovo; was die (am Morgen des 10.6. bereits an der Küste landenden) KFOR-Truppen erwartet, wird deutlich auch aus der am 9.6./23:10 von der ARD gesendeten UCK-Porträts.

"Die Nato, in erster Linie die Vereinigten Staaten, hat Jugoslawien zerschlagen, sie hat eine Aggression gegen Europa verübt. Sie hat die Idee vom europäischen Haus zerstört und den Euro-Kurs nach unten gedrückt. Sie hat dem europäischen Kontinent die Stabilität auf Jahre genommen. Aber sie hat nichts erreicht. [...]
Es gibt doch mindestens ein Dutzend Möglichkeiten, um sich mit einem unerfreulichen Politiker an der Spitze eines Staates auseinanderzusetzen. Aber der Westen hat die dümmste Variante gewählt, indem er einen Krieg begonnen hat. Die Nato, die noch nie einen Krieg geführt hat, leidet an einem Komplex der Unvollkommenheit. Sie wollte ihre Fähigkeiten demonstrieren, und das tat sie zweieinhalb Monate lang mit äußerst zweifelhaftem Ergebnis." - Alexander LEBED in der WELT v. 14.6.99

Der dem Bundeskanzler und seinem Außenminister attestierte politische Erfolg des Krieges ist höchst zweifelhaft; wenn CLINTON vom Siegerpodest herab das jugoslawische Volk auffordert, seinen "Diktator" zu stürzen, so kann - im Gegenzug - sich MILOSEVIC nun hinstellen und sagen: Wozu der Krieg, wozu die 100 Milliarden teure illegale Zerstörung unseres Landes, wenn ihr mit mir nun einen Vertrag schließt, in dem jene Passagen entfernt wurden, derentwegen ich damals in Rambouillet nicht unterschreiben konnte und die zum Vorwand der Aggression dienten? Und FISCHER, der noch auf dem Grünen-Parteitag bestritt, seine Anhänger hinsichtlich Rambouillet getäuscht zu haben, wird nun widerlegt durch den Artikel in der renommierten Washington Post vom 10.6.99, wo ganz klar die umstrittenen Passagen erwähnt werden.

Der KFOR-Einsatz wird mehrere Jahre dauern. Die eigentlichen Risiken liegen noch vor uns, neue Konflikte zeichnen sich ab. Auf dem Flugplatz der Kosovo-Hauptstadt Pristina stehen sich Soldaten der NATO und Rußlands gegenüber, verhandeln über getrennte Einfluß- und Verwaltungszonen. Jelzin hat den General ausgezeichnet, der die Russen als erste in Pristina einrücken (und damit ein für die NATO völlig überraschendes fait accompli schaffen) ließ.

KRIEG-FRIEDEN

Welch ketzerische Idee, in dieser mehr oder minder spontanen Inszenierung von Freude und Erlösung könne womöglich nicht viel weniger Barbarei und Atavismus stecken als im Krieg selbst und dem, was ihm voranging.
Georg Seeßlen, taz 23.6.99

"Leute, genießt den Krieg; der Frieden wird fürchterlich", sagten viele Deutsche im 2. Weltkrieg; nach dem Ende (oder, wie Clinton sagte, Aussetzen) des Luftkrieges gegen Jugoslawien erwartet die beteiligten NATO-Soldaten eine lange, beschwerliche Zeit voller Risiken und Unwägbarkeiten. Die Fakten und der sprachliche Niederschlag dieser Periode sollen hier ebenfalls dokumentiert werden.

13.6.99: Zwei Serben liefern sich ein blutiges Gefecht mit deutschen Soldaten; einer stirbt, der andere schwebt in Lebensgefahr; 3 deutsche Journalisten werden woanders tot aufgefunden. Zu den Risiken für die deutschen Soldaten im KFOR-Einsatz der Presseoffizier Overstleutnant Dietmar JESERICH am 14.6. im ZDF-Morgenmagazin:

"Wir haben nach wie vor eine sehr, sehr hohe Minengefahr: das ist das, worauf wir uns am besten einstellen können, weil wir entsprechende Vorsichtsmaßnahmen ergreifen können. Darüberhinaus sehe ich die Gefährdung bei Einzeltätern: so wie wir es gestern auch bei diesen beiden Männern gesehen haben, die mit ihrem Fiat mit hoher Geschwindigkeit auf uns zugefahren sind und dabei geschossen haben. Insgesamt ist die Lage inzwischen ruhig geworden."

Zum Exodus der Serben aus dem Kosovo berichtet im ZDF-Morgenmagazin Dietmar Schumann:

"Der Rückzug der jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo verläuft nach wie vor wie geplant. Sonntag nachmittag, nördlich von Pristina auf der Straße, die in die serbische Stadt Nis führt. Wir fahren vorbei an einer Fernmeldeeinheit; auch schweres Gerät, Artillerie und Luftabwehrraketen russischer Bauart, können wir erkennen. Der Rückzug der jugoslawischen Armee- und Polizeieinheiten wird erschwert durch viele zerstörte Brücken und serbische Flüchtlinge. Überall im Norden des Kosovo sind die Straßen verstopft mit Flüchtlingstrecks. Vor allem serbische Bauern verlassen das Kosovo mit all ihrer Habe. Am Straßenrand, kurz vor Kosumlja, macht eine Großfamilie Rast, mit 10 Personenwagen und 4 Traktoren seit 2 Tagen unterwegs aus dem Dorf Sopino bei Suvareka. Die serbische Bauernfamilie Lasic: seit mehreren Jahrhunderten, wie sie sagen, im Kosovo ansässig. Jetzt wollen sie die heimatliche Scholle für immer verlassen. Dragolub Lasic, der älteste Sohn, meint, die NATO-Truppen würden ihnen keinen Schutz vor der UCK bieten. Amerikaner und Deutsche seien Freunde der Albaner; nur wenn die Russen eine Schutzzone für die Serben eröffnen dürften, würden sie zurückkehren, aber: eine russische Zone, die gibt es nicht, die NATO sei dagegen. Mutter Radmila berichtet, daß ihr zweiter Sohn am 22. März an seinem Arbeitsplatz in einem Lebensmittelladen von UCK-Kämpfern erschossen wurde. Am Abend hätten sie ihr die Leiche nach Hause gebracht. Sie verlasse das Kosovo aus Furcht vor diesen Killern. Wie ihre Zukunft aussieht, wo sie ein neues Zuhause finden, das wüßten sie noch nicht, sagt Jovanka. Im Westen rede man immer nur von den Kosovo-Albanern, von deren Vertreibung; an uns, sagt sie, denkt bis jetzt niemand, kein Politiker, keine UNO, niemand. Auf dem Weg nach Belgrad hunderte kleine Traktoren; auf den Wagen geflohene Serben und das, was sie retten konnten."

16.6.99 Die Untergrundarmee UCK wird zum Problem. BW-Generalinspekteur von KIRCHBACH wiegelt ab: die UCK habe sich bisher "durchweg kooperativ" gezeigt. Der Politologe Stefan LIPSIUS vom Münchener Südosteuropa-Institut analysiert die Lage im "Morgenmagazin"-Interview (8:37).

17.6.99 "Amerikas Unternehmen im Wiederaufbau aktiv" - Unter diesem Titel berichtet die FAZ wie folgt:

"Amerikanische Unternehmen wollen am Wiederaufbau des Kosovo und an der Beseitigung der Kriegsschäden in der Balkan-Region aktiv beteiligt werden. Auch wenn die Finanzierung weitgehend von der Europäischen Union übernommen werden wird, haben sich die Vereinigten Staaten das Recht verdient, als gleichberechtigte Partner an Aufbauarbeiten beteiligt zu werden. Das hat der Staatssekretär für internationale Handelsfragen im Handelsministerium, David Aaron, vor dem internationalen Ausschuß des Repräsentantenhauses gesagt. Mehr als 100 amerikanische Unternehmen ständen bereit, um sich an den internationalen Ausschreibungen zu beteiligen. Die amerikanische Regierung erwarte, daß die EU-Kommission, die in der Vergangenheit oft nur europäischen Unternehmen Aufträge vermittelt habe, die amerikanischen Unternehmen ausdrücklich beteiligen werde."

Schon eine Woche zuvor war seitens der britischen Regierung eine Sonderkommission in Planung, deren Ziel es sei, für die britische Wirtschaft Aufträge aus den Wiederaufbauprogrammen im Kosovo hereinzuholen *).
------------------------------
*) Für diese Informationen danke ich Günther MIKLITZ, Bonn

21.6.99 Haß und Gewalt herrschen im Kosovo. Während immer mehr Massengräber und andere Zeugnisse serbischer Gewalt entdeckt werden, verlassen -zigtausende von Serben ihre Heimat. Klöster und andere orthodoxe Kulturstätten werden ausgeraubt. Unter den Augen der KFOR werden ehemals von Serben bewohnte Häuser geplündert und anschließend in Brand gesteckt, die ethnische Säuberung nun umgekehrt; auch andere Volksgruppen müssen darunter leiden. Fragt sich nur, ob das von Luftkrieg und Schuldenerlaß finanziell gebeutelte Europa auch diesen Unsinn noch zahlen und diese gebrandschatzten Häuse wiederaufbauen muß. - Hashim Thaci, politischer Führer der UCK, hat in der Nacht mit Lt.Gen. Sir Mike Jackson ein Demilitarisierungsabkommen unterzeichnet. Die UCK-Kämpfer sollen auch die Uniform ablegen: perfekte Tarnung, das hat die unbedarfte KFOR vermutlich nicht bedacht.
Organisierung (und Verteilung) der finanziellen Hilfe sind problematisch; hierzu Klaus BELOW aus Pristina [21.6.99/8:35; Interview: Peter SCHREIBER]:

[Wer käme als Ansprechpartner für Hilfeleistungen/Geldverteilung in Frage?] "Man sollte sich auf jeden Fall mit lokalen Leuten zusammentun, aber: diese sollten unbedingt unter ganz massiver und deutlicher Kontrolle der Geldgeberländer stehen; denn - bedingt durch die ... kulturell-soziale Situation der ethnischen Albaner muß man ganz einfach wissen, daß diese Menschen zwar in der Not jetzt zusammenstehen, aber dennoch sehr stark in ihre Clans eingebunden sind. Das ist wie ein Netzwerk - vom Onkel über Cousin, über Tante etc. -, und diese Clanchefs sind untereinander nicht unbedingt befreundet, und hier sind ja auch in letzter Zeit während der Kriegstage nicht nur gemeinschaftliche Kämpfe gegen die Serben ausgeführt worden, sondern es sind auch alte Rechnungen beglichen worden.
In der vergangenen Nacht haben UCK und NATO ein Abkommen über die Demilitarisierung der UCK unterzeichnet. Ist das ein erster Schritt zu einer zivilen Verwaltung, könnte die UCK auch ein Ansprechpartner, was den Wiederaufbau angeht, sein?
Nach meiner Meinung in etwa; aber ... nur in einem kleineren Maße. Man kann sie für die Beaufsichtigung der Infrastrukturen beauftragen, man kann mit ihnen zusammenarbeiten, ... man muß aber auch dabei dann berücksichtigen, wer vor Ort zu welchem Clan gehört, d.h. in welchem Netzwerk er eingebunden ist, es gehört also sehr, sehr deutliche Kenntnis dazu, was hier auf lokaler Ebene in welchen ... Kanälen läuft und wie die Dinge miteinander abgesprochen werden. Und dazu braucht man ... neutrale Personen, Experten, die sich im Land auskennen, die die ... Infostruktur, nämlich auf der kulturell-sozialen Ebene kennen und damit umgehen können."

24.6.99 In einem Interview des ARD-Morgenmagazins [mit Peter SCHREIBER; 8:09-13] charakterisiert Erich SCHMIDT-EENBOOM vom Weilheimer Institut für Friedenspolitik die UCK als kriminell unterwanderte, für die Stabilität des Balkans problematische Organisation. Die USA hätten schon 1998 entsprechende Erkenntnisse gehabt, diese aber - seit Rambouillet - aus politischen Gründen zurückgehalten.

5.7.99  Während im Kosovo immer mehr Massengräber entdeckt und Racheakte verübt werden, herscht Unruhe auch im restlichen Jugoslawien. Während der - in jeder Hinsicht fragwürdige - Krieg (scheinbar?) die Menschen einte, destabilisiert der Frieden; in all dem politischen Gerangel scheinen Rambouillet und der Annex B vergessen (oder dem größten Teil der Jugoslawen unbekannt). Vor Tagen die einmalige Meldung, Milosevic ziehe an der Grenze Truppen zusammen, um einen möglichen Putsch zu unterstützen, der den prowestlichen Präsidenten Montenegros zu Fall bringen solle. Gleichzeitig verweigert die NATO den Russen Durchflugrechte für Nachschubtransporte: Renaissance des noch vor kurzem als beendet gewähnten Kalten Krieges, der im unergründlichen Balkan ein neues "Schlachtfeld" gefunden hat.

6.7.99  Die Russen dürfen Militär einfliegen - aber die Spannung bleibt; auch wenn die "siechende Supermacht" (taz) sich bis auf weiteres der NATO-Übermacht und vor allem der selbstherrlichen USA-Dominanz wird beugen müssen. Gleichzeitig entblödet sich Scharping nicht, in BILD die Jugoslawen (die er damit zu einer unmündigen Kinderschar degradiert) zum Sturz ihres Präsidenten aufzurufen. Nach dem durch Deutsche im 2. Weltkrieg erlebten Massaker haben die Serben einen solchen Rat nicht nötig: vor allem nicht, wenn er von jemandem kommt, dem vor lauter Hurra-Gehabe der Blick in und für die Geschichte und ihre Gesetzmäßigkeiten abhanden gekommen scheint.

26.7.99

[Bericht] Unter ihren wachsamen Augen gingen gestern die Dorfbewohner zur Kirche: Schutzmaßnahme für eine Trauerfeier. Heute sollen die 14 ermordeten serbischen Bauern beigesetzt werden, danach wollen einige Familien das Dorf verlassen. Es gilt, die Mörder so schnell wie möglich zu finden; aber für die serbische Minderheit ist das Leben nur noch unter KFOR-Schutz wirklich sicher. "Sie können nicht Brot holen, nicht ein mal ihr Haus verlassen", sagt der UN-Beauftragte, "ohne sich in Gefahr zu begeben. Das ist völlig inakzeptabel; aber es ist so." [...]
[Patrizia SCHÄFER:] Die Stimmung im Kosovo ist also mehr als gespannt, fast täglich gibt es diese Meldungen über Gewaltakte, über Greueltaten, und ein wirklicher Frieden ist noch lange nicht in Sicht. Wir schalten jetzt zu unserem Korrespondenten Karl Hinterleitner nach Pristina. Guten Morgen. - Guten Morgen nach Berlin. - Herr Hinterleitner: bisher gibt es nur Spekulationen, wer dieses Massaker von Gracko verübt haben könnte; gibt es denn schon irgendwelche konkreten Hinweise auf die Täter? - Es gibt noch keine heiße Spur von den Tätern, und man mag auch bezweifeln, ob sie schnell oder jemals gefaßt werden können, denn die Hintergründe sind völlig unklar, es gibt verschiedene Theorien: von der naheliegendsten, daß es sich um einen lokalen Racheakt der ... örtlichen albanischen Bevölkerung gehandelt hat, über organisiertes Bandentum, das aus Albanien herübergekommen ist und hier den ehtnischen Konflikt weiter schüren will, bis hin zu einer Aktion des serbischen Geheimdienstes, um die Lage zu destabilisieren - das alles sind wilde Spekulationen; niemand weiß, was davon stimmen kann - im Moment also keine konkreten Erkenntnisse, wer diese Morde verübt hat. - Wie reagiert denn die KFOR, was kann sie tun, um weitere Anschläge zu verhindern, was tut sie tatsächlich? - Die KFOR ist natürlich geschockt, solche Dinge sind das Schlimmste, was ihr und dem Ruf, den sie hier in der Bevölkerung genießt, passieren kann; sie versucht deswegen alles, um diesen Mord aufzuklären, sie versucht auch alles, um die serbische Bevölkerung zu schützen, hat Patrouillen verstärkt, hat zusätzliche Checkpoints eingerichtet und ist dabei, Orte, in denen Serben wohnen, besonders zu sichern - mit Sicherheit aber wird das nicht genug sein, kann nicht genug sein, um völlige Sicherheit zu garantieren, denn man kann nicht hinter jeden Menschen einen Soldaten stellen. - Wie ist denn inzwischen die Stimmung unter den Serben im Kosovo? - Es sah so aus, als ob es sich entspannen würde; dieser Mord hat natürlich die Lage hier noch einmal verschärft: die Serben haben Angst, die Serben befürchten, daß sich so etwas wiederholt, viele überlegen, ob sie jetzt weggehen, und natürlich ist das Vertrauen in den Schutz der KFOR-Truppe jetzt erschüttert. Zusätzlich kommt die Propaganda aus Serbien und von politisch interessierten Kreisen, die die Angst noch mehr schüren. Die Serben sind völlig verunsichert, warten jetzt ab und überlegen, ob sie nicht eventuell doch das tun, was man ja eigentlich verhindern wollte, nämlich fliehen und nach Serbien gehen. - Der westlichen Allianz wird ja vorgeworfen eine Mitschuld an diesem Verbrechen; dieser Vorwurf kommt vom russischen Außenminister Iwanow, und Jugoslawien hat wegen der Ermordung der 14 Serben eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates beantragt. Wie reagiert denn der Westen auf diese Vorwürfe, da mit albanischen Separatisten/Extremisten zu sympathisieren? - All diese Vorwürfe sind natürlich eine politische Ausnützung dieses schrecklichen Ereignisses. Mit Sicherheit kann man sagen, daß keine Mitschuld im eigentlichen Sinne vorliegt. Man muß diese Frage mit Ja und Nein beantworten, denn einerseits hat die Schutztruppe natürlich versprochen, hier für die Sicherheit aller zu sorgen - Serben wie Kosovo-Albanern -, das ist ihr in diesem Fall nicht gelungen; andererseits ist es nicht möglich, mit der vorhandenen Anzahl von Soldaten das ganze Kosovo zu sichern. Abgelegene Dörder können nicht rund um die Uhr bewacht werden, und so etwas kann passieren, solange die Leute selbst hier nicht die Bereitschaft haben, in Frieden miteinander zu leben, also eine wirkliche Schuld kann man den Schutztruppen nicht geben. Unter Garantie läßt sich sagen, daß hier keine Absicht vorliegt; natürlich müssen sie mit diesen Vorwürfen jetzt leben, aber eine völlige Sicherung wird nur dann möglich sein, wenn die Leute vor Ort tatsächlich ein Interesse am Zusammenleben haben. Das ist das eigentlich entscheidende: den Friedensprozeß in die Köpfe der Menschen zu bringen, nur dann gibt es auch Sicherheit für die Leute. - Vielen Dank an Karl Hinterleitner nach Pristina. [ZDF-Morgenmagazin 26.7.99, 8:05 ff.]

Das vermutlich von Albanern verübte Massaker an 14 Bauern aus dem Dörfchen Gracko (die vergeblich um KFOR-Schutz gebeten hatten) beschäftigt Medien und Politiker - und fokussiert das Interesse erneut auf die immer peinlichere "[...] Frage nach dem Sinn dieser ethisch motivierten Intervention, wenn die Nato damit ungewollt die Voraussetzungen für eine Vertreibung der Serben schaffte", WELT 26.7.99). In der Tat: was sollte das Ganze, hat es doch nur mehr an Zerstörung, Tod, Leid und Unverständnis produziert und trotz aller "Schreder, Schreder" - Rufe (taz 26.7.99) die politische Unmündigkeit sowohl im Kosovo wie auch in Serbien nur verschlimmert. Dort strömt plötzlich in vielen Städten eine sogenannte Opposition auf Straßen und Plätze und fordert Milosevics Rücktritt. Das, sollte man denken, wäre auch "billiger" zu haben gewesen, nämlich ohne Krieg, ohne grausame Splitterbomben, ohne Kollateralschäden, ohne Botschaftszerstörung - indem man diese Opposition gestärkt und auf friedlichem Wege eine "Revolution" auf den Weg gebracht hätte. Aber, so steht zu vermuten, dann hätte es keine willkommene Gelegenheit gegeben, neue Waffen (wie den B-2-Bomber) zu testen, alte Bestände (wie die HARM-Raketen) loszuwerden und den Wiederaufbau-Firmen fette Aufträge zu sichern. Wohin haben sich, angesichts dieser schändlichen Bilanz, eigentlich die Größen verkrochen, die mit stolz- und ordensgeschwellter Brust in den alltäglichen Briefings das mit den Präzisionswaffen erbombte "pretty good damage" zelebrierten?

21.9.1999
Die KFOR muß Ihre Uniformen abgeben und hat der Entwaffnung zugestimmt. Sie soll in einen "Katastrophenschutz" umgewandelt werden. Xavier SOLANA äußerte Zufriedenheit (er hat noch immer nichts dazugelernt). Zu den beschämenden Resultaten des Kosovo-Krieges das ZDF-Frühstücksfernsehen [8:43-45]:

[...] Noch nie hat ein solch gigantischer Einsatz von Kampfflugzeugen so wenig erreicht, wie geheime NATO-Papiere belegen, die dem ZDF vorliegen. Der Allianz gingen bereits nach wenigen Tagen die Ziele aus 1), die Generäle hatten nur mit einer Woche Krieg gerechnet. Die Flugzeuge zerstörten lediglich 421 Ziele, und die noch nicht einmal vollständig, wie der einstige NATO-General Klaus NAUMANN einräumt: "Wir haben in allen Zielkategorien [...] fast immer nur, wie wir es ausdrücken, mäßigen Schaden 2) erreicht, also [...] kaum einmal schweren Schaden." Schlimmer noch. Die NATO hatte noch nicht einmal eine durchdachte Strategie, wie die Papiere einräumen. Dafür nahmen die Serben Rache nach den ersten Bombenangriffen, vertrieben hunderttausende von Flüchtlingen. Darauf war die Allianz gleichfalls nicht vorbereitet, wie NATO-Kommandeut Wesley CLARK einräumt: "Niemand hat das vorhergesehen 3): daß Milosevic hunderttausende aus dem Kosovo vertreiben würde; das war nicht charakteristisch für sein Verhalten 4)." Und viele, die nicht flüchteten, wurden nach der ersten NATO-Nacht einfach umgebracht.
Für die Soldaten vor Ort halten die NATO-Papiere gleichfalls wenig Gutes bereit. Da heißt es wörtlich: "Der Kampf der Kosovaren um die Unabhängigkeit läßt die NATO mit der unappetitlichen Aussicht zurück, bald von Serben und Kosovaren beschossen zu werden."
-----------------------------------------------------
1) vgl. mehrere TV-Statements in meinen Aufzeichnungen
2) Diese Aussage ist ebenso verlogen wie zynisch, denken wir nur an den verheerenden Angriff auf die
    chinesische Botschaft und die vielen Toten und Verletzten aufgrund der völkerrechtswidrig eingesetzten
    Splitterbomben
3) Haben die vielen lamettabehängten Militärs und die teuer bezahlten zivilen Berater geschlafen? Daß die
     Serben für einen derartigen völkerrechtswidrigen Krieg Rache nehmen würden, lag auf der Hand.
4) Sehr seltsam diese Aussage über einen vom Haager Tribunal steckbrieflich gesuchten und als vogelfrei
    erklärten sog. Kriegsverbrecher
Alle, die aufgrund dieses Kriegswahnsinns ihr Leben verloren, schwer verletzt oder um ihr Hab und Gut gebracht wurden, werden durch solche Aussagen auf das schwerste verhöhnt.

Im Dezember 1999, kurz vor Weihnachten und der "Jahrtausendwende", steht nicht nur das Kosovo, sondern ganz Jugoslawien vor einem schweren, unbarmherzigen Winter. Es darf wieder gesammelt und gespendet werden: um all das zu lindern, was die NATO in diesem absolut sinnlosen Krieg kaputtgebombt und sonstwie zerstört hat. Neben all den furchtbaren und auf Jahrzehnte irreparablen Schäden bleiben die seelischen Wunden: tiefe Feindschaft und Zerrüttung und damit der zuvor wenigstens partiell noch fehlende Grund für weitere jahrelange NATO- bzw. UNO-Präsenz mit dem immer aussichtsloseren Ziel, Frieden zu stiften. Nein: auch wenn nun schon gewisse Politiker Kosovo-Memoiren schreiben oder sonstwie in salbungsvollen Worten (wie der verhinderte Wanderprediger Joseph Fischer) den deutschen Kriegseinsatz zu rechtfertigen versuchen - das Ganze war und bleibt ein Fehler, ein Wahnsinn, und es bleibt nur zu hoffen, daß man daraus lernt.

Nachwort

Meine Kriegs-Dokumentation - das möchte ich ausdrücklich feststellen - richtet sich nicht gegen die deutsche Bundeswehr. Mit ihren humanitären Einsätzen in Albanien und Mazedonien hat sie Großartiges geleistet, den Flüchtlingen Geborgenheit vermittelt, in vielerlei Hinsicht Maßstäbe gesetzt. Und: Bekenntnis zur wehrhaften Demokratie (wehrhaft = gerüstet gegen Angreifer) und Pazifismus (Ächtung des Krieges, vor allem Nein zum Angriffskrieg) müssen sich nicht a priori ausschließen. Wie hieß es doch noch vor kurzem: der Dienst in der Bundeswehr sei Friedensdienst, und selbst die ehemalige DDR (deren Soldaten 1968 in die CSSR einmarschierten) sprach von "Friedensdienst in den Reihen der bewaffneten Organe" (was zu hinterfragen vor der Wende mit dem Zuchthaus Bautzen "belohnt" worden wäre). Folgerichtig wäre nun zu fragen, ob sich das US-Department of Defense (DoD) und sein britisches Pendant nun umbenennen müßten in "Department of Aggression" (DoA) und - seit Kosovo - Herr SCHARPING die Amtsbezeichnung "Kriegsminister" zu führen hätte.

Wer sich, so sinngemäß BW-Reservist Scharping, als Deutscher weigere, den NATO-Bomben zuzustimmen, schaue möglicherweise in die Fratze seiner eigenen Geschichte. Ich frage mich allerdings,

Auch Hitler und Stalin haben Bomben geworfen.
Auch Analphabeten können Bomben werfen.
Bomben sind eine Mißachtung religiöser Prinzipien und abendländischer Kultur.
Bomben zerstören in Sekunden, was kluge Geister und tüchtige Hände in vielen tausend Stunden erschufen.
Bomben stehen für Mord.
Bomben sind keine Lösung am Ende des 20. Jahrhunderts.
Wer mit Bomben erpreßt, handelt barbarisch.

Ganz Westeuropa ist involviert - in einem Krieg, den Europa [zumindest so] nicht haben wollte. Der eigentliche Kriegsschauplatz ist über die Grenzen der Bundesrepublik Jugoslawien getreten, hat sich auf die peripheren Länder ausgeweitet. Die Methoden und Ziele der Militärs und die Ziele der Politik driften auseinander: militärischer "Vollsieg" (=> "Des Teufels General", Eingangsszene) auf der einen, Sieg der Menschlichkeit auf der anderen Seite. Doch: wer Argumente durch Bomben ersetzt, wer mit Bomben Verträge erwirken will, fällt zurück in die Barbarei.

Deutschland ist in Gefahr, sich erneut zu verrennen. Es ist - auch kirchlicherseits! - schon wieder die Frage, ob bzw. wann wir uns Pazifismus (noch) leisten können. Unterdrückung des Pazisfismus ist - nach aller Erfahrung - meist der erste Schritt zur:

Wer behauptet, Ethnien könnten nicht miteinander in Frieden auskommen, hat unrecht. In modernen Deutschland können sie es. Ohne "ethnische Säuberungen", rassi(sti)sche Verfolgungen, Ausgrenzungen. Bayern und Ostfriesen sind mindestens so verschieden wie Slovenen und Kroaten, Bosniaken, Kosovaren und Serben.

Deutschland wird zum Multi-Kulti-Land. Da müssen alle miteinander auskommen. Sie müssen es, will unser Land nicht untergehen und in eine furchtbare Vergangenheit zurückfallen. Deutschland hat eine große, historische Chance. In bisher 50 Jahren der Demokratie haben wir sie genutzt. Diese Demokratie hat Vorbildcharakter. Diesen dürfen wir nicht aufs Spiel setzen: mit Bomben und Gewalt, die alles unglaubwürdig machen können - vor allem bei denen, die von uns lernen wollen.

Ein Europa der Völker zu fordern heißt, dem Europa der Verbrechen grünes Licht zu geben.
Fernando SAVATER, zit. in der taz v. 20.5.99

Europa will zusammenwachsen - doch immer mehr sogenannte Ethnien und Populationen, die sich dafür halten, schreien nach Autonomie. Sie wählen eigene Parlamente, machen Dialekte und Nationalidiome zur Amtssprache, kapseln sich ab. Damit treten sie den Europa-Gedanken mit Füßen, handeln unverantwortlich und kontraproduktiv. Wollen wir ein Europa von Zwergstaaten? Neue, diesmal subventionierte, Mauern in den Köpfen?

Insofern ist zu fragen, ob es (überhaupt und speziell im Kosovo-"Konflikt") Sinn hat(te),

Die Tatsache, daß - nach 54 Jahren - Deutschland einen Krieg mitbestritten und "-gewonnen" hat, sollte nicht zu falscher Euphorie verleiten: so, als hätten wir in der ersten Jahrhunderthälfte nicht zwei Weltkriege zu verantworten und all das furchtbare Leid, das - auch für die unschuldige Zivilbevölkerung - daraus resultierte. Die in ihrer Blüte von vielen Künstlern und Politikern mitgetragene Friedensbewegung verdient es nicht, heute unter den Tisch gekehrt und von den Mächtigen verlacht zu werden. Deutschland hatte - und hat vielleicht noch immer - die Chance eines Sonderweges mit dem Ziel, auf militärische Angriffsmissionen zu verzichten und die verfügbaren Ressourcen in aktive Friedens- und Aufbauarbeit zu investieren.

KRIEG UND VERTREIBUNG IN DEN MEDIEN

1. Seit Mitte Juni 1999 bringt das Fernsehen - passend zum Frühstück und Abendessen - regelmäßig neue Meldungen über Massengräber, Folter, Massaker im Kosovo. Um die 10.000 Menschen, so schätzt man, seien durch Serben im Kosovo getötet worden. Zuvor war, kurz nach Kriegsbeginn, aus Flüchtlingslagern immer wieder berichtet worden von Frauen, die durch serbisches Militär vergewaltigt worden seien. Und es war auch gesagt worden, daß ein großer Teil der wehrfähigen Männer im Kosovo verblieben (und dort vermutlich von Serben getötet worden) seien. Gängiges Reportagemuster war (und bleibt weiter!), weinende, verzweifelte Menschen mit irgendeiner (übersetzten) Geschichte vor der Kamera (oder in reißerischen Zeitungsartikeln) zu präsentieren. Mit den Flüchtlingen seien politische Spielchen getrieben worden, behauptet dagegen Richard MUNZ, Chirurg im mazedonischen Flüchtlingslager Stenkovac I, in der WELT v. 18.6.99.

2. Daß die am Ende des 2. Weltkrieges in Deutschland einmarschierende Rote Armee zahllose Frauen - selbst im Greisenalter - vergewaltigte und sich - nach den Aufrufen des Ober-Hetzers Ilja EHRENBURG - nicht immer sehr vornehm benahm, ist bekannt. Nur seltsam, daß - nach vier Jahrzehnten verordneten journalistischen Burgfriedens - plötzlich, quasi zeitgleich mit dem unerwünschten "Husarenstück" des Russen-Einmarschs in Pristina, die Greuel der Rotarmisten aus der Versenkung geholt und den Russen Kriegsverbrechen unterstellt werden, nur weil russische Offiziere in der serbischen Armee dienten: dies wirkt suspekt und stimmt nachdenklich.

Beide Tatbestände verdeutlichen, daß - als wichtige Lehre auch dieses Krieges - sich die Medien fragen (lassen) müssen, wie sie es - auch hier - mit der Wahrheit halten. Da wir alle den Kosovo-Krieg und das "Danach" nur aus zweiter Hand kennen, sollten wir hier - und in allen vergleichbaren Fällen - wachsam sein und darauf achten, ob und wie wir von den Medien manipuliert und wie von diesen bestimmte Einstellungen bzw. Ressentiments gesteuert werden. Wer - aus welchen Gründen auch immer - die Wahrheit mit Füßen tritt, Menschen ausnutzt, sie zu falschen Aussagen verleitet und sie zu Haß und Intoleranz aufstachelt, schadet als Journalist der gesamten schreibenden Zunft und ist nicht besser als jene, die mit Händen und Waffen Menschen verletzen und töten.

JEDER KRIEG IST EINE BARBAREI UND DESHALB GLOBAL ZU ÄCHTEN
K
riege, sagen die, deren Stimme immer zu spät Gehör findet, Kriege können heute nicht mehr "gewonnen" werden - ausgenommen von denen, die schon immer von Krieg und Zerstörung profitierten:

Faktisch haben in diesem Falle verloren:

=> Inzwischen hat sich auch der Schriftsteller Rolf SCHNEIDER hierzu geäußert: "Der Krieg im Kosovo kennt nur Verlierer", WELT 15.7.99

Die Frage des Gesichtsverlusts hat den ganzen Nato-Krieg begleitet und stand schon auf der Agenda, bevor er überhaupt begann. In einer Welt, deren Ökologie den Status "fünf Minuten vor Zwölf" bereits überschritt, hat die internationale "Wertegemeinschaft" (Verheugen) aus "humanitären" Gründen getötet, gebombt und vergiftet und einen Schaden angerichtet, der die gesamte Region für viele Jahrzehnte belasten wird. Jede weitere Rakete, Bombe, radioaktive Granate stiftet zusätzlichen Schaden, schädigt Menschen, Tiere, Pflanzen, vernichtet Werte, die in Jahrzehnten entstanden, zerstört die Zukunft derer, die nicht aufgeben wollen oder können und dort weiter leben wollen, wo sie sich zu Hause fühlen.

Wie man mit den Besiegten verfährt, wird zum Prüfstein des europäischen und abendländischen Handelns am Beginn des kommenden Jahrtausends. Viele Völker müssen von uns lernen. Geben wir ihnen ein gutes Vorbild; zeigen wir ihnen, daß das an kulturellem Erbe so reiche Europa mehr zu bieten hat als Rambo-Gehabe, naßforsche Arroganz und seelenloses High-Tech.

Jüngste Entwicklungen (November/Dezember 1999) lassen leider darauf schließen, daß man aus dem blutigen Krieg und seinen Folgen nichts gelernt hat. Rußland, dem nun jede moralische Kompetenz abzusprechen ist, führt aus rein innenpolitischen Gründen einen grausamen Krieg gegen das arme Tschetschenien, andererseits erscheint US-Kriegsminister COHEN auf dem Plan und fordert "noch mehr Europa": besonders die Deutschen seien zu schlecht ausgerüstet, es fehlten Luftbetankungsflugzeuge, die USA könnten schließlich nicht alle bzw. den größten Anteil künftiger Lufteinsätze fliegen - Scharping steht stramm, die Bundeswehr soll umgebaut, modernisiert werden, mit dem Schwerpunkt auf Krisenreaktionseinsätzen: Krieg auf Abruf. Das bedeutet einerseits weitere Personalreduktion (Effizienz durch Verschlankung), andererseits aber neue Milliarden für die globale (und weitgehend US-bestimmte) Rüstungsindustrie - und mit keinem Wort werden noch die laufenden Kosten erwähnt, die unser Land auf Jahre hinaus für die Bundeswehr-"Friedenssicherung" im Kosovo belasten. 130 DM Auslands-Zuschlag pro Tag und Soldat: wir haben's ja. Dafür bleiben zehntausende junger Lehrer weiter arbeitslos oder bekommen nur halbe Stellen, bleiben viele Schulen ohne Pausenbetreuung, fehlen massenhaft Stellen in Kindergärten und sonstigen sozialen Einrichtungen, werden Universitäten und andere Lehr- und Forschungseinrichtungen weiter kaputtgespart.

Die Menschheit wird erst dann einen real meßbaren Fortschritt gemacht haben, wenn in ähnlichen Situationen und unter entsprechenden Voraussetzungen nicht mehr zu den Waffen gegriffen, sondern verhandelt wird; denn: Verhandeln kann man lernen, wie kürzlich ein Diplomat und Schriftsteller sagte.

Eine besonders wichtige Aufgabe der Friedens- und Konfliktforschung muß darin bestehen, jene Manipulationsmuster offenzulegen (und langfristig unschädlich zu machen), die

Die Menschheit wird erst dann ihren Namen verdienen, wenn sie ein Sensorium und Maßnahmen entwickelt hat, durch eine Befriedung des Sprechens und Denkens Gewalt, politische Eskalationen und Krieg auszuschließen.

Danica aus Belgrad hat, ohne es zu wissen, meine Aufzeichnungen und Überlegungen zu diesem Krieg begleitet. Genau vor einem Jahr saß sie in meiner Übung, vorn rechts oben im Hörsaal 207. Neben ihr eine Kroatin und eine Bulgarin. Die drei bezaubernden, anmutigen jungen Damen vertrugen sich prächtig. Ich stellte mir Danica vor, wie sie Nacht für Nacht irgendwo kauert und Angst hat. Wie andere junge Menschen Angst hat vor den Bomben, die, wie man uns sagt, das Unmenschliche beenden sollen, die aber neue Unmenschlichkeit schaffen. Die Visionen dessen, was eine Eskalation des Schreckens bedeutet (und wovon wir Deutsche eigentlich genug haben sollten), ließen mich nicht los, und ich wünsch(t)e mir - mit allen Fasern meines Wesens -, daß diese Spirale zum Ende kommt und daß endlich die Vernunft zurückkehrt in die Poltitik. Damit wir, am Ende des 20. Jahrhunderts, Zeugnis ablegen können dafür, daß wir aus der Geschichte gelernt haben. Damit die junge, begabte, hoffnungsvolle Danica Marjanovic und alle anderen Menschen - auch die, die wir vielleicht hassen - endlich in Frieden leben und arbeiten und das sein können, was alle Menschen sich wünschen: glücklich.

Marburg/Lahn                                                 WOLFGANG NÄSER
=>
Bibiographische Angaben und Links