Deutsch im 20. Jahrhundert
* Dr. Wolfgang Näser, Marburg, SS 2002 ff.
Gustl Mayer (*1936) und das Saxophon: Worte zum Jazz
Ergänzungen
1. ZUM THEMA. Sprache und Musik
sind eng miteinander verwoben, haben in der langen Geschichte der Menschheit
immer in Wechselwirkung gestanden: diese äußert sich nicht zuletzt
in zahlreichen "musikalischen"
Wörtern und Wendungen,
die bis heute im Deutschen lebendig geblieben sind. Reflexionen über
die Musik und das Musizieren sind, wie einige Autoren unserer
Sammlung (Schweitzer,
Halm,
Furtwängler,
Henze,
Zuckmayer,
Brendel) beweisen, auch
zumeist ein sprachlich schöpferischer Akt. Viele neue Stilarten,
aber auch Interpretationsweisen und Hör-"Philosophien" brachte die Musik
hervor. Hat jemals eine musikalische Innovation ein ganzes Jahrhundert
mitgeprägt, so ist es der Jazz.
Energisch, fordernd, urgewaltig, manchmal auch provokativ ist im Jazz eine
mächtige Stimme, ein Organ, das allem Anschein nach eigens für
ihn geschaffen wurde: der Belgier Antoine-Josephe ("Adolphe") Sax
(1814-1884) konstruierte um 1840, also noch zu Lebzeiten von Frédéric
Chopin (1810-1849), Felix Mendelssohn Bartholdy
(1809-1847) und Robert Schumann (1810-1856),
das Saxophon,
eine (meist) metallene, parabolisch sich erweiternde, mit Tonklappen versehene
Röhre, die von einem Rohrblatt in einer Art
Klarinetten-Mundstück zum Klingen gebracht wird, und baute es
in acht Größen. "Sein Umfang beträgt drei Octaven, die Applicatur
ist leicht, der Ton sonor wie er bei keinem anderen Blasinstrument zu finden,
und kann vom zartesten Piano ins gewaltigste Forte gesteigert werden.",
heißt es in der Deutschen Zeitschrift für Musik vom 22.
Juli 1842. Berlioz bewundert "die vielfältige Schönheit seines
Tons, der manchmal ernst, manchmal ruhig, manchmal auch leidenschaftlich,
träumerisch oder schwermütig ist, oder vage wie das schwache Echo
eines Echos, wie die undeutlichen Wehklagen des sanften Winds in den
Wäldern und, noch besser, wie die mysteriösen Schwingungen einer
Glocke, lange nachdem sie geschlagen hat". 1847 entstand in Paris die erste
Saxophon-Schule. Wie Meyers Konversationslexikon (Bd. 14, S. 362)
von 1890 bemerkt, habe es "besonders in der französischen Militärmusik
Verbreitung gefunden".
Aus seinem Dornröschenschlaf, ergänzt Gustl Mayer, sei es erst
zu Beginn des 20sten Jahrhunderts erweckt worden. "Komponisten wie Ravel
und Bizet setzten es bereits sparsam ein, aber seine wirkliche Bedeutung
erhielt es letztendlich im Jazz. Zunächst spielten Klarinettisten das
Saxofon als Nebeninstrument, ohne einen besonderen Ton zu entwickeln, und
ohne Gespür für dieses wunderbare Instrument. Erst der 1904 geborene
Saxofonist Coleman Hawkins, der Cello und Harmonielehre studiert hatte,
entwickelte als erster Anfang der 1920er Jahre eine dem Instrument angepasste
Spielweise und den dazugehörigen Ton. Im Grunde war das erst
die Geburtsstunde des Saxofons. Er spielte dieses Instrument technisch virtuos
und vital-swingend, mit einem runden, etwas rauhen Ton und wurde so bald
zum Vater aller Saxofonisten. Einige Jahre später etablierte sich der
junge Lester Young. Im Gegensatz zu den meisten Tenoristen spielte er ohne
Vibrato und lyrisch-zurückhaltend, aber dennoch sehr relaxed-swingend
und zupackend, was eine ganze Generation junger weißer Saxofonisten
inspirierte, nämlich die, die sich dem Westcoast Jazz oder auch
Cool Jazz verschrieben hatten, dem "weißen" Gegenstück
des Bebop. Man kann aus heutiger Sicht grob sagen, dass Coleman Hawkins
die Leitfigur der schwarzen Tenoristen war und ist, und Lester Young
war und ist die Vaterfigur für die weißen Tenoristen. Für
Coleman Hawkins stehen Musiker wie Benny Golson, Sonny Stitt, Sonny Rollins,
Eddy Lockjaw Davis. Lester- Young-Schüler sind u.a. Stan
Getz, Zoot Sims, Al Cohn. Heute sind eindeutige Zuweisungen kaum noch
möglich alles hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte vermischt,
und es sind neue Spielweisen entstanden. Das Saxofon ist aus der modernen
Musik allerdings nicht mehr wegzudenken und gilt heute sogar als das typische
Instrument des Jazz."
Mit einer Jazz-Art, dem Swing, fand das Saxophon eine Heimstatt auch
und gerade in den großen Tanzorchestern der 40er und 50er Jahre, den
Big Bands,
und somit Zugang zu jeder Musiktruhe und jedem Fernseher, und es entstanden
Wortwitze wie "Kennste den Unterschied zwischen einem Saxophon und
einem Sack Zement? Nee? Dann mußte mal reinblasen."
WOLFGANG NÄSER, Marburg
2.
DISKOGRAPHIE a) TV-Konzert m. Claus Ogerman
Octet: Chet
Baker (tp, vo), Werner Rehm (tp), Dick Simon (tb), Gustl Mayer (cl),
Rolf
Schneebiegl (vib),
Claus
Ogerman (p) u.a., Baden-Baden (1955); b) LPs und CDs von und mit
Gustl Mayer: 1. "Piano x Vier" (Modern Jazzgroup Freiburg, 1963, SABA
/ MPS); 2. "Swingin´Oildrops" (mit
Emil
Mangelsdorff, 1966, CBS); 3. "Old Fashion, New Sound" (mit
Emil Mangelsdorff, 1969, Europa Records); 4.+5. "FROM "(1+2):
Klaus Göbel: organ, e-piano, piano; Gustl Mayer:
tenorsax, sopranosax, bells;
Dieter
von Goetze: electric bass,
Kurt
Bong: drums, percussion, gong, timpani; Viktor F. Belgrove: percussion,
conga, steel drum, vocal. LPs (1971, 1972, CBS); 6. "Frankfurt All
Stars": Klaus Göbel: organ; Gustl Mayer: tenorsax;
Emil
Mangelsdorff altosax;
Günter
Lenz: bass;
Ralf
Hübner: drums (DLP, 1975, Teldec); 7.
"Yellow Cab" (Gustl Mayers Jazz Stampede, 1980,
L+R Records); 8. "But Beautiful" (Gustl Mayers Jazz Stampede, 1985
BKB); 9. "Can´t we be friends",
Frankfurt Swing All Stars, 1986, Joke Records; 10. "Jive
at Five",
Frankfurt Swing All Stars, 1989, Joke Records; 11. "Eddie
Cleanhead Vinson's Blues": mit Musikern des
Count Basie
Orchestra:
Colin
Dawson (co), Gustl Mayer (ts),
Thomas
L'Etienne (ts, as),
Gene
Connors (tb),
Klaus Pehl (as,
bs), Dirk
Raufeisen (p) u..a., 1990); 12. "Swinging Frankfurt / New York"
(1994); 13. "When Legends get together" (mit
Harry
"Sweets" Edison,
Clark
Terry, Red
Holloway,
Eddie
Jones,
Bobby
Durham,
Buster
Cooper u.
Willie
Pickens, LynnRo Records, N.Y. 1996); 14. "The Roots of Jazz" ,
International Jazz Festival at Sea 6.6.(1996); 15. "Street of Dreams"
(Paul Kuhn and Strings, 1997, Mons Records); 16. "Clark Terry and
Friends", 1998, Mons Records (mit Paul Kuhn, Kurt Bong,
David
Glasser, Werner Bayer); 17. "Young at Heart "(Paul Kuhn and the
Best, mit
Greetje
Kauffeld,
Benny
Bailey,
Dusko
Goykovich,
Jiggs
Whigham,
Peter
Weniger,
Paul
G. Ulrich u.
Willy
Ketzer, 2002, In+Out Records); 18. "As Time goes by" (Paul Kuhn
and the best, 2008, In+Out Records); 19. "25 years Live at Philharmonie
Cologne" (mit Paul Kuhn Combo und Paul Kuhn Bigband) (2CD, 2011, In+Out
Records) (Änderungen vorbehalten)
Mein Foto links vom 29.6.2004 zeigt Gustl Mayer mit seinem alten Selmer-Sax
beim Auftritt im Marburger
Jazz-Club Cavete
(als Stargast der
Dirk
Raufeisen "Jazz Fingers").
3. Tonproben (*.mp3): nichtkommerzielle dokumentarische Live-Aufnahmen
(von W. Näser) mit GUSTL MAYER
aus Cuxhaven
-
am 12.3.2002 im
Capt'n Ahab's Culture
Club
-
am 17.3.2004 ebd
(gekürzt)
-
am 13.3.2005 mit
Andreas Schanze u.a. Jazzern, ebd.
-
Body and Soul: mit dem
Andreas-Schanze-Trio
am 21.3.2006 ebd.
und (b) solo am
24.3.2011 im oberen
Frühstücksraum des
Hotels Wehrburg
4. ANMERKUNGEN UND ERGÄNZUNGEN (aus
E-mails von GUSTL MAYER; * eigene
Ergänzungen)
-
"Jazz Gehört und Gesehen" kam vom SWF
Baden-Baden am 5.12.1955. Intro into Sweet Georgia Brown
(Bernie-Pinkard-Casey, 4:43) wurde daraus als Track 3 eingespielt in The
2 Trumpet Geniuses of the Fifties: Brownie & Chet; Philology [Records]
214 W 13 ("Black and White Serie Vol. 1"). => Charles A. Ralston,
La
Faro Discography: 1956-1957. WN.
Zur Sendung bemerkt GM: "Es spielten die 'Two Beat Stompers' mit mir
als Klarinettist, das
Chet
Baker-Quartet (Chet war damals der beste Trompeter auf Deutschland-Tour)
und Claus
Ogerman (=Klaus Ogermann), damals Pianist bei
Kurt Edelhagen; er imitierte als Solist einen berühmten
amerikanischen Pianisten. Später hat er in New York, zusammen mit
Stan Getz
und den Brasilianern [Antonio Carlos]
Jobim,
João
und Astrud
Gilberto den
Bossa Nova erfunden, indem er Jazz und
Samba
zusammenführte." (Zit. gekürzt, WN)
-
Darüber berichtet GM in einer E-mail von
20.7.2001: "An einem Abend sollte es eine sogenannte
Sax-Battle
geben, nach dem Muster von
Jazz
at the Philharmonic. Das war ein "Jazz-Zirkus", der in den 50er und 60er
Jahren um die Welt reiste, und immer die besten Musiker aus den U.S.A. unter
Vertrag hatte, u.a.
Ella
Fitzgerald und
Oscar
Peterson. Nun, diese Battle, nachdem die Musiker feststanden, sollte
ich organisieren, denn wir waren 6 Saxophonisten aus 5 Nationen. Ich habe
das Repertoire zusammengestellt und Formationen gebildet, daß das Ganze
nicht so eintönig wird. Zunächst spielten wir alle 6, dann bildeten
wir Pärchen. Mir ist dann kurz vor der Pause etwas passiert, was in
der Presse Schlagzeilen machte. Während meines Solos, und ich spielte
ziemlich heiß und kraftvoll, ist mir der
S-Bogen
mitsamt dem Mundstück aus dem Mund geflogen. Eine Lötstelle
hatte sich geöffnet. Das Publikum hielt das zunächst für eine
gelungene Show. Aber ich mußte aufhören. Da ich auch die Ansagen
machte, habe ich zur Pause gebeten, falls jemand zufällig einen
Sekundenkleber in der Tasche mit sich führt, doch bitte damit hinter
die Bühne zu kommen, um mir zu helfen. Es fand sich auch jemand, und
so konnte ich das Konzert einigermaßen ordentlich zu Ende bringen.
Am nächsten Tag suchte ich einen Goldschmied auf, der mir die
auseinandergefallenen Teile wieder zusammenlötete. Als ich bezahlen
wollte, winkte dieser ab mit der Bemerkung: 'Für so etwas nehme ich
doch kein Geld'." Ein Jahr später verehrte ich ihm eine CD.
-
Zu Clark
Terry (mit dem er 1996 spielte) schreibt GM am 2.9.2001: "Clark Terry
hat mir übrigens eine rührende Geschichte erzählt. Er ist
Jahrgang 1921 und wuchs in den Slums von
St.
Louis auf. Schon früh verspürte er seine Liebe zur Musik und
besonders zur Trompete. So bastelte er sich aus einem Gartenschlauch und
einem Trichter ein trompetenähnliches Etwas. Er entlockte diesem
"Instrument" offenbar brauchbare Melodien, sodaß die gerührte
Nachbarschaft, die ebenfalls sehr arm war, Geld sammelte und ihm eine gebrauchte
Trompete kaufte. Da er aber auch kein Geld hatte, um sich eine
Trompetenschule zu kaufen, ließ er sich von Nachbarn
eine alte
Klarinettenschule schenken. Die
Etüden bestehen hier natürlich aus viel
größeren Intervallen, als es für die Trompete normalerweise
üblich ist. Ehrgeizig wie er nunmal ist, hat er brav nach der
Klarinettenschule gelernt und hat somit einen Stil entwickelt, der ihn von
allen anderen Trompetern unterscheidet. Keiner spielt bei seinen Improvisationen
solch große Intervalle, und dabei auch noch so schnell."
-
Zum Thema Improvisation und Selbstkritik
finden sich interessante Anmerkungen in einer E-Mail vom 6.5.2001: "Normalerweise
höre ich mir eine im Studio produzierte CD erst nach Wochen an,
nämlich erst dann, wenn ich nicht mehr genau weiß, was ich spielen
wollte, und so die Diskrepanz zwischen Wollen und Können nicht mehr
auffällig ist. Beim Improvisieren geht das ja in Bruchteilen von Sekunden,
daß man sich für einen Ton oder eine Phrase entscheidet,
nur läuft nicht immer alles so, wie man das in Sekunden plant. Man
weiß aber noch nach Tagen, was man an dieser und jener Stelle spielen
wollte, und hört dann, was wirklich dabei heraus kam. [...] Das
Improvisieren ist ja in Wirklichkeit ein Komponieren unter Zeitdruck.
Bei einem etwas schnelleren Stück, das nach der Form AABA (32 Takte)
komponiert wurde, haben Sie genau 32 Sekunden Zeit, einen neuen Weg oder
eine neue Variation zu diesem Stück zu finden. Das kann man nur wirklich
einigermaßen gut, wenn man die entsprechende Erfahrung, Routine und
natürlich etwas Begabung mitbringt."
-
Zu den Swing-Raritäten erinnert sich GM
am 24.8.2001: "Das war eine ziemlich erfolgreiche Serie, die so gut wie in
jedem 3. FS-Programm gesendet wurde. Ich habe damit etwa 1987 begonnen. Zu
dieser Zeit stand ja noch die
"Mauer".
Eines Tages ruft mich unsere Rechtsabteilung an und teilt mir mit, daß
das
DDR-Fernsehen an dieser Serie Interesse habe. Es wurde
auch schon über Geld gesprochen. Nun haben sich diese Verhandlungen
so lange hingezogen, bis die Mauer endlich weg war. Dann bekamen sie es
kostenlos. O.K., das war dann der
MDR und der
ORB, klar, alles
ARD. Mit dieser Serie habe ich mich in die Herzen der Alt-Jazzer gesendet.
Wenn man mich auf der Bühne vorstellt, und mich auch noch als den Urheber
der "Swing-Raritäten" nennt, nimmt die Begeisterung oft kein Ende. Als
ich 1998 im
Friedrichstadt-Palast
spielte, anläßlich des Paul-Kuhn-Geburtstages (das war für
die ARD), kam die ganze Ex-DDR-Unterhaltungsprominenz -und
Didi
Hallervorden nicht zu vergessen-, um mir zu gratulieren, ich war damals
ganz perplex."
-
Wie sich - auch und gerade in seinem Bewußtsein - die
Zeiten wandelten, aber auch heute der Spaß nicht zu kurz kommt,
schildert GM sehr anschaulich in einer E-mail vom 28.3.2001: "Ich bewundere
die Pianisten, oder auch Keyborder, die heute halbe Elektronikspezialisten
sind. Wenn die kurz vor dem Auftritt ihre Gerätschaften installieren,
gehe ich meistens weit weg, um das Strippenziehen, Stöpseln, Ausprobieren,
Fluchen, nach Gott rufen, Kündigen und anschließendes
Berufaufgebenwollen nicht mitzubekommen. Am Ende klappt alles prima, aber
ich danke Gott jedes Mal, daß er mich hat zur Klarinette greifen
lassen. - Nicht nach der Klarinette, sondern nach dem Saxophon greife ich
heute Abend. Denn heute feiert ein Musiker aus Hanau seinen 60sten Geburtstag.
Er hat alle Musiker aus dem Rhein-Main-Gebiet zu einer Party nach
Großkrotzenburg eingeladen, das liegt auch in dieser Gegend, an der
bayerischen Grenze. Ein Musiker kommt sogar aus Heidelberg und ein anderer
gar aus Saarbrücken. Also alles in allem werden es ca. 30 Musiker sein,
und natürlich wird heftig gehottet. Es sei noch gesagt, daß dies
ein reiner Herrenabend ist. Man muß sich als Musiker auf einen solchen
Abend beinahe besser vorbereiten als auf ein normales Konzert. Denn hier
will jeder dem anderen zeigen was er kann, und es spielen ja Musiker zusammen,
die auf freier Wildbahn Konkurrenten sind. Man kann sich vorstellen, es gibt
heute Abend mindestens 3 Schlagzeuger, aber in einer Band spielt ja immer
nur einer, also wird das schon mal ein harter Kampf um die Krone: wer ist
der Beste? Genau so ist mit den anderen Instrumenten. Jeder versucht in seine
Trickkiste zu greifen, um die anderen auszustechen. Das alles hat natürlich
Tradition und wurde schon in den 30er und 40er Jahren in
Harlem gepflegt.
Man traf sich dort nachts, nach dem Job in
"Minton´s Playhouse" oder im "Three Deuces" oder im
"Five Spot"
und im "Birdland", je nach dem, und dann ging es bis in die frühen
Morgenstunden. Seltsamerweise hat das alles etwas mit Sport zu tun. Auf dem
Podium ist man sich spinnefeind, aber nach der Jam-Session ist man wieder
(mehr oder weniger) befreundet."
-
Interessant sind auch GMs Mitteilungen vom 29.3. und 12.4.2001: "Nicht nur
das Publikum, sonder auch die Musiker untereinander müssen sich gut
hören. Deshalb gilt, daß vom Publikum aus gesehen auf dem Podium
hinten, von links nach rechts, die Rhythmusgruppe sitzt oder steht (Baß).
Piano - Baß - Schlagzeug. Der Baß muß zwischen Piano und
Schlagzeug stehen, er ist derjenige, der den Rhythmus zusammenhält.
Davor postieren sich die oder der Bläser. [...] Die
Jam-Sessions waren
früher die Schule der jungen Musiker. Wenn man als Junger mit aufs Podium
kletterte, spielte und nicht mit einem Fußtritt vom Podium gestoßen
wurde, wußte man, daß man auf dem richtigen Weg war. [...] Ton
oder Schall oder Sound [sind] so aufzunehmen, daß man beim Abhören
des Tonträgers das Gefühl hat, man sitzt live dabei, das
ist ja die große Kunst. Die Begleitinstrumente dürfen nicht dominant
sein, aber dafür muß man die melodietragenden Instrumente
und die Solisten im richtigen Verhältnis zum Background
hören."
-
Zum Bebop schreibt GM am 9.8.2k2: "Bebop ist im Prinzip Lautmalerei,
eine Wortschöpfung der Journalisten jener Zeit, denen auffiel, daß
sehr viele Phrasen mit einem Achtelsprung von der verminderten Quinte
(flatted fifth, ein Merkmal des Bebop) auf die Mollterz*)
(Blue
note, hat eigentlich nichts mit dem Tongeschlecht Moll zu tun, sondern
es ist die vorweggenommene Septime der Subdominanten) endeten. Dizzy Gillespie,
Trompeter und Miterfinder des Bebop, hat an die
Minstrel
Shows der Jahrhundertwende angeknüpft. Da pflegte man auch schon
den
Scat-Gesang, berühmt geworden durch
Louis Armstrong
[am 26.2.1926 soll er ihn "erfunden" haben in einer plötzlichen
Notsituation, textlich improvisieren zu müssen] und später
Ella
Fitzgerald. Es werden bedeutungslose Silben aneinandergehängt, so
wie sie gerade zur Melodielinie passen. Auf die leichten Taktteile eher mit
einem "i" als Vokal, die Phrasen-Enden wurden dann mit einem "a" oder "o"
als Vokal versehen, aber wie gesagt, da war ja nichts aufgeschrieben, das
war alles Improvisation. Man endete gerne auf einem Konsonanten wie "b" oder
"p", deshalb auch "Bebop", leicht - schwer, wie ding dong, ping pong, und
niemals dong ding." Das, so GM, entspreche "ungefähr unserer DaDa-Bewegung
in den 20er Jahren, Nonsens zur Kunst zu machen." (=>
concrete
poetry; vgl. Ernst Jandls berühmtes Gedicht
"Schützengraben").
* Die produzierten Laute (=>
Hörprobe) erinnern manchmal an das zum
Sprachlernprozeß gehörende, experimentelle
"Brabbeln" des Kleinkindes, das hier eine frühe
Phase der Menschheitsentwicklung reproduziert. Je "heißer" die Session,
desto explosiver die wie in Trance produzierten Laute und desto singulärer
der Phonationsprozeß. In seiner zur Regelhaftigkeit tendierenden
Kreativität (Scat-Patterns, -Dialekte) auch
phonetisch relevant, ist das gesangliche Improvisieren im
Instrumentalstil (auch ein Schlagzeug-Solo ließe sich so
umsetzen) bis heute "in" - sind Vokalisten beteiligt, fehlt das Scat
singing bei keinem Konzert. Das Vocal-Trio
Lambert,
Hendricks & Ross imitierte auf diese Weise sogar Horn-Soli. In den
1960er Jahren sangen die
Swingle
Singers Klassik-Stücke mit Scat-Silben, ähnlich "swingten"
die Ray Conniff Singers. Schubidubidu und Schalalalala
wurden als Scat-Rezitate im Schlager-Genre bekannt und für allerhand
Wort-Witze "mißbraucht". Als quasi "kodifiziertes" Scat-Derivat
kann (im linguistischen Sinne) das Jodeln gelten
("Holleri-didudl-jöh", vgl.
Loriots
berühmten Sketch). Mit rund 2,5 Millionen verkaufter Schallplatten
berühmt wurde "Scatman" John Larkin (1942-1999), der mit seiner Art
des Singens das eigene Stottern therapierte und vielen Leidensgenossen zu
helfen versuchte.
Gustl MAYER ergänzt dazu in einer E-mail vom 14.8.2k2:
"Louis Armstrong hat natürlich stilistisch anders gescatted als Dizzy
Gillespie der Miterfinder des Bebop) oder Ella Fitzgerald. Sie ist übrigens
ein sehr gutes Beispiel für modernen Scatgesang in Titeln wie: Smooth
Sailing, Air Mail Special etc. Ella bewegt sich wie ein
Tenorsaxophon improvisatorisch durch die changes (Akkordfolgen). Sie
variiert zwischen Legato-Passagen und Staccato-Sequenzen, wozu
sie spontan die richtigen Konsonanten und Vokale auswählen muß
oder die richtigen Silben formen muß. Sie ist darin sicher die
Weltmeisterin. Der Trompeter Clark Terry hat eine andere Gesangs-
oder Scattechnik entwickelt, die auch nur er beherrscht: "mumbles". Es hört
sich an, als würde er sich, halb im Sprechgesang, mit jemanden unterhalten,
aber in Wirklichkeit bedeuten seine Silben, für sich genommen, nichts.
Aber wenn man das alles im Zusammenhang hört, glaubt man, daß
sich zwei Menschen zunächst unterhalten, was im Verlaufe des Titels
zu einem Gezänk anschwillt. Wahrscheinlich so, wie er es mit seinen
Frauen erlebt hat. Er ist übrigens ein sehr spaßiger und
gutmütiger Mensch. Er hat mir im Auto einen von ihm komponierten und
getexteten "Italian Blues" vorgesungen. Dieser Text besteht nur aus Namen
von italoamerikanischen Musikern, es ist zum Totlachen. Zum Jodeln
sei gesagt, daß diese Interpreten/innen von der Brust- in die Kopfstimme
überwechseln müssen, das ist ja das Merkmal dieser Musik. Da werden
sie aber außer holladiho, holladihü und lalalalala
nichts anderes hören. Mit einem normalen Text läßt sich
eine solche Technik nicht ausüben, da passen nur ganz bestimmte Silben."
-
Zur Entstehung des Jazz im allgemeinen und des Frankfurter
Jazz-Lebens im besonderen schreibt GM in einer e-Mail vom 26.8.2k2:
o "[Der Jazz] hat viel mit den Afroamerikanern zu tun, die
in der neuen Welt mit abendländischer Musik in Verbindung kamen. Meist
ging es um Kirchenmusik und um Tanzmusik der damaligen Zeit
wie z.B. Marsch und Polka. Wenn man den
Ragtime
zum Jazz zählt, dann war
Scott
Joplin einer der ersten, der in dieser neuen Art komponiert hat. Es war
allerdings noch nichts improvisiert bei ihm, er hat alles aufgeschrieben,
und seine Kompositionen hatten die
Rondo-Form.
Das lag daran, daß er einen ausgewanderten deutschen Klavierlehrer
hatte, der ihn mit der europäischen Klassik vertraut machte. Scott Joplin
war der "King of Ragtime", und wenn Ragtime auch noch nicht unbedingt als
Jazzstil gelten sollte, so hat er doch die Entwicklung des Jazz stark
beeinflußt. Bekannte Titel von ihm sind der
Maple
Leaf Rag und
The
Entertainer, alle schon in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts geschrieben.
Der Ursprung, und das steht heute fest, liegt im Süden der USA, in New
Orleans. Hier waren offenbar die begabten und richtigen Männer zur rechten
Zeit am rechten Ort. Hätte es da aber nicht Louis Armstrong
gegeben, so wäre diese Musik womöglich heute nur Folklore in
Louisiana. Armstrong hat eigentlich als erster die freie Improvisation
über die gesamte Kompositon eingeführt und diese Musik zur
Kunstmusik gemacht. Davor gab es nur Breaks von 2 oder 4 Takten,
über die die Trompeter improvisierten. Die
New-Orleans-Musik
war polyphon angelegt. Das heißt: Trompete = Melodie, Posaune
= Baßführung; die Klarinette rankte sich um die Melodie.
Natürlich war auch das Improvisation, aber man war immer in diese drei
gleichberechtigten Linien eingebunden, mußte reagieren auf das, was
die Trompete spielte.
o Frankfurt wurde nach dem Krieg zur deutschen Hochburg des
Jazz, das lag auch an mehreren Faktoren, die in dieser Zeit zusammentrafen.
Es waren sehr viele amerikanische Musiker als Soldaten hier
(Bill Ramsey
etc.), und der im Krieg von Carlo Bohländer gegründete Hotclub
erhielt, durch Carlos Betreiben, schon am 17.5.1945 die Genehmigung sowohl
für Amerikaner als auch für Deutsche, Jazz zu spielen. Das bedeutete:
Mittagessen in der mess hall, Zigaretten, Butter, Zucker, Mehl usw..
Jeder, der nur einigermaßen spielen konnte, wollte natürlich mit
dabei sein, wenn das "Bärenfell" verteilt wurde. Sie übten alle
wie die Wahnsinnigen, nur um mitspielen zu können. Nach zwei, drei Jahren
hatte man eine ansehnliche Menge von guten Musikern. Dazu kam, daß
Horst
Lippmann (1927-1997; => Konzertagentur
Lippmann +
Rau) schon sehr früh durch seine Kontakte zu
Norman
Granz und
Leonard
Feather (beides Musikagenten der besten US-Orchester und Solisten) die
wichtigsten Jazzcombos und Orchester nach Frankfurt holte. Damals hatte die
amerikanische Truppenbetreuung ihren Sitz im
IG-Hochhaus
(jetzt
Universität).
Dorthin kamen, von der Zivilbevölkerung unbemerkt, große Stars
und spielten nur für die GI´s. Oft benötigten sie deutsche
Begleitmusiker, und so kam es, daß
Paul Kuhn,
der damals in Wiesbaden wohnte, mit dem seinerzeit bedeutendsten Trompeter
Roy
Eldridge spielte. Das war 1945/46. Die Frankfurter Musiker hatten dadurch
mehr Erfahrung als ihre Kollegen in Köln, Dortmund, Hamburg oder Berlin.
Das hat sich aber in den letzten 20 Jahren grundlegend geändert. Es
gibt heute überall im Lande Jazzklassen an den Musikhochschulen. Allerdings
entstand - wie könnte es anders sein - die erste solche Jazzklasse (und
das ist typisch für das weltoffene Denken meiner Mitbürger) an
Dr. Hoch´s
Konservatorium in Frankfurt, das war 1928; Initiator war der ungarische
Komponist
Máthyás
Seiber [1905-60]. Leider wurde diese Klasse 1933 wieder geschlossen.
o Frankfurt hat den ältesten
Jazzkeller
der Welt, der feiert in diesem Jahr (2002) sein 50jähriges
Jubiläum.
"Jazz im Palmengarten" ist die älteste Jazz-Reihe
der Welt. Der
Hessische
Rundfunk hat weltweit als einzige Rundfunkanstalt seit 1958 ein - von
Albert Mangelsdorff geleitetes -
Jazz-Ensemble mit 3 Produktionstagen pro Monat."
-
Zum Thema
Mundstück (s. auch die Abbildung oben) GM am 21.8.2k2:
"Otto Link war ein Deutscher, der irgendwo in
New York
eine kleine Werkstatt hatte. Seine
Mundstücke
waren bald Stadtgespräch.
Ben
Webster, einer der größten Saxophonisten, hatte bereits eines
und wollte, daß
Paul Gonsalves, der gerade nach New York gekommen war
und von den Kapverdischen Inseln stammte, auch ein Link MS spielen sollte.
Sie gingen 3 bis 4 mal zur Werkstatt und nie war Otto L. zuhause. Er trank
sich gerne durch die umliegenden Kneipen, aber sie fanden ihn irgendwann
und Paul Gonsalves erhielt sein Otto-Link-Mouthpiece und war
glücklich. Paul Gonsalves ist auch in die Reihe der größten
Saxophonisten einzureihen. Er spielte viele Jahre im Orchester von
Duke
Ellington. Ende der 60er Jahre war er in Frankfurt mit Duke Ellington,
und nach dem Konzert waren wir allesamt bei
Albert
Mangelsdorff zu Hause.Während der Kater von Albert auf Paul`s
Schoß schlief, hat er mir diese Geschichte erzählt. Otto Link
hat ein Mundstück immer nur speziell für einen Musiker gemacht,
in dem er sich sein Gebiß und die Mundstellung genau ansah. Das wäre
heute unbezahlbar. Gonsalves hat sein restliches Saxophonisten-Leben nur
mit diesem Mundstück gearbeitet."
Mundstück-Fotos: WN 3/2k4. Llinks: altes Link-Mundstück von G.
Mayer, rechts: Gravur im Link-Millennium (mit blauer Bißplatte) von
2000
5. LINKS
-
Jazz-Geschichte
* allgemein
(Wolfram Knauer)
*
Jazz-Almanach
/
Wikipedia
/
Wolfram
Knauer
*
in
den USA
* Jazz"
im 3. Reich
Wie aus dem "Tiger Rag" die "Tigerjagd im Taunus" wurde
(Von Jürgen Schwab, s. FAZ 1.12.2k3)
*
Jazz-Stile (aus einer sehr guten Abhandlung von Shadi
Heinrich, geb. 1980)
-
Liste von
Jazzmusikern in Deutschland
-
Jazz-Institut
Darmstadt (Europas größte öffentliche Jazzsammlung)
-
The Jazz Pages
(dt.)
-
jazzrecords
(dt.)
-
Union Deutscher
Jazzmusiker
-
Europäische Festivals (Auswahl, Links geprüft
12.4.2011):
Aarhus,
DK auch
hier
* Ascona,
CH , *
Dortmund,
D (UniDo) *
Frankfurt, D, *
Göttingen,
D *
Gothenburg
(=Gteborg), S , *
Haugesund,
N *
Konstanz,
D (Jazzherbst) *
Malta *
Maribo,
DK * North
Sea Jazz, 's Gravenhage (Den Haag) *
Oslo, N *
Rottweil,
D *
Santorini,
GR * Wien,
A *
Wijchen,
NL *
Willisau,
CH
-
Sax Battles:
Über
Tenor Battles und rauchende Colts
-
Jazz-Improvisation
* Uni
Wisconsin (viele Links)
*
Primer
(Marc Sabatella)
*
European
Free Improv. Pages, z.B.
London
Jazz Composers' Orchestra
*
JazzClass
(Australia)
*
for
beginners / Improvisation auf Melodie-Instrumenten
-
Saxwelt - Die ganze
Welt des Saxophons
-
Geschichte
des Saxophons
-
Zur
Technik des Saxophons
-
Tips
zur Mundstück-Auswahl *
Link-Mundstücke
in Großaufnahme
-
Saxophon-Service
(mit vielen aufschlußreichen Bildern)
-
Vintage Saxophone
Page (A short and incomplete history of Selmer Saxophones)
-
Bamboo
Saxophones ("I saw this "Bamboo Saxophone" a couple of years ago in the
streets of Cologne. The designer named it "Xaphon" and it was really
a flute with holes. It was about 30 cm long with a diameter of aprox. 3 cm.
Instead of the normal flute mouthpiece, the "inventor" had attached an
original saxophon mouthpiece. Meanwhile, I have learned that it is
this clamped little bamboo or plastic piece which gives the saxophon
it's typical sound. Considering this, it's then not so astonishing as it
appears in the first moment to produce a sax sound on a flute." Siegfried
Naruhn, SNaruhn@t-online.de)
6. LITERATUR (einige ausgewählte Werke)
-
Behrendt, Joachim Ernst: Ein Fenster aus Jazz. Ffm (Fischer) 1978
-
Behrendt, Joachim Ernst: Das Jazzbuch. Frankfurt am Main, 2005
-
Bielefelder Katalog Jazz 1999 auf CD-ROM
-
Burbat, Wolf: Die Harmonik des Jazz. 178 S., zahlreiche Notenbeispiele. dtv
1998
-
Carlo Bohländer / Karl Heinz Holler / Christian Pfarr: Reclams
Jazzführer. Reclam. 2000
-
Dauer, Alfons M.: Knaurs Jazz Lexikon. München/Zürich 1957
-
Dyer, Geoff: But Beautiful. Ein Buch über Jazz. Argon Verlag, Berlin
2001 (dazu 3 CDs: Roof Music, Bochum 2004
-
Fordham,
John: Das große Buch vom Jazz. Musiker, Instrumente, Geschichte,
Aufnahmen. 2004
-
Hochheim, Matthias: Saxwelt: Das deutsche Saxophonbuch. Ausführliche
Seriennummernlisten, Das C-Melody, Die Geschichte des Saxophons und dessen
Hersteller. 2004
-
Jacobs, Michael: All that Jazz - Die Geschichte einer Musik. Stuttgart, 1996
(überarbeitete Auflage 2007)
-
Jost, Ekkehard: Free Jazz. Da Capo Press, 1994
(hier Rez.)
-
Jost, Ekkehard: Sozialgeschichte des Jazz. Frankfurt am Main, 2003
-
Kernfeld, Barry: (Hg.): The New Grove Dictionary of Jazz. 3 Bände. 2.
Aufl. London/New York 2001
-
Kunzler, Martin: Jazz Lexikon . 2 Bde., HH (rororo) 1988; auch: Rowohlts
Jazz-Lexikon. 1999
-
Wölfer, Jürgen: Lexikon des Jazz. 1999
-
Liste von 100 Büchern und CDs zum Jazz
Wird ergänzt * Seite begonnen am 2.8.2k2
Teile 1, 2, 3, 5, 6, Links und Fotos (c) Dr. W. Näser, MR * Stand:
1.11.2018
NB Die gesetzten Extern-Links dienen lediglich der Information
und verfolgen keinerlei kommerzielle Interessen. Im Laufe der Zeit sind einige
Links ungültig geworden; dafür bitte ich um Verständnis und
werde die entsprechenden Informationen nach und nach ersetzen. Für
Hinweise danke ich im voraus!